Anamnese

Eine 43-jährige Patientin stellte sich in unserer Klinik mit Beschwerden im Bereich der rechten Schulter vor, welche seit einem Fahrradsturz vor einem Jahr bestanden, bei welchem sie sich eine laterale Klavikulafraktur zugezogen hatte. Die Klavikulafraktur wurde bisher konservativ therapiert. Zum Zeitpunkt der Präsentation gab die Patientin bewegungsabhängige Schmerzen sowie Dauerschmerzen an mit verminderter Gebrauchsfähigkeit für die Aktivitäten des täglichen Lebens und verminderter Sportfähigkeit.

Befund

Bei der Untersuchung zeigte sich eine normalgewichtige Patientin mit Schulterprotraktion. Die aktiven und passiven Bewegungsausmaße waren frei. Die Rotatorenmanschettentests sowie Impingementtests waren negativ. Bei der klinischen Untersuchung des Akromioklavikulargelenks (ACG) fielen ein positiver Druckschmerz sowie ein positiver Cross-body-Test auf. Es zeigten sich keine klinischen Zeichen einer CC(coracoclaviculäre)-Instabilität.

Diagnose

Die Röntgenuntersuchungen der rechten Schulter und des rechten ACG zeigte eine Pseudarthrose der lateralen Klavikula (Abb. 1). Der schräg verlaufende Spalt reichte hierbei bis in den Ansatzbereich des Lig. trapezoideum. Somit ist die primäre Fraktur als Neer-Typ I und Jäger-Breitner-Typ I zu klassifizieren [3, 6]. Ferner zeigte sich ein regelrechtes Alignment im ACG selbst ohne Hinweis auf CC-Instabilität.

Abb. 1
figure 1

Präoperatives Röntgen der rechten Schulter a.-p. (a) und 30° ansteigend (b) mit Darstellung des schräg verlaufenden Pseudarthrosespalts

In der Magnetresonanztomographie (MRT) zeigte sich die Pseudarthrose mit deutlichem Signal-Enhancement und schräg verlaufendem Pseudarthrosespalt (Abb. 2). Die Rotatorenmanschette stellte sich regelrecht und ohne Hinweis auf Ruptur, fortgeschrittene muskuläre Atrophie oder fettige Degeneration dar.

Abb. 2
figure 2

Magnetresonanztomographie (MRT) der rechten Schulter mit Darstellung der Pseudarthrose (weißer Pfeil). T2-Wichtung, a koronare Ebene, b axiale Ebene

Therapie und Verlauf

Die präoperative Planung führte zur Entscheidung des einzeitigen Vorgehens im Sinne einer Rekonstruktion der lateralen Klavikula mit autologem Beckenkammspan sowie Hakenplattenfixierung. Die Operation wurde in Beach-chair-Position durchgeführt, wobei zunächst die Gewinnung des trikortikalen Beckenkammspans erfolgte. Nach querer Hautinzision unterhalb der Crista liaca und Exposition erfolgt die Entnahme eines zuvor ausgemessenen Beckenkammspans.

Im Anschluss erfolgt der Zugang zum ACG mittels Säbelhiebschnitt. Nach Darstellung des schräg verlaufenden Pseudarthrosespalts fiel die Entscheidung zur Resektion der lateralen Klavikula. Die ausgeprägte Trümmerzone stellte sich mit avitalen Knochenverhältnissen und ohne Rekonstruierbarkeit durch Beckenkammspaninterposition dar. Hiernach erfolgte die Anfrischung der lateralen Klavikula sowie Rekonstruktion des resezierten klavikulären Anteils mit Beckenkammspan und Hakenplatte (Abb. 3). Zur Sicherung der horizontalen Stabilität und des Neo-ACG erfolgt die offene Rekonstruktion der ACG-Kapsel.

Abb. 3
figure 3

Unmittelbar postoperatives Röntgen a.-p. (a) und Outlet-view (b)

Das patientenspezifische Rehabilitationsprogramm beinhaltete das Tragen eines Abduktionskissens für 6 Wochen und passive Mobilisation mit Limitierung der Flexion auf 90° und Abduktion auf 90°. Das Tragen von Lasten >2,5 kg sollte ebenfalls vermieden werden. Ab der 7. Woche passive und assistive Mobilisation bis zum weichen Stopp ohne Limitation.

Nach 6 Monaten erfolgte die Entfernung der Hakenplatte mit erneuter Faszienrekonstruktion im Bereich des ACG. Sieben Monate nach der Rekonstruktion zeigte sich eine regelrechte Rekonstruktion der lateralen Klavikula mit Ausbildung eines Neo-ACG und regelrechtem Alignment desselben (Abb. 4). Die aktive Beweglichkeit im rechten Schultergelenk war schmerzfrei. Die Tätigkeiten des täglichen Lebens waren zu diesem Zeitpunkt bereits ohne Einschränkung möglich.

Abb. 4
figure 4

Röntgenkontrolle der rechten Schulter 7 Monate postoperativ a.-p. (a) und p.-a. (b) nach Entfernung der Hakenplatte

Diskussion

Laterale Klavikulafrakturen machen einen Anteil von 28 % aller Klavikulafrakturen aus und neigen zur Ausbildung von Pseudarthrosen [2]. Der Häufigkeitsgipfel liegt im Bereich der 5. und 6. Dekade [4, 5]. Die Klassifikation der lateralen Klavikulafraktur erfolgt nach Neer [6] und Jäger/Breitner [3], wobei die Klassifikationen auf die Stabilität der Frakturen, Frakturverlauf und die Relation zu den CC-Bändern eingehen. Stabile Frakturen ohne Einbezug der CC-Bänder werden als Domäne der konservativen Therapie erachtet [7]. Die Tendenz zur Ausbildung einer Pseudarthrose wird besonders bei instabilen Frakturen beobachtet. Die Raten werden hierbei mit 30–44 % angegeben, wenn die Fraktur die CC-Bänder betrifft [7]. Die Therapie der Wahl bei Pseudarthrosen ist die chirurgische Intervention [9]. Es wird berichtet, dass „bone grafting“ zu besseren Ergebnissen führt [9]. Dieser Fall soll die Therapiemöglichkeit im Sinne einer Rekonstruktion mit Beckenkammspan und Hakenplatte darstellen. Ursprünglich in die Therapieplanung einbezogen war die sekundäre arthroskopische Rekonstruktion des AC-Gelenkspalts. Die spontane Ausbildung eines suffizienten Neo-AC-Gelenkspalts machte dies überflüssig. Die vielfältigen operativen Techniken umfassen die Plattenosteosynthese mit oder ohne CC-Fixierung, arthroskopisch-assistierte Techniken und die Rekonstruktion unter Verwendung einer Hakenplatte. Eine eindeutige Empfehlung über die operative Therapie existiert trotz der vielfältigen Techniken nicht. Vorteile der Hakenplattenversorgung sind die günstige Verteilung der Kräfte auf das Akromion mit Entlastung der Frakturzone und die Möglichkeit der Anpassung der Hakenplatte an die anatomische Situation. Gleichzeitig wird eine hohe Komplikationsrate (Osteolysen, Frakturen und Rotatorenmanschettenläsionen) beobachtet. Dem Konsens über die generelle Entfernung der Platte steht die mögliche Gefährdung der Stabilität bei frühzeitiger Entfernung der Platte gegenüber [10]. Die Beteiligung des Lig. trapezoideum, welches seinen Ansatz 0,4–2,8 cm medial des lateralen Klavikulaendes hat, war bildmorphologisch nicht auszuschließen [1]. Dies bestätigte sich im intraoperativen Befund. Aufgrund dessen erforderte der Befund eine ausgiebigere Therapie als nur die arthroskopische Resektion der lateralen Klavikula, welche in der Literatur als Therapie der Wahl bei sehr peripher gelegenen Fragmenten/Pseudarthrosen vorgeschlagen wird. Robinson et al. konnten in ihrer Fallserie zeigen, dass die sekundäre Versorgung von Patienten mit symptomatischen Pseudarthrosen zu guten klinischen Ergebnissen führt [8]. Das regelhafte Vorgehen beinhaltet hierbei eine Interposition des Beckenkammspans. Dieses Vorgehen war aufgrund der peripher gelegenen Fraktur und der avitalen Verhältnisse nicht durchführbar, weshalb die Resektion der Trümmerzone und Rekonstruktion der lateralen Klavikula mit Beckenkammspan erfolgte.

Der Fall zeigt, dass die Resektion und anschließende Rekonstruktion mit trikortikalem Beckenkammspan technisch durchführbar ist und zu guten klinischen Ergebnissen führt. Zu beachten ist die gute Integration des Spans sowie die spontane Regeneration eines Neo-ACG.

Fazit für die Praxis

  • Pseudarthrosen nach lateralen Klavikulafrakturen sind ein gängiges klinisches Problem.

  • Die Rekonstruktion der lateralen Klavikula mit autologem trikortikalem Beckenkammspan unter Verwendung einer Hakenplatte ist technisch durchführbar und kann zur Ausbildung eines Neo-Akromioklavikulargelenks (ACG) mit regelrechtem Alignment führen.