In den letzten Jahren kommen zunehmend Patienten zwischen 20 und 30 Jahren in ambulante und stationäre Einrichtungen, viele davon mit Beziehungsproblemen. Die Trennung zwischen Normalität und Pathologie wird durch Entwicklungsbesonderheiten in der Altersphase des „emerging adulthood“ (Arnett 2015) erschwert; dies betrifft besonders den Beziehungsbereich. Zielsetzung dieses Beitrags ist es, einen Überblick über die Forschung zu Partnerbeziehungen bei jungen Erwachsenen zu geben, mit einem Fokus auf den Themen Sexualität und Intimität.

Hintergrund

Im vorliegenden Beitrag geht es um die Klärung einer auffälligen Diskrepanz: Nachdem sich in der Adoleszenz erste Paarbindungen entwickelt, Intimität erlernt und erprobt sowie prinzipiell eine Basis für spätere Liebesbeziehungen geschaffen wurde, scheinen junge Erwachsene regelrecht „auf der Flucht vor der Intimität“ zu sein, was zunächst an einen Entwicklungsstillstand denken lässt. Dies trifft jedoch keinesfalls zu, vielmehr soll im Folgenden anhand der Forschungsbefunde verdeutlicht werden, warum die Devise „Sex ja, Liebe nein“ für einen hohen Prozentsatz der jungen Erwachsenen und für eine relativ lange Zeitspanne von fast 10 Jahren doch einen Sinn machen könnte. Diese Entwicklung verläuft sowohl bei hetero- als auch bei homosexuellen Beziehungen recht ähnlich, was ebenfalls unterstreicht, dass dieser Beziehungsstatus möglicherweise eine wichtige Entwicklungsfunktion hat. Dies ist im therapeutischen Kontext zu bedenken.

Merkmale der neuen Entwicklungsphase „emerging adulthood“

Seit etwa 2000 hat sich eine Ausdehnung des Erwachsenwerdens mit der Konsequenz einer eigenständigen Entwicklungsphase, „emerging adulthood“ (18 bis 30 Jahre), ergeben. Die spezifischen Veränderungen bei jungen Leuten lassen sich in Forschungsbefunden aus allen westlichen Industrienationen nachweisen (Arnett 2015). Die klassischen Kriterien für das Erwachsenenalter (Berufseintritt, feste Partnerbeziehung/Ehe, Familiengründung, finanzielle Eigenständigkeit und selbstständiges Wohnen) treffen auf diese Altersgruppe noch nicht zu bzw. wurden zeitlich sehr stark hinausgeschoben. Nachweisbar ist – um nur einen Bereich herauszugreifen – in über 600 Studien in ganz Europa und Nordamerika (Kroger et al. 2010) beispielsweise, dass sich die Identitätsentwicklung extrem verlängert und auch qualitativ verändert hat, und auch für den Beziehungsstatus ist inzwischen sehr viel Exploration und wenig Commitment charakteristisch. Das Auszugsalter aus dem Elternhaus hat sich zeitlich nach hinten verschoben, und in Deutschland gibt es mehr Nesthocker bzw. mehr Rückkehrer ins Elternhaus (Seiffge-Krenke 2006), in den letzten 2 Jahren auch bedingt durch die Coronapandemie, sodass viele jungen Leute in einer Semiautonomie mit deutlicher Abhängigkeit von ihren Eltern leben.

Stimuliert durch die Theorie von Jeff Arnett aus dem Jahre 2000, der den Begriff „emerging adulthood“ für die Zwischenphase zwischen Adoleszenz und Erwachsenenalter prägte, setze eine enorme Forschungsaktivität ein, die die charakteristischen, von Arnett beschriebenen 5 Merkmale („self-focus“, „delay in identity“, „instability“, „feeling in between“, „diversity“) in vielen westlichen Industrienationen, so auch in Deutschland, bestätigte. In einer Erhebung an 3000 jungen Erwachsenen in Ost- und Westdeutschland mit unterschiedlichem beruflichem Status (berufstätig, studierend, arbeitssuchend, in Ausbildung) fand man die 5 charakteristischen Merkmale, die Arnett als typisch nennt (Seiffge-Krenke 2017a). Am deutlichsten waren sie bei Studierenden nachweisbar; sie bildeten sozusagen prototypisch die Merkmale dieser Phase ab, mit einer sehr starken Exploration, ausgeprägtem Selbstfokus, dem Gefühl, irgendwie noch nicht richtig erwachsen zu sein, und hoher Instabilität mit häufigen Umzügen und Wohnort‑/Studienfachwechseln. Die gleichaltrigen Berufstätigen dagegen waren deutlich weniger selbstfokussiert, viel bezogener auf andere und fühlten sich auch weniger „dazwischen“; sie scheinen schon eher im Erwachsenalter angekommen zu sein, denn die Explorationsneigung hatte deutlich abgenommen. Sie waren auch in ihrer Identität schon weiter vorangeschritten und in ihren Partnerbeziehungen schon fester gebunden. Auch die in einer Lehre befindlichen gleichaltrigen jungen Erwachsenen waren weniger selbstfokussiert und fühlten sich eher als erwachsen.

Eine instabile Lebenslage mit häufigen Wohnortwechseln, sich ständig verändernde berufliche- und Ausbildungssituationen, häufige Partnerwechsel, häufige Trennungen, finanzielle Abhängigkeit bei gestiegenem Verbleib bzw. Rückkehr ins Elternhaus („zurück ins Kinderzimmer“), das Gefühl, weder Jugendlicher noch Erwachsener zu sein – dies alles mag zu einem extremen starken Selbstfokus mit geringem Bezug auf andere geführt haben (Seiffge-Krenke 2021). Selbstverwirklichung und Autonomie stehen im Vordergrund – wenn es sich auch eher um eine Semiautonomie handelt, denn die finanzielle und Beziehungsabhängigkeit von den Eltern ist sehr deutlich, die Bezogenheit auf andere dagegen in den Hintergrund getreten.

Auf Basis der Konzeption von Arnett nahm die Forschung enorm Fahrt auf; es wurden Fachgesellschaften gegründet (wie die Society for the Study of Emerging Adulthood, SSEA), die alle 2 Jahre einen internationalen Kongress abhält. Eigene Zeitschriften, wie Emerging Adulthood entstanden, in denen die Forschungsergebnisse zu dieser Entwicklungsphase aus entwicklungspsychologischer, soziologischer und klinischer Perspektive beschrieben wurden. Die Forschungsbefunde zeigen, dass es sich keineswegs um „des Kaisers neue Kleider“ (Hendry und Kloep 2010) handelt, sondern dass eine neue Entwicklungsphase entstanden ist, die für sehr viele junge Leute ihr Lebensgefühl ausdrückt und ihre Chancen, aber auch ihre Belastungen gegenüber früheren Generationen umfasst.

Der Forschungsüberblick von Svanson (2016) ermittelte für den Zeitraum von 2000 bis 2015 bereits 1334 empirische Studien zu „emerging adulthood“ in peer-reviewten englischsprachigen Zeitschriften; darunter nahmen die Beziehungen zwischen Eltern und erwachsenen Kindern, Intimität/Sexualität sowie die Identitätsentwicklung, neben Fragen von psychischer und körperlicher Gesundheit, substanzielle Beiträge ein. In der vorliegenden Übersicht liegt der Fokus auf den Partnerbeziehungen der jungen Erwachsenen, genauer: dem Spannungsfeld zwischen Sexualität und Intimität. Eine Übersicht über die Ergebnisse der zum damaligen Zeitpunkt bereits über 200 Studien zu Intimität/Sexualität würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen. Es geht daher um eine Akzentsetzung: Was sind häufige Befunde, welche Erklärungsmodelle gibt es, und welche Relevanz haben diese Befunde für die therapeutische Praxis?

Flucht vor der Intimität? Besonderheit der Partnerbeziehungen bei jungen Erwachsenen

Im Folgenden sollen Forschungsbefunde zu Partnerbeziehungen von jungen Erwachsenen betrachtet werden, über deren gesellschaftlichen Kontext und Entwicklungsbedingungen inzwischen viel geforscht wurde, mit recht einheitlichen Ergebnissen, die aber noch zu wenig bekannt sind. Es handelt sich um einem Entwicklungskontext, der für die meisten „emerging adults“ sehr viel Freiraum und (zu) viele Möglichkeiten bietet und durch einen (zu) starken Individualismus und relativ wenig Verbundenheit gekennzeichnet ist – dies gilt für die gesamte Alterskohorte.

Konzept der Intimität

Intimität wird als ein beschreibendes Merkmal enger Beziehungen benutzt, wobei Definitionen und Operationalisierungen dieses multidimensionalen Konstrukts sehr variieren (Hook et al. 2003). Nach der Definition von Sternberg (1997, S. 315) scheint Intimität den Kern der Beziehungen auszumachen: „Intimacy refers to the feelings of closeness, connectedness and bondedness in loving relationships“. Bei der Intimität in Partnerbeziehungen wurden kommunikative, affektive und körperliche Komponenten wie das Mitteilen vertraulicher Informationen („self-disclosure“), Liebe und Zuneigung („love and affection“), Vertrauen („trust“), große körperliche Nähe („physical closeness“) sowie enger emotionaler Austausch („emotional closeness“) gefunden (Moss und Schwebel 1993; Sternberg 1997) und die Wechselseitigkeit hervorgehoben. So wird etwa in der Intimitätsstatusdiagnostik von Orlofsky (1993) die Balance zwischen Verbundenheit und Autonomie, d. h. zwischen Selbst und Partner, hinsichtlich dieser Aspekte hervorgehoben.

In der Forschung wurden zumeist Geschlechtsunterschiede gefunden, mit einer höheren Bedeutung der Intimität für Frauen in Paarbeziehungen und einer Reserve von Männern, über intime Partnerbeziehungen zu sprechen oder Intimität in einer Partnerbeziehung zuzulassen (Korobov und Thorne 2006; Czyżowska et al. 2019).

Die Etablierung fester Partnerbeziehungen von hoher Intimität ist zwar ist immer noch eine der wichtigsten Entwicklungsaufgaben in der Phase des „emerging adulthood“ (Seiffge-Krenke und Gelhaar 2006). Zugleich gibt diese Altersgruppe einheitlich an, dass ihr Entwicklungsstand diesbezüglich sehr niedrig ist. Entwicklungsziel und Realität klaffen also weit auseinander – ein erheblicher Druck besteht, sich in diese Richtung zu entwickeln.

Forschungsstand in Bezug auf Partnerbeziehungen bei jungen Leuten

Allerdings zeigt der Forschungstand, dass eine zunehmende Zahl junger Erwachsener in unverbindliche und emotional belanglose Interaktionen oder einfach nur beiläufige sexuelle Begegnungen involviert ist (Übersichten bei Booth et al. 2015; Shulman und Connolly 2013). Sexuelle Befriedigung steht im Vordergrund, kaum eine Suche nach Intimität in Partnerschaften; es ist eher eine „Flucht vor der Intimität“ auszumachen.

Demografische Studien in vielen westlichen Ländern zeigen, dass eine Ehe (wenn überhaupt) im 3. Jahrzehnt geschlossen wird und damit rund 6 bis 10 Jahre später als noch vor einigen Jahrzehnten. Auf kurze Perioden romantischer Stabilität folgen häufig Perioden kurzlebiger oder instabiler Beziehungen unterschiedlicher Qualität, die einheitlich dadurch gekennzeichnet sind, dass sich die jeweiligen Partner nicht als Paar erleben, und dass es zu kurzzeitigen unverbindlichen sexuellen Begegnungen kommt, die „nicht romantisch“ sind. Bis zu 70 % der jungen Erwachsenen haben solche „Nichtbeziehungen“ (James-Kangal und Whitton 2019), wobei die Häufigkeit von unverbindlichem Gelegenheitssex in den ersten Jahren des jungen Erwachsenenalters stark zunimmt (Rossi et al. 2017) und insbesondere bei Studierenden (Garcia und Reiber 2008) nachweisbar ist. Diese Befunde fanden sich bei allen Geschlechtern und verschiedenen Ethnien.

Folgende Muster lassen sich erkennen: Bei den „hook-ups“ (Abschleppen) oder „One-Night-Stands“ (Paul et al. 2008) kommt es zwischen in der Regel unbekannten Partnern, oft in Verbindung mit Alkohol, zu sexuellen Aktivitäten. Eine eng verwandte Form der nichtromantischen sexuellen Beziehung ist der „Freund mit Vorteilen“ („friend with benefits“) oder Freundschaft +, der teilweise schon bei Jugendlichen auftritt, bei jungen Erwachsenen aber eine herausragende Rolle spielt (Williams und Adams 2013). Diese jungen Leute betrachten die sexuelle Aktivität als angemessene Ergänzung ihrer Freundschaft, berichten weder über romantische Gefühle, noch haben sie Erwartungen, romantische Partner zu werden. Halpern-Meekin et al. (2013) haben das Phänomen des „churning“ beschrieben, bei dem Expartner trotz Beendigung ihrer romantischen Beziehung weiterhin Sex miteinander haben, aber keinesfalls eine Beziehung wünschen. Ein ähnliches Muster findet sich bei den „On-off“-Beziehungen.

Es besteht außerdem eine hohe Diversität der Entwicklungsverläufe. Es kommt zwar, der Metaanalyse von James-Kangal und Whitton (2019) zufolge, bei 70 % der „emerging adults“ zu den verschiedenen Mustern unverbindlicher sexueller Explorationen, aber es gibt auch 8 % Isolierte, sexuell Abstinente; für 20 % ist serielle Monogamie, für 2 % Monogamie gefunden worden. Dass junge Erwachsene mit einem Partner zusammenbleiben, den sie seit ihrer Jugendzeit haben, ist sehr selten, und auch das Muster, dass nacheinander mit verschiedenen Partnern eine enge Paarbeziehung eingegangen wird, ebenfalls.

Die Forschung zur romantischen Entwicklung lesbischer, schwuler, bisexueller oder transgender (LGBT-)Personen zeigt, dass sie zu ihren heterosexuellen Altersgenossen ähnliche Partnerschaftsmuster aufweisen und in ähnlicher Weise besonders „online sites“ zum Kennenlernen benutzen (Taggart et al. 2017). Romantische Erfahrungen spielen eine wichtigere Rolle bei der Stabilisierung der sexuellen Identität von LGBT-Personen, verglichen mit heterosexuellen Personen (Moreira et al. 2015), und scheinen ein Schutzfaktor vor psychischen Belastungen zu sein (Whitton et al. 2018).

Einfluss der neuen Medien: „Love me tinder“

Von Bedeutung sind generell, insbesondere aber für die Generation der 20- bis 30-Jährigen, die neuen Medien. Die Metaanalyse von Coyne et al. (2013) zeigt hohe Nutzungsraten und sehr verschiedene Funktionen der Mediennutzung auf, wobei eine stufenweise zunehmende Intimität (von Facebook zu „text messages“ zu persönlichen Treffen) bei den Kontakten gefunden wurde. Obwohl zweifellos eine Errungenschaft für die Generation mit hoher Mobilität, um mit ihren Freunden, Bekannten und Kollegen über große Entfernungen im Kontakt zu bleiben und Partner kennenzulernen, wird dieser Gewinn teilweise durch negative Auswüchse beeinträchtigt. So berichten junge Leute, dass sie sich ständig unter Druck gesetzt fühlen, nur das Optimale von sich zu präsentieren, der ständige Vergleich, geschönte Selbstdarstellungen sind auffallend, und die schiere Zahl der Kontakte („me and my 800 Facebook-friends“; Manago et al. 2012) kostet Zeit. Das Dilemma „escaping and belonging“ ist nur zu präsent für viele. Mitteilen bzw. Austauschen emotionaler Befindlichkeiten – ein Merkmal von Intimität – zumeist allerdings nur der positiven Befindlichkeiten, war eine der Hauptfunktionen, weshalb man sich nicht entschließen konnte, seinen Account zu löschen.

Spezifische Plattformen wie Tinder wurden ursprünglich als allgemeine Dating-App eingeführt und werden inzwischen als Hook-up- oder Sex-App bezeichnet. Die Forschung zeigt allerdings, dass das nicht ganz korrekt ist, wenn auch unverbindliche sexuelle Beziehungen einen erheblichen Anteil darstellen. Die empirische Studie von Sumtera et al. (2017) ermittelte 6 Tinder-Motivationen, nämlich „love“, „casual sex“, „ease of communication“, „self-worth validation“, „thrill of excitement“ und „trendiness“. Die Motivation für Liebe war das wichtigste Motiv und stärker als die Motivation für Gelegenheitssex. Dennoch führte Tinder für einige junge Erwachsene zu Gelegenheitssex, da 17 % angaben, einen One-Night-Stand mit einem Tinder-Match gehabt zu haben. Männliche Tinder-Nutzer geben eine höhere Motivation für Gelegenheitssex an als weibliche Tinder-Nutzer. Dieses Ergebnis entspricht der Literatur über eine stärker freizügige Einstellung von Männern gegenüber Gelegenheitssex im Allgemeinen und der Forschung über die stärkere Nutzung des Internets durch Männer, um nach potenziellen Sexualpartnern zu suchen, im Besonderen. Altersbezogene Auswertungen zeigten, dass junge Erwachsene mit steigendem Alter in ihren Beziehungen zunehmend sowohl körperliche (d. h. Leidenschaft) als auch emotionale Befriedigungen (d. h. Intimität und Bindung) suchten.

Die häufige Nennung der Selbstwertvalidierung spiegelt das Bedürfnis junger Erwachsener, ein positives Feedback zu ihrer Attraktivität zu erhalten. Allerdings fanden sich keine Geschlechtsunterschiede beim Motiv der Selbstvalidierung. Menschen mit hohem Sensationshunger nutzen eher das Internet, um jemanden zu finden, mit dem sie Sex haben können (Claxton und van Dulmen 2013). Insgesamt zeigt sich, dass Dating-Apps wie Tinder über die Hook-up-Kultur hinausgehen und sich die Motivlage mit dem Älterwerden ändert. Die Vielzahl von Informationen, die auf Facebook vermittelt wird und auch Informationen über Freunde und Bekannte und deren Aktivitäten enthält, ist mit einer Zunahme von Eifersucht, insbesondere bei den Vielnutzern, korreliert (Muise et al. 2009).

Verzögerte Identitätsentwicklung, Defizite in der Intimitätsentwicklung und verschiedene Entwicklungspfade ins Erwachsenenalter

In diesem Kontext ist auch ein klassisches Modell der Entstehung von intimen Partnerbeziehungen, das Erikson-Modell, genauer zu betrachten, denn es stellt einen engen Zusammenhang zwischen Identität und Intimität her. Hier stellt sich die Frage nach empirischen Belegen für die sequenzielle Anordnung von Identität und Intimität: Eine reife Identität ist die Voraussetzung für das Erreichen von Intimität in Partnerbeziehungen. Dieser sequenzielle Aufbau ist keineswegs selbstverständlich, sind doch sexuelle Beziehungen, die häufig auch fälschlicherweise als intime Beziehungen bezeichnet werden, möglich, ohne dass ein hohes Intimitätsniveau im Sinne der zuvor dargestellten Komponenten oder eine Bindung an den Partner vorhanden ist.

Intimität als Balance zwischen Verbundenheit und Autonomie

In der entwicklungspsychologischen Forschung und aus klinischer Perspektive wird Intimität gemeinhin als eine gute Balance zwischen eigenen und gemeinsam geteilten Aspekten definiert (Seiffge-Krenke 2012), sodass sich Verbundenheit und Autonomie/Individualität die Waage halten und Reziprozität in Bezug auf emotionalen Austausch, körperliche Nähe und Partnerbindung besteht. Auch in der überarbeiteten Version der Operationalisierten Psychodynamischen Diagnostik für Erwachsene (OPD-E), der OPD‑3 (2021, S. 298), findet sich diese Idee auf der Strukturachse bereits unter der Rubrik „Interessenausgleich“ und „lustvolles Erleben“; beides wird unter „Intimität“ ergänzt durch Präzisierung des emotionalen Austauschs: „Es besteht die Fähigkeit, zärtliche Gefühle und sexuelle Nähe gleichzeitig herzustellen und zu tolerieren. Abhängigkeit kann gut ertragen und auch befriedigend erlebt werden. Die Fähigkeit, eine innige emotionale Verbundenheit zu anderen Menschen herzustellen und aufrechtzuerhalten ist verbunden mit der Fähigkeit, Geben und Nehmen aufeinander abzustimmen. Es besteht ein lebendiges und flexibles Sich einander Öffnen und Anvertrauen“.

Operationalisiert wird Intimität als Balance zwischen Verbundenheit und Autonomie häufig im Intimitätsstatusinterview von Orlofsky (1993). In einer Längsschnittstudie wurde, als die Probanden das junge Erwachsenenalter erreichten, ein getrenntes Interview mit den Probanden und ihrem jeweiligen Partner/ihrer Partnerin durchgeführt und ausgewertet. Folgende Verteilung der Intimitätsstatus wurde gefunden (Seiffge-Krenke und Beyers 2016):

Intimer Partnerschaftsstatus.

Beim intimen Partnerschaftsstatus (42 %) schildern beide Partner eine tiefe, emotional engagierte Liebesbeziehung und eine offene Kommunikation; es wird deutlich, wie sie Konflikte miteinander ausgetragen haben. Die Beziehung war in Bewegung und kreativ, die Partner passten sich flexibel an und suchten nach kreativen Lösungen. Beide Partner waren fähig, Vertrauen und Nähe zu genießen, sie zeigten aber gleichzeitig Respekt für die Autonomie des Partners. Das Bild vom Partner war differenziert, ohne Schwächen zu verleugnen.

Pseudointimer Intimitätsstatus.

Junge Erwachsene mit einem pseudointimen Intimitätsstatus (39 %) schilderten dagegen blasse, undifferenzierte Beziehungen, oftmals in Schlagworten („das Übliche halt“). Das Zusammenleben schien bequem, spannungslos, ja etwas langweilig, die Gefühle auf Sparflamme („Tja, keine Ahnung, nennt man das nicht Liebe?“). Es wurde wenig über die Beziehung reflektiert; eine gewisse Stagnation war spürbar. Der Partner war oftmals funktionalisiert, wurde für bestimmte Zwecke „gebraucht“.

„Merger committed“, „merger uncommitted“ und „Isolierte“.

Bei einem Intimitätsstatus von Merger committed (10 %) konnten eigene Gefühle auffallend besser beschrieben werden als die des Partners. Diese Paare können nicht streiten, sich aber auch nicht trennen. Sie blieben emotional verstrickt, aber abhängig vom Partner. Starke Verlustängste waren spürbar; der Partner wurde oft idealisiert.

Merger uncommitted (7 %) beschrieb dagegen flüchtige Bekanntschaften; die Nähe zum Partner eher war bedrohlich. Die Partner äußerten Selbstzweifel, und der Mangel an Abgrenzung führt zu Beendigung der kurzen Affären. Schließlich gab es Isolierte (4 %), die lange keine oder noch nie eine Partnerschaft hatten.

Identität als Voraussetzung für Intimität: Hatte Erikson doch recht?

Die Längsschnittstudie verdeutlichte, dass zwar rund 42 % der jungen Erwachsenen einen Beziehungsstatus „intim“ mit ihrem Partner erreichten, dass jedoch eine fast ebenso große Gruppe kürzere oder längere Beziehungen führte, aber von sehr oberflächlicher Art („pseudointim“ oder „stereotyp“ nach Orlofsky). Der Merger-Status kam nicht sehr häufig vor, und Isolierte gab es kaum.

Angesichts der häufigen, explorativen und kurzzeitigen Sexualbeziehungen der jungen Leute in der Phase des „emerging adulthood“ muss man sich vergegenwärtigen, dass sich junge Erwachsene mit einer heterosexuellen oder einer anderen sexuellen Identität und Orientierung in einem immer noch nicht abgeschlossenen Identitätsprozess auch in Bezug auf den Beruf befinden, d. h. auch im beruflichen Bereich viel ausprobieren und relativ mobil sind. Erikson (1976) hatte zwar einerseits die Identitätsentwicklung als einen lebenslangen Prozess postuliert, andererseits aber auch einen starken Fokus auf die Adoleszenz gelegt. Die sehr große Zahl von Studien mit dem an Erikson angelehnten Marcia-Interview in ganz Europa und Nordamerika (darunter 124 Längsschnittstudien; Kroger et al. 2010) belegt allerdings eindeutig, dass die Identitätsentwicklung inzwischen keineswegs in der Adoleszenz abgeschlossen ist, sondern noch andauert. Nur etwa rund ein Drittel der Anfang Zwanzigjährigen hat eine reife Identität entwickelt, d. h., sich nach ausführlicher Exploration zu einem bestimmten Beruf, einer Werteinstellung, einem Partner bekannt.

Zugleich hat sich die Identitätsentwicklung qualitativ stark verändert: Sehr viel Exploration und ein verringertes Commitment sind charakteristisch geworden – übrigens auch in der Generation der Eltern der jungen Erwachsenen, die sich in früheren Zeiten in einer ausgesprochen stabilen Lebensphase befanden. Heute aber stehen „nie erwachsene“ junge Leute den „forever jungen“ Eltern gegenüber, die Schwierigkeiten haben, ihr Alter anzunehmen und die zugleich auch von Umbrüchen in Bezug auf Partnerschaften und beruflicher Entwicklung betroffen sind (Seiffge-Krenke 2012). Aus dieser Konstellation ergibt sich eine besondere Dynamik, die sich u. a. auch an veränderten Eltern-Kind-Beziehungen bemerkbar macht.

Was die Geschlechtsidentität angeht, so hatte Erikson zwei Entwicklungen als Folge der bisexuellen Diffusion beschrieben: sexuelle Beziehungen ohne Intimität und das Zurückziehen aus jeglicher Beziehung, die Abstinenz. In der Tat findet man heute bei Jugendlichen und insbesondere jungen Erwachsenen diese Varianten. Möglicherweise ist dies eine Frage der Geschlechtsidentität, aber vielleicht nicht vordringlich, denn das unverbindliche Ausprobieren ist generell ein Merkmal der Entwicklungsphase des „emerging adulthood“, in der, wie dargestellt, die Identitätsentwicklung noch nicht abgeschlossen ist und die Exploration andauert – auch im Partnerschaftsbereich.

Allerdings hatte Erikson in einer anderen Überlegung recht: Nur Personen die eine reife, erarbeitete Identität („achieved identity“) hatten, waren auch Jahre später zu hochintimen, anspruchsvollen Partnerbeziehungen (mit guter Balance zwischen Selbst und Partner) in der Lage, wie auch eine Längsschnittstichprobe von Seiffge-Krenke und Beyers zeigt (2016). Die sich über 15 Jahre erstreckende Längsschnittstudie belegt, dass sowohl das Selbstkonzept im Alter von 17 Jahren als auch die reife Identität im Alter von 23 Jahren Partnerbeziehungen von hoher Intimität im Alter von 25 Jahren signifikant vorhersagten. Allerdings hatte die zuvor erworbene Bindung, gemessen mit dem Adult Attachment Interview (AAI), eine entscheidende moderierende Funktion. Dies bestätigt empirisch, was Erikson formuliert hat, dass nämlich frühe Interaktionen und Vertrauen den Grundstein für die Identitätsentwicklung legen und reife Identität Intimität vorhersagt. Durch die verlängerte Identitätsentwicklung hat sich heute auch der Zeitpunkt, zu dem sich eine im oben definierten Sinne intime Partnerbeziehung entwickeln kann, deutlich nach hinten verschoben. Dennoch bleibt die Bedeutung der Identitätsentwicklung als Voraussetzung für reife Intimität weiterhin für einen Teil der jungen Erwachsenen erhalten.

Transfer von Intimität aus Freundschaftsbeziehungen in romantische Beziehungen

Die Forschung hat zwar keine Geschlechtsunterschiede in der Identitätsentwicklung gefunden, wohl aber welche in der Intimitätsentwicklung, mit einer höheren Bedeutung und einem Entwicklungsvorsprung für Frauen. Die schwierige Trennung, was ist Freund, was ist „lover“, bei jungen Erwachsenen schließt an Entwicklungen in den Freundschaftsbeziehungen im Jugendalter an, die als „Vorläufer“ der Intimitätsentwicklung in Paarbeziehungen angesehen werden können. Freundschaftsbeziehungen im Jugendalter sind zunehmend durch große körperliche Nähe und Intimität gekennzeichnet, und zwar insbesondere bei Mädchen. Dazu zählen das Mitteilen vertrauter Informationen, der enge Körperkontakt sowie das Ausprobieren von sexuellen und erotischen Erfahrungen am Körper der Freundin. Das höhere Intimitätsniveau, das Mädchen in ihren Freundschaftsbeziehungen rund 2 Jahre vor ihren männlichen Altersgenossen erwerben (Seiffge-Krenke 2017b), ist mit ein Grund dafür, dass sie für den Beginn romantischer Beziehungen „gut gerüstet“ sind. Gleichzeit ist dieses aber auch Anlass für Konflikte, die durch die unterschiedlichen Intimitätsniveaus und Kommunikationsformen von Jungen und Mädchen in diesen ersten Partnerschaften entstehen können. Bei diesen frühen Formen besteht nicht unbedingt eine gute Balance zwischen Verbundenheit und Autonomie – die besitzergreifende Perspektive auf den Freund/die Freundin ist auffallend (Seiffge-Krenke 2018).

Um eine gute Balance zwischen eigenen und gemeinsam geteilten Aspekten, d. h. Gemeinsamkeiten und Autonomie, zu erreichen, ist in der Regel ein längerer Lernprozess notwendig, der konflikthafte Auseinandersetzungen auf der Paarebene sowie Partnerwechsel einschließt. Für die beginnende romantische Entwicklung sind oftmals exklusive, sehr idealistische Partnerbeziehungen charakteristisch, in denen man meint, keine Minute ohne den anderen sein zu können (Booth et al. 2015). Erst spätere Partnerbeziehungen zeichnen sich durch größere Unabhängigkeit, eine Entidealisierung und realistische Wahrnehmung des Partners sowie größere Individualität aus (Shulman und Connolly 2013). Noch im jungen Erwachsenenalter kann man nachweisen, dass junge Frauen ein höheres, reiferes Intimitätsniveau besitzen – nicht selten Anlass für viele Missverständnisse und Paarkonflikte –, und dass junge Männer mit wenigen Beziehungen in ihrer Intimitätsentwicklung stagnieren. Junge Frauen sind also eine Art „Lehrmeister“ in Sachen Beziehungsentwicklung und Intimität für ihre Partner (Sidor et al. 2006).

Weitere Entwicklung im Erwachsenenalter und die Bedeutung von „steady casual sex“

Wenn man die weitere Entwicklung bei jungen Erwachsenen verfolgt, wird deutlich, dass nach einigen Jahren wiederum eine Veränderung eintritt: Längsschnittstudien über 7 Jahre zeigen, dass die unverbindlichen Muster bei einem großen Teil der jungen Leute durch stabilere und bezogenere Partnerbeziehungen abgelöst werden. Das sexuelle Explorationsverhalten ist deutlich zurückgegangen und betrifft nur noch knapp 36 % der jungen Erwachsenen („sporadic short involvements“; Shulman et al. 2018). Es gab weitere Entwicklungspfade, die durch ein unterschiedlich großes Ausmaß an Lernen aus früheren Begegnungen gekennzeichnet waren („involvement in long lasting relationships but absence of learning from experiences“ 10 %, „movement from casual, or multiple partners to steady involvement“ 33 %) sowie Personen, die sich nach einer kurzen Explorationsphase dann zusammen mit ihrem Partner in einer festen Beziehung entwickelten („steady involvements“ 21 %). Die Fähigkeit, aus den verschiedenen Beziehungen etwas zu lernen, hat demnach bei rund einem Drittel zu einer festeren, dauerhafteren Paarbindung geführt. Es gab aber auch Paare, die sich gleichsam zusammen weiterentwickelten.

Die Frage, wie es mit dem mit zunehmendem Alter deutlich reduzierten Prozentsatz von jungen Erwachsenen mit unverbindlicher Exploration in den folgenden Jahren weitergeht, untersuchte die Längsschnittstudie von Shulman et al. (in press). Bei der Gruppe mit Steady casual sex waren die Beziehungsqualitätsindizes deutlich verändert: Sie wiesen mehr unsichere Bindungsmuster auf und hatten eine geringere Fähigkeit, mit Meinungsverschiedenheiten umzugehen. Der Partner wurde „weniger gesehen, und Unstimmigkeiten wurden heruntergespielt“.

Autonomie und Bezogenheit in romantischen Beziehungen: Bedeutung von Bindung, Intimität und Fähigkeit zur Konfliktlösung

Es ist deutlich, dass die von sehr vielen jungen Erwachsenen gewählte Form der sehr kurzen nichtromantischen sexuellen Kontakte wenige Möglichkeiten lässt, eine Beziehung zu entwickeln. Die Intimität als gute Balance zwischen sich und dem anderen ist deutlich in Richtung des Selbst verschoben; eine Paarbeziehung oder Bindung an dem sexuellen Partner wird nicht gewünscht. Weitere Lernfortschritte, etwa in der Emotionsregulierung und der Konfliktbewältigung, können nicht gemacht werden (James-Kangal und Whitton 2019; Knight 2014). Damit scheint eine Entwicklung unterbrochen zu werden, die bereits im Jugendalter recht weit gediehen war:

Romantische Beziehungen im Jugendalter entwickeln sich über verschiedene Stadien (Seiffge-Krenke 2003), und insbesondere in den ersten Stadien mit ihrem Fokus auf dem Selbst, dem eigenen Körper und dem Status in der Gruppe sind Peers stark involviert. Sie sind die Arena zum Kennenlernen potenzieller Partner, und sie sind auch die Tröster, wenn die (kurzzeitige) Beziehung in die Brüche gegangen ist. Schließlich wird erst relativ spät, in der mittleren und späten Adoleszenz, der eigentliche romantische Partner in den Blick genommen und als Person beachtet, wobei Beziehungen nun länger dauern und durch Intimität, starke Emotionen, aber auch Idealisierung der Beziehung gekennzeichnet sind.

In späteren Stadien werden also Bindung und Intimität zwischen Partnern immer wichtiger. Intimität als Balance zwischen Selbst und anderen erfordert nicht nur die Fähigkeit zur Konfliktlösung. Die Balance ist nicht einfach zu erreichen, da erhebliche Bindungsängste bestehen können. Die Bindung zum Partner entwickelt sich, wie die bahnbrechende Arbeit von Hazan und Shaver (1987) zeigte, etwa nach 2 Jahren Beziehungsdauer, ist also ebenfalls ein längerer Lernprozess. In der Regel wird dies bei Jugendlichen mit ihren relativ kurzen Partnerbeziehungen von wenigen Monaten bis zu etwa einem Jahr eher noch nicht erreicht. Die Metaanalyse von Li und Chan (2012) bestätigte die sehr unterschiedlichen Auswirkungen von vermeidender und ängstlicher Bindung auf die Partnerschaftsqualität. Während eine sichere Bindung zum Partner mit positiven Beziehungsmerkmalen wie Intimität und Zufriedenheit einhergeht, fand man bei vermeidender Bindung ein geringen Maß an Intimität und Engagement und den Wunsch, Distanz zu wahren. Bei ängstlicher/ambivalenter Bindung fanden sich Leidenschaft und ständige Beschäftigung mit dem Partner, aber zugleich geringe Partnerzufriedenheit und viele Konflikte.

Bereits in Jugendlichenpartnerschaften gibt es erhebliche individuelle Unterschiede in der Qualität der romantischen Beziehung – von wirklich verliebten über solche mit eher freundschaftlichen Beziehungen bis hin zu Paaren, bei denen weder Verliebtheit („passion“) noch Freundschaft ihre Beziehung charakterisiert; sie bleiben trotz geringer Bezogenheit zusammen (Seiffge-Krenke und Burk 2013). Empirische Untersuchungen zeigen des Weiteren, dass Meinungsverschiedenheiten und Konflikte erst späte Merkmale romantischer Beziehungen sind. Mit zunehmendem Alter und der Erfahrung mit diversen romantischen Aktivitäten steigt die Fähigkeit, Meinungsverschiedenheiten und Konflikte zu lösen (Nieder und Seiffge-Krenke 2001). Jüngere Paare neigten eher dazu, Meinungsverschiedenheiten herunterzuspielen, als hätten sie Angst, dass jede Zwietracht zu einer Trennung führen könnte. Im Gegensatz dazu waren ältere Paare besser in der Lage, ihre Meinungsverschiedenheiten zu klären, einander besser zu verstehen und zu Lösungen zu gelangen, die die Bedürfnisse beider Partner ausgleichen. Wie zu vermuten ist, führt das Verhandeln zwischen Liebespartnern über Selbst- und Beziehungsfragen zu einer höheren Beziehungsqualität bei Jugendlichen (z. B. zu einer Zunahme von Bindung und Intimität; Seiffge-Krenke 2003).

Obwohl die gesamte Entwicklungssequenz für die meisten Heranwachsenden gültig sein mag – zumindest zeigt das die Forschung –, fällt zugleich auf, dass in jeder Phase der romantischen Entwicklung eine beträchtliche Vielfalt darin besteht, wie Partner die Beziehung erleben. Diese Vielfalt resultiert z. T. aus der Tatsache, dass romantische Beziehungen aus Freundschaften entstehen und im Freundschaftsnetzwerk initiiert und gepflegt werden, aber auch daraus, dass die Partner unterschiedlich weit entwickelt sind, in Bezug auf Identität und Intimität sowie unterschiedliche Vorstellungen und kulturelle Erfahrungen in die Beziehung einbringen.

Flucht vor der Intimität? Einige Erklärungsversuche

Die Paarbindung mit hoher Intimität ist demnach ein Lernprozess, der erst nach längerer romantischer Erfahrung erfolgt. Konzeptionell wäre zu erwarten, dass junge Erwachsene, nachdem im Jugendalter bereits eine Entwicklung zur Paarbildung eingesetzt hat, auf diesem Weg weiter Fortschritte machen und sich auf dauerhafte Beziehungen einlassen, die durch Intimität, die Fähigkeit, mit den Unterschieden der anderen umzugehen, und Engagement für eine langfristige Beziehung gekennzeichnet sind (Shulman et al. 2006). Das scheint aber nicht der Fall zu sein. Um dieses Phänomen besser verstehen zu können, wurde der Entwicklungsprozess der Paarbildung in der Adoleszenz betrachtet, denn hier zeigen sich eindrucksvolle Veränderungen, sowohl in der Häufigkeit als auch in der Qualität von den Anfängen romantischer Aktivität bis zur Paarbildung.

In diesem Kontext ist zu bedenken, dass bereits in der Forschung an Erwachsenen inhaltlich sehr unterschiedliche Qualitäten von Liebe und Intimität gefunden wurden (Moss und Schwebel 1993; Sternberg 1997). Das Verständnis der romantischen Liebe im Erwachsenalter von Hazan und Shaver (1987) beispielsweise setzt an der Bindungstheorie an und definiert romantische Liebe als die Integration von 3 Verhaltenssystemen: Bindung, sexuelle Vereinigung und Fürsorge, wobei der Bindungsstil sowohl den Ausdruck von Fürsorge als auch das sexuelle Verhalten beeinflusst.

Das unverbindliche Explorationsverhalten vieler junger Erwachsener ist aber auch vor dem Hintergrund emanzipatorischer Entwicklungen (z. B. Loslösung von klassischer Rollenverteilung zwischen Mann und Frau), der sexuellen Revolution (beispielsweise tolerantere Sexualmoral, Akzeptanz vorehelicher sexueller Erfahrungen und von Kohabitation) und der Verbreitung individualistischer Wertesysteme (z. B. Bedeutung von Selbstverwirklichung) zu sehen. Hinzu kommen Faktoren wie verlängerte Schul- und Ausbildungszeiten mit einem entsprechenden Anstieg des durchschnittlichen Heiratsalters, einem späteren Berufseintritt und einem späteren Elternwerden. Dies ermöglicht und fördert eine ausgedehnte Exploration in den Bereichen Beruf und Partnerschaft sowie die finanzielle Absicherung der verlängerten und qualitativ veränderten Identitätsentwicklung – mit entsprechenden Konsequenzen für die Intimitätsentwicklung. Hier wurde deutlich, dass Frauen aufholen und explorative Strategien nicht mehr länger ein Privileg von Männern sind. Wie belegt werden konnte, finden in den Jahren nach einer „Beziehungspause“ Weiterentwicklungen in Richtung auf stabilere, intime Partnerbeziehungen statt.

Aber auch Überlegungen zur Koordination von Partnerbeziehungen mit individuellen Lebensplänen sind in Betracht zu ziehen. Um die Muster der „non-relationships“ besser zu verstehen, muss man sich klarmachen, dass junge Menschen vor ernsthaften Dilemmata stehen, wenn es darum geht, Karriere und romantisches Leben zu koordinieren (Shulman und Connolly 2013). Einerseits verfügen sie über die Fähigkeiten und Erfahrungen, um sich für eine Beziehung zu engagieren, müssen jedoch gleichzeitig über akademische, wirtschaftliche und finanzielle Anforderungen verhandeln. Das Aushandeln zwischen individuellen Bedürfnissen, die sich auf die berufliche Entwicklung konzentrieren, und dyadischen Bedürfnissen, die sich auf romantisches Engagement konzentrieren, ist komplex und zeitaufwendig. Bis diese Koordination erreichbar ist, scheinen junge Menschen eher das romantische Engagement zu verschieben und gehen stattdessen ungezwungene nichtromantische und sexuelle Beziehungen ein, die eine Verbindung zu einer anderen Person herstellen, aber keine „Arbeit“ oder Verpflichtung erfordern. Um dieses Muster des (Nicht‑)Engagements zu rechtfertigen, berichten junge Erwachsene von Bedenken, dass sie für ein Engagement beruflich oder studienbedingt zu beschäftigt oder zu jung seien, um sich zu binden (Lyons et al. 2014), und dass diesbezüglich auch Mobilität von ihnen verlangt wird.

Es sind aber auch Einflüsse des veränderten Beziehungsverhaltens zwischen Eltern und ihren erwachsenen Kindern zu bedenken. Bereits bei klinisch unauffälligen jungen Erwachsenen zeigt sich, dass die Elternbeziehungen durch psychologische Kontrolle, d. h. Schuldgefühle machen und intrusives Verhalten, gekennzeichnet sind, mit nachteiligen Folgen für die Identitätsentwicklung (Luyckx et al. 2014) und Zunahmen der Psychopathologie bei den „Kindern“ (Escher und Seiffge-Krenke 2017). Erwähnenswert ist auch die Separationsangst von Eltern junger Erwachsener, die ebenfalls die Autonomie- und Identitätsentwicklung beeinträchtigt, international zu einem verspäteten Auszugsverhalten geführt hat (Seiffge-Krenke 2013) und damit letztendlich die Exploration im Bereich von Partnerschaft und die Etablierung intimer Partnerbeziehungen beeinträchtigen kann.

Bedeutung für Psychotherapeuten

Für Psychotherapeuten sind diese Forschungsergebnisse von großer Relevanz, denn es kommen in den letzten Jahren verstärkt Patienten aus dieser Altersgruppe in die Praxen, Beratungsstellen und Ambulanzen. Man hatte durchaus bemerkt, dass hier Veränderungen eingetreten sind, die sich nicht nur an Aspekten des Rahmens, bedingt durch die große Mobilität dieser Altersgruppe, festmachen lassen. So steht wegen der großen Mobilität die Frage der Angemessenheit von psychodynamischen Langzeittherapien im Raum bzw. die Überlegung, ob durchaus mehrstündige, aber sich kürzer erstreckende Therapien für diese Altersgruppe hilfreich sein könnten. Gegebenenfalls sind auch andere Interventionen und Modelle der psychotherapeutischen Versorgung erforderlich, etwa im stationären Bereich, in dem es inzwischen gemeinsame Stationen für Jugendliche und junge Erwachsene gibt (Resch und Weisbrod 2012).

Wie notwendig dies ist, lässt sich an der hohen Prävalenz von psychischen Störungen in dieser Altersgruppe aufzeigen: Sie hat von allen Altersstufen, über die Lebenspanne gesehen, die höchste Prävalenz von Störungen (Jacobi et al. 2014); ein Hinweis darauf, dass die Möglichkeiten und Herausforderungen dieser neuen Entwicklungsphase von einem nichtunerheblichen Teil der jungen Leute als sehr belastend erlebt wird. Besonders hoch sind die Prävalenzraten in Bezug auf Depression, und hier besonders bei den Studierenden.

Von besonderer Bedeutung für Therapeuten sind Veränderungen im Beziehungsverhalten, bezogen auf Partnerschaften, die eine gewisse Zurückhaltung in Bezug auf Paarbindungen erkennen lassen, nachdem die Voraussetzungen dafür (Intimität, Konfliktlösung, Erleben als Paar) bereits in der Adoleszenz erprobt und teilweise auch realisiert wurden. Dies hat auch Konsequenzen für die therapeutische Beziehung und das Commitment in einer längerfristigen Behandlung. Die mangelnde Abgrenzung zwischen Friend und Lover wurde als eine Voraussetzung für die Nutzung von Freunden für sexuelle Begegnungen gefunden. In Therapien mit jungen Erwachsenen stößt man tatsächlich häufig auf diese Formen, da rufen z. B. Patientinnen, wenn sie sexuelle Bedürfnisse haben, einen ihrer Freunde an, und der kommt dann vorbei. Die beiden erleben sich aber, wie bei den anderen Formen, definitiv nicht als Paar und möchten auch keine Paarbindung.

Wie deutlich wurde, klaffen Entwicklungsziele und Realität in Bezug auf die Etablierung intimer Partnerschaften weit auseinander – ein erheblicher Entwicklungsdruck besteht, sich in diese Richtung zu entwickeln, was bei manchen auch Anlass ist, sich in Psychotherapie zu begeben. Der Versuch, die verschiedenen Entwicklungsaufgaben Beruf, Partnerschaft und Autonomie zu bewältigen, hat bei vielen jungen Erwachsenen zum Zurückstellen von Entwicklungen im Partnerschaftsbereich („Beziehungspause“) geführt; dies erleben sie durchaus als problematisch. Die bange Frage, ob sie „beziehungs- und bindungsunfähig“ seien, beschäftigt sie sehr. Wie die Forschung zeigt, wird der „unterbrochene Weg“ einige Jahre später fortgesetzt, auch dies ist etwas, das im Sinne der Psychoedukation in Therapien mit jungen Erwachsenen zur Sprache kommen könnte.

Arbeit mit Angehörigen erfolgt bislang nur selten, ist aber nach dem neuen Psychotherapeutengesetz des Jahres 2019 eindeutig wichtig. In Therapien sehen wir oft, dass die „Kinder“ als Selbstobjekt der Eltern die Funktion haben, den Selbstwert von Vater oder Mutter bzw. die zerrüttete Ehe der (alten) Eltern zu stabilisieren. Ein nichtunerheblicher Prozentsatz junger erwachsener Patienten erlebt die Semiautonomie von seinen Eltern als problematisch und beschreibt die Beziehungen zu den Eltern als zu eng, bedrängend, intrusiv. Diese Eltern, die selbst unter Separationsangst leiden, sich also schlecht von ihren erwachsenen Kindern trennen können und sie als Selbstobjekt brauchen, versuchen, durch Druck und intrusives Verhalten Einfluss auf die Entwicklung ihrer Kinder zu nehmen, mit sehr negativen Folgen. Hier ist also therapeutisch zu bedenken, wo die Patienten in ihrer Identitätsentwicklung stehen, und welche negativen, entwicklungsbehindernden Einflüsse („Eltern als Identitätsbremse“; Seiffge-Krenke 2012) zu klären, zu analysieren sind. Es ist allerdings zu unterstreichen, dass Separationsangst der Eltern, psychologische Kontrolle und eine zu starke Unterstützung für zu lange Zeit in vielen Studien bei klinisch unauffälligen jungen Erwachsenen und ihren Eltern gefunden wurden (Seiffge-Krenke und Escher 2018) – diese Phänomene sind bei Patienten lediglich besonders verstärkt zu beobachten.

Dass Selbstverwirklichung und Autonomie, der Selbstbezug so bei jungen Erwachsenen im Vordergrund steht, ist aber nicht nur der Entwicklungsdynamik dieser Phase und den veränderten Eltern- Kind-Beziehungen geschuldet, sondern vielfach auch ein Abbild der gesellschaftlichen und historischen Veränderungen, die zu Veränderungen im Konzept der Liebe und Intimität, die auch die Partnerbeziehungen Erwachsener betreffen, geführt haben. Die Geschlechtsunterschiede sind weitgehend verschwunden, wir können also nicht mehr länger mit der angeblich größeren Bindungsangst der Männer als Ursache für diese Muster argumentieren (Illouz 2013). Allerdings besteht ein Zusammenhang zwischen dem Niedergang der Bezogenheit, der Verbindlichkeit und der gewachsenen individuellen Freiheit, Bindungen einzugehen und zu beenden. Illouz (2013) sieht allerdings zu Recht kritisch, dass Intimität als der normale, gesunde Zustand gesehen wird – dieser Beitrag verdeutlichte, welche hohe Diversität tatsächlich herrscht. Es ist aber auch kritisch zu hinterfragen, ob es bei aller berechtigten Gleichstellung nicht auch zu einer Nachahmung von Machtattributen der Männlichkeit gekommen ist. Keine Frage, Freiheit und Autonomie sind Güter der Moderne. Man kann nur hoffen, dass die Bezogenheit nicht ganz auf der Strecke bleibt.

Fazit für die Praxis

  • In der Altersstufe der „emerging adults“, der 20- bis 30-Jährigen, ist es schwierig, therapeutisch zu unterscheiden, ob die spezifischen Formen der Partnerbeziehungen ein normales Entwicklungsphänomen sind, oder ob es sich um eine behandlungsbedürftige Störung handelt.

  • Es finden sich unterschiedliche Varianten von Beziehungen, in denen Sexualität eine Rolle spielt, eine Partnerbindung aber definitiv nicht gewünscht wird. Diese Formen von „Nichtbeziehungen“ scheinen wichtige Funktionen bei der Navigation zwischen Beruf und Partnerschaft und der Autonomie von den Eltern zu haben.

  • Einflussfaktoren wie zu enge Elternbeziehungen, die Bedeutung der Medien und gesellschaftliche Veränderungen mit anscheinend unbegrenzten Optionen zur Selbstverwirklichung scheinen ebenfalls eine Rolle zu spielen.

  • Bei Patienten der Entwicklungsstufe „emerging adults“ sind die Mobilität und die Vorsicht vor Verbindlichkeiten im Beziehungsbereich zu bedenken, der auch die therapeutische Beziehung betreffen kann.