Der erste positive Fall einer Infektion mit dem „severe acute respiratory syndrome coronavirus type 2“ (SARS-CoV-2) wurde in Deutschland am 27.01.2020 registriert, in Österreich fast einen Monat später am 25.02.2020. Seither hat sich fast alles verändert. Neben der Einschränkung unseres Privatlebens durch Lockdowns und andere Maßnahmen hat sich auch unser beruflicher Alltag massiv gewandelt. Und obwohl wir (insbesondere auch durch den starken Rückgang von Infektionskrankheiten) seit einem Jahr viel weniger kranke Kinder sehen als zuvor, leiden wir keinesfalls an Arbeitsmangel. Organisatorische Aufgaben, Videokonferenzen, Telekonsile, Umsetzung von Präventivkonzepten etc. sind ins Zentrum unserer Alltagsarbeit gerückt und haben unser Tätigkeitsprofil erheblich verändert. Erst im Herbst/Winter 2020/2021 kamen wir dann im Rahmen der stark ansteigenden Inzidenz auch im Bereich der Pädiatrie vermehrt mit „Coronavirus-disease-2019“(COVID-19)-Fällen in Kontakt, zuletzt auch immer wieder mit der hyperinflammatorischen Verlaufsform „pediatric inflammatory multisystem syndrome“ (PIMS) bzw. „multisystem inflammatory syndrome in children“ (MIS-C).

Und während für die meisten anderen Erkrankungen in den letzten 12 Monaten kaum bahnbrechende Neuerungen wahrzunehmen waren (Ausnahme: Einführung der Therapie mit Onasemnogen abeparvovec [Zolgensma®] bei spinaler Muskelatrophie), gab es für COVID-19 eine unglaublich rasante Entwicklung der Wissensgewinnung. Binnen eines Jahres wurden über 100.000 neue Publikationen in die medizinisch-wissenschaftliche Datenbank PubMed [1] eingetragen, weitere unzählige Publikationen ohne vorausgehenden Review auf der Plattform medRxiv [2] hochgeladen. Es ist praktisch unmöglich, einen Gesamtüberblick über diese „Infodemie“ zu bewahren. Gleichzeitig führt die mediale Präsenz des Themas „Corona“ dazu, dass auch die breite Bevölkerung gut über COVID-19 informiert ist. Begriffe wie Inzidenz, Reproduktionszahl bzw. R‑Wert, mRNA, britische oder südafrikanische Mutation, Sensitivität, Spezifität und Sequenzierung gehören heute mehr oder weniger zum Allgemeinwissen der meisten Menschen.

Fundiertes Wissen über die „neue Krankheit“ COVID-19 ist für Kinderärzt*innen mehr und mehr wichtig

In dieser Situation ist es gerade für uns Kinderärzt*innen wichtig, über diese „neue Krankheit“ gut Bescheid zu wissen. Einerseits, um die relativ wenigen Fälle richtig zu diagnostizieren, aber auch um die richtigen therapeutischen und präventiven Maßnahmen zu setzen. Und schließlich auch, um Eltern kompetent Auskunft geben zu können. Wir haben uns daher entschlossen, kurzfristig ein COVID-19-Themenheft einzuschieben und hierin ausgewählte eingereichte Manuskripte zum Thema COVID-19 zusammenzufassen. Die ausgewählten Manuskripte bestehen aus Kasuistiken (je eine aus Deutschland und Österreich), einem Bericht zum „contact tracing“ und der Rolle der Kinder bei der Infektionsverbreitung, einer Beschreibung der Lockdown-Konsequenzen im niedergelassenen Bereich, einer Analyse der Auswirkungen auf den medizinischen Kinderschutz und schließlich einer Umfrage zu Nebenwirkungen des Maskentragens.

K. Färber et al. aus Rosenheim berichten über einen 10 Wochen alten Säugling, der mit Sepsisverdacht stationär aufgenommen wird. Die Laborwerte deuten eher auf eine virale Infektion, trotzdem wird dem Alter entsprechend eine antibiotische Therapie eingeleitet. Die Erregerdiagnostik ergibt keinen Hinweis auf eine bakterielle Infektion. Unter Volumensubstitution und Antipyrese bessert sich das Zustandsbild rasch, sodass der Säugling schon nach 3 Tagen entlassen werden kann. Erst Tage später gehen positive Befunde für SARS-CoV‑2 aus Rachenabstrich und Liquor ein, die keine weitere therapeutische Konsequenz haben. Die Autoren verweisen anlässlich ihrer Kasuistik darauf, dass i) bei sepsisartigem Zustandsbild im Säuglingsalter auch an COVID-19 gedacht werden muss, ii) die Inkubationszeit auch mehr als 10 Tage betragen kann, iii) eine Beteiligung des Zentralnervensystem (ZNS) möglich ist und der von ihnen beschriebene Fall die erste derartige Beobachtung in Deutschland darstellt.

S. Samueli et al. aus Wien beschreiben in ihrem Beitrag den Krankheitsverlauf eines 9‑jährigen Knaben mit PIMS. Es bestand seit einer Woche hohes Fieber mit fehlendem Ansprechen auf antibiotische Therapie; zusätzlich zeigten sich erythematöse Hautveränderungen, v. a. Palmar- und Plantarerythem. Unter der Annahme des Vorliegens eines Kawasaki-Syndroms erfolgte eine Therapie mit intravenösem Immunglobulin (IVIG) sowie Acetylsalicylsäure (ASS); diese wurde in weiterer Folge um Methylprednisolon erweitert. Trotzdem entwickelte das Kind im weiteren Verlauf eine kardiale Insuffizienz mit arterieller Hypotonie, sodass eine Katecholamingabe erforderlich wurde. Die Diagnose eines PIMS erfolgte schließlich durch den SARS-CoV-2-Antikörper-Nachweis. Der Patient konnte nach 17 Tagen entlassen werden und hatte einen zufriedenstellenden weiteren Verlauf. Die Autoren betonen, dass bei PIMS auch an eine kardiale Beteiligung gedacht sowie Herz- und Kreislaufsituation monitorisiert werden sollen.

U. Heudorf aus Frankfurt am Main berichtet über ein Projekt zum „contact tracing“ in Frankfurter Kitas und Schulen. Den Kontaktpersonen von dort aufgetretenen SARS-CoV-2-Fällen wurden im Auftrag des Gesundheitsamtes Nasen-Rachen-Abstriche entnommen, diese wurde mithilfe der Polymerase-Kettenreaktion (PCR) in 2 akkreditierten Instituten untersucht. Im Rahmen der Studie wurden zu 274 Indexfällen weitere 7915 Kontaktepersonen getestet. In Kitas waren 4,5 % der Erwachsenenkontaktpersonen und 2,5 % der Kinderkontaktpersonen positiv. Für Schüler*Innen betrug die Rate 0,9 % bei Erwachsenen und 2,5 % bei Kindern. Im Mittel wurde pro Indexfall deutlich weniger als eine Kontaktperson positiv getestet. Die Rate positiver Kontaktpersonen korrelierte mit der Gesamtinzidenz; größere Cluster traten im Beobachtungszeitraum nicht auf. Die Autorin schließt aus ihrer Studie, dass Kinder nicht die „Treiber“ der SARS-CoV-2-Infektion sind und fordert das Offenhalten von Kitas und Schulen.

K. Theiß et al. aus Homburg an der Saar beschreiben die Auswirkungen des Lockdowns während der ersten COVID-19-Welle auf 34 kinder- und jugendärztliche Praxen im Saarland. Die Autoren berichten, dass es während des Lockdowns in den Praxen zu einer Reduktion der Gesamtfallzahl um 37 % kam. Die Früherkennungsfallzahl nahm um 9,4 % ab, die Fallzahl der „spezialpädiatrischen“ fachärztlichen Versorgung um 35 %. Die Gesamtfallzahl blieb nach dem Lockdown um 17,1 % unter den Vergleichszahlen aus dem Jahr 2019. Als möglichen Grund dafür nennen die Autoren die allgemeine Reduktion von Infektionserkrankungen durch die COVID-19-Präventionsmaßnahmen. Im Bereich der Früherkennung (+9,4 %) sowie der spezialisierten fachärztlichen Versorgung (+7 %) zeigten sich „Aufholeffekte“, die die Autoren zumindest z. T. auf die Initiative der Kollegenschaft zurückführen. Sie bezeichnen dies als wichtigen Beitrag zur Minimierung von Kollateralschäden.

T. Heimann et al. aus Hamburg, Ulm und Luzern stellen in ihrem Beitrag die Frage, ob bzw. in welcher Form die COVID-19-Pandemie und damit assoziierte Lockdowns den Kinderschutz beeinträchtigen. Zu diesem Zweck haben sie die Kinderschutzfälle der Monate März und April 2020 (Lockdown) dem Vergleichszeitraum 2019 gegenübergestellt. Es wurden 365 kinderversorgende Kliniken und Ambulanzen eingeladen, sich an einem Online-Survey zu beteiligen; dieser Aufforderung folgten 159 Institutionen (46 %). Es zeigte sich, dass die Kinderschutzfälle während des Lockdowns im ambulanten Bereich um 15 % niedriger waren; bei den in Kinderschutzgruppen behandelten Fällen kam es zu einem Rückgang um 20 %. Die Autoren schließen nicht dezidiert aus, dass dies einem tatsächlichen Rückgang von Kindesmisshandlung und -missbrauch entspricht, halten dies aber für eher unwahrscheinlich. Die Ursache der niedrigeren Fallzahlen sehen sie eher in einem größeren „Dunkelfeld“, zu dem geschlossene Kitas und Schulen ebenso beitragen können wie eingeschränkte Handlungsfähigkeit der Kinder- und Jugendwohlfahrt, aber auch nur bedingte Erreichbarkeit medizinischer Institutionen. Sie fordern, dass gerade in einer Krise alle Möglichkeiten des Kinderschutzes ausgeschöpft werden müssen.

S. Schwarz et al. aus Witten/Herdecke, Mainz und Tübingen präsentieren Daten aus einem deutschlandweiten Register zur Mund-Nasen-Bedeckung („Maske“). Es handelt sich um eine Online-Erhebung [3], die sich an Eltern, Ärzt*innen, Pädagog*innen, aber auch andere Personen wendet. Bis Oktober 2020 haben dort 20.353 Personen (vorwiegend Eltern) teilgenommen. Es berichten 68 % der Teilnehmenden über die Beobachtung von Nebenwirkungen im Rahmen des Maskentragens, v. a. Gereiztheit (60 %), Kopfschmerzen (53 %), Konzentrationsschwierigkeiten (50 %), weniger Fröhlichkeit (49 %) u. a. Die Autoren konzedieren, dass die Ergebnisse durch bevorzugte Beteiligung maskenkritischer Personen verzerrt sein könnten. Sie betonen aber aufgrund des Symptomenspektrums und der Nutzungshäufigkeit des Surveys auch die Bedeutung der Thematik und fordern randomisierte kontrollierte Studien sowie sorgfältige Nutzen-Risiko-Abwägung bei der Verordnung von Maskenpflicht.

Die starke Polarisierung des Themas Schutzmaßnahmen verpflichtet zu sorgfältiger Nutzen-Schaden-Abwägung

Das Thema COVID-19 unterscheidet sich von anderen Erkrankungen dadurch, dass es vielfach sehr stark polarisiert. Dies wohl auch deshalb, weil viele der verordneten Maßnahmen auf keine ausreichende Evidenz verweisen können. Dies trifft v. a. auch auf Schulschließungen und Maskenpflicht [4, 5] zu, weshalb v. a. diese beiden Themen kontrovers und teilweise sogar militant diskutiert werden. Als Kinder- und Jugendärzt*innen ist es unsere Verpflichtung, eine sorgfältige Nutzen-Schaden-Abwägung vorzunehmen und diese auch den politischen Entscheidungsträger*innen nahezubringen.

Jedenfalls dürfte uns das „Coronavirus“ wohl noch länger (oder auf immer?) begleiten, und wir werden lernen (müssen), mit diesem Virus (und seinen Mutationen) zu leben. Ob wir damit tatsächlich eine „zweite Grippe“ bzw. eine „neue Influenza“ bekommen [6], wird die Zukunft weisen. Jedenfalls haben wir für 2022 schon ein weiteres COVID-19-Themenheft eingeplant …