Zusammenfassung
Digitalisierung nimmt einen kontinuierlich wachsenden Stellenwert in der Medizin ein. Prozesse werden optimiert, Daten digital erfasst, analysiert und archiviert. Wenngleich in Deutschland noch ein vergleichsweise großer Aufholbedarf existiert, befinden wir uns auf einem soliden Weg. Mit der Etablierung des European Health Data Space (EHDS) wird in Brüssel ein Meilenstein für den sicheren Austausch von Daten gesetzt. Digitalisierung beinhaltet das Potenzial für umfangreiche Prozessoptimierung. Während derzeit ein Gros der Arbeitszeit deutscher Ärzte von Bürokratie verschlungen wird, kann ein relevanter Anteil dieser Arbeit durch digitale Lösungen effizienter erledigt werden. Die Digitalisierung ersetzt nicht den Arzt, sondern unterstützt ihn, zum Wohle des Patienten. Zahlreiche Wege sowie damit verbundene Transport- und Logistikkosten sind vermeidbar bzw. durch digitale Ergänzungen und neue Darreichungsformen auf digitalem Wege adressierbar. Dies schont Ressourcen, spart Zeit und optimiert die Versorgung. Die Offenheit und Affinität von Ärzten und Patienten für das Thema hängen bedeutend von der Digital Health Literacy, d. h. dem Verständnis und Wissen zum Thema, ab. Kontinuierlich Ängste abzubauen und Akzeptanz zu steigern, ist das Ziel der kommenden Jahre. Zudem bedarf es relevanter Investitionen in die technische Grundausstattung auf Soft- und Hardwareseite.
Abstract
Digitalization and digitization are becoming increasingly more important in medicine. Processes are being optimized and data are being digitally recorded, analyzed and archived. Although there is still a comparatively large need to catch up in Germany, we are on a solid transformation path. The establishment of the European Health Data Space (EHDS) in Brussels represents a milestone for the secure exchange of data. Digitalization holds the potential for extensive process optimization. While a large part of the working time of physicians in German is currently consumed by bureaucracy, a relevant part of this can be solved digitally. The digitalization does not replace the physician but plays a supporting role for the benefit of the patient. Numerous routes and the associated transport and logistics costs can be avoided or addressed digitally through digital supplementation and new forms of treatment administration. This conserves resources, saves time and optimizes the care of patients. The openness and affinity of physicians and patients towards the topic significantly depends on digital health literacy, i.e. the understanding and knowledge on the topic. The goal for the coming years is to continually reduce fears and increase acceptance. In addition, relevant investments are needed for the basic technical equipment on the software and hardware side.
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Die Digitalisierung der Medizin gewinnt laufend an Relevanz und hat durch zahlreiche Gesetze seit 2016 einen entsprechenden Rahmen erhalten. Digitale Technologien offerieren neue Ansätze und Herangehensweisen hinsichtlich Prävention, Diagnostik, Therapie und Metaphylaxe. Im Klinik- und im Praxisalltag kann die Digitalisierung eine signifikante Unterstützung bieten, gestaltet sich aber oft immer noch auch als Herausforderung, ein Versprechen, das es zu erfüllen gilt [4].
Die COVID-19-Pandemie hat sich als zusätzlicher Katalysator erwiesen. Digitale Suchen nach medizinischer Information haben zugenommen, wobei die medizinische Zuverlässigkeit der gefundenen Informationen nach wie vor einen Schwachpunkt darstellt [3].
Digitalisierung kann und wird den Arzt im Klinik- und Praxisalltag unterstützen und Zeit einsparen
Digitale Innovationen wurden ausgegründet, Produkte bzw. Anwendungen eingeführt oder verbessert – was ohne die politischen Weichenstellungen der Vorjahre nicht möglich gewesen wäre. Neben der klinischen Praxis wurde der wissenschaftliche Output in der Orthopädie und Unfallchirurgie seit 2019 im Bereich digitaler Themen deutlich gesteigert.
Orthopädie und Unfallchirurgie und die Telerehabilitation
Die zunehmende Digitalisierung in Kombination mit dem demografischen Wandel beflügelt die Entwicklung neuartiger Versorgungskonzepte [15]. Orthopädie und Unfallchirurgie als mechanisch fokussierte Disziplinen sind nicht primär prädestiniert, um digitale Versorgung zu ermöglichen, da diese beiden Fächer oft physische Untersuchungsmethoden nötig machen. Des Weiteren erfordern die chirurgischen Fächer in einer Vielzahl der Fälle eine physisch basierte Therapie. Aus diesem Grund sind beispielsweise die bildgebenden Fächer den chirurgischen logischerweise im Thema Digitalisierung von Datensätzen und Datenanalyse weit voraus. Gleichzeitig wird es zunehmend klar und immer weiter wissenschaftlich untersucht, welchen Einfluss eine koordinierte physiotherapeutische Nachbehandlung auf das Outcome von Patienten mit orthopädischen Eingriffen hat [5, 10]. Diese kann und wird zunehmend auch digital unterstützt und damit ohne laufenden persönlichen Kontakt durchgeführt bzw. begleitet. Die Effizienz dieser Telerehabilitation steht konventionellen Programmen gemäß der aktuellen Studienlage nicht nach [8], wobei es noch an Langzeitergebnissen zur Verifizierung dieser Ergebnisse fehlt.
Die Kombination aus analoger und digitaler Behandlung bietet dem Patienten das Beste aus zwei Welten
Eine primäre physisch präsente Unterweisung des Patienten in sein physiotherapeutisches Nachsorgeschema in der erstbehandelnden Institution erscheint als Ausgangspunkt zur Einleitung der postoperativen Nachbehandlung nach einem Gelenkersatz sinnvoll [6]. Die Kombination aus analoger und digitaler Nachsorge scheint als ideale Ausgangsposition ein Zukunftspotenzial zu offerieren.
Die Ergebnisse der Studie von Tahami et al. deuten hingegen an, dass Telerehabilitation nach arthroskopischen Meniskusrekonstruktionen noch nicht mit konventioneller persönlicher Therapie auf Augenhöhe steht [14]. Fokussierte Studienprotokolle für geplante oder bereits begonnene Beobachtungsstudien versprechen Aufschluss über den Vergleich der beiden Behandlungswege [16].
Mobile Apps geben Patienten die Möglichkeit, diverse Übungen ortsunabhängig, jedoch kontrolliert und medizinisch begleitet durchzuführen. Dies ermöglicht die kontinuierliche Fortführung der Rehabilitationsmaßnahme über den Zeitraum der ambulanten oder stationären Behandlung hinaus. Inwieweit die Initiative der digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) der Bundesregierung auch im Bereich der Telerehabilitation nachhaltige Erfolge erzielen kann, ist im Moment noch nicht abzuschätzen und Gegenstand verschiedener Studien und Analysen [9]. Bäcker et al. konnten bereits Vorteile der App-gesteuerten Reha-Unterstützung nachweisen [2].
Forschungsanalysen legen für Gesundheitsfachberufe wie Physiotherapeuten bereits heute nahe, dass telerehabilitative digitale Ansätze, nicht nur zu Zeiten der COVID-19-Pandemie, sondern auch in Zukunft die diagnostische oder therapeutische Entscheidungsfindung und damit die Patientenbehandlung nachhaltig beeinflussen dürften [12].
Soft- und Hardwarelösungen werden kontinuierlich verbessert, ebenso wie die Verfügbarkeit des zuverlässigen Datenaustausches auf mobilem Wege. Technische Geräte wie Digitalkameras sind, beschleunigt durch die pandemische Situation, weitreichend verfügbar, und ihr Nutzen steht großen Teilen der Bevölkerung offen. Die Vorzüge innovativer Kommunikationswege wurden von Back et al. anhand der Videosprechstunde ausgewertet [1].
Ausschlaggebend für Erfolg und Akzeptanz ist die gemeinsame Entwicklung innovativer Lösungen
Ausschlaggebender Faktor für Erfolg und Akzeptanz neuartiger Lösungsansätze ist die gemeinsame Entwicklung innovativer Lösungen in Kooperation zwischen Medizinern, auch Physiotherapeuten und Technikern, die Bedürfnisse und Anforderungen von Patienten und Heilberufen fachlich und technisch begreifen und somit adäquat adressieren können [7]. In vielen Fällen sind sowohl Techniker allein als auch medizinische Dachberufe allein nur inadäquat in der Lage, die Thematik umfassend zu lösen, da diesen Teams das relevante Schnittstellen-Know-how fehlt.
Um Vorurteile und Ängste zu reduzieren, bedarf es zudem der Aus- und Weiterbildung im Bereich digitaler Gesundheit zur Steigerung der sog. Digital Health Literacy. Nur, wer die Technik begreift und nicht fürchtet, wird gewillt und in der Lage sein, sie einzusetzen, sie zu verordnen und sie weiterzuempfehlen [11, 13].
Fazit für die Praxis
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Die Grundsteine sind gelegt; die technischen Möglichkeiten, um die Telemedizin in Deutschland auf dem Gebiet der muskuloskeletalen Fächer auszubauen und weiterzuentwickeln, existieren großteils.
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Telerehabilitation kann und wird in Zukunft flächendeckend als Ergänzung und erweiternde Option zu konventionellen Anschlussheilbehandlungen angeboten werden. Effizienz und Effektivität auf lange Sicht werden weiterhin wissenschaftlich begleitend untersucht werden.
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Die enormen Potenziale zur Reduktion von Bürokratie durch den Einsatz digitaler Technologien können dem Gesundheitswesen auf lange Sicht auf Mikro- und auf Makroebene zugutekommen.
Literatur
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Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
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Christoph Gutenbrunner, Hannover
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Pförringer, D., AG Digitalisierung der DGOU. & Back, D. Digitalisierung und Telerehabilitation. Unfallchirurgie 126, 6–8 (2023). https://doi.org/10.1007/s00113-022-01257-x
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