Ähnlich wie in der Industrie verläuft medizinische Entwicklung im Allgemeinen und in der Unfallchirurgie im Besonderen nicht kontinuierlich, sondern in Schüben, getriggert und getragen von Schlüsselentwicklungen. Solche Schlüsselentwicklungen waren in der Vergangenheit z. B. die Entwicklung von operativen Osteosyntheseverfahren, minimalinvasiven Stabilisierungstechniken und Neuerungen in der intraoperativen Bildgebung. All diese Entwicklungen hatten richtungweisende Einflüsse auf unsere Versorgungskonzepte.

3D-Druck (Synonyme „rapid prototyping“ oder „additive Fertigung“) spielt in der Industrie seit vielen Jahren eine große und zunehmende Rolle, findet bereits intensive und regelhafte Anwendung in der Zahnmedizin- und Kieferchirurgie [9] und wird auch in der muskuloskeletalen Chirurgie des Bewegungsapparates immer interessanter [2, 4,5,6,7, 10,11,12,13,14,15].

In der Unfallchirurgie ist das Potenzial für Anwendungen patientenspezifischer 3D-Druck-Konstrukte enorm. Diese besondere Form der individualisierten Medizin kann weite Bereiche der muskuloskeletalen Chirurgie mit Lösungen bereichern, die bislang nicht vorstellbar oder umsetzbar waren. Dabei können unterschiedliche Anwendungsformen unterschieden werden.

Die einfachste Form der 3D-Druck-Anwendungen besteht in der Herstellung von Frakturmodellen zum Anschauen und Anfassen („Begreifen“) für Patienten und Angehörige und/oder das chirurgische Team. Diese Anwendungsmöglichkeiten bestehen seit Jahren; an vielen nordamerikanischen Kliniken gehört das schon seit Langem zum Standardservice von Radiologieabteilungen. Das Vorbereiten (Vorbiegen) von Implantaten anhand dieser Modelle ist eine weitere Möglichkeit, die schon seit Langem wahrgenommen wird.

3D-Druck-Technologie kann aber viel mehr als das, und zwar bei der Herstellung von patientenspezifischen individualisierten Werkzeugen, die intraoperativ als Bohr- oder Schnitthilfen benutzt werden können. Hierbei handelt es sich um eine besondere Art der Instrumentenführung oder Navigation; wir sprechen von Template-gestützter Navigation. Das kann extrem hilfreich sein, bei komplexen z. B. extra- und intraartikulären Korrektureingriffen, da die Osteotomien nicht nur dreidimensional auf dem Bildschirm geplant werden können (das kann man schon seit Längerem). Der besondere Wert besteht in der kontrollierten Umsetzung durch die Template-gestützte Navigation, ggf. zunächst am Modell und später am Patienten. Die Template-gestützte Navigation erlaubt nicht nur das hochpräzise Bohren und Sägen, sondern auch eine präzise Kontrolle der Reposition und schließlich auch der Fixierung.

Im vorliegenden Leitthema wird eine interessante neue Variante von Liodakis et al. dargestellt, und zwar eine 3D-Print-Anwendung im Rahmen der „damage control“, wo mithilfe von 3D-geplanten Repositionsfixateuren deren Bohrungen so geplant sind, dass sie bei einem Überstülpen und einer Fixierung der Teilkomponenten automatisch zu einer achsengerechten Reposition führen können [8].

C. Fang aus Hongkong zeigt in einem spannenden Übersichtsartikel, wie die komplexe Anatomie, die Besonderheiten des Weichteilmantels und die begrenzten Zugangswege sowie die engen topografischen Beziehungen zu neuralen, vaskulären und viszeralen Strukturen dafür sorgen, dass die 3D-Druck-Technologie an Becken und Acetabulum besonders hilfreich sein kann [3].

Ich bin überzeugt, dass 3D-Druck-Technologie („3D print [3DP] technology“) auch die Unfallchirurgie in den nächsten Jahren intensiv und nachhaltig beeinflussen wird. Die Literatur zu diesem Thema wächst, der Anteil aus dem deutschsprachigen Raum ist allerdings sehr gering und auf wenige Zentren beschränkt.

3D-Druck(3DP)-Technologie wird auch die unfallchirurgische Weiterbildung beeinflussen, denn die Planungswerkzeuge gehören in die Hand des Chirurgen und erfordern (berufs-)lebenslanges Lernen und Weiterbildung. Ich erinnere mich gut, dass meine chirurgischen Lehrer sich mit Computeranwendungen wie die Standard Office Software (Word, PowerPoint, Excel oder Outlook) nicht mehr belasten wollten und diese Dinge von anderen, der nachfolgenden Generation, hatten erledigen lassen. Heute ist diese Generation in leitenden Positionen, und es ist absehbar, dass die digitalen Anforderungen an den muskuloskeletalen Chirurgen weiter rasant wachsen. In Zukunft wird der chirurgische Umgang mit 3D-Analyse und Planungssoftware ebenso normal werden, wie es Textverarbeitung und E‑mails heute für uns sind. Bedauerlicherweise wird es wie damals viele geben, die diesen Sprung nicht schaffen werden. Im Artikel von N. Bruns wird nicht nur auf die notwendigen Voraussetzungen im Bereich der Bildgebung und hilfreiche Computersoftware-Anwendungen im Detail eingegangen, sondern auch auf die wichtigsten Druckverfahren, geeignete Materialien und die Einhaltung der medikolegalen Voraussetzungen [1].

Denn es ist Ziel des vorliegenden Leitthemas, einen Teil der faszinierenden neuen Möglichkeiten konkret aufzuzeigen, Motivation zur Auseinandersetzung mit dem Thema zu generieren, die wenige vorhandene Literatur zusammenzutragen und in komprimierter Form darzustellen und trotz in der Regel sehr niedrigem Evidenzgrad zu bewerten. Weitere Leitthemen speziell zum Thema 3D-Druck sind in Planung.

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Prof. Dr. Christian Krettek, FRACS, FRCSEd