Im Jahr 2001 trat das Infektionsschutzgesetz (IfSG; [1]) in Kraft. Es brachte zahlreiche Neuerungen, unter anderem neue Meldepflichten für Infektionskrankheiten. So wurde beispielsweise die Zahl der zu meldenden Krankheiten reduziert und es wurden Labormeldepflichten für Nachweise von Krankheitserregern eingeführt.

Nach fast 20 Jahren IfSG soll hier in Bezug auf die Meldepflichten für Krankheiten (§ 6 Abs. 1 IfSG) und Krankheitserreger (§ 7 IfSG) ein Rückblick und eine kritische Bestandsaufnahme aus Sicht einer betroffenen Behörde gegeben werden – auch vor dem Hintergrund der vorherigen Regelungen in Deutschland (Bundesseuchengesetz BSeuchG; [2]) sowie internationaler und europaweiter Empfehlungen [3,4,5].

Vom Bundesseuchengesetz zum Infektionsschutzgesetz

Vorläufer des Infektionsschutzgesetzes war das Bundesseuchengesetz (BSeuchG) von 1961, einschließlich verschiedener Änderungsgesetze [2, 6, 7]. Die Meldepflichten für den Arzt waren umfangreich und komplex: Es wurde unterschieden zwischen Krankheiten, die nur bei Tod meldepflichtig waren, solchen, die bei Erkrankung und Tod, sowie solchen die bereits bei Verdacht zu melden waren. Darüber hinaus mussten Ausscheider verschiedener Erreger von Darminfektionen gemeldet werden. Sexuell übertragbare Krankheiten und speziell das humane Immundefizienzvirus (HIV) waren in weiteren Rechtsgrundlagen geregelt ([8, 9]; Tab. 1).

Tab. 1 Meldepflichten und Meldemodalitäten zu verschiedenen Krankheiten und Krankheitserregern in Deutschland nach Bundesseuchengesetz und Infektionsschutzgesetz sowie Meldepflichten nach den EU-Kommissions-Beschlüssen 1999 und 2018. Einteilung der Krankheiten/Krankheitserreger modifiziert nach EU-Kommission 1999

Das gesamte, im Wesentlichen aus den 1960er-Jahren stammende Seuchenrecht wurde im Jahr 2000 grundlegend novelliert. In Umsetzung der Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Schaffung eines Netzes für die epidemiologische Überwachung und die Kontrolle übertragbarer Krankheiten in der Gemeinschaft [4] trat am 01.01.2001 das Infektionsschutzgesetz in Kraft [1]. Dieses fasste nicht nur den gesamten Regelungsbereich des BSeuchG, sondern auch die Laborberichtsverordnung für positive HIV-Bestätigungstests, verschiedene weitere Verordnungen über die Ausdehnung der Meldepflicht für das enteropathische hämolytisch-urämische Syndrom (HUS), Infektionen durch enterohämorrhagische Escherichia (E.) coli (EHEC) sowie das Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten in einem einheitlichen Regelwerk zusammen [10].

Das Infektionsschutzgesetz unterscheidet erstmals zwischen meldepflichtigen Krankheiten (§ 6) und meldepflichtigen Nachweisen von Krankheitserregern (§ 7). Die zur Meldung verpflichteten Personen sind in § 8 IfSG definiert. In den meisten Fällen der nach § 6 meldepflichtigen Krankheiten ist der feststellende Arzt meldepflichtig; bei den nach § 7 meldepflichtigen Nachweisen von Krankheitserregern ist es der Leiter der entsprechenden Untersuchungsstelle (zu weiteren Details siehe § 8 IfSG). Nachfolgend wird – vereinfacht – von einer Arztmeldepflicht nach § 6 und einer Labormeldepflicht nach § 7 gesprochen. Nach § 15 IfSG kann das Bundesministerium für Gesundheit die Meldepflichten auf weitere Krankheiten oder Krankheitserreger ausdehnen, „soweit die epidemische Lage dies zulässt oder erfordert“, in dringenden Fällen auch ohne Zustimmung des Bundesrats. Darüber hinaus sind die Landesregierungen ermächtigt, eine Rechtsverordnung zu weiteren Meldepflichten zu erlassen, „sofern die Meldepflicht nach diesem Gesetz hierdurch nicht eingeschränkt oder aufgehoben wird“ [1].

Gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 IfSG sind bestimmte Infektionskrankheiten bei Verdacht, Erkrankung und Tod namentlich zu melden sowie die Erkrankung oder der Tod an Tuberkulose (Tab. 1). Die Meldepflicht für Ausscheider wurde ersatzlos gestrichen. Die in Bezug auf die Meldezahlen größte Änderung ergab sich bei den Enteritiden, die nur noch dann durch den Arzt meldepflichtig sind, wenn der Erkrankte entweder im Lebensmittelgewerbe arbeitet oder „wenn zwei oder mehr gleichartige Erkrankungen auftreten, bei denen ein epidemischer Zusammenhang wahrscheinlich ist oder vermutet wird“ (IfSG, § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2). Ansonsten sind Nachweise von Salmonellen, aber auch die neu in die Meldepflicht aufgenommenen Noro- und Rotaviren sowie Yersinien im Stuhl durch das Labor meldepflichtig. Einige weitere Krankheiten, wie z. B. Brucellose, Fleckfieber und Gelbfieber, sind nicht mehr direkt vom Arzt zu melden, sondern die entsprechenden Erreger dieser Infektionskrankheiten müssen vom Labor gemeldet werden; die Meldepflicht für Meningitiden (bakteriell, viral, sonstige) wurde durch die Meldepflicht ausschließlich für Meningokokkenmeningitis oder -sepsis abgelöst. Die Meldepflicht für Tod an Masern nach BSeuchG wurde ergänzt um die Arztmeldepflicht bei Verdacht, Erkrankung und Tod an Masern. Verschiedene weitere Infektionskrankheiten waren im IfSG nicht mehr vertreten. Als Begründung wurden z. B. fehlende Interventionsmöglichkeiten des Gesundheitsamtes (z. B. intrauterin erworbene Cytomegalie; Gasbrand) oder leichte Erfassbarkeit durch Sentinelerhebungen (z. B. Chlamydia trachomaliis, Neisseria gonorrhoe; Keuchhusten) genannt [11]; Tab. 1 zeigt die Meldepflichten nach BSeuchG und nach IfSG im Vergleich mit den EU-Kommissions-Beschlüssen 1999 und 2018 [4, 5].

Weitere Neuerungen durch das Infektionsschutzgesetz

Mit Einführung des IfSG gab es weitere wichtige Neuerungen im Bereich des Meldewesens: Erstmals wurde ein EDV-gestütztes Übermittlungsverfahren eingeführt. Das Robert Koch-Institut (RKI) erstellt klar definierte Falldefinitionen, die die Kriterien für die Übermittlung von Meldedaten vom Gesundheitsamt an die zuständige Landesbehörde und von dort an das RKI festlegen. Es bietet Informationen und Fortbildungen an und veröffentlicht seit Ende 2001 im Epidemiologischen Bulletin wöchentlich die aktuellen Meldezahlen, die inzwischen auch über die interaktive Datenbank SurvStat online abgefragt und ausgewertet werden können [12].

Auf Grundlage von § 13 Infektionsschutzgesetz wurden zusätzlich Sentinelerhebungen eingeführt – ein aktives, auf freiwilliger Mitarbeit der beteiligten Akteure aufbauendes Werkzeug der Surveillance. Teilweise starteten diese Sentinels bereits kurz vor Inkrafttreten des IfSG:

  • 1999 Arbeitsgruppe (AG) Masern-Sentinel (AGM),

  • 2005 AG Masern Sentinel um Varizellen erweitert (AGMV),

  • Keuchhusten,

  • Hämophilus-influenzae-B-Sentinel der Erhebungsstelle für seltene pädiatrische Erkrankungen in Deutschland (ESPED; ca. 400 verschiedene pädiatrische Abteilungen) sowie Labormeldesystem des RKI (ca. 300 verschiedene Labore).

In den folgenden Jahren wurden weitere Meldepflichten bundesweit implementiert (teilweise waren diese in verschiedenen Bundesländern bereits zuvor eingeführt worden):

  • 2007: Arzt- und Labormeldepflicht für schwere Infektionen, hervorgerufen durch Clostridioides (C.) difficile (früher: Clostridium difficile); „Meldepflicht für bedrohliche Krankheiten“ (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5a; [13,14,15]);

  • 2009: Labormeldepflicht für Nachweise von methicillinresistentem Staphylococcus aureus (MRSA) in Blut- und Liquorkulturen [16];

  • 2013: Arzt- und Labormeldepflicht für Keuchhusten, Mumps, Windpocken und Röteln [17];

  • 2016: Arzt- und Labormeldepflicht für zoonotische Influenza (Verdacht, Krankheit, Tod) [18];

  • 2016: Erkrankung sowie Tod an einer Clostridioides-difficile-Infektion mit klinisch schwerem Verlauf ([18]; hierbei wurde das Meldekriterium 1 „Stationäre Wiederaufnahme aufgrund einer rekurrenten C.-difficile-Infektion“ modifiziert in: 1 „Aufnahme in eine medizinische Einrichtung zur Behandlung einer ambulant erworbenen C.-difficile-Erkrankung“);

  • 2016: einzelne virale hämorrhagische Fieber, sonstige Arboviren und Zikavirusinfektion [18];

  • 2016: Labormeldepflicht für MRSA-Nachweise aus Blut- und Liquorkulturen sowie Acinetobacter species (spp.) und Enterobacteriaceae mit Resistenz gegenüber Carbapenemen (Besiedelung, Infektion); [18].

Die IfSG-Meldepflichtanpassungsverordnung 2016 [18] führt zuvor unter virale hämorrhagische Fieber gemeldete und erfasste Virusnachweise (Chikungunyavirus, Denguevirus, West-Nil-Virus, Zikavirus und sonstigen Arboviren, soweit deren Nachweis auf eine akute Infektion hinweist) detailliert auf, ersetzt die Arzt- und Labormeldepflicht für zoonotische Influenza aus dem Jahr 2007 [19] und die Labormeldepflicht für MRSA-Nachweise in Blut- und Liquorkulturen aus dem Jahr 2009 [16] und aktualisiert die Meldepflicht für Clostridioides-difficile-Infektion mit klinisch schwerem Verlauf. Als wichtige Neuerung werden zudem Nachweise von Acinetobacter spp. und Enterobacteriaceae mit Resistenz gegenüber Carbapenemen (Besiedelung, Infektion) meldepflichtig [18].

In Tab. 1 sind die nach BSeuchG und nach IfSG meldepflichtigen Krankheiten und Erregernachweise zusammengestellt. Dabei wurde die Einteilung in verschiedene Gruppen aus der Entscheidung der Europäischen Kommission 1999 basierend auf der Entscheidung 2119/98/EG [4] übernommen und um die weiteren in dem neuen Durchführungsbeschluss (EU) 2018/945 [5] enthaltenen Krankheiten ergänzt. Weitere nach IfSG meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger wurden ebenfalls in die jeweiligen Gruppen eingefügt. Diese Einteilung und insbesondere die Unterteilung in die einzelnen Gruppen ist zwar nicht völlig konsistent, sie ermöglicht aber besser als eine alphabetische Reihung einen raschen Überblick über impfpräventable, gastrointestinale, sexuell übertragbare Infektionskrankheiten etc.

Im Jahr 2018 wurde seitens der Europäischen Kommission die Entscheidung aus dem Jahr 1999 [4] aufgehoben und durch den neuen Durchführungsbeschluss (EU) 2018/945 [5] ersetzt. In Ergänzung zu den bereits 1998 genannten Krankheiten wurden jetzt auch verschiedene virusbedingte Krankheiten (z. B. Chikungunyavirus, West-Nil-Virus, Zikavirus, SARS-CoV) sowie Borrelia burgdorferi, durch Zecken übertragene Virusencephalitis, Enteritis durch Campylobacter, Infektion durch Streptococcus pneumoniae, invasive Krankheit sowie Infektion durch shigatoxin-/verotoxinbildende E. coli (STEC/VTEC), einschließlich hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS) aufgeführt. Die meisten dieser bakteriellen und viralen Krankheiten waren nach IfSG bereits meldepflichtig, zum großen Teil bereits seit 2001.

Entwicklung in Zahlen

Die nachfolgenden Zahlen beziehen sich auf die an das RKI übermittelten und von diesem publizierten Fälle. Sie wurden aus Publikationen des RKI (Epidemiologisches Bulletin, infektionsepidemiologische Jahrbücher und Jahresstatistiken) zusammengestellt (www.rki.de). Die Zahl der an die Gesundheitsämter gerichteten Meldungen können höher sein, da dort durch Abgleich mit den Falldefinitionen aus den Meldungen Fälle generiert werden und Doppelmeldungen von Krankheiten z. B. nach § 6 und § 7 zu einem Fall zusammengefasst werden.

Auf Grundlage des BSeuchG wurden im Jahr 2000, also unmittelbar vor Inkrafttreten des Infektionsschutzgesetzes 216.542 Fälle registriert [20]. Den größten Anteil der Fälle machten Enteritiden aus (195.486, darunter 79.535 Salmonellosen und 115.951 „übrige Formen“ – ohne 1321 Shigellenruhr), gefolgt von 13.695 Hepatitiden und 3768 Meningitiden/Enzephalitiden (darunter 756 Meningokokkenmeningitis, 1195 andere bakterielle Meningitis, 1665 Virusmeningitis und 908 „Meningitis, übrige Formen“). In dieser Statistik fehlen allerdings Tuberkulose und sexuell übertragbare Erkrankungen, da diese nicht von allen Bundesländern übermittelt worden waren (Tab. 2).

Tab. 2 Anzahl der jährlich erfassten Meldungen von Infektionskrankheiten und -erregern in Deutschland nach Bundesseuchengesetz (BSeuchG) und Infektionsschutzgesetz (IfSG). Dargestellt sind die Fallzahlen 1999 und 2000 (BSeuchG) und die nach IfSG jährlichen Fallzahlen ab 2001 in drei 6‑Jahres-Perioden (2001–2006; 2007–2012 und 2013–2018, Durchschnittswerte). Einteilung der Krankheiten/Krankheitserreger modifiziert nach EU-Kommission 1999

Insgesamt nahm die Zahl an gemeldeten Fällen nach Inkrafttreten des Infektionsschutzgesetzes im Jahr 2001 gegenüber dem Vorjahr um mehr als 10 % auf 244.779 zu (inkl. 7566 Tuberkulosefälle). Wie beabsichtigt reduzierte sich die Zahl der unmittelbar durch den Arzt zu meldenden Erkrankungsfälle deutlich von 216.542 auf 27.088. Da die Meldetatbestände nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2. (mikrobiell bedingte Lebensmittelvergiftung bzw. akute infektiöse Gastroenteritis) nicht explizit statistisch ausgewertet publiziert werden, stehen hierüber keine Daten zur Verfügung. Salmonellennachweise machten im Jahr 2001 mit 77.386 Fällen den größten Anteil der durch das Labor zu meldenden Krankheitserreger aus, gefolgt von den neu in den Meldekatalog aufgenommenen Nachweisen an Campylobacter (54.616), Rotavirus (47.773), Norovirus (9273) und Yersinien (7213) aus Stuhlproben [21]. Bis 2017 ergab sich eine deutliche Veränderung in den Anteilen der Gastroenteritiserreger. Inzwischen stehen Norovirusnachweise mit 73.273 an erster Stelle vor Campylobacter (69.414), Rotaviren (38.251) und Salmonellen (14.269). Im Jahr 2018, einem Jahr mit einer großen Influenzaepidemie, wurden insgesamt sogar 532.013 Meldungen verzeichnet, darunter alleine 274.242 Influenzameldungen.

In Tab. 2 sind die Fallzahlen in Deutschland für die Jahre 1999 und 2000 sowie die durchschnittlichen jährlichen Fallzahlen in drei 6‑Jahres-Zeiträumen nach Einführung des Infektionsschutzgesetzes (2001–2006, 2007–2012, 2013–2018; [2, 21,22,23,24,25,26,27,28,29]) zusammengefasst dargestellt.

Namentliche und nichtnamentliche Meldepflicht für Arzt und Labor

Studien zum BSeuchG hatten gezeigt, dass die umfassenden Arztmeldepflichten nicht ausreichend wahrgenommen werden und es zu einer erheblichen Untererfassung kommt. Vor diesem Hintergrund wurde das Meldewesen im Jahr 2000 neu strukturiert, auch mit dem Ziel, die Arztmeldepflichten zu reduzieren, wodurch eine bessere Meldemoral erwartet wurde [11]. Das im Jahr 2001 in Kraft getretene Infektionsschutzgesetz unterscheidet erstmals eine Arzt- und eine Labormeldepflicht sowie eine namentliche und eine nichtnamentliche Meldepflicht und führt das Instrument der Sentinelerhebungen neu ein.

Die namentliche Meldepflicht gemäß § 6 zu meldende Krankheiten (Verdacht, Erkrankung oder Tod) sowie die nach § 7 zu meldenden Nachweise von Krankheitserregern wurden auf solche Krankheiten oder Krankheitserreger beschränkt, deren Nachweis „eine unmittelbare Reaktion des Gesundheitsamtes erfordert, um Maßnahmen zur Eindämmung einer akuten Weiterverbreitungsgefahr ergreifen zu können“ [11]. Als Beispiele wurden genannt: Aufdeckung von Infektionsquellen, wie z. B. kontaminierte Lebensmittel oder Trinkwasser, Verhinderung der Beschäftigung eines Erkrankten im Lebensmittelbereich (z. B. bei Cholera), Verhinderung einer iatrogenen Übertragung (z. B. bei varianter Creutzfeldt-Jakob-Krankheit, vCJK), rasche Gabe einer Antibiotikaprophylaxe an Kontaktpersonen (z. B. bei Diphtherie, Meningokokkenmeningitis) oder Riegelungsimpfung (z. B. bei Masern). Analog wurden die Labormeldepflichten für einzelne Infektionskrankheiten begründet, z. B. Campylobacter spp: Entdeckung möglicher Infektionsquellen, Vermeidung der Kontamination von Lebensmitteln durch erkrankte Personen und Vermeidung der Übertragung in Gemeinschaftseinrichtungen bei Kindern.

Eine nichtnamentliche Meldepflicht wurde für Erreger, „bei denen das Gesundheitsamt im Einzelfall nicht unmittelbar tätig wird“, festgelegt. „Bei Meldungen nach dem Geschlechtskrankheitengesetz sind in der Regel keine unmittelbaren Maßnahmen des Gesundheitsamtes angezeigt, sodass insoweit grundsätzlich eine nichtnamentliche Meldung ausreichend ist. Gleiches gilt für die nach Laborberichtspflichtverordnung erhobenen Daten, die der Beurteilung der epidemischen Lage und Ableitung allgemeiner Präventionsmaßnahmen dienen“ [11]. Hier wurden als Beispiele Syphilis und HIV, Malaria sowie Röteln und Toxoplasmose genannt.

Sentinelerhebungen

Sentinelerhebungen „sind dann angezeigt, wenn eine Krankheit besonders häufig ist, die Meldung jedes Einzelfalls eine unzumutbare Belastung der Meldesysteme bedeuten würde und der Nachweis einer Krankheit beziehungsweise Infektion nicht das unverzügliche Handeln des öffentlichen Gesundheitsdienstes notwendig macht“ [11]. Als durch Sentinelerhebungen zu erfassende Infektionskrankheiten kommen auch die Krankheiten oder Gesundheitsrisiken in Betracht, für die auf europäischer Ebene auf Grundlage der Entscheidung 2119/98/EG eine Surveillance erforderlich ist [11].

Mit Sentineluntersuchungen können Trends und Risiken ermittelt, Erfolge einer Prävention evaluiert sowie neue Gefährdungspotenziale frühzeitig erkannt werden [21]. Als typische Krankheiten für Sentinelerhebungen wurden Keuchhusten sowie die Gruppe der sexuell übertragbaren Krankheiten angeführt [11]. Im Hinblick auf nosokomiale Infektionen wurde auf die KISS-Erhebung (Krankenhaus-Infektions-Surveillance-System) als Sentinel verwiesen [11].

Vergleich Meldepflichten und Sentinelerhebungen

Der Vergleich zwischen Meldepflicht nach IfSG und Sentinelerhebungen zeigt [30, 31]: Die Meldepflicht strebt die Totalerfassung an, die aber in der Regel nicht erreicht wird. Bei relativ hoher Sensitivität liegt bei der Meldepflicht eine geringere Spezifität vor, da klinische Details und weitere Hintergrundinformationen i. d. R. nicht vollständig erfasst werden. Da die Meldedaten im Bevölkerungsbezug gewonnen werden, können aber Inzidenzen berechnet werden und auch Ausbrüche erkannt werden. Sentinels sind demgegenüber Stichprobenerhebungen, deren Repräsentativität nicht immer gegeben ist. Sie haben eine höhere Spezifität, da eine systematische Abklärung von Verdachtsfällen erfolgt und auch präventionsrelevante Informationen systematisch erfasst werden. Die Berechnung der Untersuchungsrate (Anteil Untersuchter an Verdachtsfällen) und der Bestätigungsrate (Anteil bestätigter Fälle an Verdachtsfällen) ist möglich. Inzidenzberechnungen lassen sich nicht durchführen und Ausbrüche nicht immer erkennen [31]. Ein von der Meldepflicht unabhängiges Sentinelsystem lässt eine kritische Bewertung der Ergebnisse aus Meldepflichten zu. Auch Aussagen zu Impfdurchbrüchen können bisher besser anhand der guten Impfdokumentation im Sentinelsystem gemacht werden – woraus gefolgert wurde, dass die Impfdokumentation im Rahmen der Meldepflicht impfpräventabler Krankheiten verbessert werden müsse [32]. Mit sinkenden Fallzahlen verliert ein Sentinel an Sensitivität. Vor diesem Hintergrund wurde beispielsweise das Masernsentinel im Jahr 2011 eingestellt [31].

Auswirkungen des Infektionsschutzgesetzes auf Fallzahlen und die Arbeit der Gesundheitsämter

Bereits bei der Überarbeitung des Bundesseuchengesetzes im Jahr 1990 wurde betont, dass „die Einführung einer Meldepflicht wohlüberlegt werden [sollte]. Sie wird leider in der Öffentlichkeit oft als ein Allheilmittel gerade für neu auftretende übertragbare Krankheiten angesehen. Tatsächlich trägt sie aber nur dann etwas zur Verhütung und Bekämpfung einer Krankheit bei, wenn sie Ansatz- und Ausgangspunkt für weitere Maßnahmen ist. Als Beispiel mag das erworbene Immundefektsyndrom (AIDS) dienen … muss bedacht werden, dass eine Meldepflicht gerade bei einer so eng mit der Sexualität verknüpften Erkrankung doch diesen oder jenen Patienten davon abhalten könnte, einen Arzt aufzusuchen. Auch hier ist also wie bei jeder Maßnahme der Seuchenbekämpfung abzuwägen zwischen Vor- und Nachteilen …[33].

Die Gesamtzahl der gemeldeten Fälle nahm nach Inkrafttreten des IfSG im Jahr 2001 gegenüber dem Vorjahr um mehr als 10 % zu – mit einer erheblichen Arbeitsbelastung für die Labore und die Gesundheitsämter und mittelbar weiterhin der behandelnden Ärzte in Klinik und Praxis, wenn weitere Daten bei ihnen erhoben werden mussten. Erregernachweise aus Stuhlproben bei Magen-Darm-Erkrankungen alleine machten ca. 200.000 Meldungen aus. Zwischen 2001 und 2017 kam es insgesamt zu einer Zunahme aller meldepflichtigen Erkrankungen um 141.101 (ohne virale hämorrhagische Fieber, VHF) auf 385.880 Fälle, was einem Anstieg um 57 % entspricht. 40 % des Anstiegs war auf die neuen Meldepflichten Keuchhusten, Windpocken, Mumps und Röteln (39.711), schwere Erkrankung durch Clostridien (2803) und antibiotikaresistente Erreger (7148) zurückzuführen.

Im Jahr 2002 führte das RKI eine erste Umfrage zur Umsetzung des Infektionsschutzgesetzes in den Gesundheitsämtern durch [34]. 400 der 425 angeschriebenen Gesundheitsämter (94 %) nahmen teil. Erfragt wurden „Ressourcen (personelle und technische Ausstattung), Informationsbedarf (Zufriedenheit mit den bestehenden Angeboten/weiterer Trainingsbedarf), Datennutzung (Umfang eigener Datenauswertungen/Ergebnisrückkopplung) und Akzeptanz (Falldefinitionen, EDV-gestütztes Meldeverfahren)“. Insgesamt beschäftigten die Gesundheitsämter pro 100.000 Einwohner im Mittel 2,9 Personen (3,4 neue Bundesländer vs. 2,7 alte Bundesländer) mit durchschnittlich 12,3 (16,3 vs. 10,8) Wochenstunden im Meldewesen. Zum damaligen Zeitpunkt verfügten 8,6 % der für das Meldewesen zuständigen Bereiche nicht über Internet (20,6 % vs. 4,2 %). Die Zufriedenheit mit den Informationsangeboten des RKI sowie mit den Falldefinitionen war groß (>95 %), teilweise wurde jedoch ein hoher Ermittlungsaufwand beklagt. Nur etwa zwei Drittel der Gesundheitsämter nahmen eigene Datenauswertungen vor, was nicht nur an einer ggf. geringen Personalausstattung, sondern eher daran lag, dass diesem Bereich keine entsprechende Priorität eingeräumt wurde [34].

Evaluationen einzelner Meldepflichten (MRSA und Keuchhusten)

Mit der Einführung der Meldepflicht für MRSA-Nachweise in Blut- und Liquorkulturen im Jahr 2009 war die Erwartung verbunden worden, dass die nach dem Infektionsschutzgesetz vorhandenen Möglichkeiten des öffentlichen Gesundheitsdienstes, nosokomiale Infektionen zu verhüten und zu bekämpfen, gestärkt werden [35]. Bei der Auswertung der Daten durch das Gesundheitsamt Frankfurt am Main zeigte sich, dass bei ca. der Hälfte der Fälle die Blutentnahme am Tag 0–3 des stationären Krankenhausaufenthaltes stattgefunden hatte, es sich also um mitgebrachte und nicht in dieser Klinik nosokomial erworbene Fälle handelte und dass die Ermittlung der nach Falldefinition zu erhebenden klinischen Daten nur Aufwand für den Meldenden, aber keinen Nutzen für die Prävention mit sich brachte. Da ein Drittel bis die Hälfte der Patienten der Frankfurter Kliniken außerhalb Frankfurts wohnten und unabhängig von ihrem Wohnort in den Kliniken in Frankfurt zur Krankheitslast mit den notwendigen Hygiene- und Präventionsmaßnahmen führten, mahnten die Autoren an, dass die Meldungen unbedingt an das für den Aufenthaltsort des Patienten, also die Klinik, zuständige Gesundheitsamt gerichtet werden und im Klinikbezug ausgewertet werden müssen, z. B. als Inzidenz/1000 Patiententage [36,37,38]. Entgegen der Festlegung im IfSG waren Meldungen oft nicht an das für den Aufenthaltsort zuständige Gesundheitsamt, sondern direkt an das für den Wohnort zuständige Gesundheitsamt gerichtet worden. Die Meldewege wurden bei der Überarbeitung des IfSG nochmals eindeutig klargestellt. Da dem RKI Daten zu den Einrichtungen nicht zur Verfügung stehen, führt es seine Auswertungen weiterhin im Bevölkerungsbezug durch, wobei stets große regionale Unterschiede gefunden werden, die aber durch die im Meldesystem erhobenen Daten nicht geklärt werden können.

Im Jahr 2017 nahm das RKI eine Evaluation der Meldepflicht für MRSA-Nachweise in Blut- und Liquorkulturen anhand der Meldedaten 2009 bis 2016 und standardisierter Interviews bei 38 Gesundheitsämtern (10 % der Gesundheitsämter in Deutschland) und 10 von 16 Landesgesundheitsämtern vor [39]. Untersucht wurden die Einfachheit, Zeitnähe, Datenqualität, Akzeptanz und der Nutzen der Meldepflicht. Die Meldepflicht wurde seitens der Labore als einfach eingestuft und die Meldungen zeitnah an das Gesundheitsamt geschickt. Bei mehr als 3 Viertel der Meldungen waren Krankheitsbeginn bzw. Krankenhausaufnahme nicht dokumentiert, sodass eine Aussage zu „nosokomial oder mitgebracht“ nicht möglich war. Einige Gesundheitsämter sahen – wie das Gesundheitsamt Frankfurt am Main, s. oben – keinen Nutzen in der Erhebung der klinischen Daten. Manche Gesundheitsämter gaben an, nach einer solchen Meldung Begehungen durchzuführen und Unterstützung und Empfehlungen zu geben. Andere teilten mit, dass sie ihre Krankenhäuser gut kennen und diese keine weitere Unterstützung benötigen. Zusammenfassend stuften die Autoren die Meldepflicht als gut akzeptiert und nützlich ein, wobei die Beschränkung der Meldeinhalte auf relevante Variablen das System vereinfachen würde, ohne negativen Einfluss auf den Nutzen zu haben [39].

Drei Jahre nach Einführung der bundesweiten Meldepflicht für Keuchhusten lud das RKI im Jahr 2016 zu einem Erfahrungsaustausch zwischen Öffentlichem Gesundheitsdienst (ÖGD), Ärzteschaft und beteiligten Laboren ein, um Maßnahmen zur Verbesserung der Surveillance zu identifizieren. Trotz Informationen der Ärzteschaft, u. a. durch einen Beitrag im Deutschen Ärzteblatt [40], zeigte sich, dass viele Ärzte die Meldepflicht nicht kannten und das Ziel, „bundesweit verlässliche Daten zur Krankheitslast zu erheben“ [41], nicht erreicht wurde. Die Untererfassung wurde selbst bei den zu einem Krankenhausaufenthalt führenden schweren Fällen auf 40 % geschätzt. Als Probleme wurden u. a. benannt, dass das klinische Bild der Pertussis bei geimpften Personen häufig unspezifisch ist, dass bei Erwachsenen erst bei längerem Husten eine Diagnostik veranlasst wird, zu spät um dann noch Kontaktpersonen durch Antibiotikagabe zu schützen. Es wurde auf die niedrige Sensitivität der Kultur und die Probleme der serologischen Tests hingewiesen und nicht zuletzt auch auf Probleme mit der EDV-Software. Als Maßnahme wurde eine verbesserte Aufklärung auf allen Ebenen gefordert, d. h. von Ärzten in Praxis und Krankenhaus, von Laboren und Gesundheitsämtern. Die Abwägung Nutzen dieser Meldepflicht vs. Sentinel wurde nicht vorgenommen [41].

Priorisierung der Surveillance

Das RKI hat in aufwendigen Konsensusverfahren mit internen und externen, nationalen und internationalen Experten eine Priorisierung für eine Surveillance von Infektionserkrankungen vorgenommen [42,43,44]. Dabei wurden folgende Kriterien betrachtet und gewichtet: Inzidenz; Abwesenheit von der Arbeitsstelle oder Schule; Nutzung des Gesundheitswesens ambulant und stationär; Chronizität der Erkrankung und Folgen; Letalität; Anteil der Fälle, die ein Tätigwerden des öffentlichen Gesundheitsdienstes erfordern; Trend; öffentliche Aufmerksamkeit; Präventionsmöglichkeiten und -erfordernisse (inkl. Impfen), Behandlungsmöglichkeiten und -erfordernisse (inkl. Antibiotikaresistenzen). Insgesamt 127 Pathogene wurden so in 4 Prioritätsgruppen eingestuft – als Grundlage für eine mittelfristige Diskussion und Strategie zur Stärkung und ggf. Verbesserung der vorhandenen oder der Einführung neuer Surveillance-Systeme. Darüber hinaus sollen die Daten für die Priorisierung neuer nationaler Referenzzentren genutzt werden (bzw. für die Fortführung der bestehenden) – einschließlich der hierfür erforderlichen Ressourcenplanung.

Meldepflicht: Ja oder Nein?

Die Frage, ob eine Surveillance mittels Meldepflicht oder mit anderen Methoden, wie beispielsweise Sentinels, durchgeführt werden sollte, war jedoch nicht Gegenstand der oben genannten Konsensusverfahren. Insofern hat die im Jahr 2015 erschienene Arbeit einer Forschergruppe des European Centre for Disease Control (ECDC) mit dem Titel „To notify or not to notify: decision aid for policy makers on whether to make an infectious disease mandatorily notifiable“ [45], weitere Aspekte aufgegriffen. Mit Expertenpanels wurde ein Entscheidungsbaum erstellt, der die Entscheidung für oder gegen eine Meldepflicht ermöglicht (Abb. 1). Dabei werden zum einen Belange der internationalen Gesundheitsvorschriften und mögliche internationale Folgen einer Infektionskrankheit berücksichtigt ebenso wie Inzidenz und Trend einer Infektionserkrankung, die daraus resultierende Inanspruchnahme des Gesundheitssystems, die Möglichkeit der Ermittlung von Kontaktpersonen und der Prävention weiterer Erkrankungen sowie die Ableitung von Risikofaktoren zur Erarbeitung weiterer Präventionsstrategien. Darüber hinaus werden Aspekte der Praktikabilität und Umsetzbarkeit, wie beispielsweise die Angemessenheit (Proportionalität) der Arbeitsbelastung des öffentlichen Gesundheitswesens und die Eindeutigkeit der Erkennung der Infektionskrankheit anhand klarer klinischer, mikrobiologischer oder epidemiologischer Kriterien, aufgenommen. Auch rechtliche Aspekte wie das Subsidiaritätsprinzip (ist die Meldepflicht der einzige Weg, die notwendige Information zu erhalten) und der Datenschutz resp. der Schutz der Privatsphäre werden berücksichtigt (Abb. 1; Tab. 3).

Abb. 1
figure 1

Entscheidungsbaum zur Entscheidung für oder gegen eine Meldepflicht von Infektionskrankheiten oder -erregern. (Nach [45])

Tab. 3 Kriterien für Meldepflichten unter rechtlichen und Praktikabilitätsbetrachtungen unter Berücksichtigung des Beitrags für die Kontrolle der Erkrankung im Hinblick auf Effektivität (E), Machbarkeit resp. Durchführbarkeit (M) und Notwendigkeit (N). (Nach [45])

Schlussfolgerung

Angesichts der deutlichen Zunahme der Meldepflichten und damit der Meldungen von Infektionserkrankungen bzw. -erregern in den letzten Jahren in Deutschland und der Möglichkeiten des Infektionsschutzgesetzes, das neben der Meldepflicht weitere Surveillance-Systeme vorsieht, erscheint es geboten, nach fast 20 Jahren das Meldesystem durch Fokussierung auf notwendige Meldepflichten zu verbessern. Dies insbesondere mit dem Ziel, mit den Kriterien von Bijkerk et al. [45] auch die Praktikabilität und den Datenschutz auf den Prüfstand zu stellen.

In einem ersten Schritt sollten die Meldepflichten mit der größten Anzahl der jährlichen Meldungen – wie gastrointestinale Erkrankungen – betrachtet werden. Dies betrifft u. E. insbesondere die Meldungen der Nachweise von Noroviren und Rotaviren, die mit ca. 80.000–100.000 bzw. 20.000–40.000 Meldungen jährlich zu Buche schlagen und die nicht in den EU-Ratsbeschlüssen aufgeführt sind. Da die Meldepflicht für Erkrankte im Lebensmittelbereich oder solche in epidemiologischen Zusammenhang (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2) sowie für nosokomiale Häufungen (§ 6. Abs. 3) bestehen bleibt, können notwendige Ermittlungs- und Präventionsmaßnahmen weiterhin vorgenommen werden – unter Vermeidung von jährlich Zehntausenden namentlichen Meldungen (d. h. Speicherung Zehntausender personenbezogener Datensätze jährlich). Dies könnte sowohl die Meldenden als auch die Gesundheitsämter entlasten und so ein effizienteres Meldewesen und intensivere und bessere Ermittlungsarbeit der Gesundheitsämter ermöglichen.