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Das pädiatrische Elterngespräch und Frühe Hilfen

Eine Übersicht über Grenzen der Belastungsansprache in Früherkennungsuntersuchungen

Pediatrician-parent interaction and early prevention

A review about the limits in addressing psychosocial risks during well-child visits

  • Leitthema
  • Published:
Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz Aims and scope

Zusammenfassung

Hintergrund

Hinweise in Früherkennungsuntersuchungen auf belastende familiäre Lebensumstände führen selten zu Weiterleitungen von Familien in die Frühen Hilfen.

Ziel

Eine Zusammenschau von Studienergebnissen, die beschreiben, wie die Akteure innerhalb der vorgegebenen Rahmenbedingungen psychosoziale Belastungen verhandeln, mit welchen Herausforderungen und Schwierigkeiten sie dabei konfrontiert sind und welche Optionen sich für Zugänge in die Frühen Hilfen zeigen.

Methodik

Es werden die Ergebnisse aus Studien zusammengefasst, die das praktische Handeln und die Gespräche der Akteure in Früherkennungsuntersuchungen authentisch aufgezeichnet haben und gesprächsanalytisch und ethnomethodologisch ausgewertet haben.

Ergebnisse

Früherkennungsuntersuchungen folgen einem hoch routinierten Ablaufschema, das durch institutionelle Rahmenbedingungen stark beeinflusst ist. Psychosoziale Belastungen und entwicklungsrelevante Aspekte familialer Lebenswelten werden von Ärzten als auch von Eltern vereinzelt, meist indirekt und vage angesprochen und in Bezug auf Frühe-Hilfen-Kontexte kaum entscheidungsrelevant vertieft. Die häufig von Pädiatern initiierten Beratungen orientieren sich weniger an konkreten Beratungsbedarfen der Eltern als an normativen Orientierungen über anstehende Entwicklungsaufgaben.

Fazit

Die Praxisanalysen zeigen, dass es in den Früherkennungsuntersuchungen derzeit keinen „Slot“ gibt, der den Akteuren anzeigt, zu welchem Zeitpunkt welche psychosozialen Themen auf welche Art und Weise und zu welchem Zweck besprochen werden können. Für dessen Generierung bedarf es einer transparenten strukturierten Elternbefragung, einer motivierenden Gesprächsführung und eines Lotsens in die Frühen Hilfen.

Abstract

Background

Pediatricians can be a door opener to early prevention for families at risk. The German well-child program is well-established, but there is a gap between the structural possibilities and the observed placements.

Objective

The aim of this review is to show how pediatricians and parents talk about psychosocial risks under the very structured conditions of well-child visits. The challenges and traps of the framed interactions will be described and options for early prevention will be shown.

Methods

The review is primarily based on the work of conversational and ethnomethodological studies reconstructing the pediatrician’s discussion with parents about psychosocial issues in the family.

Results

Well-child visits are a highly routinized practice. Talking about family issues for both partners is a difficult task. Discussions about psychosocial issues are seldom and vague . Predominantly, they work cooperatively on reciprocal normalization of the child’s development. Based on this shared orientation, pediatricians make an early, mostly general, prescription of parental tasks, supporting the child in the next developmental step. This kind of routine anticipatory counselling puts some pressure on the parents. Parents under unknown stress could be overburdened with this advice.

Conclusion

In the script of well-child visits, there are no slots that indicate to pediatricians and parents when, which, how and for what purpose psychosocial issues can be discussed and negotiated. For implementing such slots in well-child visits, three steps are necessary: a structured and regular assessment of psychosocial issues, a trained pediatrician in motivational interviewing and a social worker guiding the family in the network of early prevention.

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Abb. 1
Abb. 2
Abb. 3

Notes

  1. Der besseren Lesbarkeit wegen wird durchgängig die männliche Form verwendet.

  2. Download unter: www.fruehehilfen.de/fruehe-hilfen/einzelansicht-publikationen-anhaltsbogen/.

  3. Die Beobachtungsstudie wurde im Rahmen der vom Nationalen Zentrum Frühe Hilfen (NZFH) geförderten Studie „Entwicklung eines Erhebungsverfahrens zum Bedarf an Frühen Hilfen im Rahmen pädiatrischer Früherkennungsuntersuchungen“ durchgeführt [12].

  4. Zur handlungs- und wahrnehmungsleitenden Funktion dieser Version liegen derzeit noch keine empirischen Studien vor. Die elterliche Rollendefinition und Ansprache sind in beiden Versionen ähnlich.

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Barth, M. Das pädiatrische Elterngespräch und Frühe Hilfen. Bundesgesundheitsbl 59, 1315–1322 (2016). https://doi.org/10.1007/s00103-016-2426-4

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