Zusammenfassung
Unspezifische grippale Symptome wie Fieber, Gliederschmerzen und Kopfschmerzen kommen in der Hausarztpraxis und Notfallstation sehr häufig vor. Beim septischen Patienten mit positiver Reiseanamnese für wärmere Breitengrade muss die Differenzialdiagnose neben banalen viralen Erkrankungen auf seltenere Ursachen erweitert werden. Ein 27-jähriger Schweizer präsentierte sich mit oben genannten Symptomen nach einem Ferienaufenthalt in Südfrankreich. Nach rascher Zustandsverschlechterung mit Lungen‑, Leber- und Nierenbeteiligung musste der Patient intensivmedizinisch behandelt werden. Die klinisch vermutete Diagnose einer Leptospirose ließ sich im Verlauf serologisch bestätigen.
Abstract
Unspecific flu-like symptoms, such as fever, headache and limb pain are encountered very often by general practitioners and in emergency departments. In patients with sepsis and a history of travelling to warmer climates, the differential diagnosis needs to be broader than just commonly encountered viral infections. A 27-year-old Swiss man presented with the symptoms mentioned above after a holiday in the south of France. The pulmonary, hepatic and renal status rapidly deteriorated and the patient required intensive care. The initially suspected diagnosis of leptospirosis could be confirmed serologically during the course of the disease.
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Anamnese
Der bisher gesunde 27-jährige Patient stellte sich notfallmäßig mit Fieberschüben, Kopf- und Gliederschmerzen sowie generalisierten Myalgien vor, die 5 Tage zuvor während der Heimreise aus Südfrankreich begonnen hatten. Er hatte in einer ländlichen Unterkunft in Meeresnähe übernachtet und Kontakt mit Meerwasser, jedoch nicht mit Süßwasser gehabt. In der Umgebung wurden Hühner gehalten und es herrschte eine gewisse Unordentlichkeit. Anamnestisch bestand keine Medikation außer der aktuellen Einnahme von Paracetamol, Metamizol und Ibuprofen.
Klinischer Befund
Klinisch dokumentierbar waren Fieber (38,3 °C), Tachykardie (Puls 120/min) und initial eine suffiziente Oxygenierung unter Raumluft. Die körperliche Untersuchung ergab keinen Infektfokus, im Urin fanden sich aber eine Leukozyturie und Bakteriurie.
Laboruntersuchung
Im Laborbefund zeigten sich eine Bizytopenie mit mikrozytärer Anämie (11,5 g/dl, Norm >13,5 g/dl) und Thrombopenie (72.000 /μl, Norm >150.000 /μl) sowie eine Lymphopenie (230/μl, Norm >1100/μl). Es bestanden ein deutlicher Entzündungszustand (C-reaktives Protein 285 mg/l, Norm <5 mg/l; Prokalzitonin 2,82 ng/ml, Norm <0,1 ng/ml), eine eingeschränkte Nierenfunktion (Kreatinin 178 μmol/l, Norm <104 μmol/l), ein erhöhtes Bilirubin (33 μmol/l, Norm <21 μmol/l) und erhöhte Transaminasen (Aspartat-Aminotransferase 111 IU/l, Norm <40 IU/l; Alanin-Aminotransferase 63 IU/l, Norm <41 IU/l) bei normwertiger International Normalized Ratio.
Apparative Diagnostik
Nebenbefundlich suggerierten ST-Senkungen in den Ableitungen V3–V6 des Elektrokardiogramms eine kardiale Beteiligung, allerdings zeigten weder die kardialen Biomarker noch eine transthorakale Echokardiographie Hinweise auf eine Perimyokarditis. Konventionell radiologisch zeigte sich kein pulmonales Infiltrat, sonographisch konnte einzig eine leichte Hepatosplenomegalie festgestellt werden und computertomographisch wurden größere intrakranielle Störungen ausgeschlossen.
Verdachtsdiagnose
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Urosepsis
Therapie und weitere Diagnostik
Mit Verdacht auf eine Urosepsis erfolgte die stationäre parenterale Antibiotikatherapie mit Ceftriaxon. Bei progredienter respiratorischer Erschöpfung (Atemfrequenz 24 /min; paO2 7,7 kPa, Norm >10 kPa) und enzephalopathischen Symptomen (Konzentrationsschwierigkeiten, Somnolenz) erfolgte die Verlegung auf die Intensivstation. In der thorakalen Verlaufsröntgenuntersuchung zeigten sich zahlreiche kleinfleckige bipulmonale Verschattungen, was computertomographisch flächigen Konsolidierungen im Sinne von Infiltraten oder pulmonalen Hämorrhagien entsprach (Abb. 1 und 2).
Die Blut- und Urinkulturen zeigten kein bakterielles Wachstum, entsprechend wurde die Differenzialdiagnose erweitert (Tab. 1) und die antibiotische Therapie um Doxycyclin ergänzt. Die weiteren Abklärungen zeigten schließlich einen positiven serologischen Befund („enzyme-linked immunosorbent assay“ [ELISA]) für Leptospira-interrogans-Immunglobulin M (IgM), die Polymerase-Kettenreaktion (PCR) für Leptospiren war negativ. Zusammenfassend diagnostizierten wir eine ikterische Leptospirose mit Multiorganversagen. Ab dem vierten Hospitalisierungstag kam es zu einer raschen klinischen und laboranalytischen Besserung und der Patient konnte unter Therapie mit Doxycyclin nach Hause entlassen werden.
Diagnose
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Ikterische Leptospirose mit Multiorganversagen (M. Weil)
Verlauf
In den Verlaufskontrollen nach 2 Wochen und einem Monat zeigte sich nur eine grenzwertige Serokonversion des Leptospiren-Immunglobulin G bei weiterhin erhöhtem IgM (ELISA). Ein zusätzlich durchgeführter Mikroagglutinationstest (MAT) zeigte im Serum bei Erstvorstellung keine Antikörper für Leptospiren, jedoch 2 Wochen nach Hospitalisation einen deutlichen Titeranstieg auf 1:3200 für L. interrogans serovar Copenhageni. In den Nachkontrollen war der Patient beschwerdefrei, einzig eine leichte Anämie war noch nachweisbar. Die Antibiotikatherapie mit Doxycyclin wurde nach 7 Tagen beendet.
Diskussion
Erreger
Die Leptospirose ist eine global vorkommende Zoonose mit variierender Inzidenz (0,1–975/100.000 Patientenjahre) und geographischer Präferenz für wärmere Breitengrade [4]. Sie wird durch bakterielle Erreger verschiedener humanpathogener Spezies der Leptospiren verursacht (primär L. interrogans). L. interrogans wird in über 200 Serovare unterteilt, wobei in Europa vor allem die Serovare icterohaemorrhagiae und copenhageni vorkommen [8]. Leptospiren sind als Spirochäten geformte obligate Aerobier mit einem Wachstumsoptimum bei 28–30 °C, was die geographische Präferenz eines warmen Klimas erklärt [8].
Als Vektoren fungieren vor allem Nagetiere und Nutztiere
Die Übertragung erfolgt über Kontakt von Hautdefekten oder Schleimhäuten mit dem Urin kolonisierter Tiere. Seltener wurden Übertragungen durch Wasser, Mensch-zu-Mensch-Kontakt oder Tierbisse beobachtet [8]. Als Vektoren fungieren vor allem Nagetiere und Nutztiere. Entsprechend sind Risikopopulationen mit direktem oder indirektem Tierkontakt sowie ein Risiko durch Freizeitaktivitäten im Süßwasser beschrieben [8]. Übertragungen im Meerwasser wurden bisher nicht beschrieben, sodass bei unserem Patienten mit ländlicher Unterkunft eine Übertragung durch Nagetierexkremente naheliegend ist.
Klinik
Die Klinik der Leptospirose reicht vom asymptomatischen Fremdwirt bis zum Vollbild eines Morbus Weil mit Ikterus und Nierenversagen. Nach einer Inkubationszeit von 3 bis 30 Tagen [7] verläuft die Erkrankung biphasisch: Auf eine etwa 1‑wöchige septische Phase folgt eine Immunphase mit Entwicklung von Antikörpern und Beginn der Ausscheidung von Leptospiren im Urin. Die anikterische Leptospirose präsentiert sich mit einem febrilen Entzündungszustand, Kopfschmerzen begleitet von Meningismus, stammbetonten Myalgien oder Bauchschmerzen, weniger häufig auch mit makulösem Exanthem oder Petechien. Konjunktivale Suffusionen sind in mehr als der Hälfte der Fälle vorhanden, werden jedoch häufig übersehen [1].
In 5–10 % der Fälle verläuft die Erkrankung als ikterische Leptospirose mit raschem Progress zum Multiorganversagen (Morbus Weil), das pathophysiologisch im Rahmen einer überschießenden Immunreaktion mit Zytokinsturm interpretiert wird [10]. Neben einem Leberversagen manifestiert sich eine progrediente Niereninsuffizienz mit Polyurie durch verminderte Natriumreabsorption im proximalen Tubulus und Kalium-Wasting im distalen Tubulus, seltener kommt es auch zum anurischen Nierenversagen durch interstitielle Nephritis und akute Tubulusnekrose [2]. Thrombopenien und Gerinnungsstörungen bis hin zur disseminierten intravasalen Gerinnung kommen beim Morbus Weil fast obligat vor [1]. Beschrieben sind zudem assoziierte Perimyokarditiden und die gefürchtete pulmonale Beteiligung mit hoher Letalität aufgrund alveolärer Hämorrhagien oder eines „acute respiratory distress syndrome“ [9].
Diagnostik
Typische Laborkonstellationen sind erhöhte Entzündungsparameter, Anämie, Thrombopenie, erhöhte Nierenretentionsparameter und ein deutlich erhöhtes Bilirubin mit lediglich leicht erhöhten Transaminasen [1]. Im Urin finden sich häufig eine Proteinurie, Leukozyturie und Mikrohämaturie und in der Lumbalpunktion eine aseptische Meningitis [7]. Leptospiren können direkt mittels Dunkelfeldmikroskopie in Körperflüssigkeiten nachgewiesen und aus Blut, Liquor oder Urin kultiviert werden – beides ist jedoch unzuverlässig, da sowohl die Mikroskopie als auch die bakterielle Kultivierung technisch anspruchsvoll ist.
Beim Mikroagglutinationstest dauert es nach Symptombeginn 5–7 Tage bis IgM-Antikörper nachweisbar sind
Der diagnostische Beweis einer Leptospirose erfolgt durch PCR-Analyse aus Blut, Liquor oder Urin oder durch serologischen Nachweis mit MAT als Goldstandard [6]. Beim MAT dauert es nach Symptombeginn 5–7 Tage, bis IgM-Antikörper nachweisbar sind. Zur Bestätigung der Infektion ist ein gepaarter Test mit 4‑fachem Titeranstieg, typischerweise innerhalb von 3 bis 14 Tagen, beweisend für die Leptospirose. Seltener ist dieses Intervall mehrere Wochen lang, sodass ein längeres Follow-up nach Rekonvaleszenz notwendig ist. Der MAT hat eine hohe Spezifität von >95 %, ist jedoch nicht ubiquitär verfügbar, da für diesen Test vitale Leptospiren benötigt werden. Als labortechnisch einfachere Alternative steht für die initiale Diagnostik eine ELISA-basierte serologische Untersuchung zur Verfügung [5, 7].
Therapie
Für die Therapie wurde bei schweren Fällen Penicillin oder Ceftriaxon i.v. und bei leichteren Fällen Doxycyclin oder Amoxicillin oral untersucht. Diese Antibiotika zeigten ähnliche Resultate im Outcome. Fällt der Verdacht auf eine Leptospirose, empfiehlt sich eine rasche Antibiotikatherapie, ohne diagnostische Beweise abzuwarten [3]. Die Evidenz zum Nutzen der Antibiotikatherapie ist aufgrund fehlender (qualitativ guter) Studien spärlich und widersprüchlich, einzelne Studien zeigten aber eine verkürzte Krankheitsdauer, einen geringeren Einsatz von Nierenersatzverfahren und eine tiefere Letalität. Die Therapiedauer beträgt 7 Tage [3].
Bei Leptospirose mit Multiorganversagen wird eine intensivmedizinische Überwachung empfohlen, wobei primär die initiale Hydratation und Kaliumsubstitution bei polyurischer Niereninsuffizienz und die rasche Dialyse bei Nierenversagen die Morbidität und Letalität vermindern. Zudem kann bei pulmonaler Manifestation eine invasive Beatmung notwendig sein [9]. Bei perimyokardialer Beteiligung sind Rhythmusüberwachung und echokardiographische Kontrollen empfohlen.
Fazit für die Praxis
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Eine Leptospirose muss bei febrilem Entzündungszustand mit Gliederschmerzen, entsprechender Reiseanamnese und Umgebungsanamnese mit Tierkontakt oder Freizeitaktivität im Wasser differenzialdiagnostisch bedacht werden.
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Zusätzliche Laborhinweise sind Nieren- und Leberversagen sowie eine Blutungsneigung mit Thrombopenie oder verlängerter Prothrombinzeit.
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Die Diagnosesicherung erfolgt serologisch mittels Mikroagglutinationstest als Goldstandard, alternativ mittels Polymerase-Kettenreaktion oder „enzyme-linked immunosorbent assay“.
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Als Antibiotika sind Ceftriaxon oder Penicillin i.v. sowie Doxycyclin oder Amoxicillin oral empfohlen. Die Therapiedauer beträgt 7 Tage.
Literatur
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Reis EA, Hagan JE, Ribeiro GS et al (2013) Cytokine response signatures in disease progression and development of severe clinical outcomes for leptospirosis. PLoS Negl Trop Dis 7:e2457
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Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien. Für Bildmaterial oder anderweitige Angaben innerhalb des Manuskripts, über die Patienten zu identifizieren sind, liegt von ihnen und/oder ihren gesetzlichen Vertretern eine schriftliche Einwilligung vor.
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H. Haller, Hannover (Schriftleitung)
B. Salzberger, Regensburg
C.C. Sieber, Nürnberg
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Hubler, A., Schibli, A. & Locher, P. Fieberschübe, Kopf- und Gliederschmerzen sowie generalisierte Myalgien bei einem 27-jährigen Reiserückkehrer. Internist 62, 315–319 (2021). https://doi.org/10.1007/s00108-020-00908-8
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DOI: https://doi.org/10.1007/s00108-020-00908-8