Einleitung

Wohnungslosigkeit als Form sozialer Deprivation ist nicht allein durch die Ausgrenzung vom Wohnungsmarkt gekennzeichnet, sondern überdies durch Exklusion aus anderen existenziellen Lebensbereichen wie Erwerbstätigkeit, Bildung und medizinische Versorgung. Nach Schätzungen der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W) waren im Jahr 2017 in Deutschland circa 650.000 Menschen ohne mietvertraglich abgesicherten Wohnraum. Den Schätzmodellen folgend lebten davon 48.000 Menschen ohne jede Unterkunft in Straßenobdachlosigkeit [1]. Andere Hochrechnungen gehen von circa 337.000 wohnungslosen Menschen aus [2]. Regelhaft statistisch erfasst werden Wohnungslosenzahlen bislang weder auf Landes- noch Bundesebene [3].

Menschen die ohne Unterkunft auf der Straße, in prekären und temporären Wohnsituationen leben oder in Sammelunterkünften für Wohnungslose untergebracht sind, stellen eine gesundheitlich höchst vulnerable Gruppe dar [4]. Zusätzlich zu Belastungen, die durch den Verlust des eigenen Wohnraums entstehen, können eine mangelhafte oder einseitige Ernährung, Gewalterfahrungen, Substanzmissbrauch und ein unzureichender Zugang zu Sanitäranlagen krankheitsverstärkend wirken [5]. Gleichzeitig sind wohnungslose Menschen häufig von der regulären Gesundheits- und Krankenversorgung ausgeschlossen oder werden von den vorhandenen Versorgungsstrukturen schwer erreicht [6]. Erste Forschungsergebnisse hierzu zeigen einen fehlenden oder unklaren Versicherungsstatus, Scham, Angst, Vertrauensdefizite, Diskriminierung, zu große Entfernungen, körperliche oder psychische Beeinträchtigung sowie geringe Kenntnisse der deutschen Sprache als Barrieren für die Inanspruchnahme der medizinischen (Regel‑)Versorgung [5, 7,8,9]. Daneben werden eine geringere Krankheitswahrnehmung, Konflikte bei der Priorisierung konkurrierender Alltagsaufgaben und organisatorische Gründe als Hindernisse für die Inanspruchnahme präventiver oder ambulanter Gesundheitsleistungen benannt [5, 10, 11]. In der Folge sind das vermehrte Aufsuchen von Rettungsstellen und eine erhöhte Hospitalisierungsrate zu beobachten. Aufgrund des späten Aufsuchens medizinischer Hilfen werden längere Krankenhausaufenthalte und höhere Krankenhauskosten berichtet [12].

In der Forschung zur gesundheitlichen Lage von Wohnungslosen in Deutschland lag der Fokus zumeist auf der psychischen Gesundheit, z. B. im Kontext der SEEWOLF-Studie aus dem Jahre 2013, in deren Stichprobe 93,3 % der Teilnehmenden das Auftreten einer Achse-I-Störung (klinische psychische Störung) im Laufe ihres Lebens berichteten [13]. Auch Schreiter et al. berichteten in ihrem systematischen Überblick hohe Prävalenzen einer Achse-I-Störung mit 77,4 % sowie substanzbezogene Störungen in Höhe von 60,9 % [14]. Andere Arbeiten zielten auf Barrieren bei der Inanspruchnahme der Regelversorgung [5]. Forschungsdefizite im deutschsprachigen Raum bestehen in der systematischen Beschreibung somatischer Erkrankungen.

Ziel dieser Arbeit ist es, einen Überblick über die aktuelle Forschung zu somatischen Erkrankungen von Wohnungslosen in Deutschland zu geben. Hierbei werden methodisches Vorgehen, Stichprobenzugang und Rekrutierung sowie berichtete Gesundheitsaspekte in den Blick genommen.

Methodik

Die systematische Literaturrecherche erfolgte hinsichtlich der Beschreibung von Einschlusskriterien, Informationsquellen, Suchstrategie und Studienselektion in Anlehnung an die PRISMA-Empfehlungen (Preferred Reporting Items for Systematic Reviews and Meta-Analyses [15]). Auch Ergebnisdarstellung und Diskussion erfolgten in Orientierung an die PRISMA-Empfehlungen mittels Flussdiagramm und unter tabellarischer Beschreibung zentraler Studiencharakteristika. Zu diesen zählen die Ergebnisdarstellung je eingeschlossener Studie, die Diskussion von Limitationen auf Reviewlevel, allgemeine Interpretationen und daraus folgende künftige Implikationen. Im Juni 2019 wurden die elektronischen Datenbanken Medline (via PubMed), Embase (via Ovid), SocINDEX, PSYNDEX, PsycINFO, PsyARTICLES (via EBSCOhost) sowie Google Scholar systematisch durchsucht. Die verwendeten Suchbegriffe waren „(homeless OR homeless persons OR homelessness) AND Germany“. Die Recherche wurde auf den Zeitraum vom 01.01.2009 bis 01.06.2019 eingegrenzt. Einschlusskriterien waren die Veröffentlichung in einem wissenschaftlichen Journal sowie in Deutschland erhobene Primärdaten zu somatischen Erkrankungen von Wohnungslosen. Ergänzend wurden die Literaturverzeichnisse relevanter Publikationen durchsucht sowie Studienprotokolle oder assoziierte Studien eingeschlossen. Ausgeschlossen wurden Publikationen, die ausschließlich auf die psychische Gesundheit Wohnungsloser abzielten, Case Reports, Dissertationen und Übersichtsarbeiten ohne eigene Erhebung von Primärdaten.

Die eingeschlossenen Studien wurden hinsichtlich ihrer allgemeinen Methodik (1), Stichprobenzugang und Rekrutierungsstrategien (2) sowie der berichteten Gesundheitsaspekte (3) gegenübergestellt. Unter allgemeiner Methodik (1) wurden Fokus und Jahr der Arbeit, Erhebungsform (qualitativ, quantitativ) sowie weitere berichtete Aspekte (z. B. soziodemografische Merkmale wie Alter und Geschlecht (zum Teil als Einschlusskriterien definiert)) extrahiert. Unter Stichprobenzugang und Rekrutierungsstrategie (2) wurden Erhebungsort, Feldzugang und Fallzahlen beschrieben. Im dritten Schritt wurden soziodemografische Charakteristika sowie die berichteten Aspekte zu somatischen Erkrankungen (z. B. Prävalenzen, Odds Ratios) in Form einer Übersichtstabelle systematisiert.

Ergebnisse

Die systematische Recherche ergab, nach dem Ausschluss von 55 Duplikaten, 148 relevante Fachartikel. Nach Sichtung der Abstracts erwiesen sich 20 Studien als thematisch geeignet (Abb. 1). Im Ergebnis der Volltextsichtung konnten schließlich 8 Studien eingeschlossen werden [16,17,18,19,20,21,22,23]. Daneben wurde ein bei Haussig et al. [18] und Gassowski et al. [17] publiziertes Studienprotokoll [24] einbezogen sowie eine weitere aus denselben Studiendaten veröffentlichte Arbeit [25]. Der zur Arbeit von Beckmann [19] gehörige, ohne Peer-Review veröffentlichte Abschlussbericht wurde zur Ergänzung von Methodik und Befragungsinhalten hinzugezogen [26]. In Summe flossen somit 11 Publikationen in das vorliegende Review ein.

Abb. 1
figure 1

Flussdiagramm zur Literaturrecherche (Vorlage PRISMA-Statement nach Moher et al. [15])

Allgemeine Methodik der Studien

Als wohnungslos gelten in Deutschland Menschen, die nicht über einen mietvertraglich abgesicherten Wohnraum verfügen [27]. Diese Definition der BAG W liegt auch der Studie von Beckmann zugrunde [19]. Eine Definition des Begriffes „Wohnungslosigkeit“ erfolgte in 4 der 8 Studien (Tab. 1). Häufig wurde dieser Zustand ohne vorherige Begriffserklärung, mutmaßlich aufgrund des gewählten Rekrutierungsortes, als gegeben angenommen. Von den eingeschlossenen Studien fokussierten 4 auf ausgewählte Infektionskrankheiten (2 × Tuberkulose [16, 21], 1 × Hepatitis B [18], 3 × Hepatitis C [16,17,18]), wohingegen die 4 weiteren ganzheitlich auf die allgemeine Lebenssituation bzw. Lebenslage Wohnungsloser abzielten (Tab. 1).

Tab. 1 Überblick zur allgemeinen Methodik und Rekrutierungsstrategien der inkludierten Studien (n = 8)

In jeder der eingeschlossenen Studien kamen quantitative Forschungsmethoden zur Anwendung, lediglich Beckmann et al. folgten einem Mixed-Methods-Ansatz und inkludierten qualitative Elemente in ihr Studiendesign [19, 26]. Die Datenerhebung erfolgte mithilfe standardisierter Fragebögen, welche in der Regel gemeinsam von Befragten und geschultem Studienpersonal beantwortet wurden. Im Fall von Beckmann et al. wurden ergänzend leitfadengestützte Interviews geführt [19].

Alle 8 Studien erfassten soziodemografische Charakteristika. Sechs der vorliegenden Studien definierten spezifische Einschlusskriterien in Bezug auf Geschlecht und Alter und zielten damit auf Teilgruppen der Wohnungslosen ab. Lediglich 2 Arbeiten schlossen Wohnungslose aller Altersgruppen und jeden Geschlechts ein [20, 21]. Zwei Studien rekrutierten Teilnehmer ab 16 Jahren [17, 18], eine Studie ab 18 Jahren [16]. Zwei weitere Studien fokussierten auf ältere wohnungslose Männer ab einem Alter von mehr als 50 Jahren [22] und mehr als 60 Jahren [23]. Das Durchschnittsalter der Teilnehmenden betrug zwischen 40,9 [21] und 67 Jahren [19]. Der geringste Frauenanteil an den Befragten lag bei 4,7 % [19], der höchste bei 35,3 % [18]. Zwei Studien schlossen die Teilnahme von Frauen aus [22, 23]. Uneinheitlich erfolgte auch die Erfassung der Staatsangehörigkeit, so wurden Geburtsregionen [17], Geburtsorte [21], Staatsangehörigkeit [16, 19] oder auch der erweiterte Migrationsstatus erhoben (Migranten 1. Generation: nicht in Deutschland geboren, Migranten 2. Generation: mindestens ein Elternteil nicht in Deutschland geboren, „non-migrant“: Person selbst und beide Eltern in Deutschland geboren; [18]). Einzelne Studien erhoben auch die soziale Situation der Teilnehmer*innen sowie Straffälligkeit und Haftaufenthalte [17, 19, 23].

Stichprobenzugang und Rekrutierungsstrategien

Die Durchführung der Studien erfolgte fast ausschließlich in deutschen Großstädten (Tab. 1). Einzige Ausnahme stellt die Arbeit von Brem und Seeberger dar, welche Wohnungslose in Oberbayern und Franken befragten [22]. Die Rekrutierung erfolgte in einer oder mehreren Unterkünften für Wohnungslose oder innerhalb von karitativen Projekten [17, 19, 22,23,24]. Mit der Ansprache durch Sozialarbeitende und nicht direkt durch Forschende konnten Teilnahmeraten in Höhe von bis zu 77 % erzielt werden (86 von 112 Personen [19]).

In den Studien zur Verbreitung einzelner Infektionserkrankungen wurde im ersten Rekrutierungsschritt auf die Assistenz von lokal agierenden Sozialarbeitenden zurückgegriffen. Diese informierten über die Teilnahmemöglichkeit und zusätzliche Anreize (Incentives) in Form von Geld oder Gutscheinen [16, 17] oder über die Sinnhaftigkeit eines Tuberkulosescreenings [21]. Komplementär zur Direktansprache über die Sozialarbeitenden weiteten 2 Studien ihre Rekrutierungsstrategie um ein modifiziertes Schneeballsystem („respondent driven sampling“) aus [17, 18]. Dabei wird der zugängliche Teil einer Zielpopulation, z. B. Wohnungslose, die lokale Angebote in Anspruch nehmen, angesprochen und zur Rekrutierung ihnen bekannter Personen aus der gleichen Zielpopulation bewegt, die diese Angebote nicht nutzen [28]. Die eigene Teilnahme an der Studie wurde mit 10 € honoriert. Für jede erfolgreiche Rekrutierung (Peer Recruitment) erhielt der oder die Teilnehmer*in 5 €, wobei maximal 3 Rekrutierungen erstattet wurden [17].

Im Kontrast zu den Rekrutierungen über die jeweiligen Unterkünfte oder Angebote steht das Hannoveraner Projekt der aufsuchenden Gesundheitsfürsorge, in dessen Rahmen die Gesamtheit der aufgetretenen „Behandlungsfälle“ bzw. „Arzt-Patienten-Kontakte“ dokumentiert wurde (lokale Vollerhebung [20]). Durch diese Vorgehensweise konnte eine Stichprobengröße von 18.000 Fällen über den Zeitraum von 10 Jahren erreicht werden. Die Stichprobengröße bezieht sich hierbei nicht auf die Anzahl der teilnehmenden Personen, sondern auf die Anzahl der dokumentierten Behandlungsfälle [20].

Berichtete Aspekte zur somatischen Gesundheit

Einen systematischen Überblick über die berichteten Gesundheitsaspekte liefert Tab. 2. Die von den Autoren gewählte Darstellungssystematik der Krankheitsbilder erfolgte in Orientierung an der Internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD-10, German Modification). Vier der vorliegenden Studien geben einen Überblick über die Prävalenzen diverser somatischer Erkrankungen in ihrer jeweiligen Stichprobe ([19, 20, 22, 23]; Tab. 1). Zwei Studien fokussieren auf die Prävalenz von Tuberkulose [16, 21]. Zwei weitere Studien untersuchten Wohnungslosigkeit als Risikofaktor für eine Infektion mit Hepatitis C oder Hepatitis B ([17, 18]; Tab. 2).

Tab. 2 Überblick über berichtete Gesundheitsaspekte (Studien n = 8)

Hohe Prävalenzen zeigten sich für Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems. Betroffen waren 17 % [23] bis 37,2 % [19] der Befragten (Tab. 2). Eine starke Verbreitung wurde auch für Erkrankungen des Bewegungsapparates berichtet: Drei Studien beschrieben eine Prävalenz ≥20 % [19, 22, 23]. Dabei wurde in Notunterkünften [23] und im Rahmen aufsuchender Hilfen [20] eine geringere Betroffenheit beobachtet als in betreuten Wohnformen [19] und ambulanten und stationären Versorgungseinrichtungen [22]. Erkrankungen des Atmungssystems fanden sich ebenfalls vermehrt, wobei die beobachteten Prävalenzen zwischen 7 % in einer Notunterkunft [23] und 24 % in gesundheitlichen Versorgungseinrichtungen [22] lagen. Kohorten aus älteren Personen waren jeweils stärker betroffen.

Die Studienergebnisse zur Verbreitung der Tuberkulose sind nur bedingt vergleichbar, da zum einen die Rate der latenten Tuberkuloseinfektionen (16 % [16]) und zum anderen akute pulmonale Tbc-Infektionen (1,1 %) berichtet wurden ([21]; Tab. 2). Beide Studien, die den Einfluss von Wohnungslosigkeit auf das Risiko einer Hepatitis-B- [18] bzw. Hepatitis-C-Infektion [17] untersuchten, berichteten signifikant erhöhte Odds Ratios (OR 1,29 (95 %-Konfidenzintervall (KI): 1,06–1,56) [17] bzw. OR 1,2 (95 %-KI: 1,1–1,8) [18]) für Menschen, die in ihrem Leben mindestens einmal wohnungslos waren.

Abhängig davon, ob Patient*innen auf der Straße leben oder in Wohnungen, zeigen sich Unterschiede in der Verteilung ihrer Behandlungsanlässe. In der Gruppe der aufsuchend versorgten Straßenobdachlosen wurden in 10 % der Behandlungsfälle Hauterkrankungen und in 9 % Verletzungen als primärer Behandlungsanlass dokumentiert. In der Gruppe der Patient*innen, die in einer Wohnung untergebracht sind, erfolgten nur 5 % der Behandlungen aufgrund von Hauterkrankungen und 6 % aufgrund von Verletzungen [20]. Brem rekrutierte in einer Notunterkunft und berichtete 7 % Hauterkrankungen, hingegen 24 % Verletzungen [23].

Daneben wurden riskantes Gesundheitsverhalten (Drogen‑, Alkoholkonsum) und Vorerkrankungen erfasst (Tab. 1). Die subjektive Wahrnehmung des Lebens- und Gesundheitszustandes Wohnungsloser wurde allein von Beckmann et al. erfasst [19]. Hierfür wurde der SEL-Bogen (Skalen zur Erfassung der Lebensqualität) eingesetzt, ein validiertes Instrument zur Erfassung von Lebensqualitätsdimensionen [29, 30]. Die in den Studien verwendeten Erhebungsinstrumente sind hinsichtlich Art und Detailliertheit der Erfassung von Erkrankungen sehr heterogen. Zum Teil wurden mithilfe von „Dokumentationskarten“ ausgewählte Grunderkrankungen wie „psychische Erkrankung“, „Herz-Kreislauf-Erkrankung“, „chronische Hepatitis“, „Karzinomerkrankung“, „HIV“, „Suchtkrankheit“, „schlechter Zahnstatus“ und die Kategorie „andere“ dokumentiert [20]. Lediglich eine Studie orientierte sich bei der Systematisierung der Antworten durchgängig an der international etablierten Klassifizierung nach ICD-Kapiteln [19]. Zwei Studien greifen jeweils auf ein selbst entwickeltes Fragebogeninstrument zurück, wodurch nur eine begrenzte Vergleichbarkeit im zeitlichen Verlauf möglich ist (vgl. Tab. 1; [22, 23]). Neben der Selbstauskunft der Befragten wurden in 4 Studien ergänzend körperliche Untersuchungen und venöse oder kapillare Blutentnahmen zum serologischen Nachweis von Hepatitis B [18], Hepatitis C [17] oder Tuberkulose durchgeführt. Tuberkulosefälle wurden zusätzlich mithilfe eines Röntgen-Thorax validiert.

Neben der Dokumentation von somatischen Erkrankungen wurden in 3 Studien auch die Anteile der „gesunden“ Teilnehmer (ohne diagnostizierte bzw. selbstberichtete Erkrankungen) ausgewiesen. In der Erhebung von Beckmann et al. [19] waren dies 20,9 % der Befragten, während bei Brem 7,0 % [23] und bei Brem und Seeberger lediglich 4,0 % der Teilnehmenden [22] die Abwesenheit jedweder Krankheit angaben (Tab. 1).

Neben politischen Forderungen nach einer stärker lebenslauforientierten Sozialpolitik [23] und besseren Bildung [16] wurden auch praxisorientierte Ableitungen, wie die Notwendigkeit von Nadel- und Spritzenaustauschprogrammen [17], Vorschläge zur Erhöhung der Hepatitis-B-Impfquote [18] sowie der Nutzen von freiwilligen Tuberkulosescreeningangeboten, in den Studien formuliert (Tab. 1).

Diskussion

Im Ergebnis der systematischen Literaturrecherche konnten 8 Studien zur somatischen Gesundheit Wohnungsloser in Deutschland sowie 3 ergänzende Publikationen für die Jahre 2009 bis 2019 identifiziert werden. Die Studien weisen in Teilen Ähnlichkeiten hinsichtlich der verwendeten Erhebungsmethoden jedoch deutliche Unterschiede in den beobachteten Patientenkollektiven und Erkrankungshäufigkeiten auf, die eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse erschweren. Orte der Rekrutierung sowie Alters- und Geschlechterzusammensetzung der Kohorten unterscheiden sich deutlich und begründen die großen Spannbreiten in den dargestellten Krankheitshäufigkeiten und Prävalenzen.

Allgemeine Methodik der Studien im Vergleich

Nur in der Hälfte der eingeschlossenen Studien wurde der Begriff Wohnungslosigkeit hinreichend operationalisiert, sodass bereits vor diesem Hintergrund die Vergleichbarkeit eingeschränkt ist. Alternativ fungiert der Ort der Teilnehmer*innengewinnung in den Studien als Indikator für Wohnungslosigkeit, wodurch jedoch unterschiedliche Adressatenkreise der jeweiligen Hilfs- und Unterbringungsangebote zusammen betrachtet werden [31,32,33,34]. Auch international wird „Wohnungslosigkeit“ häufig nicht oder uneinheitlich definiert [35]. Fazel et al. skizzieren die Heterogenität des Begriffs [35]. Konsens besteht hinsichtlich der Unterscheidung von Straßenobdachlosigkeit („rooflessness“) und dem grundsätzlichen Vorhandensein eines Ortes zum Wohnen („houselessness“), wobei Letzterer hinsichtlich physischer, rechtlicher und sozialer Dimension weiter differenziert werden kann (3 theoretische Dimensionen). Weitere internationale Definitionen des Begriffs rekurrieren auf eine Mindestdauer des Vorliegens von Wohnungslosigkeit (letzte 30 Tage) sowie auf die Dauer und Art der aktuellen Unterbringung [11, 36].

Erhebungsinstrument der ersten Wahl war in der Regel ein standardisierter Fragebogen, wobei einzelne Studien ergänzend medizinisch-diagnostische Methoden, wie Blut- oder Röntgenuntersuchungen einsetzten. Die Codierung von Diagnosen erfolgte häufig nicht in strenger Orientierung an der ICD-10-Klassifikation, wodurch ein valider Vergleich der Studien untereinander oder mit repräsentativen Bevölkerungsdaten nur begrenzt möglich ist. Begründet erscheint daher die Forderung von Gordon et al. nach der Entwicklung von Standardinstrumenten zur Erfassung der gesundheitlichen Lage von Wohnungslosen [37].

Hinsichtlich Alter und Geschlecht der Befragten weisen die eingeschlossenen Studien eine hohe Selektivität auf. Vor allem Minderjährige und jüngere Erwachsene sowie wohnungslose Frauen wurden ausgeschlossen oder in geringem Umfang eingeschlossen. Im internationalen Vergleich findet sich ein ähnliches Bild. Ein systematisches Review zu psychischen Erkrankungen berichtete von insgesamt 29 Studien, von denen lediglich 14 Studien Männer und Frauen einschlossen, 11 dagegen nur Männer und 4 ausschließlich Frauen [38]. Menschen mit Migrationshintergrund sind in den Stichproben zum Teil über- [16], häufiger jedoch unter- bis nicht repräsentiert [19]. Teile der Population bleiben trotz ihrer besonderen Vulnerabilität auch in anderen Studien zur gesundheitlichen Lage Wohnungsloser oftmals unberücksichtigt [2]. Das Leben ohne eigene mietrechtliche Absicherung bei Bekannten oder Verwandten (verdeckte Wohnungslosigkeit) und Sprachbarrieren erschweren vor allem den Zugang zu wohnungslosen Frauen und Zugewanderten. Gleichzeitig stellen diese besonders vulnerable Zielgruppen dar, für die es an bedarfsgerechten Angeboten mangelt [2, 39, 40]. Im Besonderen wird Ortsfremden mit deutschem Pass sowie Wohnungslosen aus anderen EU-Ländern die Unterbringung zum Teil verweigert oder zeitlich eng begrenzt [2].

Stichprobenzugang und Rekrutierungsstrategien im Vergleich

Die Stichproben in den vorliegenden Studien wurden häufig in Großstädten über lokale Angebote oder Unterkünfte für Wohnungslose ohne weitere Randomisierung rekrutiert. International erfolgten der Stichprobenzugang und die Rekrutierung ebenfalls mehrheitlich gezielt über Unterkünfte oder Mahlzeitenprogramme oder mittels eines Zufallsgenerators („systematic random sampling“; [34, 41]). Auch in der internationalen Literatur wurde Wohnungslosigkeit häufig als urbanes Phänomen betrachtet, jedoch tritt sie ebenso in ländlichen Regionen auf [42].

Eine Incentivierung der Teilnehmer*innen ist national wie international zu beobachten. International liegen die Teilnahmevergütungen zwischen 10–15 USD in Kanada [32, 34]. Die höchste Zahlung erfolgte mit 20 CHF in der Schweiz [36]. Alternativ zur Bargeldauszahlung wurden in einer US-amerikanischen Studie auch Apothekengutscheine ausgegeben [41].

Berichtete Aspekte zur somatischen Gesundheit im Vergleich

Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems

Ein Vergleich der im Review berichteten Häufigkeiten somatischer Erkrankungen mit repräsentativen Bevölkerungsdaten für Deutschland liefert Hinweise auf relevante Gesundheitsfelder für Prävention und Versorgung Wohnungsloser. So berichteten in 2 Studien jeweils über ein Drittel der Wohnungslosen Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems. In einer bevölkerungsrepräsentativen Stichprobe des Robert Koch-Instituts wurden für die vergleichbaren Altersgruppen der 50- bis 59-Jährigen bzw. 60- bis 69-Jährigen geringere Lebenszeitprävalenzen für koronare Herzerkrankungen von 4,4 % (95 %-KI: 3,2–5,9) bzw. 15,1 % (95 %-KI: 12,8–17,7) berichtet [43]. Neben der Alterszusammensetzung in der Gruppe der Wohnungslosen trug auch die Überrepräsentanz von Männern zur beobachteten erhöhten Krankheitslast bei. So berichteten nur 10,8 % (95 %-KI: 8,3–13,9) der Frauen in der Referenzbevölkerung im Alter von 60 bis 69 Jahren eine koronare Herzkrankheit in ihrem Leben, in der Gruppe der Männer waren es 19,5 % (95 %-KI: 15,9–23,7).

Weiter wurde für die Referenzbevölkerung auf den inversen Zusammenhang zwischen Erkrankungshäufigkeit und Sozialstatus hingewiesen [43]. Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind oftmals multifaktoriell bedingt, auch psychische Erkrankungen beeinflussen ihre Entstehung und Verschlechterung. In den Studien von Brem und Seeberger und Von Streit fallen die hohen Raten der Nikotinabhängigkeit von 69 % [23] und 87 % [16] auf, die den Anteil in der 18- bis 79-jährigen Bevölkerung in Deutschland von 29,7 % deutlich übersteigen [44]. In der Referenzbevölkerung ist eine Abnahme des Rauchens im Alter zu beobachten, ein Effekt der sich in der älteren Gruppe der Wohnungslosen nicht zeigt. Ein niedriger Sozialstatus ist ebenfalls mit einem ungünstigen Risikoverhalten assoziiert, weiterhin rauchen Männer häufiger [44]. Der Konsum von Tabak stellt bereits in geringen Mengen einen Risikofaktor für die Entstehung einer koronaren Herzkrankheit dar und vermag daher die hohe Prävalenz von Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Teilen zu erklären [45]. Völlm et al. stellten ebenfalls überdurchschnittliche Prävalenzen von kardiovaskulären Erkrankungen fest und berichten auch in ihrer Erhebung von den Unterschieden der Risikoprofile von Wohnungslosen zu denen der Referenzbevölkerung in Bezug auf Tabakkonsum: Auch sie vermuten, dass der erhöhte Anteil der tabakkonsumierenden Wohnungslosen von 88 % die höhere Prävalenz von Herz-Kreislauf-Erkrankungen mit erklären kann [46].

Eine weitere Referenzarbeit ist die von Bauer zur Gesundheitssituation von Menschen, die sich im Zeitraum von September 2006 bis April 2008 im „Berliner Gesundheitszentrum für Obdachlose der Jenny De la Torre Stiftung“ vorgestellt hatten [47]. Auch ihre Erhebungen zeigen ein vermehrtes Auftreten von Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Höhe von 15,9 % [47].

Ein weiterer Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist ein Bluthochdruck, welcher wiederum mit ungünstigen Ernährungs- und Lebensbedingungen (Alkoholkonsum, Bewegungsmangel, Stress) assoziiert ist, die bei Männern unterer Bildungsgruppen häufiger zu beobachten sind [48,49,50].

Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems

Drei Studien berichten Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems (z. B. Rückenschmerzen oder Arthrosen) für 20–29 % der befragten Wohnungslosen. Aufgrund der wenig differenzierten Erfassung ist ein Vergleich mit repräsentativen Bevölkerungsdaten erschwert. Häufigste Gelenkerkrankung, welche auch umliegende Knochen, Muskeln und Bänder schädigt, ist die Arthrose [51]. Prävalenzen für Arthrosen liegen in Deutschland in der Altersgruppe von 45–64 Jahren für Frauen bei 23,2 % (95 %-KI: 21,7–24,7), hingegen für Männer bei 16,6 % (95 %-KI: 15,2–18,2). Die in der Referenzbevölkerung zu beobachtende höhere Betroffenheit im Alter sowie in unteren Bildungsgruppen vermag das vermehrte Auftreten in der Gruppe der Wohnungslosen in Teilen mit zu erklären [22, 51].

Erkrankungen der Atemwege

In den vorliegenden Studien wurden Erkrankungen der Atemwege von 7–24,0 % der Wohnungslosen angegeben. In der Stichprobe von Bauer berichtete mit 21,0 % ein vergleichbarer Anteil der Wohnungslosen von Atemwegserkrankungen [47]. Asthma bronchiale und chronisch obstruktive Lungenkrankheit (COPD) werden als häufigste Erkrankungen der Atemwege in Deutschland genannt [52, 53]. Frauen weisen im Durchschnitt eine höhere Prävalenz für Asthma auf als Männer (7,1 (95 %-KI: 6,3–8,0) vs. 6,3 (5,4–7,2)), wobei sich bildungsassoziierte Effekte zuungunsten unterer Bildungsgruppen und der Gruppe der Wohnungslosen zeigen [53]. Als mögliche Krankheitsursachen werden Exposition gegenüber Mikroorganismen, Schadstoffen und Allergenen, aber auch Ernährung oder psychosoziale Faktoren angeführt [53]. Für die COPD werden in Abhängigkeit von Alter und Bildungsgruppe sehr differente Prävalenzen beobachtet [52]. In der unteren Bildungsgruppe der Männer im Alter von 45 bis 64 Jahren liegt die Prävalenz bei 12,1 % (95 %-KI: 8,8–16,3). Als Risikofaktoren für die COPD werden vorrangig Tabakkonsum und Staubbelastung angeführt [52]. Eine höhere Betroffenheit in den eingeschlossenen Studien erscheint unter Berücksichtigung des Alters und der Bildungsgruppenzugehörigkeit sowie des Rauchverhaltens und der urbanen, feinstaubbelasteten Aufenthaltsräume Wohnungsloser erklärbar [52].

Tuberkulose.

Die in den eingeschlossenen Studien beobachteten Häufigkeiten der Erkrankung an Tuberkulose sind wie beschrieben kaum miteinander vergleichbar. In der in Deutschland am häufigsten betroffenen Altersgruppe der 20- bis 24-Jährigen liegt die Inzidenz bei 18 übermittelten Neuerkrankungen pro 100.000 Einwohner (ca. 0,018 %; [54]). Eine Ursache für ein erhöhtes Auftreten der über Exspirationströpfchen übertragenen Infektionskrankheit könnte in dem zum Teil überproportionalen Anteil an HIV-Infektionen in der Gruppe der Wohnungslosen liegen [16]. Eine weitere mögliche Ursache ist in Zugewanderten aus Osteuropa in der Gruppe der Wohnungslosen zu vermuten, da dort Zunahmen in den Neuerkrankungen beobachtet wurden [55].

Verletzungen und Unfälle

In 2 Studien berichtete über ein Fünftel der befragten Männer von Verletzungen. Verglichen mit den 12-Monats-Prävalenzen von Unfällen mit medizinischer Versorgung einer für Deutschland repräsentativen Bevölkerungsbefragung (10,5 % (95 %-KI: 9,7–11,3)) fallen diese Werte erhöht aus. In der Referenzbevölkerung zeigt sich zudem eine Abnahme des Verletzungsrisikos im Alter (45–64 Jahre: 9,5 % (95 %-KI: 8,3–10,8), ≥65 Jahre: 5,3 % (95 %-KI: 4,3–6,5); [56]).

Mit Ausnahme der Altersgruppe der über 65-Jährigen sind in sämtlichen Altersgruppen Bildungseffekte zulasten unterer Bildungsgruppen zu beobachten [56]. Neben unbeabsichtigten Verletzungen durch Unfälle sind Verletzungen häufig die Folge von Gewalt [56].

Keine vorhandenen Erkrankungen

Drei Studien erfassten das Freisein von Erkrankungen, genauer den Anteil der Wohnungslosen, die keine Erkrankungen angaben. Dieser Angabe kommt eine Sonderrolle zu, da sie sich im Feld zwischen nichtdiagnostizierten Bedarfen und tatsächlicher Freiheit von Erkrankungen bewegt. Repräsentative Bevölkerungsdaten für Deutschland liegen nicht vor. Nach dem Verständnis der Weltgesundheitsorganisation (WHO) meint Gesundheit aber auch nicht allein das „Fehlen von Krankheit und Gebrechen“, sondern einen „Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens“ [57]. Repräsentative Bevölkerungssurveys für Deutschland erfassen vor diesem Hintergrund regelhaft den subjektiven allgemeinen Gesundheitszustand. Im Mittel berichten 66,6 % der Frauen und 69,9 % der Männer einen (sehr) guten Gesundheitszustand [58]. Zu beobachtende Alters- und Bildungsgruppeneffekte lassen in der im Durchschnitt älteren und weniger gebildeten Gruppe der Wohnungslosen deutlich geringe Werte erwarten [58].

Neben der Erfassung chronischer und behandelter Erkrankungen mit vorliegender Diagnose erscheint die Erfassung des ungedeckten medizinischen Bedarfs erforderlich, da dieser einen zentralen Indikator für die Bedarfsgerechtigkeit eines Gesundheitssystems darstellt [59]. Ausgehend von 8,5 % der deutschen Referenzbevölkerung, welche ungedeckte medizinische oder zahnmedizinische Versorgungsbedarfe angeben, muss für die Gruppe der Wohnungslosen ein höherer Anteil angenommen werden [59]. Hollederer et al. berichten höhere Nichtinanspruchnahmen für Erwerbslose sowie für Menschen mit Migrationshintergrund, geringer formaler Bildung und niedrigeren Einkommen [59]. Auch Befragte, die ihre eigene Gesundheit mit mittelmäßig oder (sehr) schlecht beurteilen, berichteten eine geringere Inanspruchnahme medizinischer Leistungen [59].

Krankheitsprävention

Die formulierten Implikationen und Interventionsansätze werden international ähnlich diskutiert. Präventionsangebote sind abhängig vom Ort der Ansprache und Zusammensetzung der Wohnungslosenkohorte zu entwickeln. Zielgruppe sind häufig ältere, männliche Wohnungslose mit geringer formaler Bildung. Auch die Berücksichtigung Zugewanderter ist bei der Gestaltung von Angeboten mitzudenken. Die skizzierten Maßnahmen zur Krankheitsprävention mittels hygienischen Drogenkonsums, regelmäßigen Screenings und Impfungen stellen nur eine von 4 möglichen Säulen der gesundheitlichen Intervention bei hochvulnerablen Gruppen wie Wohnungslosen dar [60]. In ihrem systematischen Review diskutieren Luchenski et al. auch pharmakologische Ansätze zur Behandlung von Substanzkonsum und dualer Diagnose (Psychose und Suchterkrankung) sowie von Infektionskrankheiten. Daneben werden psychosoziale Interventionen angeführt, wie kognitive Verhaltenstherapie und motivierende Gesprächsführung (Motivational Interviewing), Ergotherapie, Achtsamkeitsübungen und Unterstützung durch andere (ehemalige) Betroffene (Peer-Support). Schließlich erwiesen sich Formen des Fallmanagements zur Verbesserung der Planung und Verknüpfung von Gesundheits- und Sozialfürsorge sowie deren Monitoring für hochvulnerable Gruppen als wirksam [60].

Limitationen

Die Limitationen der vergleichenden Literaturanalyse folgen aus den gewählten Einschlusskriterien der elektronischen Literaturrecherche. So ist es einerseits denkbar, dass noch nicht veröffentlichte oder nicht online verfügbare Arbeiten übersehen wurden. Die Beschränkung der Suche auf öffentlich zugängliche Journalartikel mit Peer-Review führte dazu, dass einschlägige Literatur, wie die Dissertation von Bauer, nicht eingeschlossen werden konnte [47]. Auch ein systematischer internationaler Vergleich der gesundheitlichen Lage konnte durch die Beschränkung der Suche auf Deutschland nicht durchgeführt werden. Eine weitere Problematik ergibt sich aus der Heterogenität der Befragungsinstrumente, die den Vergleich der verschiedenen Populationen erschwerten. Während diese Arbeit einen allgemeinen Überblick über verschiedene Forschungsstrategien zur Wohnungslosengesundheit bietet und die Charakteristika und Größen der jeweiligen Stichproben sichtbar macht (siehe Tab. 1), kann sie kaum belastbare Daten über die Gesundheit der Gesamtheit Wohnungsloser in Deutschland liefern. Somit sollen die in Tab. 2 zusammengetragenen Häufigkeiten für sich betrachtet werden und sind nicht auf andere Populationen Wohnungsloser übertragbar. Limitationen der Arbeit könnten durch eine ausgeweitete Recherche, aber auch durch weitere Datenerhebungen mit umfangreicheren, standardisierten Fragebögen verringert werden.

Fazit

Die vorliegende Arbeit bietet einen ersten Überblick zur Erforschung somatischer Erkrankungen wohnungsloser Menschen in Deutschland. Aussagen über das Auftreten somatischer Erkrankungen und damit Ableitungen zu medizinischen Bedarfen Wohnungsloser können bisher nur räumlich begrenzt und primär für die Teilgruppe älterer Männer getroffen werden. Studienteilnehmer*innen wurden in Unterkünften für Wohnungslose, im Rahmen medizinischer Angebote oder in Drogenausgabestellen rekrutiert. Die Ansprache durch Sozialarbeitende sowie ein modifiziertes Schneeballsystem erwiesen sich als hilfreich. Vielfältigere Rekrutierungsstrategien erscheinen wünschenswert, um auch in Straßenobdachlosigkeit oder verdeckter Wohnungslosigkeit lebende oder marginalisierte Personengruppen, wie Frauen, Jugendliche und Menschen mit Migrationshintergrund, erreichen zu können. Weiterhin fehlt ein klares Verständnis des Begriffes „Wohnungslosigkeit“ und die verwendeten Erhebungsinstrumente sind zu schärfen.

Die berichteten Häufigkeiten und Prävalenzen von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems sowie der Atemwege liegen über den Referenzwerten repräsentativer Bevölkerungsstudien für Deutschland. Alters‑, Geschlechts- und Bildungscharakteristika der Wohnungslosenkohorte sowie ihre Unterbringung erklären diese Beobachtung in Teilen. Abhängig vom Ort der Rekrutierung sind Infektionskrankheiten, wie Tuberkulose, Hepatitis B und C, aber auch Verletzungen vermehrt zu beobachten. Die Erfassung ungedeckter medizinischer Bedarfe in künftigen Studien erscheint für die Weiterentwicklung bestehender staatlicher und nichtstaatlicher Hilfen hilfreich. Zukünftige Studien sollten die sozialmedizinischen Konsequenzen somatischer Erkrankungen Wohnungsloser systematisch in den Blick nehmen. Angemessen scheinen biografische und intersektionale Forschungsansätze, um der Wirkung multipler und kumulativer Belastungslagen gerecht zu werden.