Todesfälle durch Suizid im Kindes- oder Jugendalter stellen eine extreme Belastung für Familie, Freunde und soziales Umfeld dar [24]. Häufig wird eine bestehende Suizidalität durch Ärzte und Angehörige nicht erkannt oder unterschätzt [18]. Auch die Frage nach Suizidwünschen wird zu selten gestellt, da Suizid in der Gesellschaft noch immer tabuisiert wird [17].

Im Jahr 2014 starben in Deutschland 222 Personen zwischen 10 und 20 Jahren infolge eines Suizids [29]. Tödliche Selbstverletzungen waren 2014 die zweithäufigste Todesursache unter Jugendlichen in Deutschland [29] und die zweit- oder dritthäufigste Todesursache in diesem Altersspektrum in den meisten westeuropäischen Ländern [11].

Ein Suizid ist die „von einer Person willentlich und im Bewusstsein der Irreversibilität des Todes selbst herbeigeführte Beendigung des eigenen Lebens“ [24]. Von einem Suizidversuch hingegen wird bei „jeder selbstinitiierten Verhaltenssequenz eines Individuums, welches zum Zeitpunkt des Handlungsbeginns erwartet, dass die getroffenen Maßnahmen zum Tode führen werden“ [24], gesprochen. Das Spektrum der Suizidalität umfasst die Phänomene passive und aktive Suizidgedanken, Suizidintention, Suizidpläne sowie Suizidversuche [24].

In der vorliegenden retrospektiven Studie wurden Suizide von Kindern, Jugendlichen und Heranwachsenden über einen Zeitraum von 20 Jahren hinweg untersucht, mit dem Ziel mögliche Hinweise auf ein Suizidgeschehen herauszuarbeiten. Dabei wurde ein besonderes Augenmerk auf psychiatrische Erkrankungen und Substanzkonsum gelegt, um mit den gewonnenen Erkenntnissen einen Beitrag zur Prävention künftiger Suizide leisten zu können.

Methodik

In einer retrospektiven anonymisierten Datenanalyse wurden alle nichtnatürlichen Todesfälle von Kindern ab 6 Jahren (strafrechtliche Definition: unter 14 Jahre), Jugendlichen (14 bis 17 Jahre) und Heranwachsenden (18 bis 21 Jahre) im Zeitraum von 1998 bis 2017 im Einzugsgebiet des Instituts für Rechtsmedizin (IRM) Leipzig mit der Prosektur Chemnitz untersucht (Einwohnerzahl 2020: 2.225.700 [30]).

Im Rahmen dieser Studie wurden die im Archiv des IRM bzw. im Universitätsarchiv befindlichen Sektionsakten mit den darin enthaltenen Sektionsberichten, Todesbescheinigungen sowie polizeilichen und staatsanwaltlichen Ermittlungsakten anonymisiert ausgewertet. Faktoren wie Geschlecht, Alter, Geburts- und Sterbedatum, Wohn- und Sterbeort, Todesursache, psychiatrische Erkrankungen und Vorbehandlungen, Ergebnisse toxikologischer Untersuchungen sowie die Suizidmethode und vorhandene Indikatoren für einen Suizid wurden statistisch mittels SPSS (IBM) ausgewertet und zur Analyse der statistischen Signifikanz der Chi-Quadrat-Test (X2-Test) herangezogen. Das Signifikanzniveau des Tests betrug p < 0,05.

Ergebnisse

Innerhalb des Untersuchungszeitraums von 1998 bis 2017 war bei den Sterbefällen im Einzugsgebiet des IRM Leipzig mit der Außenstelle Chemnitz ein merklicher Rückgang von 134 im Jahr 1998 auf 40 im Jahr 2017 zu verzeichnen [30]. Bei der Anzahl der Sektionen war dieses Phänomen deutlich geringer ausgeprägt. Es wurden insgesamt 430 Kinder, Jugendliche und Heranwachsende obduziert; der Mittelwert lag bei 22. Daraus resultierend zeigte sich ein Anstieg der Sektionsrate (Tab. 1).

Tab. 1 Sektionsrate der 6‑ bis 21-Jährigen, IRM Leipzig mit Prosektur Chemnitz, 1998–2017

Eine nichtnatürliche Todesart wurde in 377 Fällen (88 %) festgestellt. Durch Suizid starben 67 dieser Personen, wovon in 3 Fällen nur ein Sektionsbericht vorlag, während weitere Ermittlungsakten fehlten. Es zeigten sich mit 45 Fällen (67 %) signifikant mehr männliche (p < 0,05) als weibliche Suizidenten (33 %, n = 22). Der Anteil der unter 18-Jährigen im Untersuchungszeitraum lag bei 42 % (n = 28). Die jüngsten Suizidenten waren 12 Jahre alt. Der Mittelwert des Sterbealters lag bei 17,59 Jahren (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Altersverteilung der Suizidenten

Suizidmethoden

Die in unserer Untersuchung häufigste Suizidmethode stellte der Bahnsuizid (ICD 10: X82.– vorsätzliche Selbstbeschädigung durch Eisenbahnzug) mit 18 Fällen (27 %) dar. An zweiter Stelle stand der Sturz aus großer Höhe (22 %, n = 15), gefolgt von der Intoxikation (Medikamente, giftige Substanzen in fester, flüssiger oder gasförmiger Form) (21 %, n = 14) sowie dem Erhängen (12 %, n = 8) (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Gewählte Suizidmethode

In der Gruppe der weiblichen Suizidenten war die Intoxikation (41 %, n = 9) die am häufigsten genutzte Methode, während männliche Suizidenten den Bahnsuizid (30 %, n = 15) bevorzugten. Kinder (n = 6) suizidierten sich meist durch Erhängen (50 %, n = 3).

Psychiatrische Erkrankungen

Bei mehr als einem Drittel der 67 untersuchten Suizide (35 %, n = 24) fanden sich bei der Obduktion körperliche Hinweise auf Suchterkrankungen oder selbstschädigendes Verhalten (etwa typische Narben oder Injektionsstellen), oder es wurde bei der toxikologischen Untersuchung ein Psychopharmakon als Hinweis auf eine behandlungsbedürftige psychische Störung nachgewiesen. Weitere wichtige Anhaltspunkte stellten direkte Suizidäußerungen sowie bekannte Suizidversuche in der Vergangenheit (10 %, n = 7), bekannte depressive Episoden oder Berichte über anderweitige psychiatrische Erkrankungen dar (7 %, n = 5).

In 5 Fällen war eine vorangegangene psychiatrische Behandlung erwähnt, und bei 4 Suizidenten waren konkrete psychiatrische Diagnosen vermerkt. Im Einzelnen handelte es sich dabei um ICD 10: F20.9 – Schizophrenie, nicht näher bezeichnet, ICD 10: F29 – nicht näher bezeichnete nichtorganische Psychose, ICD 10: F33.9 – rezidivierende depressive Störung, nicht näher bezeichnet, F19.9 – psychische und Verhaltensstörungen durch multiplen Substanzgebrauch und Konsum.

Toxikologische Befunde

Toxikologische Untersuchungen wurden bei 64 der 67 Suizidenten durchgeführt. In den übrigen Fällen erfolgte keine staatsanwaltliche Beauftragung für eine entsprechende Untersuchung.

Bei der Untersuchung der Blutalkoholkonzentration (BAK) lagen in 32 % (n = 21) der Fälle Werte mit sehr geringer alkoholischer Beeinflussung bis hin zu Werten mit sehr starker alkoholischer Beeinflussung vor.

Toxikologische Untersuchungen zum Nachweis weiterer psychotroper Substanzen zeigten am häufigsten eine Einnahme von Psychopharmaka (23 % der Suizidenten, n = 15), gefolgt vom Konsum von Cannabinoiden (10 %, n = 7) und Opiaten (9 %, n = 6) (Abb. 3). Ein Mischkonsum konnte bei 12 Suizidenten (19 %) festgestellt werden. Bei den Psychopharmaka handelte es sich beispielsweise um die Neuroleptika Melperon, Olanzapin und Quetiapin sowie die Antidepressiva Trimipramin und Citalopram. Die festgestellten Konzentrationen zeigten sowohl Werte im therapeutischen Bereich als auch Werte, die zu erheblicher Beeinflussung führen können. Eine besondere Häufung des Konsums konnte für die Jahre 2001–2007 konstatiert werden. In diesem Zeitraum wurden durch die toxikologische Untersuchung psychotrope Substanzen bei fast 90 % der Fälle nachgewiesen.

Abb. 3
figure 3

Nachgewiesene Substanzen bei der toxikologischen Untersuchung

Im X2-Test zeigte sich ein signifikanter Zusammenhang zwischen positiven toxikologischen Befunden und Suiziden bei Kindern, Jugendlichen und Heranwachsenden (X2 = 27,16; p < 0,001).

Diskussion

In der vorliegenden retrospektiven Studie wurden nichtnatürliche Todesfälle von 377 Kindern, Jugendlichen und Heranwachsenden untersucht. Darunter befanden sich 67 Suizidenten in der Altersspanne von 12 bis 21 Jahren. Diese waren signifikant öfter männlich als weiblich. Zu den am meisten angewandten Suizidmethoden zählten der Bahnsuizid und der Sturz aus großer Höhe.

Die Ergebnisse legen nahe, dass eine Assoziation zwischen Suiziden bei Kindern, Jugendlichen und Heranwachsenden und psychiatrischen Erkrankungen besteht, da in diesem Kontext häufig körperliche Hinweise wie beispielsweise Narben, die typischerweise bei selbstverletzendem Verhalten im Rahmen einer psychiatrischen Grunderkrankung auftraten, festgestellt wurden.

Weiterhin standen Kinder, Jugendliche und Heranwachsende, die Suizid durchgeführt haben, häufig unter dem Einfluss von Alkohol und psychotropen Substanzen.

Nationaler und internationaler Vergleich

Die Analyse der Todesfälle durch Suizid der Kinder, Jugendlichen und Heranwachsenden, die im IRM Leipzig obduziert wurden, zeigte für den Betrachtungszeitraum keine deutlich erkennbare Tendenz der jährlichen Suizidzahl, während in anderen Studien über einen Rückgang berichtet wird [10, 23].

Die Suizidenten wiesen im Mittel ein Alter von knapp 18 Jahren auf; rund 10 % waren unter 15 Jahre, die Jüngsten 12 Jahre alt. Diese Ergebnisse korrespondieren mit anderen Studien, nach denen die Suizidrate während der Pubertät abrupt ansteigt [12]. Suizide und Suizidversuche vor der Pubertät, insbesondere in einem Alter unter 12 Jahren, sind sehr selten [25], da Kinder in diesem Alter durch die noch nicht abgeschlossene kognitive Entwicklung besser gegen die Umsetzung eines Suizids geschützt sind als Jugendliche und Heranwachsende [10]. Bei älteren Jugendlichen besteht eine größere Autonomie durch eine geringere Aufsicht durch die Eltern [3]. Zudem gilt, dass Substanzkonsum und psychiatrische Erkrankungen im Laufe der Pubertät zunehmen [25].

In den von uns untersuchten Fällen waren 33 % der jungen Suizidenten weiblich und 67 % männlich. Dies entspricht einem Verhältnis von 2:1 (m:w) und stimmt mit diversen deutschen und europäischen Studien überein [15, 23, 26, 33]. Eine Erklärung für diese Geschlechtsdiskrepanz unter Suizidenten ist der Umstand, dass männliche Suizidenten tendenziell Suizidmethoden mit einem höheren Versterbensrisiko wählen [10]. Hingegen treten Suizidgedanken und Suizidversuche bei weiblichen Suizidenten deutlich häufiger auf [11].

Suizidmethoden

Bei den in mehreren deutschen Studien untersuchten Fällen von Jugendlichen mit Selbsttötung wurde der Suizid überwiegend durch Erhängen vollzogen [23, 26, 33]. Im Unterschied dazu zeigte sich in der vorliegenden Untersuchung der Bahnsuizid als meistgewählte Suizidmethode unter jungen Menschen im Alter von 12 bis 21 Jahren, der Suizid durch Erhängen lediglich als vierthäufigste Methode. Dies könnte, ähnlich wie in der Schweiz, mit einem gut ausgebauten Schienennetz und einer guten Erreichbarkeit der Bahngleise [8] im Ballungsraum Leipzig [28] in Relation stehen. Zudem werden für Bahnsuizide keine weiteren Hilfsmittel wie Stricke oder Gift benötigt, sodass sie keinerlei Vorausplanung bedürfen und spontan jederzeit erfolgen können [4]. Außerdem stellen sie, ebenso wie der Sturz aus großer Höhe, eine Methode mit hoher Letalität dar [26].

Nur in der Gruppe der Kinder war in der vorliegenden Untersuchung Erhängen die häufigste Suizidmethode. Dies könnte damit zusammenhängen, dass Kinder möglicherweise seltener allein das häusliche Umfeld verlassen [3] und Erhängen zu den Methoden gehört, zu denen Kinder einen leichten Zugang haben [24].

Laut unserer Studie starben weibliche Suizidenten am häufigsten durch Intoxikation. Dies ist damit begründbar, dass Mädchen und Frauen oft „weiche“ Suizidmethoden präferieren [10]. Die Ergebnisse verschiedener Studien bezüglich der Intoxikationsfälle sind jedoch nicht uneingeschränkt miteinander vergleichbar, da einige deutsche Studien Patienten mit bekanntem Drogenkonsum ausgeschlossen haben [26, 33]. In unserer Studie hingegen waren diese inkludiert, sofern eindeutige Hinweise auf einen Suizid – wie etwa ein Abschiedsbrief – vorhanden waren.

Zu bedenken ist außerdem die lokal begrenzte Population der vorliegenden Untersuchung mit insgesamt geringer Fallzahl, wodurch Abweichungen bedingt sein können.

Psychiatrische Erkrankungen

Die Ursachen für einen Suizid bei Kindern, Jugendlichen und Heranwachsenden sind sehr komplex. Suizid ist niemals die Konsequenz einer einzigen Ursache oder eines einzelnen Stressors, sondern das Ergebnis vieler Faktoren [7]. Dazu zählen psychiatrische Erkrankungen, Todesfälle (insbesondere Suizid) in der Familie, körperliche Misshandlung oder sexueller Missbrauch, Delinquenz, psychosoziale Probleme wie Mobbing oder schwere familiäre Konflikte [24].

Suizid geschieht bei Kindern, Jugendlichen und Heranwachsenden selten spontan, sondern ist zumeist auf eine bereits länger andauernde Belastungssituation zurückzuführen [33]. Hinweise auf eine länger geplante Handlung zeigten sich in der vorliegenden Studie jedoch nur bei 4 der 67 Suizidenten. Ähnlich wie in der Untersuchung von Zimmermann et al. [33] wurde nur bei einem kleinen Teil der Suizidenten (22 %) ein Abschiedsbrief (Abb. 4) mit möglichen Hinweisen zur Suizidmotivation vorgefunden.

Abb. 4
figure 4

Beispiel für Planung eines Suizids (a) und Abschiedsbrief (b). (Freigabe zur Veröffentlichung durch Staatsanwaltschaft Leipzig am 25.04.2022)

Selbstverletzendes Verhalten oder vorangegangene Suizidversuche zählen zu relevanten Risikofaktoren für Suizid bei Kindern, Jugendlichen und Heranwachsenden [7]. Ebenso besteht ein erhöhtes Risiko, wenn in der Familie bereits Suizide oder Suizidversuche erfolgt sind [27]. Direkte Suizidäußerungen oder -versuche in der Vergangenheit waren in der vorliegenden Studie in 10 % der Fälle bekannt. Informationen zu Suiziden in den Familien wurden nicht erhoben.

Selbstverletzendes Verhalten, z. B. in Form oberflächlicher Hautschnitte mit scharfen Gegenständen [16], kann einen Hinweis auf eine psychiatrische Erkrankung wie die Borderline-Persönlichkeitsstörung darstellen [1]. Selbstverletzendes Verhalten wird von Patienten mit einer Persönlichkeitsstörung häufig in nichtsuizidaler Absicht mit dem Ziel einer Spannungsreduktion durch Schmerzbeibringung durchgeführt [16]. Das Risiko für Suizide und Suizidversuche bei Kindern, Jugendlichen und Heranwachsenden ist bei dieser Patientengruppe dennoch um das Drei- bis Zwölffache im Vergleich zu gesunden Gleichaltrigen erhöht [1, 10].

Während Hinweise auf psychiatrische Erkrankungen bei mehr als einem Drittel der Fälle unserer Studie vorlagen, waren konkrete psychiatrische Diagnosen lediglich in 4 Fällen belegt. Dieser Anteil ist in anderen Studien teilweise deutlich höher [3, 26] – dies kann in unserer Datengewinnung anhand von Sektionsakten, in denen die Vollständigkeit der Informationen der verschiedenen Fälle variiert, begründet sein.

Affektive Störungen, Psychosen, Anorexia nervosa und Suchterkrankungen zählen zu den am häufigsten mit Suizid assoziierten psychiatrischen Erkrankungen [15, 21, 24].

Beim Vorliegen einer Depression ist die Suizidmortalität um das Einundzwanzigfache gegenüber der Allgemeinbevölkerung erhöht [6]. Dies ist wegen der hohen Prävalenz depressiver Störungen in westlichen Industrienationen [31] von besonderer Relevanz. Eine rezidivierende depressive Störung war in dieser Untersuchung bei einem und eine depressive Episode bei 7 % der Suizidenten bekannt.

Zudem zeigten sich positive toxikologische Befunde oder Injektionsstellen als mögliche Zeichen für eine vorliegende Abhängigkeitserkrankung [15, 23].

Im Kontext von Suiziden bei Kindern, Jugendlichen und Heranwachsenden werden zudem Essstörungen oder Belastungsstörungen erwähnt [1, 7, 24]. In unserer Studie lagen Hinweise auf derartige Erkrankungen nicht vor.

Toxikologie

Eine Assoziation zwischen Alkoholabusus und Substanzmissbrauch und suizidalem Verhalten von Kindern, Jugendlichen und Heranwachsenden, wie sie in mehreren Studien festgestellt werden konnte [1, 7, 11, 15, 21], fand sich auch in unserer Analyse. Insbesondere bei häufig aufgetretenem sog. Mischkonsum zeigte sich hier ebenfalls ein Anstieg des Suizidrisikos [14].

Suizide und Suizidversuche werden oft unter dem Einfluss von Alkohol oder anderen Substanzen durchgeführt. Diese begünstigen die Impulsivität und bauen die Hemmschwelle ab. Zudem sind suizidale Handlungen durch Substanzmissbrauch schwieriger zu kontrollieren und verlaufen dadurch öfter tödlich [10]. Darüber hinaus kann ein positiver toxikologischer Befund auf einen chronischen Substanzmissbrauch oder eine Alkoholabhängigkeit verweisen [23].

Die Lebenszeitprävalenz des Konsums illegaler Drogen steht in engem Zusammenhang mit Suizidversuchen, der gegenwärtige Alkoholkonsum dagegen nicht [11]. Der Konsum psychotroper Substanzen ist bei schlechterem psychischem Befinden erhöht [13], somit sind diese Personen durch den Zusammenhang zwischen Substanzkonsum und Suizid in einem stärkeren Maße gefährdet.

Limitationen

Eine Schwäche unserer Studie liegt in der geringen Zahl von 67 Suizidfällen, da sich die untersuchte Kohorte auf den Einzugsbereich des IRM Leipzig mit der Außenstelle Chemnitz beschränkt. Es handelt sich somit um Regionaldaten mit fraglicher Repräsentativität für die deutsche Bevölkerung der entsprechenden Altersgruppe. Dies ist ein gängiges Problem von Suizidstudien eines einzelnen Landes oder Landesteiles [20].

Außerdem muss erwähnt werden, dass die untersuchten Suizidfälle des IRM Leipzig mit der Prosektur Chemnitz nicht der Gesamtheit der Suizide der untersuchten Altersgruppe im Einzugsgebiet entsprachen, da für jede Obduktion eine Beauftragung (durch die Staatsanwaltschaft, die Angehörigen etc.) benötigt wird. Die Obduktionsrate variiert je nach Alter der Verstorbenen; bei Kindern und Jugendlichen liegt sie deutlich höher als bei Erwachsenen [19].

Durch die Datenakquise mittels Sektionsprotokollen und staatsanwaltlichen Ermittlungsakten konnten Zusatzinformationen bezüglich der Todesumstände, toxikologischen Untersuchungen, Erkrankungen, früherer Suizidversuche, psychiatrischer Behandlungen etc. für die Studie gewonnen werden. Als Nachteil erwies sich dabei, dass zusätzliche Informationen nicht standardisiert erhoben wurden und somit nicht für jeden Suizidenten der gleiche Datensatz existierte.

Da es sich bei der vorliegenden Studie um eine retrospektive Untersuchung von Todesfällen durch Suizid handelt, war eine direkte Befragung der Probanden zur Informationsgewinnung unmöglich. Daten zu Kontextinformationen basierten auf der Aussage Dritter, sofern sie nicht objektiv, z. B. durch toxikologische oder rechtsmedizinische Befunde, ermittelt werden konnten. Aus diesem Grunde ist ein „Recall Bias“ nicht unwahrscheinlich. Diese Erinnerungsverzerrung stellt eine Fehlerquelle in retrospektiven Studien dar, die entsteht, wenn Begebenheiten aus der Vergangenheit in der Erinnerung durch subjektive Bewertung verändert werden [2].

Schlussfolgerungen

Trotz der oben genannten Limitationen konnten in unserer Untersuchung einerseits Hinweise auf psychiatrische Erkrankungen bei Suizidenten im Kindes- und Jugendalter dargestellt werden, sowie andererseits eine Assoziation zum Missbrauch von Alkohol und Drogen. Daraus ergeben sich Hinweise für mögliche Präventionsstrategien und evtl. Folgeuntersuchungen.

Aufgrund der Assoziation zwischen psychiatrischen Erkrankungen und Suizidalität könnte in den nächsten Jahren ein Anstieg der Suizidrate folgen. Im Gegensatz zu den USA, wo sich eine erhöhte Anzahl von Suizidversuchen Jugendlicher seit Beginn der Coronapandemie im Mai 2020 zeigte [32], wurde ein derartiges Phänomen in Deutschland bisher nicht festgestellt [22]. Es scheint lohnend zu sein, die weitere Entwicklung in diesem Zusammenhang zu beobachten.

Aufgrund des Zusammenhangs zwischen Substanzkonsum und Suiziden könnte sich die Legalisierung von Cannabis ebenfalls auf die Suizidrate von Heranwachsenden auswirken. Ein entsprechender Gesetzesentwurf wurde am 05.07.2022 im Deutschen Bundestag vorgestellt. Volljährigen soll der Erwerb und Besitz bis zu 30 g Cannabis oder Cannabisharz gestattet sein [5].

Zudem ist vor dem Hintergrund, dass sich einige Suizidgefährdete vor der endgültigen Handlung auf der Suche nach Hilfe an Freunde, Lehrer, Angehörige oder professionelle Einrichtungen wenden [33], die Bedeutung von ausreichenden personellen Kapazitäten zu betonen [27].

Viele mit Suizid in Verbindung stehende psychiatrische Erkrankungen sind gut behandelbar, und eine frühzeitige Therapie könnte die Suizidalität verringern [9]. Aus diesem Grund sollten sowohl Ärzte und Pflegepersonal als auch Familie, Lehrer, Erzieher und Sozialarbeiter für psychiatrische Erkrankungen und andere auf einen Suizid hindeutende Vorzeichen sensibilisiert werden.

Fazit für die Praxis

Suizid ist bei Kindern, Jugendlichen und Heranwachsenden von hoher Relevanz und steht häufig im Zusammenhang mit psychiatrischen Erkrankungen und Substanzkonsum. Insbesondere psychiatrische Erkrankungen können das Suizidrisiko signifikant erhöhen. Aus diesem Grunde sollte das Netz der (ambulanten) psychiatrischen und psychologischen Betreuung für Kinder, Jugendliche und Heranwachsende v. a. im ländlichen Raum ausgebaut und ein besserer Zugang zu professioneller Hilfe gewährleistet werden. Aus rechtsmedizinischer Sicht ist es erforderlich, die Anzahl der qualifizierten Leichenschauen und Sektionen zu erhöhen, damit möglichst alle verstorbenen Kinder, Jugendliche und Heranwachsende durch Fachpersonal untersucht werden können. Dies würde die Dunkelziffer deutlich reduzieren. Dazu sind jedoch eine Reform der Finanzierung sowie ein Ausbau der rechtsmedizinischen Versorgung abseits der Universitäten und großen Zentren obligatorisch.