Die Anfänge der heutigen Fachzeitschrift der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) gehen zurück ins Jahr 1894, als am 20. Januar die Monatsschrift für Unfallheilkunde mit großen Lettern titelte: „Was wir wollen!“ (Abb. 1). Sie wurde initiiert von Carl Thiem (1852–1917) aus Cottbus, der im selben Jahr federführend mit den Chirurgen Albert Hoffa (1859–1907) aus Würzburg, Constantin Kaufmann (1853–1937) aus Zürich und anderen während der 66. Jahrestagung der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte (GDNÄ) in Wien im September 1894 die Abtheilung für Unfallheilkunde ins Leben rief [3].

Abb. 1
figure 1

a Die Erstausgabe der Monatsschrift für Unfallheilkunde vom 20.01.1894 titelte mit großen Lettern: Was wir wollen! …„die Wiederherstellung der bestmöglichen Erwerbsfähigkeit …“ (Aus Blasius et al. [2]). b Titelblatt der Erstausgabe des 125. Bandes der Fachzeitschrift zur Unfallchirurgie

Warum der 125. Jahresband von Der Unfallchirurg statt 2019 im Jahr 2022?

Die Monatsschrift für Unfallheilkunde hatte nach Gründung 1894, zu deren Mitarbeit sich 81 Ärzte in einer anhängenden Liste seinerzeit bekannten [2], bereits im Jahr 2019 als heutige Fachzeitschrift der DGU 125 Jahre Bestand. Doch durch die Wirren und schwerwiegenden Folgen des Zweiten Weltkriegs kam der Druck 1944 im 51. Jahrgang der Zeitschrift zum Erliegen, um erst 1949 mit dem 52. Jahrgang wieder neu zu erscheinen. Deshalb feiern wir mit dieser Januar-Ausgabe 2022 den Beginn des 125. Bandes. Hätte die Abtheilung für Unfallheilkunde in der GDNÄ mehr als nur 6 Jahre (1894–1900) bestanden oder wäre aus ihr in eine eigenständige Gesellschaft übergegangen, so hätte auch die DGU im Jahr 2019 bereits 125 Jahre Bestand feiern können.

2022 – Jahr der Jubiläen chirurgisch-medizinischer Gesellschaften

Es feiert 2022 die GDNÄ, die im September 1822 in Leipzig gegründet worden war, ihr 200-jähriges Bestehen an ihrem Gründungsort. Die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (DGCH) erinnert 2022 an 150 Jahre DGCH, nachdem sie 1872 aus der GDNÄ hervorgegangen war. Auch die 1922 gegründete Deutsche Gesellschaft für Unfallheilkunde sah ihre Wurzeln in der DGNÄ, der ältesten und größten interdisziplinären Wissenschaftsvereinigung Deutschlands, war sie doch in ihr 1894–1900 als Abtheilung für Unfallheilkunde vertreten. Deshalb war es auch nicht von ungefähr, dass sich die DGU anlässlich der GDNÄ-100-Jahr-Feier in Leipzig am 23.09.1922 ebendort konstituierte.

Bei Betrachtung der gemeinsamen Geschichte von DGU und ihrer Fachzeitschrift gab es einerseits in 100 Jahren drei Änderungen des Namens der DGU mit insgesamt fünf erkennbaren Entwicklungsstadien einer sich findenden Gesellschaft in über 125 Jahren sowie andererseits immerhin neun begleitende Häutungen des Namens ihrer Fachzeitschrift.

Drei Namen der DGU: 1922–1958–1991

1. Name.

Die zur Gründung im Auditorium maximum der Universität zu Leipzig am 23.09.1922 ausgerufene wissenschaftliche Gesellschaft sollte nach dem Einladungsschreiben [6] den Namen Deutsche Gesellschaft für Unfallheilkunde und Versicherungsmedizin erhalten. Nach Diskussion in der Gründungssitzung einigte man sich jedoch auf diesen, ihren ersten Namen: Deutsche Gesellschaft für Unfallheilkunde, Versicherungs- und Versorgungsmedizin [7].

2. Name.

Da in den 1950er-Jahren immer mehr verletzte Menschen im Straßenverkehr in den Fokus unfallchirurgischer Behandlung rückten, erhielt die DGU 1958 ihren erweiterten Namen auf: Deutsche Gesellschaft für Unfallheilkunde, Versicherungs‑, Versorgungs- und Verkehrsmedizin.

3. Name.

Nach der Wiedervereinigung Deutschlands 1990 wurden 1991 alle Zusätze zur Unfallheilkunde wie ein abgetragenes Kleid ablegt und im dritten Namen nur das präzisiert, was den chirurgischen Kern der Gesellschaft betrifft, nämlich: Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie.

Fünf Stadien von der „Abtheilung für Unfallheilkunde“ zur DGU

Die DGU durchlief in ihrer 100-jährigen Geschichte inhaltlich, politisch und personell vier zeitlich abgrenzbare Phasen. Rechnet man ihre Vorphase als Abtheilung für Unfallheilkunde innerhalb der GDNÄ einer sich suchenden Gesellschaft als Stadium nascendi hinzu, so ist analog ihrer Fachzeitschrift eine über 125-jährige Entwicklung zu analysieren.

1. Stadium nascendi (1894–1921) der DGU

Treibende Kraft und Nestor zur Gründung der Abtheilung Unfallheilkunde innerhalb der GDNÄ als auch der Monatsschrift für Unfallheilkunde im Jahr 1894 war Dr. Carl Thiem, der in Cottbus tagtäglich komplizierte Knochenbrüche der Textilindustriearbeiter behandeln musste. Aktive Gründungsmitglieder der Abtheilung Unfall‑, Heil- und Gesetzeskunde, wie sie originär hieß, waren Albert Hoffa und Constantin Kaufmann [3].

Groß war die Enttäuschung, als im Herbst 1900 bereits nach sechs Jahren die seit 1894 bestehende Abtheilung für Unfallheilkunde u. a. mit der Begründung „…daß man die Berechtigung der Unfallheilkunde als Specialität überhaupt verneine, weil sie kein Eintheilungsprinzip für sich hat …“. aufgelöst wurde [11].

Albert Hoffa gründete daraufhin 1901 die Deutsche Gesellschaft für Orthopädische Chirurgie. Andere Mitglieder der aufgelösten Gruppe initiierten internationale medizinische Unfallkongresse wie den ersten mit 300 Teilnehmern in Lüttich 1905, den zweiten 1909 in Rom, den dritten 1912 in Düsseldorf. Carl Thiem als Präsident und Hans Liniger (1863–1933) als dessen Kongresssekretär waren sehr erfolgreich, was Thiem den Namen Vater der Unfallchirurgie in Deutschland einbrachte, was später für Lorenz Böhler (1885–1973) in Österreich galt.

Carl Thiem war von 1894 bis zu seinem Ableben 1917 Herausgeber der Monatsschrift Unfallheilkunde, die seit den 1930er-Jahren als die Fachzeitschrift der DGU gilt.

2. Stadium crescendi (1922–1949) der DGU

Fünf Jahre nach Thiems Tod rief sein früherer Oberarzt Dr. Walther Kühne (1877–1939) aus Cottbus in der Monatsschrift für Unfallheilkunde im Februar 1922, die er in der Nachfolge seines Mentors Thiem herausgab, zur Gründung einer Deutschen Gesellschaft für Unfallkunde auf [6]. Spiritus rector zur Gründung am 23.09.1922 war Prof. Dr. Hans Liniger aus Frankfurt a. M., Thiems Kongresssekretär zehn Jahre zuvor in Düsseldorf. Leiter des wissenschaftlichen Programms im Auditorium maximum der Universität Leipzig war Dr. Walther Kühne und örtlicher Organisator Dr. Hans Isidor Bettmann. Hans Liniger wurde zum Ersten Vorsitzenden (Präsident) gewählt, der Geh. San.-Rat Prof. Dr. Schütz aus Berlin zum 2. Vorsitzenden, Oberarzt Dr. Kühne zum 1. Schriftführer (heute Generalsekretär) und Dr. Bettmann aus Leipzig zum 2. Schrift- und Kassenführer (heute Schatzmeister). Hans Isidor Bettmann war einer der 13 Gründungsmitglieder jüdischer Herkunft von insgesamt 113 Teilnehmern des Unfallkongresses mit anschließender Gründung. Unter den Teilnehmern dieser Tagung waren namhafte Chirurgen wie Prof. Erich Freiherr von Redwitz (1883–1964) aus München, bekannte Orthopäden wie Prof. Hans Ritter von Baeyer (1875–1941), Ordinarius in Heidelberg, und Dr. Alfred Schanz (1868–1931) aus Dresden. Aber auch die Teilnahme von Internisten, Nerven- und Augenärzten, Radiologen, Gerichts- und Versicherungsmedizinern war bemerkenswert. Von zahlreichen Gästen aus der Schweiz, Österreich und den Niederlanden wurden Dr. van Eden († 1933) aus Amsterdam, Prof. Wittek aus Graz († 1956), Dr. Pometta aus Luzern († 1949) und Dr. Zollinger († 1950) aus Aarau bereits bei Gründung zu korrespondierenden Mitgliedern ernannt. Dies spiegelte die Offenheit und Interdisziplinarität einer neu gegründeten Gesellschaft mit länderübergreifendem Interesse an ihr. Auch der Verband der deutschen Berufsgenossenschaften war durch seinen Syndikus Dr. Roewer vertreten [7].

Die zweite Tagung der DGU sollte am 06.10.1923 in Frankfurt a. M. stattfinden, musste aber wegen der verhängten Reisesperre ins Rheinland aufgrund politischer Unruhen sowie hochgradiger Teuerung der Lebenskosten als Nachwehen des Ersten Weltkriegs abgesagt werden. Bis zur 5. Tagung in Berlin 1929 fand diese unter dem Vorsitz von Hans Liniger statt [8].

Zur 6. Jahrestagung in Breslau 1930 gab es erstmals mit Dr. Paul Jottkowitz (1868–1936) einen neuen Vorsitzenden, der nicht nur Gründungsmitglied der DGU, sondern auch jüdischer Herkunft war. Bei aufkeimenden Repressalien durch die Nationalsozialisten sollte er nur drei weitere Jahre in der DGU [10] verbleiben, was große Schatten politischer Umwälzungen vorauswarf. 1931 traf sich die Gesellschaft im Rahmen des 6. Internationalen Unfallkongresses in Genf. Ab 1932 luden die jährlich wechselnden Vorsitzenden zur Jahresversammlung an ihre berufliche Wirkungsstätte ein, so Georg Magnus (1883–1942) zur 7. Jahrestagung nach Bochum, wo er seit 1925 dem „Bergmannsheil“ vorstand.

Ähnlich wie in der DGCH, in der von neun Präsidenten in den Jahren des Nationalsozialismus (1933–1945) immerhin drei (Borchard, Fromme, Nordmann) nicht der Nationalsozialistischen Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) angehörten [12], waren in der DGU von sieben Ersten Vorsitzenden drei (Borchard, König, zur Verth), die ohne NSDAP-Mitgliedschaft von ihren Mitgliedern gewählt wurden.

3. Stadium maturandi (1950–1967) nach Wiedergründung der DGU

Die besatzungsrechtliche Unterbindung der Tätigkeit aller, auch wissenschaftlicher Gesellschaften, erforderte nach dem 2. Weltkrieg die Neugründung der DGU. Die Initiative hierzu ergriffen Bürkle de la Camp (1895–1974), Walther Schwarz (1891–1971), Wilhelm Fischer (1892–1969), der letzte Vorkriegspräsident aus Kiel, sowie Paul Hörnig (†1953) aus Berlin [8]. So kam es im Sommer 1950 zur Neugründung der DGU. Bürkle de la Camp lud als Vorsitzender zur ersten Nachkriegs- und 14. Jahrestagung am 20.10.1950 nach Bochum ein. Walther Schwarz war zum Generalsekretär für die Jahre 1950–1952, Paul Hörnig, bereits 1933–1945 Schatzmeister, war erneut für die Jahre 1950–1953 für dieses Amt gewählt worden. Da Geldmittel, Dokumente und Mitgliederlisten kriegsbedingt verloren gegangen waren, half die Bergbau-Berufsgenossenschaft mit einem Darlehen aus. Mitgliederlisten wurden aus Fragmenten, nach dem Gedächtnis und später durch antiquarisch erworbene Fachzeitschriften rekonstruiert und ergänzt [9].

In der neu gegründeten DGU wurden trotz aller Versuche der Entnazifizierung 1950–1967 immerhin 11 von 18 Ersten Vorsitzende gewählt, deren Namen sich im harmlosesten Fall als NSDAP-Mitglied bei Klee [5] im Buch: Das Personenlexikon zum Dritten Reich finden lässt.

Der letzte in dieser Reihe der elf belasteten Nachkriegsvorsitzenden war der Gerichtsmediziner Herbert Elbel (1907–1986), der 1967 zur 31. DGU-Jahrestagung nach Berlin einlud. Er war Mitbegründer des NS-Studentenbundes bereits 1928 in Innsbruck, ab 1932 NSDAP-Mitglied, später auch der SS. Mit ihm endet die Serie der elf politisch-belasteten Vorsitzenden. Inwieweit die Zeit oder die 1968er-Bewegung eine kritischere Wahl der Präsidenten bedingte, bleibt offen. Durch die stringenteren Entnazifizierungsprozesse führender Chirurgen in der DDR findet sich bei Klee [5] nur der Name von Nicolai Guleke (1878–1958), der – obwohl NSDAP- und förderndes SS-Mitglied – als Ordinarius für Chirurgie in Jena bis zu seiner Emeritierung 1951 im Amt blieb [14].

4. Stadium operandi (1968–1989)

Nachdem bereits 1890 die unfallchirurgischen Entwicklungen in Deutschland mit dem weltweit ersten Unfallkrankenhaus in Bochum, dem „Bergmannsheil“, gegeben waren, leitete die Etablierung des Teilgebiets Unfallchirurgie im Fach Chirurgie durch den Deutschen Ärztetag 1968 das Stadium eines äußerst erfolgreichen Handelns der Unfallchirurgie ein. 1970 begann mit Einrichtung eines ersten unfallchirurgischen Lehrstuhls in Hannover (Prof. Harald Tscherne) die universitäre Ausrichtung der Unfallchirurgie als komplementäres Gegengewicht zur bisherigen Prävalenz berufsgenossenschaftlicher Krankenhäuser.

Dies beschleunigte bei aufblühender Wirtschaft nach dem 2. Weltkrieg alle wesentlichen Neuerungen in der luft- und bodengebundenen Unfallrettung mit Einrichtung interdisziplinär vorbereiteter Schockräume und Etablierung zielgerichteter Behandlungsalgorithmen in der Schwerstverletztenversorgung. Wissenschaftliche Studien zur Knochenbruchbehandlung in der Arbeitsgemeinschaft für Osteosynthesefragen (AO) führten zu definierten Operationsverfahren. Die universitäre Entwicklung der Unfallchirurgie zeigte eine rasch folgende Einrichtung von 33, später gesamtdeutsch von 40 Lehrstühlen für Unfallchirurgie an allen medizinischen Fakultäten Deutschlands.

Den Höhepunkt dieses Stadiums kennzeichnet der November 1989 mit dem überraschenden Zusammenfinden Tausender westdeutscher und mehr als 300 ostdeutscher Unfallchirurgen und Unfallchirurginnen kurz nach dem Mauerfall zur 53. Jahrestagung der DGU in den Tagen vom 22. bis 25.11.1989. Erst danach wurde vielen westdeutschen Unfallchirurgen bewusst, dass es bereits 1969 in Rostock einen Lehrstuhl für Traumatologie gab, der seinerzeit mit Helmut Brückner (1919–1988) besetzt worden war. Auch, dass in Leipzig die universitäre Traumatologie bereits ab September 1984 von einer Unfallchirurgin, Frau Prof. Helmtraut Arzinger-Jonasch (1935–2007), geleitet wurde.

5. Stadium messem facendi (1990–2022) – Zeit der Ernte

Nach der Wiedervereinigung Deutschlands am 03.10.1990 und nach Auflösung der „Sektion Traumatologie“, verbunden mit dem Eintritt von mehr als 200 Sektionsmitgliedern der ehemaligen DDR, beschließt die DGU im November 1990 in ihrer Mitgliederversammlung, fortan ab 1991 mit Fokus auf ihre Kernkompetenz, nur noch den Namen Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie zu tragen.

1993 wird ein TraumaRegister DGU® bundesweit etabliert, das Aussagen zur Qualität unfallchirurgischer Versorgung in Deutschland erlaubt. 1997 werden die ersten Leitlinien der DGU veröffentlicht.

2004 wird die Akademie der Unfallchirurgie (AUC) als Wirtschaftsbetrieb der DGU an der Schnittstelle von klinischer Medizin, Gesundheitsforschung und Management gegründet, die jungen Mitgliedern Fort- und Weiterbildungsprogramme anbietet wie: Advanced Trauma Life Support (ATLS), Definitive Surgical Trauma Care (DSTC), Prehospital Trauma Life Support (PTLS), Terror and Desaster Surgical Care (TDSC).

Die seit 2005 gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie (DGOOC) veranstaltete DGU-Tagung firmiert seit 2006 als Deutscher Kongress für Orthopädie und Unfallchirurgie (DKOU) und wird mit über 10.000 Teilnehmern die größte wissenschaftliche Tagung Europas.

2006 gibt die DGU das erste Weißbuch Schwerverletztenversorgung heraus, heute bereits in 3. Fassung.

2008 folgt das bundesweite, teils länderübergreifende zertifizierte TraumaNetzwerk DGU® mit definierten überregionalen, regionalen und lokalen Traumazentren, teils verbunden über ein Telekooperations-TKmed®–System. 2008 markiert auch für die DGU die bereits fünf Jahre zuvor entstandene Konvergenz von Orthopädie und Unfallchirurgie (O&U), nachdem 2003 durch die Bundesärztekammer der neue Facharzt für O&U eingeführt wurde. 2008 gipfelt die Konvergenz auch der wissenschaftlichen Gesellschaften von DGOOC und DGU, die zusammen die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) gründen.

2012 erscheint die Erstedition einer S3-Leitlinie Polytrauma/Schwerverletzten-Behandlung, aktuell in 3. Novellierung [1].

2013 wird neben vielen aktiven Sektionen und Arbeitsgemeinschaften (AG) die AG Einsatz‑, Katastrophen- und Taktische Chirurgie (EKTC) etabliert, die das Wissen der Militärchirurgie unserer Bundeswehr mit dem „Know-how“ innerhalb der inzwischen über 700 Traumazentren in Deutschland miteinander verknüpft. Im selben Jahr beginnt Jürgen Probst (1926–2016) mit der Aufarbeitung des Umgangs der DGU mit ihren früheren jüdischen Mitgliedern [10].

2014 entsteht das erste zertifizierte AltersTraumaZentrum DGU ®.

2017 werden als sichtbares Zeichen vor dem Eingang der Universitätsklinik in Leipzig, dem Gründungsort der DGU, 36 Stolpersteine und 2 Stolperschwellen zur Erinnerung an deren jüdische Mitglieder verlegt. Im Garten des Langenbeck-Virchow-Hauses in Berlin wird auf Initiative der DGU-Senatoren ein Stein des Gedenkens errichtet, mit dem alle zehn chirurgischen Fachgesellschaften an ihre früheren jüdischen Mitglieder erinnern.

Im Jahr 2022 werden in einer Festschrift [14] die Sternstunden der DGU beschrieben, die in 100 Jahren nur „durch gemeinsame Arbeit“, wie sie Walther Kühne seinerzeit so vehement eingefordert hatte, möglich wurden.

Zehn Häutungen des Namens der Monatsschrift für Unfallheilkunde

1. Name.

1884 erhielt die DGU-Fachzeitschrift von ihren drei Gründern und initialen Herausgebern Dr. Heinrich BlasiusFootnote 1, San.-Rat. Dr. G. SchützFootnote 2 und Dr. Carl ThiemFootnote 3 ihren initialen Namen: Monatsschrift für Unfallheilkunde mit besonderer Berücksichtigung der Mechanotherapie. Diesen Namen trug sie zwölf Jahre.

2. Name.

Dieser wurde 1896 um den Topos Begutachtung erweitert als Monatsschrift für Unfallheilkunde mit besonderer Berücksichtigung der Mechanotherapie und der Begutachtung Unfallverletzter.

3. Name.

1899 erfuhr er eine neuerliche Erweiterung zur „Invalidität“ als Monatsschrift für Unfallheilkunde mit besonderer Berücksichtigung der Mechanotherapie und der Begutachtung Unfallverletzter und Invalider.

4. Name.

Diesen gab 1900 Carl Thiem als jetzt alleiniger Herausgeber mit Akzentuierung des Invalidenwesens: Monatsschrift für Unfallheilkunde und Invalidenwesen mit besonderer Berücksichtigung der Mechanotherapie und der Begutachtung Unfallverletzter und Invalider.

5. Name.

Er folgte 1902 mit dem Aspekt berufsbedingt Kranker als Monatsschrift für Unfallheilkunde und Invalidenwesen mit besonderer Berücksichtigung der Mechanotherapie und der Begutachtung Unfallverletzter, Invalider und Kranker.

6. Name.

Nach dem plötzlichen Ableben von Carl Thiem am 07.09.1917 hatte sein Schüler, Oberarzt Dr. Walther Kühne, die Herausgabe der Zeitschrift unverzüglich übernommen und gab ihr respektvoll erst fünf Jahre später im Januar 1922 den verkürzten Namen: Monatsschrift für Unfallheilkunde und Versicherungsmedizin. Er übergab 1927 die Herausgeberschaft an Max zur Verth, der 1933–1939 auch Generalsekretär der DGU war und die Monatsschrift bis 1944 editierte. Durch den 2. Weltkrieg bedingt, wurde erst 1949 der 52. Jahrgang wieder aufgenommen, die Zeitschrift bis 1960 von Arthur Hübner herausgegeben. 1961 übernahm Bürkle de la Camp die Herausgabe der Monatsschrift für Unfallheilkunde und Versicherungsmedizin, die diesen Namen immerhin 40 Jahre lang von 1922 bis 1962 trug.

7. Name.

Diesen erhielt sie 1963 in Analogie zur 1958 initiierten Namenserweiterung der DGU als Monatsschrift für Unfallheilkunde, Versicherungs‑, Versorgungs- und Verkehrsmedizin, den sie 12 Jahre tragen sollte.

8. Name.

Endlich wurde dieser 1975 auf das Wesentliche reduziert, nämlich auf: Monatsschrift für Unfallheilkunde. Bereits 1972 hatte Bürkle de la Camp den Orthopäden A. N. Witt als Co-Editor hinzugenommen. Ab 1974 wurde die Zahl der HerausgeberFootnote 4 stetig erweitert. Verknüpft mit der Einführung des Teilgebiets Unfallchirurgie im Fach Chirurgie 1968 wuchs die Zahl unfallchirurgischer Experten und Herausgeber sichtbar.

9. Name.

1976–1984 titelt die Fachzeitschrift mit Unfallheilkunde/Traumatology, um der Fachzeitschrift vermutlich eine zusätzliche internationale Bedeutung zu geben.

10. Name.

Erst mit Der Unfallchirurg, der 1985 geprägt wurde, titelt die Zeitschrift seit nunmehr 36 Jahren, als sei dieser Name wie die Zehn Gebote in Stein gemeißelt und auf ewig männlich.

Warum ist eine 10. Häutung der Fachzeitschrift nötig?

Die Unfallchirurgie hat sich selbst in den letzten 50 Jahren gehäutet und repräsentiert im U der DGOU den unfallchirurgischen Nukleus, nachdem sich 2003 im Fach Orthopädie und Unfallchirurgie als auch 2008 im Vereinsverband DGOU Orthopäden und Unfallchirurgen nach über 100-jähriger Trennung wiederfanden und gemeinsam unter dem Dach der DGCH stehen. In der Entwicklung der Unfallchirurgie zeigt sich aber auch, dass in den 1980er-Jahren Frauen in der Ausbildung zur Unfallchirurgin noch die Ausnahmen waren. Dagegen weist die Jahresstatistik der Bundesärztekammer im Jahr 2020 [4] immerhin 12.186 Fachärzte und Fachärztinnen für Orthopädie und Unfallchirurgie aus, wovon im ambulanten Bereich 15,4 %, im stationären Bereich 19,9 % Frauen tätig sind. Im WS 2019/2020 betrug von 98.736 Studierenden der Humanmedizin der Frauenanteil 61.700, was 62,5 % Medizinstudentinnen entspricht [13].

Am Tag für Studierende während des jährlichen DKOU im Herbst, in der Summerschool der DGOU und in Nachwuchskongressen wie „Hammerexamen und Karriere“ wird für das großartige Fach Orthopädie und Unfallchirurgie geworben, wobei zu fast einem Drittel mehr Frauen als Männer angesprochen werden.

Die erstmalige Berufung einer Frau im Jahr 2020 auf den Lehrstuhl für Unfallchirurgie in Tübingen mit Tina Histing – nach bereits 50 Jahren universitärer Unfallchirurgie in Deutschland – ging als wegweisendes Novum im Schatten der COVID-19-Pandemie völlig unter.

Deshalb sollte nach Meinung des Autors die Fachzeitschrift der Unfallchirurgie im Jahr der Jubiläen – 100 Jahre DGU, 150 Jahre DGCH, 200 Jahre GDNÄ – mit ihrem 125. Band ihre zehnte Häutung für einen letzten und dauerhaften Namen erfahren. Um die gut 125-jährige Metamorphose abzuschließen, könnten die Herausgeber in Abstimmung mit den Verantwortlichen des Verlages den Namen der Fachzeitschrift erweitern um Der Unfallchirurg – Die Unfallchirurgin. So könnte jeder Band prima vista zeigen, wer tagtäglich und rund um die Uhr die unfallchirurgische Patientenversorgung sicherstellt, sich in der Lehre engagiert und auch in klinischer und experimenteller Forschung tätig ist.

Erstmalige Berufung einer Frau auf einen Lehrstuhl für Unfallchirurgie im Jahr 2020 wegweisend

So wie die Erstausgabe der Monatsschrift für Unfallheilkunde im Januar 1894 mit dem fettgedruckten Titel Was wir wollen! klar signalisierte, wohin unsere Altvorderen der Unfallheilkunde wollten, so könnte heute die Erstausausgabe des 125. Bandes im Jahr 2022 mit einem neuen Titel signalisieren, wer die „gemeinsame Arbeit“ leistet, die Walther Kühne 1922 so vehement eingefordert hatte [7]. Im Rahmen der vom Autor dieses Beitrags erhofften, namentlichen letzten Häutung der Zeitschrift könnte auch im Literaturverzeichnis die Autorenschaft durch den ausgeschriebenen Vornamen (Rufnamen) besser erkennbar werden, ob das bisherige Kürzel einem Autor oder einer Autorin entspricht. Es könnte auch an der Zeit sein, dass nach über 125 Jahren im Editorial nicht nur Männernamen stehen, sondern erstmals auch der einer Frau zu lesen wäre.

Hätte die Abtheilung für Unfallheilkunde der DGNÄ eine Chance auf Kontinuität und Verselbstständigung in ihr gehabt, würde die DGU auf eine bereits über 125-jährige Tradition zurückblicken, und die Gründung der DGOC 1901 wäre vielleicht nicht notwendig geworden. Umso erfreulicher ist es heute im Jahr 2022, dass originäre „Unfallchirurgen“ und „Orthopäden“ nach über 100 Jahren getrennter Wegen wieder zusammenfanden. Heute sind zehn operative Gesellschaften unter einem 150-jährigen Dach der Chirurgie vereint und sehen ihre wissenschaftlichen Wurzeln in der 200-jährigen GDNÄ.

Fazit

Von dem, was unsere Altvorderen seinerzeit forderten, ist sehr vieles erreicht worden. Die Unfallchirurgie in Deutschland hat 2022 mit einem Traumaregister, dem Weißbuch 3.0, einer S3-Leitlinie zur Schwerverletztenversorgung und einem deutschlandweiten, teils länderübergreifenden zertifizierten TraumaNetzwerk DGU® eine stattliche Bilanz vorzuweisen. Dies spiegelt sich insbesondere in einer Abnahme der Polytraumasterblichkeit von etwa 40 % noch vor 50 Jahren auf heute nahezu 10 %. Sowie Walther Kühne im Herbst 1922 nach erfolgreicher Gründung der Deutschen Gesellschaft für Unfallheilkunde und Versicherungsmedizin am 23.09.1922 in Leipzig in einem von ihm herausgegebenen Sonderheft schrieb: „Die Zeit erfordert gebieterisch gemeinsame Arbeit“ [7], so könnte es 100 Jahre später, um die in 100 Jahren erzielten Standards in der Rundumversorgung Unfallverletzter auch künftig aufrechterhalten zu können und mit Innovationen in Lehre und Forschung nicht nachzulassen, heißen:

Jeder Unfallchirurg wäre töricht, wenn er nicht die Kraft jeder Unfallchirurgin sähe, um gemeinsam Großes zu entwickeln.