Adipositas im Kindes- und Jugendalter ist ein prävalentes und vielschichtiges Gesundheitsproblem mit weitreichenden negativen Folgen für die physische und psychische Gesundheit. Eine multimodale Behandlung zeigt positive, aber langfristig nicht zufriedenstellende Effekte. Psychische Probleme könnten die Behandlungseffekte beeinflussen, sind jedoch noch unzureichend untersucht. Dieser Beitrag beleuchtet die Rolle psychischer Auffälligkeiten von Kindern und Jugendlichen mit Adipositas im Rahmen einer multimodalen Therapie sowie den Zusammenhang zum Gewichtsverlauf.

Hintergrund und Fragestellung

In Deutschland sind 5,9 % der Kinder und Jugendlichen zwischen 3 und 17 Jahren adipös (Schienkiewitz et al. 2019). Die negativen Folgen der juvenilen Adipositas sind vielfältig (Sharma et al. 2019; Rankin et al. 2016). Eine langfristig wirksame Behandlung ist deshalb unabdingbar. Multimodale Lebensstilprogamme zielen darauf ab, die Bewegungs- und Ernährungsgewohnheiten von Kindern und Jugendlichen mit Adipositas zu verändern. Hierbei kommen verschiedene verhaltenstherapeutische Techniken zum Einsatz (Warschburger 2020). Diese Programme zeigen positive, allerdings nur kleine bis moderate, Effekte – beispielsweise auf Gewichtsstatus, Lebensqualität und Essstörungssymptomatik (Al-Khudairy et al. 2017). Vor allem deren langfristige Aufrechterhaltung ist eine große Herausforderung (Altman und Wilfley 2015). Zentral ist daher die Identifikation von Faktoren, die mit günstigen Behandlungseffekten verbunden sind. Hier sollten v. a. die mit juveniler Adipositas einhergehenden psychischen Probleme berücksichtigt werden (Warschburger 2011; Breinker et al. 2020).

Für den deutschsprachigen Raum zeigten Breinker et al. (2020) eine höhere allgemeine Psychopathologie bei Kindern und Jugendlichen mit Adipositas, die eine Behandlung in Anspruch nehmen – unklar bleibt jedoch, wie häufig psychische Auffälligkeiten insgesamt, aber auch bezogen auch die spezifischen Problembereiche, im Behandlungskontext auftreten. Gerade im stationären Setting ist von einer hohen Rate an komorbiden psychischen Problemen auszugehen (Warschburger et al. 2004). Hinzukommend scheinen Geschlechtsunterschiede im Rahmen psychischer Auffälligkeiten eine Rolle zu spielen (Hölling et al. 2008). Daher wurde im Rahmen der vorliegenden Arbeit im ersten Schritt bei Kindern und Jugendlichen mit Adipositas, die an einem stationären Gewichtsreduktionsprogramm teilnahmen, die Rate der psychischen Auffälligkeiten betrachtet, wobei explorativ auch der Frage nach Geschlechtsunterschieden nachgegangen wurde.

Erste Studien haben gezeigt, dass sich psychische Probleme auf den Erfolg von Gewichtsreduktionsprogrammen bei Kindern und Jugendlichen auswirken, wenn auch die Befundlage aufgrund der unterschiedlichen Interventionen und Designs heterogen ist (Zusatzmaterial online). Harcourt et al. (2019) berichteten, dass verstärkte Verhaltensprobleme sowie Hyperaktivität einen geringeren Gewichtsverlust während eines einjährigen ambulanten Gewichtsreduktionsprogramms prädizieren, während nach vergleichsweise kürzeren ambulanten Programmen (8 bis 10 Wochen) externalisierende Verhaltensprobleme mit einem höheren Gewichtsverlust direkt zu Interventionsende (Blomquist et al. 2018) oder zur Jahreskatamnese (Eiffener et al. 2019) einhergingen. Andere Autoren fanden keine Effekte initialer psychischer Probleme auf den Gewichtsverlauf zur Ein- bzw. zur Zweijahreskatamnese (Goldschmidt et al. 2014; Braet 2006).

Somit scheinen psychische Probleme bei Kindern und Jugendlichen mit Adipositas für den Erfolg der Gewichtsreduktion eine wichtige Rolle zu spielen und sollten daher bei der Gestaltung von Gewichtsreduktionsprogrammen berücksichtigt werden. Entsprechend wird im zweiten Schritt der vorliegenden Arbeit der Zusammenhang psychischer Auffälligkeiten mit dem Gewichtsverlauf nach der Rehabilitation untersucht. Insgesamt sollen die Daten Hinweise darauf liefern, ob es erforderlich ist, psychotherapeutische Maßnahmen stärker in die juvenile Adipositasbehandlung zu integrieren.

Studiendesign und Untersuchungsmethoden

Studiendesign

Die nachfolgenden Analysen stellen eine sekundäre Analyse von Daten einer prospektiven Studie zur Evaluation eines computerbasierten „approach-avoidance training“ (AAT; Warschburger et al. 2018) an 3 stationären Rehabilitationskliniken für Kinder und Jugendliche mit Adipositas dar. Insgesamt nahmen 276 Kinder und Jugendliche (8 bis 16 Jahre) mit Adipositas (d. h. Body-Mass-Index [BMI] oberhalb der 97. Perzentile) an oben genannter Studie teil (Ausschlusskriterien: sekundäre Adipositas, geistige Behinderung und Medikation bei hyperkinetischer Störung; weitere Details: Warschburger et al. 2018). Das AAT (bzw. ein Placebotraining in der Kontrollgruppe) wurde ergänzend zur Gewichtsreduktionstherapie durchgeführt. Im Rahmen der ca. 4- bis 6‑wöchigen multimodalen Therapie nahmen die Kinder und Jugendlichen an regelmäßigen Angeboten zur Steigerung der körperlichen Aktivität teil, erhielten eine (energiereduzierte) Mischkost und eine umfassende Schulung zum Aufbau eines adaptiven Essverhaltens. Für die Studie liegt ein positives Ethikvotum vor.

Für die dargestellten Analysen wurden Fälle, bei denen zum Rehabilitationsbeginn keine Daten zur psychosozialen Belastung im Elternbericht vorlagen (n = 48) oder bei denen diese Daten mehr als 30 % fehlende Werte aufwiesen (n = 8), ausgeschlossen. Im Folgenden werden die 3 Erhebungszeitpunkte Rehabilitationsbeginn (T1), 6 Monate nach der Rehabilitation (T2) und 12 Monate nach der Rehabilitation (T3) berücksichtigt.

Stichprobenbeschreibung

Von den insgesamt 220 Kindern und Jugendlichen zwischen 8 und 16 Jahren (M = 13,11 Jahre; SD ± 1,88 Jahre) waren 54,5 % weiblich, 35,1 % gehörten der Unter-, 52,1 % der Mittel- und 12,8 % der Oberschicht an. Der mittlere, in Relation zur Normstichprobe z‑standardisierte Body-Mass-Index („body mass index standard deviation score“, BMI-SDS) betrug 2,69 (SD ± 0,47); es waren 47,3 % der Kinder als adipös (BMI-Perzentile >97) und 52,7 % als schwer adipös (BMI-Perzentile >99,5) zu klassifizieren.

Erhebungsinstrumente

Soziodemografische und anthropometrische Daten

Der sozioökonomische Status (SES) wurde im Elternbericht mithilfe des Winkler-Index (Winkler und Stolzenberg 1999) erfasst. Objektives Gewicht (in Kilogramm) und Größe (in Metern) wurden zu T1 durch das medizinische Personal der Kliniken und in der Katamnese von Hausärzten erhoben. Bei Fehlen dieser Daten wurde auf den Selbstbericht der Kinder oder auf Elternangaben zurückgegriffen (T2: 16 [6,4 %] ergänzte Werte, T3: 25 [11,3 %]), da objektive und subjektive Daten hoch miteinander korrelierten (r = > 0,8; p < 0,01). Der BMI-SDS wurde berechnet (Kromeyer-Hauschild et al. 2001). Um den Gewichtsverlauf zu untersuchen, wurden Differenzwerte (∆) zwischen den Zeitpunkten gebildet (∆BMI-SDS = T2 − T1 bzw. T3 − T1). Negative(re) Werte stehen für eine (höhere) Gewichtsreduktion.

Psychische Probleme

Das Ausmaß von psychischen Problemen der Kinder und Jugendlichen wurde mithilfe des „Strengths and Difficulties Questionnaire (SDQ)“ im Elternbericht erfasst (Goodman 1997). Mit diesem gut validierten Verfahren (Goodman 2001) wird das Vorliegen von emotionalen und Verhaltensauffälligkeiten während der letzten 6 Monate anhand einer 3‑stufigen Skala (0: nicht zutreffend bis 2: eindeutig zutreffend) erfragt (jeweils 5 Items): „emotionale Probleme“ (z. B. Ängste, Sorgen), „Verhaltensprobleme“ (z. B. Wutanfälle, Lügen), „Hyperaktivität“ (z. B. Unruhe, Ablenkbarkeit) und „Probleme mit Peers“ (z. B. Beliebtheit, Hänseleien). Es wurden Summenwerte über alle oben genannten Skalen hinweg (Gesamt-Score) sowie auf Subskalenebene berechnet (hoher Wert ≙ hohe Auffälligkeit). Um möglichst alle Kinder mit potenziell auffälligen Werten zu berücksichtigen, wurden anhand alters- und geschlechtsspezifischer Normdaten (Janitza et al. 2020) Werte oberhalb der 80. Perzentile als mindestens grenzwertig auffällig eingestuft, Werte darunter als unauffällig. Die Reliabilität betrug für die Gesamtskala α = 0,83 und für die Subskalen 0,74 („emotionale Probleme“), 0,6 („Verhaltensprobleme“), 0,73 („Hyperaktivität“) und 0,64 („Probleme mit Peers“).

Analysen

Fehlende SDQ-Itemwerte (<5 %) zu T1 wurden (unter Einbezug aller SDQ-Items sowie Geschlecht, Alter, BMI-SDS-T1, klinische Symptome) mithilfe des E(xpectation)-M(aximum)-Algorithmus als Schätzwerte ersetzt (Wirtz 2004). Insgesamt war ein hoher Drop-out (ausbleibende Rückmeldung der Eltern nach Zusendung der Fragebogen) zu T2 und T3 zu beobachten (>40 %). Die Drop-outs wiesen zu T2 einen niedrigeren SES (t (209) = 2,96; p = 0,003; d = −0,41) und zu T3 einen höheren initialen BMI-SDS (t (218) = −2,03; p = 0,044; d = 0,28) auf als die weiter Teilnehmenden. Es wurden keine Unterschiede in Bezug auf Alter und Geschlechtsverteilung gefunden (p < 0,05). Auch unterschieden sich die Drop-out-Raten nicht signifikant zwischen den zu T1 (im Hinblick auf ihre psychischen Probleme) als unauffällig bzw. als auffällig klassifizierten Teilnehmern, sodass die Drop-out-Fälle für die weiteren Darstellungen nicht berücksichtigt wurden.

Die prozentualen Häufigkeiten psychischer Auffälligkeiten zu Behandlungsbeginn (und im Verlauf des Follow-up) wurden deskriptiv dargestellt. Geschlechtsunterschiede wurden anhand von χ2-Tests auf statistische Signifikanz überprüft (nicht dargestellt wurden die nichtsignifikanten Ergebnisse bezüglich Alter, SES und T1-BMI-SDS).

Mithilfe von Kovarianzanalysen wurden die auffällige und unauffällige Gruppe in Bezug auf den mittel- (T1–T2) und langfristen (T1–T3) ∆BMI-SDS verglichen. Im nächsten Schritt wurden diejenigen, die einen günstigen mittelfristigen Verlauf zeigten (d. h. von T1 zu T2 unauffällig blieben oder im Verlauf wurden) mit denen, die eine ungünstige Entwicklung aufwiesen (d. h. von T1 zu T2 auffällig blieben oder im Verlauf wurden), hinsichtlich des langfristigen ∆BMI-SDS (T1–T3) verglichen. Als Kovariaten wurden bei allen Analysen Geschlecht, Alter, SES, T1-BMI-SDS und Trainingsgruppe (AAT vs. Placebotraining) einbezogen. Da keine der Kovariaten einen signifikanten Einfluss hatte, werden sie im Weiteren nicht berichtet.

Effektstärken (Cohens d, η2, Cramers V) werden nach Cohen (1988) interpretiert. Für alle Tests wurde das Signifikanzniveau auf p < 0,05 festgelegt. Alle Analysen erfolgten mit IBM SPSS 27.

Ergebnisse

Häufigkeit psychischer Auffälligkeiten vor Rehabilitationsbeginn

Der Anteil derjenigen, die Auffälligkeiten im SDQ zeigten, ist in Abb. 1 illustriert. Demnach wies fast die Hälfte der Kinder und Jugendlichen Auffälligkeiten auf, Mädchen häufiger als Jungen, insbesondere in den Bereichen „emotionale Probleme“ sowie „Probleme mit Peers“.

Abb. 1
figure 1

Auftreten psychischer Auffälligkeiten vor Rehabilitationsbeginn. Dargestellt wird die prozentuale Häufigkeit der Fälle, deren psychische Probleme im Vergleich zur Normstichprobe über der 80. Perzentile liegen V Cramers V (Effektstärke χ2-Test); **p < 0,01; *p < 0,05; n.s. nichtsignifikant

Deskriptiver Verlauf psychischer Probleme

Den deskriptiven Verlauf der psychischen Auffälligkeit nach Rehabilitationsende über die Gesamtgruppe hinweg stellt Abb. 2 dar. Insgesamt nahmen bei 48,8 % der Kinder und Jugendlichen die Probleme zu oder blieben unverändert auffällig.

Abb. 2
figure 2

Verlauf der psychischen Auffälligkeit nach der Rehabilitation (A auffällig, U unauffällig)

Innerhalb der vor Rehabilitationsbeginn unauffälligen Gruppe (Zahlen nicht in der Abbildung dargestellt) blieben 6 Monate nach Rehabilitationsende 72,1 % unauffällig, wohingegen bei 27,9 % im SDQ ein auffälliges Niveau erreicht wurde. Von T2 zu T3 zeigten sich in dieser Gruppe bei 17,6 % erstmals auffällige Werte.

Innerhalb der vor Rehabilitationsbeginn auffälligen Gruppe (Zahlen nicht in der Abbildung dargestellt) befand sich ein Großteil sogar im deutlich auffälligen Bereich oberhalb der 90. Perzentile (66,4 %). Sechs Monate nach der Rehabilitation wiesen 26,3 % unauffällige Werte auf, der Großteil (73,7 %) blieb demnach weiterhin auffällig. Von T2 zu T3 blieben 77,6 % auffällig.

Psychische Auffälligkeit und Gewichtsverlauf

Die Unterschiede in der mittel- (T1–T2) und langfristigen (T1–T3) Gewichtsveränderung im Vergleich der zu Rehabilitationsbeginn als unauffällig bzw. auffällig zu klassifizierenden Gruppen stellt Abb. 3 dar. Die unauffällige Gruppe konnte mittelfristig eine größere Gewichtsreduktion erzielen als die auffällige Gruppe (F (1,138) = 4,91; p = 0,028). Im langfristigen Verlauf erwies sich der Unterschied als nichtsignifikant. Auf Ebene der Subskalen zeigte sich dieser Effekt nur für „Probleme mit Peers“ (MU = −0,32; SDU± 0,35; MA = −0,18; SDA± 0,35; F (1,138) = 7,45; p = 0,007; η2 = 0,05).

Abb. 3
figure 3

Reduktion des „body mass index standard deviation score“ (BMI-SDS) in Abhängigkeit von der psychischen Auffälligkeit vor Rehabilitationsbeginn

Des Weiteren zeigte die Gruppe mit einem ungünstigen mittelfristigen Verlauf der psychischen Auffälligkeit eine vergleichsweise geringere langfristige Gewichtsreduktion (T1–T3; F (1,102) = 10,58; p = 0,002; Abb. 4) als die Gruppe mit einem günstigen mittelfristigen Verlauf. Auf Subskalenebene ergab sich ein vergleichbares Muster für „emotionale Probleme“ (F (1,102) = 5,04; p = 0,027; η2 = 0,05) und „Hyperaktivität“ (F (1,102) = 8,86; p = 0,004; η2 = 0,08), nicht aber für „Verhaltensprobleme“ und „Probleme mit Peers“.

Abb. 4
figure 4

Langfristige Reduktion des „body mass index standard deviation score“ (BMI-SDS) in Abhängigkeit von der mittelfristigen Veränderung der psychischen Auffälligkeit

Diskussion

Die vorliegenden Daten deuten darauf hin, dass psychische Auffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen im Rahmen der Adipositasbehandlung verstärkte Beachtung verdienen. Viele Kinder waren bei Antritt der Behandlung psychisch auffällig, und auch 6 bzw. 12 Monate nach Behandlungsende traf dies zu.

Fast jedes zweite Kind zeigte psychische Probleme, häufig emotionale Probleme oder Probleme mit Peers. Mädchen waren hierbei häufiger auffällig. Dieser (geringe) Geschlechtsunterschied mag darin begründet liegen, dass Mädchen häufiger gewichtsbezogene Hänseleien erfahren und stärker darunter leiden (Tang-Péronard und Heitmann 2008; Breinker et al. 2020). Breinker et al. (2020) berichteten keine Geschlechtsunterschiede im Gesamt-Score des SDQ. Dies lässt vermuten, dass Mädchen mit Adipositas u. U. nicht im absoluten Vergleich, aber relativ zur jeweiligen Referenzgruppe häufiger auffällig als Jungen sind. Die Daten widersprechen auch dem höheren Anteil von psychischen Problemen bei Jungen in der Allgemeinbevölkerung (Hölling et al. 2008) und deuten darauf hin, dass v. a. bei Mädchen mit Adipositas ein intensives Screening sinnvoll ist.

Sechs Monate nach Rehabilitationsende konnte die Gewichtsreduktion durch die psychischen Probleme zu Rehaantritt vorhergesagt werden – insbesondere durch „Probleme mit Peers“ (kleine Effektstärke). Dies steht im Einklang damit, dass Gewichtsstigmatisierung mit einem ungünstigen Gewichtsverlauf einhergeht (Major et al. 2018), da die Skala „Probleme mit Peers“ ähnliche Aspekte (wie Beliebtheit und Hänseleien) beinhaltet. Im Gegensatz dazu berichteten Eiffener et al. (2019) bei Vorschulkindern von einer positiven Wirkung externaler Verhaltensprobleme auf den Gewichtsverlauf nach einer Intervention. Dies mag auch damit in Verbindung stehen, dass sich psychische Probleme über den Entwicklungsverlauf verändern (Merikangas et al. 2010) und sich u. U. Probleme mit Peers in diesem Alter noch nicht als relevant erwiesen haben. Zudem wurden in der vorliegenden Studie Kinder und Jugendliche mit Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung(ADHS)-Medikation aus methodischen Gründen ausgeschlossen, sodass hier der Einfluss externaler Probleme tendenziell eher unterschätzt wurde.

Die langfristige BMI-SDS-Entwicklung konnte wie auch bei Braet (2006) nicht durch psychische Probleme zu Rehabeginn prädiziert werden. Möglicherweise nehmen langfristig weitere Faktoren, beispielsweise die Inanspruchnahme weiterer therapeutischer Angebote oder familiäre Unterstützung, Einfluss.

Betrachtet man die psychischen Auffälligkeiten nach Behandlungsende, gab es auf individueller Ebene durchaus positive Verläufe, allerdings reduzierte sich die psychische Belastung nicht bei allen Kindern auf ein unauffälliges Maß. Ob es während der Rehabilitation zu einer Verbesserung kam, die nach Rückkehr in die „alten“ sozialen Strukturen nicht aufrechterhalten werden konnte, kann nicht beantwortet werden, da keine entsprechenden Einschätzungen der Eltern zum Behandlungsende vorliegen. Auch kann generell nicht geklärt werden, ob eine Rehabilitation per se zu Veränderungen in der psychischen Problematik geführt hat. Allerdings zeigte sich, dass ein ungünstiger mittelfristiger Verlauf, v. a. in Bezug auf „emotionale Probleme“ (kleiner Effekt) und „Hyperaktivität“ (mittlerer Effekt), mit einer geringeren Gewichtsreduktion einherging. Dies steht im Einklang mit theoretischen Überlegungen, die für die Entstehung und Aufrechterhaltung von Adipositas die Rolle von emotionalen Problemen (z. B. vermittelt über emotionales Essverhalten) und auch der Impulskontrolle betonen (Warschburger und Petermann 2008). Zum Einfluss der Veränderung psychischer Probleme auf den Gewichtsverlauf liegt gemäß dem Wissen der Autoren des vorliegenden Beitrags nur eine weitere Studie (Eiffener et al. 2019) vor. Diese fand, dass sich eine Reduktion von Ängsten und Depressivität ungünstig auf die zeitgleiche Gewichtsreduktion auswirkt. Hier sind weitere prospektive Studien erforderlich, um kausale Zusammenhänge sowie vermittelnde Prozesse (z. B. reduzierte Selbstregulation, Major et al. 2018) besser zu verstehen.

Gemeinsam mit dem gegenüber der Normalbevölkerung (18,5 %, Hölling et al. 2008) mehr als doppelt so hohen Anteil psychischer Probleme bei Kindern und Jugendlichen mit Adipositas in der stationären Behandlung (48,6 %) sprechen die Daten dafür, psychische Probleme in der Behandlung der Adipositas noch stärker zu thematisieren. Gerade die emotionalen Probleme, die Probleme mit Gleichaltrigen sowie Hyperaktivität sollten in der Therapie adressiert werden. Während der Umgang mit Hänseleien von Gleichaltrigen durchaus in einige Programme integriert wird (Warschburger und Petermann 2008), fehlt bislang ein starker Fokus auf den Aspekt der Hyperaktivität/Impulskontrolle in den Behandlungsprogrammen. Zudem sollten wiederholte Screenings im Behandlungsverlauf und in der Nachbetreuung etabliert werden.

Die Daten wurden im Rahmen einer intensiven multimodalen Adipositastherapie erhoben und erlauben keine Aussage über den unbehandelten Gewichtsverlauf sowie mögliche Exazerbationen oder Spontanremissionen, bezogen auf die psychischen Probleme. Ebenso lassen sich keine Rückschlüsse auf die Wirkung einer Gewichtsveränderung auf psychische Probleme ziehen. Angesichts der hohen Drop-out-Raten im Follow-up kann eine Verzerrung der Ergebnisse nicht vollständig ausgeschlossen werden. Drop-out-Analysen fanden, wie auch in der Literatur berichtet (Warschburger und Kröller 2016), keinen Hinweis auf einen selektiven Drop-out in Abhängigkeit von der psychischen Auffälligkeit. Mit Blick auf die Generalisierbarkeit sollten die vorliegenden Ergebnisse, die auf der Analyse von Responder-Daten unter Ausschluss der Drop-outs beruhen, entsprechend in weiteren Studien überprüft werden. Auch bleibt unklar, inwiefern die vorliegenden Ergebnisse auf Kinder und Jugendliche mit Adipositas außerhalb des stationären Behandlungskontextes zu übertragen sind. Ein geringer Anteil fehlender objektiver BMI-Daten wurde durch subjektive Daten ersetzt. Hierbei ist eine Verzerrung im Sinne einer Unterschätzung des Gewichtsstatus nicht auszuschließen. Allerdings ist bei diesem Vorgehen eine geringere Verzerrung der Daten anzunehmen als beim gänzlichen Wegfall der Daten. Zu berücksichtigen ist zudem die geringe Reliabilität der Skalen Verhaltensprobleme und Probleme mit Peers. Da diese Skalen heterogene Verhaltensweisen screenen und die Auswertung auf Basis von normbezogenen „Cut-off“-Werten erfolgt, sind diese Werte akzeptabel; dennoch sollten diese Ergebnisse mit Vorsicht interpretiert und mithilfe anderer Instrumente bestätigt werden. Neben den Berichten der Eltern, die gerade für Kinder den Goldstandard darstellen, sollten Experten-Ratings sowie besonders ab dem Jugendalter zusätzliche Selbstberichte erhoben werden.

Positiv hervorzuheben ist der multizentrische Charakter der Studie mit einem Ein-Jahres-Follow-up. Die Beurteilung des Gewichtsverlaufs basierte weitestgehend auf objektiv erhobenen Daten. Der SDQ bot darüber hinaus die Möglichkeit, nicht nur die Gesamtbelastung, sondern psychische Probleme differenziert für einzelne Bereiche zu betrachten.

Ausblick

Im Rahmen der Adipositastherapie ist die Etablierung von Screenings für psychische Probleme sinnvoll. Hierdurch können diejenigen, die vermehrter Unterstützung bedürfen, identifiziert werden. Bei auffälligen Screeningwerten ist es sinnvoll, das Vorliegen einer behandlungsbedürftigen psychischen Störung diagnostisch abzuklären und ggf. individuelle psychotherapeutische Behandlungsmaßnahmen zu empfehlen. Dieses Vorgehen sollte dann in randomisierten kontrollierten Studien überprüft werden.

Da relativ viele Kinder und Jugendliche belastet waren (oder im Beobachtungszeitraum eine Belastung entwickelten), ist es zudem sinnvoll, psychotherapeutische Behandlungsansätze gezielter zu integrieren – verhaltenstherapeutische Techniken in der Adipositasbehandlung zielen bisher v. a. auf die Veränderung des Ernährungs- und Bewegungsverhaltens ab. Dabei sollte auch untersucht werden, welche konkreten psychotherapeutischen Bausteine oder Therapieansätze dazu geeignet sind, die psychische Belastung im Verlauf der Adipositasbehandlung effektiv zu reduzieren. Da eine hohe emotionale Belastung häufig zu beobachten ist, sollten auch über die Adipositaserkrankung hinausgehende individuelle Probleme expliziter berücksichtigt werden. Die hohe Verbreitung von Problemen spricht für zusätzliche Angebote, z. B. einen Austausch über erfahrene Hänseleien. Dies ist bereits Bestandteil von Trainingsprogrammen (Warschburger et al. 2005), sollte aber noch stärker ausgebaut werden. Auch unterstreichen die Befunde zum negativen Einfluss der Hyperaktivität die Bedeutung einer Integration von Selbstregulationskompetenzen in die Therapie (Warschburger et al. 2018).

Fazit für die Praxis

  • Psychosoziales Screening sollte integraler Bestandteil in allen Gewichtsreduktionsmaßnahmen sein.

  • Interventionen sollten explizit auch die psychischen Probleme adressieren.

  • Psychotherapeutische Ansätze sind bei juveniler Adipositas wichtig.