Über lange Zeit stand nicht zuletzt aus gesundheitspolitischen und -ökonomischen Gründen in der Psychotherapieforschung die zentrale Frage im Vordergrund, ob und wie Psychotherapie wirksam ist. Diese Frage ist mittlerweile vielfältig untersucht: Es liegen Hunderte von hochwertigen Wirksamkeitsstudien vor. Entsprechend wurden auch zahllose Metaanalysen publiziert, die, insgesamt gesehen, einen guten bis sehr guten Effekt psychotherapeutischer Behandlungen bei nahezu allen psychischen Erkrankungen nachweisen (Castonguay et al. 2021).

Neben der Frage nach der Wirksamkeit steht ebenfalls schon lange die Frage nach der Wirkung bzw. der Wirkweise von Psychotherapie im Zentrum; hierbei wurde am meisten zu den sog. allgemeinen Wirkfaktoren („common factors“) geforscht. In dem von Wampold et al. (2019) publizierten Buch über Die große Psychotherapie-Debatte wird dargelegt, dass diese Common factors vermutlich einen größeren Anteil an Varianz erklären als spezifische Techniken und Interventionen. Deswegen votieren die Autoren zusammengefasst für ein kontextuelles Modell (anstelle eines „medizinischen“ Modells) der Wirkung von Psychotherapie. Abschließend ist die Wirkungsfrage sicher noch lange nicht geklärt, was dazu beiträgt, dass empirische Forschung in der Psychotherapie nach wie vor wichtig ist und noch allzu viele Fragen und Themen offen sind (Strauß et al. 2015). Einige dieser Fragen und Themen werden in diesem Schwerpunktheft der Zeitschrift Psychotherapeut als kleine Auswahl dargestellt.

Zugegebenermaßen finden teure und aufwendige, methodisch anspruchsvolle Wirksamkeitsstudien eher keinen Weg in eine deutschsprachige Psychotherapiezeitschrift. Sie werden in den „flagship journals“ des Faches veröffentlicht. Große Therapiestudien bringen aber meistens eine ganze Reihe von Sekundäranalysen mit sich, auf die sich wiederum etliche Befunde der „großen Psychotherapie-Debatte“ stützen. Einer dieser Aspekte ist der Einfluss der Person des Therapeuten auf das Therapieergebnis. Die große, durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte „SOPHO-NET-Studie“ (Social Phobia-Network) verglich kognitive Verhaltenstherapie und psychodynamische Psychotherapie bei der klinisch höchst relevanten sozialen Angststörung (z. B. Hunger et al. 2018). In einer Sekundäranalyse untersuchten Altmann et al. den Einfluss von Therapeutenmerkmalen auf Aspekte des Therapieprozesses und der Therapieergebnisse. Die Übersichtsarbeit von Gries et al. beschreibt systematisch Befunde zum Zusammenhang von Therapeutenmerkmalen und vorzeitigem Beenden von Psychotherapien. Beide Arbeiten bestätigen die Bedeutung der Person des Psychotherapeuten, auf die auch die Analysen von Wampold et al. (2019) hindeuten.

Diagnostische Fragestellungen im Kontext der Psychotherapie finden in diesem Heft auch ihren Platz: Zum einen untersuchen Wilfer und Spitzer die Bedeutung traumatischer Erfahrungen in der Kindheit für Patientinnen mit Borderline-Störungen (auch: Spitzer et al. 2019). Ein diagnostisches Problem ganz anderer Art sind die sog. Pseudogesunden, also Patienten, die in standardisierten Fragebogen scheinbar unauffällig imponieren, die aber dennoch eine „Herausforderung“ für die psychotherapeutische Versorgung und die empirische Psychotherapieforschung (Spitzer et al. 2018) darstellen. Braungardt et al. untersuchten Pseudogesunde im Hinblick auf ihre Psychotherapiemotivation.

Ein weiteres Thema, das in der Psychotherapieforschung immer mehr in den Vordergrund gerät, ist die Frage nach der psychotherapeutischen Kompetenz und damit danach, was eigentlich in der Aus‑, Fort- und Weiterbildung von Psychotherapeuten wichtig ist, um die Qualität therapeutischen Handelns zu verbessern. In der Arbeit von Gumz et al. wird die Frage „What makes good therapists?“ am Beispiel der deutschen Version des „facilitative interpersonal skills training“ untersucht, ein zunehmend wichtiges Element in der Forschung zur psychotherapeutischen Ausbildung, mit der sich unsere Zeitschrift jüngst schon vielfältig befasst hat (z. B. Fydrich und Fehm 2018; Evers und Taubner 2018; Nikendei et al. 2018).

Je mehr wir über die positiven Aspekte von Psychotherapie Bescheid wissen, umso eher ist es auch möglich, auf eher unerwünschte Wirkungen und Aspekte zu fokussieren, zu denen sicher Grenzverletzungen in der Psychotherapie gehören. In einem Schwerpunktheft unserer Zeitschrift aus dem Jahr 2019 (Schleu 2019; Kontny et al. 2019; Stuhler et al. 2019) wurden Grenzverletzungen in der Psychotherapie schon auf der Basis von Berichten betroffener Patientinnen und Patienten ausführlich dargestellt. In der Folge wurde ein Messinstrument erstellt, mit dem psychotherapeutisch Tätige zu ihren eigenen Erfahrungen mit diesem Thema Stellung nehmen können. Die Ergebnisse einer entsprechenden Studie werden in dem Beitrag von Frenzl et al. erläutert.

Digitalisierung spielt in der Psychotherapie immer mehr eine bedeutende Rolle (Fydrich und Schneider 2018) und bietet auch die Basis für unmittelbare Verlaufsmessungen und Feedback an Therapeuten (Evers und Taubner 2018). Der Einsatz internetbasierter Verlaufsmessung in der Psychotherapie wird schon deshalb immer wichtiger, da in unserem ambulanten psychotherapeutischen Gesundheitssystem die klare Absicht besteht, das lange gültige Gutachterverfahren durch eine – wie auch immer geartete – Verlaufsdiagnostik zu ersetzen. Wilhelm et al. beschreiben am Beispiel des Software-Programms „Assessment und Monitoring psychischer Gesundheit“ (ASMO) die Kernelemente internetbasierter Verlaufsmessung.

Schließlich ist die Psychotherapiegeschichte ein Thema, das – in der Forschung nach wie vor eher stiefmütterlich behandelt – hier einen Platz bekommt. Goldfried (2019) hat immer wieder beklagt, dass wir aufgrund der Organisation unseres Gesundheits-, aber auch unseres Ausbildungssystems (Stichwort Verfahrensorientierung) immer wieder gezwungen sind, verfahrensbezogene Veränderungen zu entwickeln und zu „feiern“, die letztendlich das bereits längst vorhandene Basiswissen und Basisverständnis von Psychotherapie in Vergessenheit geraten lassen. Dies ist eine bedauerliche Entwicklung, die dazu beiträgt, dass wir ein psychotherapeutisches Kernwissen nur unter Schwierigkeiten weiterentwickeln und kultivieren können.

Zur historischen Betrachtung von Psychotherapie gehören aber auch kulturelle Aspekte und die Überlegung, wie sich selbst innerhalb einer Gesellschaft, in diesem Fall der beiden deutschen Staaten, psychotherapeutische Themen, Forschungsfragen und die psychotherapeutische Praxis unterschieden haben (Geyer 2011). Ein erster Ansatz einer innovativen Analyse der DDR-Psychotherapie auf der Basis eines Publikationsorgans ist in dem Beitrag von Storch et al. beschrieben. Die Psychotherapie in der DDR war durchaus reichhaltig und lebendig, und es erweist sich, dass insbesondere westdeutsche Psychotherapeuten, speziell wenn sie den jüngeren Generationen angehören, relativ uninformiert darüber sind, auf welchen Fundus an Wissen und Forschung aus der DDR-Psychotherapie zurückgegriffen werden kann. Der Beitrag von Storch et al. soll ein wenig dazu beitragen, die immer wieder beschworene Geschichtsvergessenheit in der Psychotherapie (Strauß 2018) zu relativieren.

Es gibt viele andere Themen und Forschungsansätze, die die Psychotherapieforschung heute bestimmen, die sich in den Reigen der Beiträge gut hätten einbinden lassen. Wir freuen uns aber, den Leserinnen und Lesern hier einen bunten Strauß an Themen präsentieren zu können, die – so hoffen wir – für wissenschaftlich Interessierte, aber auch Praktiker der Psychotherapie von großem Interesse sein können.