Die Zahl der jährlich in Fachzeitschriften publizierten intensivmedizinischen Beiträge ist inzwischen unüberschaubar geworden. Daher sollen in der vorliegenden Übersicht Publikationen aus dem Jahr 2010 und der ersten Jahreshälfte 2011 mit klinisch-praktischer Relevanz für die Intensivmedizin vorgestellt werden. Diese umfasst somit im Wesentlichen randomisierte kontrollierte Studien („randomized controlled trials“, RCT; Tab. 1) und Metaanalysen. Experimentelle Arbeiten und Studien, deren Ergebnisse keinen unmittelbaren Einfluss auf die praktische Tätigkeit auf einer Intensivstation (ICU) haben, wurden nicht berücksichtigt.

Tab. 1 Übersicht über die wichtigsten randomisierten kontrollierten Studien zur Intensivmedizin der vergangenen 12 Monate

Analgesie, Sedierung und Delirmanagement

Analgosedierung und Sedierungsstopp

Eine adäquate Analgosedierung ist eines der wichtigsten therapeutischen Ziele im intensivmedizinischen Alltag. In den vergangenen Jahren hat sich neben Fentanyl und Sufentanil aufgrund der sehr kurzen Halbwertszeit von nur 4 min auch nach langandauernder Infusion zunehmend Remifentanil als Opioid zur Analgosedierung von Intensivpatienten etabliert. In diesem Zusammenhang wird daher auch die Gefahr der Hyperalgesie nach Beendigung der Remifentanilzufuhr diskutiert. In einer prospektiven, randomisierten und doppelblinden Studie wurde nun die Qualität der Analgesie unter Remifentanil im Vergleich zu Fentanyl untersucht [40]. Die Studie wurde nach Aufnahme der ersten 60 Patienten abgebrochen, da in der Interimsanalyse kein Unterschied im Hinblick auf die Analgesiequalität nachgewiesen werden konnte. Als weiteres Ergebnis zeigte sich jedoch auch, dass durch eine Analgosedierung mit Remifentanil weder die Beatmungsdauer (136 h unter Remifentanil vs. 162 h unter Fentanyl) noch die ICU- bzw. Krankenhausverweildauer (23 vs. 26 Tage bzw. 33 vs. 39 Tage) signifikant verkürzt werden können. Aufgrund des vorzeitigen Studienabbruchs und der der geringen Patientenzahl geschuldeten kleinen statistischen „power“ müssen die Daten der sekundären Endpunkte mit Vorsicht interpretiert werden.

Fazit

Eine große prospektive Untersuchung, ob sich die kürzere kontextsensitive Halbwertszeit von Remifentanil wirklich in einer Verkürzung der Beatmungsdauer widerspiegelt und damit den höheren Kostenaufwand rechtfertigt, erscheint sinnvoll.

Fokussiert wurde in den vergangenen Jahren auch auf die Bedeutung eines täglichen Sedierungsstopps und Spontanatmungsversuchs zur Verkürzung der Beatmungsdauer [13]. Strom et al. [42] untersuchten sogar den fast vollständigen Verzicht auf eine medikamentöse Sedierung beim Intensivpatienten. Die Studiengruppe (n = 70) erhielt bei Bedarf 2,5–5 mg Morphin i.v., aber keine weitere sedierende Medikation. Falls sich ein Patient unruhig und gestresst zeigte, wurden mögliche Ursachen (z. B. Hypoxie, Schmerz) behandelt. Bei 11 Patienten wurde eine weitere Person hinzugezogen, um mit dem Patienten zu reden und ihn verbal zu beruhigen. Bei Zeichen eines Delirs wurde mit Haldol (1–5 mg i.v.) behandelt. Obwohl die Patienten nicht fixiert wurden, kam es in keinem Fall zu einer unbeabsichtigten Extubation. Die Kontrollgruppe (n = 70) erhielt dagegen neben Morphin auch Propofol, um einen Ramsay-Score von 3–4 mit täglichem Sedierungsstopp zu erreichen. Patienten ohne Sedierung wurden im Schnitt 4,2 Tage kürzer mechanisch beatmet (p = 0,02), lagen dadurch kürzer auf der Intensivstation (13,1 vs. 22,8 Tage, p = 0,03) und hatten eine kürzere Krankenhausverweildauer (34 vs. 58 Tage, p = 0,004). Einschränkend muss festgestellt werden, dass in der Kontrollgruppe bei einer Sedierung  > 48 h von Propofol auf Midazolam umgestellt wurde, mit einer entsprechenden Verlängerung der Beatmungsdauer. Darüber hinaus betrug das Patient-Pflegekraft-Verhältnis 1:1, das bei Bedarf um eine weitere Person zur Beruhigung des Patienten erweitert werden konnte.

Fazit

Aufgrund dieser Limitation scheint das Konzept der „no sedation“ in der Praxis außerhalb von Studienbedingungen kaum umsetzbar.

Jackson et al. [18] zeigten in einer Studie die Auswirkung eines täglichen Aufwach- und Spontanatmungsversuchs auf das kognitive und psychologische Ergebnis nach Ende der Intensivtherapie. Randomisiert kontrolliert wurden 187 Patienten entweder einem täglichen Aufwachversuch oder einer kontinuierlichen Sedierung unterzogen. Drei und 12 Monate nach ICU-Entlassung wurde das kognitive Ergebnis evaluiert. Weder in der kognitiven Leistungsfähigkeit noch in der Inzidenz an Depression oder posttraumatischer Belastungsstörung oder der Lebensqualität nach der Intensivtherapie waren signifikante Unterschiede zwischen den beiden Patientengruppen nachzuweisen.

Fazit

Die Sorge, dass Patienten durch einen täglichen Aufwachversuch möglicherweise psychisch traumatisiert werden könnten, erscheint nach den Ergebnissen dieser Studie unberechtigt.

Delir

Bis zu 80% aller Intensivpatienten erleiden ein Delir. Mit der prognostischen Bedeutung des Auftretens eines Delirs beim Intensivpatienten befasste sich 2010 eine internationale multizentrische Studie [36]. Diese konnte eine deutliche und unabhängige Assoziation zwischen der Delirdauer und der Letalität sowie der Dauer der Respiratorabhängigkeit und der Intensivbehandlung nachweisen. Ab dem 3. Tag des Delirs war die Sterblichkeit im Vergleich zu Patienten ohne Delir mehr als 3-fach erhöht [“odds ratio“ (OR): 3,4, 95%-Konfidenzintervall (95%-KI): 1,9–7,2, p < 0,001].

Mit den Langzeitfolgen eines Delirs im intensivmedizinischen Bereich befasste sich eine prospektive Kohortenstudie an 126 Patienten von Girard et al. [14]. Hier war ebenfalls die Dauer des Deliriums in der Multivarianzanalyse ein unabhängiger Prädiktor für eine kognitive Beeinträchtigung 3 und 12 Monate nach Krankenhausentlassung (p = 0,02 bzw. 0,03).

Fazit

Das Delir ist mit einer Erhöhung des Risikos für Tod, lange Beatmungs- sowie Behandlungsdauer assoziiert und verursacht kognitive Störungen, die den Patienten noch lange nach der intensivmedizinischen Therapie beeinträchtigen.

Als pathophysiologische Ursache für die Entstehung eines Delirs wird eine Störung der cholinergen Neurotransmission angenommen. Aus diesem Grund werden häufig Cholinesteraseinhibitoren zur Therapie des Deliriums eingesetzt. Daher untersuchten van Eijk et al. [49] in einer prospektiven, doppelblinden und randomisierten placebokontrollierten Multizenterstudie auf 6 Intensivstationen den Effekt von Rivastigmin als Cholinesteraseinhibitor zusätzlich zur Standardtherapie des Deliriums mit Antipsychotika und Benzodiazepinen.

Die Erkrankungsschwere, gemessen anhand der Acute Physiology And Chronic Health Evaluation (APACHE) II und Sequential Organ Failure Assessment (SOFA) Scores, die Begleiterkrankungen sowie wichtige Risikofaktoren für die Entstehung eines Deliriums (z. B. Alkoholabusus, Schwerhörigkeit) waren in beiden Gruppen vergleichbar. Nach Aufnahme von 109 Patienten wurde die Studie aufgrund eines deutlichen Trends hin zu einer erhöhten Letalität in der Rivastigmingruppe (22 vs. 8%, p = 0,07) vorzeitig abgebrochen. Die Delirdauer konnte durch Rivastigmin nicht gesenkt werden, sondern zeigte im Gegenteil eine Tendenz hin zu einer längeren Dauer, ohne jedoch eine statistische Signifikanz zu erreichen (5,0 vs. 3,0 Tage, p = 0,06). Obwohl der Richmond Agitation Sedation Score (RASS) zu Beginn der Therapie in beiden Gruppen vergleichbar war, wiesen Patienten unter Rivastigmin eine schwerere Ausprägung des Deliriums und eine längere Verweildauer auf der Intensivstation auf.

Fazit

Auch wenn die zugrunde liegenden pathophysiologischen Ursachen des Delirs und Fallserien den Nutzen von Cholinesteraseinhibitoren zur Therapie des Delirs nahelegen, kann ein Einsatz von Rivastigmin nach den nun vorliegenden Daten nicht empfohlen werden.

Beatmung und „acute respiratory distress syndrome“

Die Inzidenz des „acute respiratory distress syndrome“ (ARDS; Abb. 1) in Europa beträgt 2–16/100.000 Einwohner/Jahr. Mit einer Letalität von 40–50% stellt das ARDS ein schweres intensivmedizinisches Krankheitsbild dar, für das trotz aller Forschungsbemühungen in den vergangenen Jahren keine medikamentöse Therapieoption gefunden werden konnte. Neben der chirurgischen und/oder antibiotischen Fokussanierung gelingt es allein durch die lungenprotektive Beatmung, das Überleben bei ARDS zu verbessern. Durch eine neuromuskuläre Blockade kann die kontrollierte, lungenschonende Ventilation des Patienten erleichtert werden. Ob sich dies auch in einer Reduktion der Letalität widerspiegelt, wurde von Papazian et al. [32] in einer randomisierten, kontrollierten, doppelblinden Multizenterstudie an 340 Patienten untersucht. Innerhalb von 48 h nach Beginn des ARDS wurden Patienten (n = 178) entweder für 48 h mit Cisatracurium (15 mg Initialbolus, 37,5 mg/h Dauerinfusion) oder mit Placebo (n = 162) behandelt. Durch eine Muskelrelaxierung für 48 h konnte zwar die 90-Tage-Letalität im gesamten Patientenkollektiv nicht signifikant gesenkt werden (31,6 vs. 40,7%, p = 0,08), jedoch profitierten in einer Subgruppenanalyse die Patienten mit einem besonders schweren ARDS [Horovitz-Index (paO2/FIO2) < 120 mmHg, n = 225] hinsichtlich der Letalität von der neuromuskulären Blockade (30,8 vs. 44,6%, p = 0,04). Im gesamten Kollektiv war die Oxygenierung am 7. Tag nach Studienbeginn unter Muskelrelaxierung signifikant besser (paO2/FIO2 177 ± 72 vs. 160 ± 62 mmHg). Ferner konnten die Patienten in der Cisatracuriumgruppe schneller vom Beatmungsgerät entwöhnt werden (beatmungsfreie Tage nach 90 Tagen: 53,1 ± 35,8 vs. 44,6 ± 37,5 Tage, p = 0,03) und die Chance, nach 90 Tagen erfolgreich das „weaning“ abgeschlossen zu haben, konnte durch eine Behandlung mit Cisatracurium um den Faktor 1,41 (95%-KI: 1,08–1,83, p = 0,01) gesteigert werden. Dass durch eine Muskelrelaxierung das Barotrauma der Lunge reduziert wird, kann an der signifikant reduzierten Inzidenz eines Pneumothorax in der Cisatracuriumgruppe erkannt werden (4,0 vs. 11,7%, p = 0,01). Nachteilige Effekte durch die neuromuskuläre Blockade, insbesondere eine prolongierte Muskelschwäche, wurden möglicherweise aufgrund der nur kurzfristigen Anwendung von Cisatracurium nicht beobachtet.

Abb. 1
figure 1

Computertomografischer Befund eines Patienten mit schwerem „acute respiratory distress syndrome“ bei Pneumonie

Fazit

Durch eine neuromuskuläre Blockade zu Beginn eines schweren ARDS können die Beamtungsdauer verkürzt und die Letalität reduziert werden. Welches Muskelrelaxans sich am besten eignet, für wie lange eine Blockade durchgeführt werden sollte und ob durch eine tiefe Sedierung evtl. die gleichen Effekte erzielt werden können, müssen weitere Studien zeigen. Eine weitere Limitation der Studie ist, dass die Zahl der teilnehmenden Patienten, retrospektiv gesehen, aufgrund einer unerwartet niedrigen Letalität in der Placebogruppe zu gering bemessen wurde und ein positiver Effekt auf die 90-Tage-Letalität lediglich in einer Subgruppe nachgewiesen werden konnte. Daher sollte trotz der sehr relevanten Ergebnisse vor einer flächendeckenden Umsetzung eine Verifikation durch weitere Studien folgen.

Mit der Frage, wie hoch der positive endexspiratorische Druck („positive end-expiratory pressure“, PEEP) bei Patienten mit ARDS gehalten werden soll, befasst sich die Arbeit von Caironi et al. [7]. Sie konnten nachweisen, dass Patienten mit hoher Rekrutierbarkeit von Lungengewebe von der Applikation eines hohen PEEP (15–20 cm H2O) profitieren. Allerdings sollte bei Patienten mit möglicherweise erhöhtem intraabdominellem Druck und einer Beatmung mit einem PEEP über 12 cm H2O eine Messung des intraabdominellen Drucks erfolgen, um eine gefährliche Reduktion des abdominellen Perfusionsdrucks zu vermeiden [51].

Die Hochfrequenzoszillationsventilaton (HFOV, Abb. 2) ist eine Therapieoption beim „acute respiratory distress syndrome“. Eine Metaanalyse ergab für die Hochfrequenzoszillationsventilaton eine Reduktion der Krankenhaus- bzw. 30-Tage-Letalität (OR: 0,77, 95%-KI: 0,61–0,98, p = 0,03) und eine Reduktion des Risikos eines Therapieversagens (z. B. refraktäre Hypoxämie, Hyperkapnie, Hypotension oder Barotrauma, OR: 0,67, 95%-KI: 0,46–0,99, p = 0,04, [43]). Darüber hinaus konnte in den ersten 24 h der Beatmung mit HFOV eine 1,24-fach bessere Oxygenierung erzielt werden als mit konventioneller Beatmung (gemessen anhand des Horovitz-Quotienten, p < 0,001). Eine erhöhte Rate von unerwünschten Nebenwirkungen der HFOV wie Barotrauma, Hypotension oder eine Verlegung des Beatmungsschlauchs wurde nicht beobachtet.

Abb. 2
figure 2

Gerät zur Hochfrequenzoszillationsventilation

Eine weitere Metaanalyse untersucht den Nutzen der Bauchlage bei schwerem hypoxämischem Lungenversagen (paO2/FIO2 < 100 mmHg) im Vergleich zum Lungenversagen weniger schwerer Ausprägung (100 mmHg ≤ paO2/FIO2 ≤ 300 mmHg, [44]). Insgesamt wurden die Daten von 1867 Patienten aus 10 RCT ausgewertet. Die Analyse der aggregierten Daten ergab bei einem Horovitz-Quotienten von  < 100 mmHg durch die Bauchlagerung eine Reduktion der Letalität (OR: 0,84, 95%-KI: 0,74–0,96, p = 0,01). In einer Post-hoc-Analyse stellte sich ein Horovitz-Quotient von 140 mmHg als Grenzwert dar, ab dem die Letalität durch eine Bauchlagerung gesenkt werden konnte. Eine weitere Post-hoc-Analyse legt die Vermutung nahe, dass eine Bauchlagerung  > 14 h/Tag die Letalität effektiver reduziert als eine Bauchlagerung kürzerer Dauer.

Fazit

Frühzeitige HFOV und Bauchlagerung bei schwerem hypoxämischem Lungenversagen können die Letalität des ARDS senken. Auch wenn die Ergebnisse von großen multizentrischen RCT noch ausstehen, sollten entsprechende Therapieprinzipien in das Behandlungskonzept von ARDS-Patienten integriert werden.

Das ARDS tritt teilweise schon in einer sehr frühen Versorgungphase beim polytraumatisierten Patienten auf, in der die Blutgerinnung oft noch desolat ist und eine „damage control surgery“ mit der Gefahr von Blutverlusten durchgeführt werden muss. Diese Konstellation wird häufig aufgrund der Blutungskomplikation als Kontraindikation für eine extrakorporale Membranoxygenierung (ECMO) angesehen. Arlt et al. [1] berichteten 2010 über ihre ersten Erfahrungen einer ECMO-Therapie an 9 polytraumatisierten Patienten, die im hämorrhagischen Schock zur Aufnahme kamen und ein schweres ARDS entwickelten, sowie einem Patienten mit einer offenen Thoraxverletzung, hämorrhagischem Schock und ARDS. Durch die ECMO-Therapie gelang es, den Gasaustausch zu verbessern [Median des Horovitz-Quotienten vor ECMO 47 vs. 69 mmHg 2 h nach ECMO-Beginn, arterieller Kohlendioxidpartialdruck (paCO2) 67 vs. 41 mmHg]. Darüber hinaus konnte unter der ECMO-Therapie der Kreislauf stabilisiert werden [Median des mittleren arteriellen Drucks („mean arterial pressure“, MAP) vor ECMO 68 vs. 74 mmHg 2 h nach ECMO-Beginn] unter gleichzeitiger Reduktion des Bedarfs an Noradrenalin (Median 3,0 vs. 0,9 mg/h). Obwohl zunächst auf eine aktive Antikoagulation verzichtet wurde, konnten weder thromboembolische Ereignisse noch eine Einschränkung der Funktionsfähigkeit des ECMO-Geräts beobachtet werden.

Fazit

Die Untersuchung von Arlt et al. [1] beruht auf einer sehr kleinen Patientenzahl von nur 10 Patienten. Diese zeigt jedoch, dass eine heparinfreie ECMO-Therapie auch bei schwerem Trauma und begleitendem hämorrhagischem Schock möglich ist.

Tracheotomie

Die Tracheotomie als Alternative zur endotrachealen Intubation wird bei Patienten, die über längere Zeit beamtet werden müssen, wegen der angenommenen geringeren Häufigkeit an ventilatorassoziierten Pneumonien (VAP) und des leichteren Weaning als vorteilhaft gesehen. Wann jedoch die Tracheotomie durchgeführt werden sollte, ob bereits innerhalb der ersten Woche (2 bis 4 Tage nach Beginn der Beatmung) oder mit Verzögerung (z. B. nach 2-Wochen-Beatmungsdauer), wird kontrovers diskutiert. Terragni et al. [46] untersuchten in einem prospektiven RCT an 419 Patienten, die entweder nach 6 bis 8 oder nach 13 bis 15 Beatmungstagen tracheotomiert wurden, die Häufigkeit an VAP als primären Endpunkt sowie den Weaningerfolg, die ICU-Liegedauer und die Letalität als sekundäre Endpunkte. Das Risiko, eine VAP zu erleiden, betrug nach früher Tracheotomie 14% (95%-KI: 10–19%) und nach später Tracheotomie 21% (95%-KI: 15–26%, p = 0,07). Durch eine frühe Tracheotomie konnte der Anteil der Patienten, die nach 28 Tagen noch vom Respirator abhängig waren (OR: 0,7, 95%-KI: 0,56–0,87), ebenso wie der Anteil der Patienten, die einer Intensivtherapie bedurften (OR: 0,73, 95%-KI: 0,55–0,97), gesenkt werden. Auf die Einjahresüberlebensrate hatte dies jedoch keinen Einfluss (50 vs. 43%, p = 0,25). Durch eine frühe im Vergleich zur späten Tracheotomie konnte somit in dieser Studie weder die Inzidenz einer VAP noch die Letalität gesenkt werden.

Fazit

Durch eine Verzögerung des Zeitpunkts der Tracheotomie kann ohne Nachteile für den Patienten die Rate an Tracheotomien und damit auch die Inzidenz der mit dem Eingriff assoziierten Komplikationen gesenkt werden.

Sepsistherapie

Chirurgische Fokussanierung

Die sekundäre Peritonitis ist eine der Hauptursachen der Sepsis. Die chirurgische Therapie besteht in der Regel in einer Laparatomie zur Fokussanierung. Daran können sich entweder geplante Relaparatomien (z. B. alle 24 h) anschließen oder Relaparatomien „on demand“ bei fehlender klinischer Verbesserung bzw. bei Verschlechterung des klinischen Zustands des Patienten. Bereits 2007 konnte in einer RCT an 232 Patienten mit sekundärer Peritonitis gezeigt werden, dass sich durch Relaparatomien „on demand“ die Beatmungsdauer und die Verweildauer des Patienten sowohl auf der Intensivstation als auch im Krankenhaus verkürzen lässt, während sich dagegen die Letalität und Morbidität (z. B. Anastomoseninsuffizienz oder Hohlorganperforation) im Vergleich zu geplant relaparatomierten Patienten nicht unterscheiden [50]. Darüber hinaus konnte nun in einer weiteren Analyse belegt werden, dass die On-demand-Laparatomie kosteneffektiv ist [31]. Es fanden sich im Mittel um EUR 17.682 (95%-KI: EUR 5062–29.004) geringere Kosten bei Relaparatomie „on demand“ im Vergleich zu geplanter Relaparatomie.

Stationäre Überwachung – Frühdetektion

Um innerklinische Notfälle frühzeitig zu detektieren, untersuchten Taenzer et al. [45] bei orthopädischen Patienten den Einsatz einer kontinuierlichen pulsoxymetrischen Überwachung bei allen postoperativen Patienten auf einer orthopädischen Normalstation im Vergleich zur Monitorüberwachung von einzelnen, besonders kritisch kranken Patienten. Im Rahmen der Studie wurden alle Patienten einer Normalstation mithilfe eines drahtlosen Pulsoxymeters überwacht. Bei Überschreitung von zuvor für den Patienten festgelegten Alarmgrenzen erfolgte die Information der zuständigen Pflegekraft über einen Funkrufempfänger. Es wurden die Häufigkeiten der Alarmierungen des Notfallteams und der Notwendigkeit einer Patientenverlegung von der Normal- auf eine Intensivstation evaluiert. Nachdem alle Patienten auf der Normalstation pulsoxymetrisch überwacht wurden, musste das Notfallteam nur noch 1,2(± 0,94)-mal/1000 Patientenentlassungen alarmiert werden im Vergleich zu 3,4 ± 2,2 Alarmierungen vor Einführung der Pulsoxymetrie (p = 0,01). Eine Verlegung von Patienten auf eine Intensivstation war nur noch 2,9(± 2,0)-mal/1000 Patiententagen nötig (vs. 5,6 ± 2,8 Verlegungen, p = 0,02).

Fazit

Durch ein kontinuierliches einfaches pulsoxymetrisches Monitoring aller postoperativen Patienten auch auf einer Normalstation kann die Notwendigkeit einer Patientenaufnahme auf eine Intensivstation signifikant gesenkt werden.

In der Analyse eines niederländischen Intensivstationsregisters von 2002–2008 wurde die Letalität in Abhängigkeit vom Zeitpunkt der Intensivstationsaufnahme analysiert (Tageszeit und Wochentag, [23]). Es wurde zwischen „office hours“ (werktags von 8.00–22.00 Uhr, am Wochenende von 9.00–18.00 Uhr) und „off hours“ (restliche Zeit) unterschieden. Die Krankenhausletalität wurde hinsichtlich der Erkrankungsschwere bei Aufnahme mithilfe des APACHE II Score korrigiert. Insgesamt wurden 149.894 Patienten in die Analyse integriert. Die Letalität außerhalb der Office hours war signifikant erhöht (OR: 1,059, 95%-KI: 1,031–1,088) und war in den Off hours höher als erwartet. Es fand sich kein signifikanter Letalitätsunterschied von Montag bis Donnerstag; nur freitags zeigte sich eine leichte Letalitätserhöhung (OR: 1,046, 95%-KI: 1,001–1,092). Im Vergleich zu den Wochentagen zeigte sich am Wochenende eine geringe, aber signifikante Erhöhung der Letalität (OR: 1,10, 95%-KI: 1,07–1,14). Jedoch schränkten die Autoren selbst die Aussagekraft vor dem Hintergrund der Vielzahl an Beeinflussungsfaktoren ein.

Ähnliche Ergebnisse lassen sich für die Aufnahme des Myokardinfarkts im Krankenhaus [22] und für das Überleben von innerklinischen Herz-Kreislauf-Stillständen finden [33]. Wesentliches zugrunde liegendes Problem könnte hier die reduzierte personelle Ressource (sowohl hinsichtlich der Zahl als auch der Qualifikationsstufe) in den Abend- und Nachtstunden bzw. am Wochenende sein.

Prähospitale und frühe innerklinische Sepsistherapie

Obwohl sich das angloamerikanische „Paramedic“-basierte und das deutschsprachige notarztgestützte Rettungssystem deutlich unterscheiden, liegt nun eine interessante Untersuchung zur prähospitalen Versorgung von septischen Patienten aus den USA vor. In einer prospektiven einjährigen Kohortenstudie wurden diejenigen Patienten untersucht, die mit einer schweren Infektion über eine Notaufnahme in einem städtischen Klinikum aufgenommen wurden [52]. Von 4613 Patienten mit schweren Infektionen waren 1576 (34,2%) über den Rettungsdienst zur Krankenhausaufnahme gekommen. Diese Patienten waren im Durchschnitt älter und wiesen im Vergleich zu den nicht mit dem Rettungsdienst aufgenommenen Patienten häufiger Tachypnoe, Tachykardie und Hypotension auf. In der durch den Rettungsdienst versorgten Patientengruppe waren v. a. Pneumonien und Harnwegsinfekte/Pyelonephritiden ursächlich für die Sepsis. Die Letalität der durch den Rettungsdienst behandelten Patienten war signifikant höher als die Letalität der Patienten, die ohne Rettungsdienst zur Aufnahme kamen (8 vs. 2%). Die vom Rettungsdienst vorversorgten Patienten hatten bei Krankenhausaufnahme zu einem höheren Anteil eine schwere Sepsis (OR: 3,9, 95%-KI: 3,4–4,5) und einen septischen Schock (OR: 3,6, 95%-KI: 2,6–5,0).

Fazit

Diese Untersuchung zeigt, dass mehr als ein Drittel aller Sepsispatienten in einer Notaufnahme und v. a. die besonders schwer erkrankten Patienten durch den Rettungsdienst eingeliefert werden. Somit erscheint es notwendig, zum einen das Rettungsdienstpersonal in der klinischen Diagnose des septischen Krankheitsbilds auszubilden und zum anderen im Sinne des möglichst frühen Beginns einer Therapie, bereits prähospital invasive Maßnahmen zur Sepsistherapie (d. h. Volumen- und Katecholamintherapie sowie respiratorische Optimierung) umzusetzen, um das Überleben der Patienten zu verbessern. Bundesdeutsche Daten zur prähospitalen Versorgung von septischen Patienten im Notarztdienst fehlen. Dieser interessanten Fragestellung sollte zukünftig weiter nachgegangen werden.

Sepsisbündel

Um eine organisierte, rasche und geordnete initiale Sepsistherapie durchzuführen, wurden „Sepsisbündel“ (www.survivingsepsis.org) entwickelt. Diese gebündelten Interventionen sollen das Überleben der Patienten optimieren. In einer Metaanalyse von Barochia et al. [3] wurde nun das Überleben erwachsener Sepsispatienten bei einer Therapie mithilfe der Sepsisbündel mit dem Überleben bei nichtprotokollbasierter Therapie verglichen. Acht nichtverblindete und eine randomisierte Untersuchung sowie 7 Studien mit historischen Kontrollen gingen in die Auswertung ein. Die Therapie mit Sepsisbündeln war mit einem Überlebensvorteil (OR: 1,91, 95%-KI: 1,49–2,45, p < 0,0001) assoziiert. Darüber hinaus wiesen die Autoren eine Zeitreduktion von mehr als einer halben Stunde bis zur ersten Antibiotikagabe (95%-KI: 0,33–0,85 h, p < 0,0001) und die häufigere Gabe geeigneter Antibiotika (OR: 3,06, 95%-KI: 1,69–5,53, p < 0,0002) durch Sepsisbündel nach.

Ähnliche Ergebnisse zeigt eine multizentrische prospektive Untersuchung zur Sepsis. Auf 17 Intensivstationen wurden 4142 Patienten binnen eines Jahres in die Studie aufgenommen [8]. Von allen Patienten litten 897 (24%) an einer ambulant erworbenen Sepsis und 778 (87%) hatten bei ICU-Aufnahme eine schwere Sepsis oder einen septischen Schock. Innerhalb der ersten 6 h nach Krankenhausaufnahme wurde bei 62% die Laktatkonzentration im Serum gemessen, 69% hatten eine Volumentherapie erhalten, bei 77% waren Materialen für mikrobiologische Untersuchungen vor Antibiotikagabe und bei 48% der Patienten Blutkulturen gewonnen worden. Bei 52% der Patienten war binnen der ersten Stunde nach Diagnose eine Antibiotikagabe erfolgt, Vasopressoren waren bei 78% der Patienten etabliert worden. Bei 56% der Patienten wurde der zentrale Venendruck bestimmt und bei 17% die zentralvenöse Sättigung. Dobutamin wurde 52% der Patienten gegeben. Bei Durchführung aller Maßnahmen des 6-h-Bündels konnte eine deutliche Letalitätsratenreduktion sowohl bei schwerer Sepsis (OR: 0,44, 95%-KI: 0,24–0,80) als auch bei septischem Schock (OR: 0,49, 95%-KI: 0,25–0,95) für die 28-Tage-Letalitätsrate gezeigt werden. Es wurde eine „number needed to treat“ (NNT) von 6 berechnet.

Prokalzitonin

Kopterides et al. [21] führten aktuell eine erste Metaanalyse der publizierten Daten zum Nutzen einer Prokalzitonin(PCT)-Messung zur Steuerung einer Antibiotikatherapie bei Intensivpatienten durch. In diese Arbeit wurden alle randomisiert und kontrolliert durchgeführten Studien zu einer PCT-geleiteten Antibiotikatherapie, die bis April 2010 veröffentlich wurden, einbezogen. Dabei handelte es sich um 7 Studien mit insgesamt 1131 sowohl internistischen als auch operativen Intensivpatienten (1010 Erwachsene, 121 Neugeborene).

In den eingeschlossenen Studien wurden Patienten mit einer Antibiotikatherapie nach einem Routinevorgehen ohne PCT-abhängigen Verordnungsalgorithmus gegen solche, die nach PCT-abhängigen Verordnungsvorgaben behandelt wurden, untersucht. Die Studienkonzepte sahen insbesondere Regeln für das Absetzen der Antibiotikatherapie vor, die sich an einer Reduktion des Ausgangs-PCT-Werts um 70–90% bzw. einem Abfall unter eine Grenze von 1,0 oder 0,5 μg/l orientierten.

Die nach einem PCT-geleiteten Algorithmus behandelten Patienten wurden in der ersten Episode einer Antibiotikatherapie etwa 2 Tage kürzer (95%-KI: 1,6–3,1 Tage) behandelt. Auch die Dauer aller Tage unter Antibiotikatherapie konnte durch den PCT-geleiteten Algorithmus um etwa 4 Tage reduziert werden (95%-KI: 3,4–5,0 Tage). Diese beobachtete Reduktion der Therapiedauer blieb allerdings im Gesamtkollektiv dieser Metaanalyse hinsichtlich der 28-Tage-Letalität, der Aufenthaltsdauer auf der ICU oder der Rate rekurrenter oder persistierender Infektionen ohne Effekt für das klinische „outcome“.

Die Ergebnisse dieser Metaanalyse werden durch die Ergebnisse einer anderen Studie infrage gestellt, die kürzlich online in Critical Care Medicine publiziert wurde. Jensen et al. [19] untersuchten in der randomisierten Procalcitonin And Survival Study (PASS), ob eine PCT-gesteuerte antimikrobielle Therapie und PCT-gesteuerte supportive Therapie günstige Effekte auf Morbidität und Letalität bei Intensivpatienten haben. Hiermit wurde im Vergleich zu den oben genannten Studien eine neue Fragestellung untersucht, die nicht nur die Deeskalation von Antibiotika zum Ziel hatte, sondern auch die Ausweitung der antimikrobiellen Therapie und anderer Therapiemaßnahmen, u. a. der Beatmungstherapie. Beteiligt waren 9 interdisziplinäre Intensivstationen in Dänemark; es nahmen insgesamt 1200 Intensivpatienten teil. Der gewählte PCT-Algorithmus unterschied sich deutlich von anderen Studien: Ein PCT-Wert  ≥ 1,0 ng/ml, der nicht von einem Abfall von mindestens 10% gegenüber dem PCT-Wert des Vortags gefolgt war, wurde in der PASS-Studie zum Anlass genommen, die Therapie zu eskalieren. Eine Deeskalation der antimikrobiellen Therapie wurde nur dann empfohlen, wenn der PCT-Wert an mindestens 3 konsekutiven Tagen <1,0 ng/ml lag. In der Kontrollgruppe stand keine PCT-Bestimmung zur Verfügung, und es erfolgten auch keine Behandlungsvorgaben. Die Ergebnisse dieser Studie waren enttäuschend: Bei PCT-gesteuerter Therapie stieg die Intensivliegedauer um einen Tag an (p = 0,004), die Beatmungsrate pro Intensivliegetag erhöhte sich um 4,9% (95%-KI: 3,0–6,7%), und das Risiko einer Niereninsuffizienz [definiert als glomeruläre Filtrationsrate (GFR)  < 60 ml/min/1,73 m2] war um den Faktor 1,21 (95%-KI: 1,15–1,27) erhöht. Weiterhin kam es in dieser Gruppe zu einer hochsignifikanten Übertherapie mit Piperacillin/Tazobactam, Meropenem, Ciprofloxacin und Cefuroxim. Warum die PASS-Studie im Rahmen der durchgeführten Sicherheitsanalysen nicht frühzeitig gestoppt wurde, ist derzeit noch unklar. Kritisch muss weiterhin angemerkt werden, dass der gewählte PCT-Algorithmus die Kinetik von PCT (Abfall um 30–50%/Tag) in keiner Weise berücksichtigte und die Ergebnisse dieser Studie damit vorprogrammiert waren.

Fazit

Nach den vorliegenden Studienergebnissen kann ein PCT-gesteuerter Algorithmus zur Antibiotikatherapie dazu dienen, die Therapiedauer bei kritisch kranken Patienten zu verkürzen. Der PCT-Algorithmus der PASS-Studie kann hierfür nicht empfohlen werden. Es laufen bereits weitere klinische Studien zu dieser Fragestellung.

Laktat

In einer multizentrischen randomisierten Untersuchung wurden Patienten, die mit schwerer Sepsis und Hypotension bzw. septischem Schock in einer von 3 Notaufnahmen von 2007 bis 2009 aufgenommen wurden, randomisiert nach 2 verschiedenen Protokollen behandelt [20]. In der Gruppe mit zentralvenöser Sauerstoffsättigung (SzvO2, n = 150) war das Therapieziel, die Kombination aus normalisiertem zentralvenösem Druck [zentraler Venendruck (ZVD)  ≥ 8 mmHg] und MAP  (≥ 65 mmHg) sowie eine SzvO2  ≥ 70% zu erreichen. In der Laktat-Clearance-Gruppe (n = 150) war das Therapieziel die Kombination aus normalisiertem ZVD und MAP wie in der SzvO2-Gruppe; dagegen wurde versucht, eine Laktat-Clearance von  ≥ 10% zu erzielen. Bei einer SzvO2  < 70% bzw. einer Laktat-Clearance  < 10% erfolgte zunächst ein Anheben des Hämatokrits auf 30% durch Transfusion von Erythrozytenkonzentraten. Falls dies zur Erreichung des Therapieziels nicht ausreichte, wurde zur Steigerung des Herzzeitvolumens Dobutamin appliziert. Die Patienten beider Gruppen waren hinsichtlich der Krankheitsschwere, der Menge der infundierten Kristalloide, der applizierten Katecholamine, der transfundierten Blutprodukte und der applizierten Kortikosteroide vergleichbar. Als Ergebnis fand sich zwischen beiden Gruppen kein signifikanter Unterschied in der Krankenhausletalität (17 vs. 23%), der ICU- (6 vs. 6 Tage) und Krankenhausaufenthaltsdauer (11 vs. 12 Tage) sowie dem Risiko, ein Multiorganversagen zu erleiden (25 vs. 22%).

Fazit

In dieser multizentrischen randomisierten Untersuchung konnte somit bei einer Sepsistherapie unter Zuhilfenahme der Laktat-Clearance im Vergleich zur SzvO2 zwar ein Trend zu einer geringeren Krankenhausletalität erkannt werden, der sich jedoch statistisch nicht als signifikant erwies. Daher sollten neben der SzvO2 auch die Parameter der Laktat-Clearance und der arteriovenösen Differenz des pCO2 zur Steuerung der Sepsistherapie einbezogen werden.

Protein-C-Spiegel

Zum Zeitpunkt der Diagnose liegt bei Patienten mit schwerer Sepsis häufig ein niedriger Protein-C-Spiegel vor. In der Studie Recombinant Human Activated Protein C Worldwide Evaluation in Severe Sepsis (PROWESS) wiesen hohe Spiegel eine gute positive Korrelation mit der Überlebensrate auf, und es zeigten sich teilweise trotz einer Therapie mit aktiviertem Protein C (Drotrecogin alfa) niedrige oder sogar fallende Protein-C-Spiegel [5]. Um die Hypothese zu prüfen, dass eine veränderte Dosierung und/oder Infusionsdauer in höheren Protein-C-Spiegeln resultiert und damit das Überleben verbessert, wurde die RESPOND-Studie durchgeführt. Insgesamt 557 Patienten mit schwerer Sepsis und wenigstens 2 Organversagen sowie Protein-C-Mangel auf 52 Intensivstationen wurden von Shorr et al. [37] in die internationale randomisierte, doppelblinde Studie aufgenommen. Die Patienten sollten nach den ersten 24 h einer Standarddosierung von Drotrecogin alfa (24 µg/kgKG/h) diese für 3 weitere Tage erhalten (Standardtherapie, n = 206) oder je nach Höhe der gemessenen Protein-C-Spiegel 4 verschiedene Dosierungen bis zu 48 µg/kgKG/h für bis zu 168 h appliziert bekommen (modifizierte Therapie, n = 227). Unter dieser modifizierten Therapie waren die Protein-C-Spiegel nach 7 Tagen häufiger im Referenzbereich (49,5 vs. 45,2%, p = 0,011). Eine Normalisierung des Protein-C-Spiegels bis zum Tag 7 war mit einer geringeren Letalität assoziiert (10,3% vs. 32%, p < 0,0001).

Fazit

Niedrige Protein-C-Spiegel korrelieren mit einer hohen Letalität. Durch eine an den Protein-C-Spiegel adaptierte höhere Dosierung und eine variable Infusionsdauer ist es eher möglich, normale Protein-C-Spiegel zu erreichen als durch eine Standardtherapie. Es wird weiterhin für möglich gehalten, die Therapie mit Drotrecogin alfa durch Nutzen eines Biomarkers individuell zu adaptieren. Die Titration des Drotrecogin alfa außerhalb einer Studie wird zurzeit ausdrücklich nicht empfohlen.

Infektiologie

Viren

Während bereits in mehreren Studien von einer Reaktivierung von Zytomegalieviren (CMV) im Rahmen einer schweren Sepsis berichtet wurde, bleibt die Frage nach der klinischen Relevanz einer solchen Reaktivierung bislang offen. Heininger et al. [16] untersuchten in einer prospektiven und verblindeten Beobachtungsstudie initial 97 erwachsene, nichtimmunsupprimierte Intensivpatienten, die einen positiven CMV-Antikörpernachweis zeigten und eine schwere Sepsis entwickelten. Ziel der Studie war, die Häufigkeit einer CMV-Reaktivierung sowie die damit verbundene Morbidität und Letalität zu untersuchen. Zur Bestätigung der Reaktivierung wurde ein CMV-Nachweis mithilfe der „polymerase chain reaction“ (PCR) aus Leukozyten, Plasma und Trachealsekret durchgeführt. Das Trachealsekret wurde zusätzlich auf Vorhandensein von DNS des Herpes-simplex-Virus (HSV) untersucht. Es wiesen 41% der auswertbaren Patienten eine CMV-Reaktivierung auf; hiervon entwickelten wiederum 65,7% auch eine HSV-Infektion. Während sich die Letalität der Patienten mit und ohne CMV-Reaktivierung nicht unterschied (37,1 vs. 35,3%, p = 0,861), ergab die multivariante Analyse, dass eine CMV-Reaktivierung mit einer längeren ICU- und Krankenhausverweildauer sowie einer längeren Beatmungszeit und einem reduzierten Gasaustausch assoziiert war. Dies galt nicht für den HSV-Nachweis.

Fazit

Eine CMV-Reaktivierung scheint mit einer erhöhten Morbidität, aber nicht mit einer erhöhten Letalität bei nichtimmunsupprimierten Intensivpatienten einherzugehen. Empfehlungen zur Einleitung einer antiviralen Therapie können hieraus zurzeit nicht abgeleitet werden.

Pilze

Der Nachweis des Aspergillus-spezifischen Antigens Galactomannan aus dem Serum ist ein etabliertes Testverfahren in der Diagnose einer Aspergillose. Hage et al. [15] fassen in einer gelungenen Übersicht die in den letzten 2 Jahren publizierten Studien zur Bedeutung von Befunden aus der bronchoalveolären Lavage (BAL) zur Diagnose einer pulmonalen Aspergillose zusammen. Die Auswertung von 13 Studien ergab sowohl für die Diagnose einer wahrscheinlichen als auch für eine bewiesene Aspergillose eine hervorragende Testgüte mit einer Sensitivität und Spezifität von jeweils über 90%, wenn Galactomannan in der BAL nachgewiesen werden kann.

Fazit

Der Nachweis von Galactomannan aus der BAL besitzt eine im Vergleich zu anderen Testverfahren überlegene Sensitivität und Spezifität. Hieraus ergibt sich die Empfehlung, Galactomannan bei Risikopatienten aus der BAL zu bestimmen.

Ziel einer multizentrischen Studie, die an 10 Zentren in Kanada, den USA und Europa durchgeführt wurde, war zu überprüfen, ob die PCT-Bestimmung im Serum bei beatmungspflichtigen Patienten mit einer schweren Pneumonie prädiktiv für die Entwicklung von Organdysfunktionen und zur Abschätzung der 28-Tage-Letalität verwertbar ist [6]. Dazu wurde bei 175 teilnehmenden Patienten mit ambulant erworbener Pneumonie (CAP, n = 57), VAP (n = 61) und nosokomial erworbener Pneumonie (HAP, n = 57) über 2 Wochen täglich die Serumkonzentration von PCT bestimmt. Die initialen PCT-Spiegel lagen im Median bei der CAP (2,4 ng/ml) signifikant über denen der VAP (0,7 ng/ml, p < 0,001), während sich die HAP hierin nicht von der CAP unterschied. Für die Prädiktion der 28-Tage-Letalitätsrate zeigten sich der maximale und initiale PCT-Wert (0,74 bzw. 0,70) vergleichbar wie der APACHE II Score (0,69). Für den initialen PCT-Wert von 1,1 ng/ml betrug die OR der Letalität 7,0 (95%-KI: 2,6–25,2), für die maximale PCT-Konzentration von 7,8 ng/ml lag die OR bei 5,7 (95%-KI: 2,5–13,1).

Fazit

Sowohl die initiale PCT-Konzentration als auch seine maximale Konzentration gehen bei der schweren Pneumonie mit der Erkrankungsschwere einher und korrelieren mit Morbidität sowie Letalität ähnlich gut wie der APACHE II Score.

Empirische Antibiotikatherapie

Der septische Schock ist die Haupttodesursache für Patienten mit schweren Infektionen. Der Wert einer initialen empirischen antibiotischen Kombinationstherapie ist nach wie vor ungeklärt, da bisher keine randomisierten Studien zu dieser Fragestellung vorliegen. Kumar et al. [25] untersuchten in einer retrospektiven multizentrischen Beobachtungsstudie auf Intensivstationen von 28 Krankenhäusern 4662 Patienten mit kulturpositivem, bakteriellem septischem Schock, die entweder eine Kombinations- oder eine Monotherapie erhalten hatten. Aus diesen Daten konnten letztendlich 1223 “matched pairs“ gebildet werden. Die am häufigsten nachgewiesenen Bakterien waren Escherichia coli (30,5 vs. 31,6%), Klebsiella-Spezies (11,8 vs. 11,4%), Staphylococcus pneumoniae (je 11,5%) und Staphylococcus aureus (11,4 vs. 10,5%). In dieser Analyse war eine antiinfektive Kombinationstherapie gegenüber einer Monotherapie mit deutlichen Vorteilen in der 28-Tage-Letalität verbunden (29 vs. 36%, OR: 0,77, 95%-KI: 0,67–0,88, p = 0,0002). Der Vorteil einer Kombinationstherapie war sowohl bei grampositiven als auch bei gramnegativen Bakterien nachzuweisen, jedoch nur bei Patienten, die ein „schwaches“ β-Laktam-Antibiotikum in Kombination mit einem Aminoglykosid, Fluorchinolon, Makrolid oder Clindamycin erhalten hatten. Die Kombinationstherapie war mit einer reduzierten ICU- (35 vs. 29%, OR: 0,75, 95%-KI: 0,63–0,92, p = 0,0006) und Krankenhausletalität (54 vs. 46%, OR: 0,69, 95%-KI: 0,59–0,81, p < 0,0001) assoziiert. Die antiinfektive Kombinationstherapie war darüber hinaus mit mehr beatmungsfreien (10 vs. 17 Tage, p = 0,008) und katecholaminfreien Tagen (23 vs. 25 Tage, p = 0,007) bis zum Tag 30 der Intensivtherapie assoziiert. Patienten, die mit einem Carbapenem, Piperacillin/Tazobactam oder einem Cephalosporin mit Pseudomonas-Wirksamkeit als β-Laktam-Antibiotika behandelt wurden, wiesen jedoch keinen Vorteil unter einer Kombinationstherapie auf.

Durch die gleiche Arbeitsgruppe wurden in einer aktuellen Metaanalyse 62 RCT und Beobachtungsstudien hinsichtlich der antiinfektiven Therapie bei Patienten mit bakteriellen Infektionen, die mit Sepsis oder septischem Schock assoziiert waren, analysiert [24]. Die Ergebnisse zeigten über alle Patienten (n = 8504) keinen Vorteil einer initialen Kombinationstherapie (OR: 0,86, 95%-KI: 0,71–1,03, p = 0,094). Bei Niedrigrisikopatienten konnte sogar eine erhöhte Letalität nachgewiesen werden. Jedoch fand sich in der Analyse ein deutlicher Vorteil für eine Kombinationstherapie im Vergleich zur Monotherapie, wenn das Risiko zu versterben mehr als 25% betrug (OR 0,54, 95%-KI: 0,45–0,66, p < 0,001). Insbesondere Patienten im septischen Schock profitierten von einer Kombinationstherapie (OR: 0,49, 95%-KI: 0,35–0,70, p < 0,0001). Die Autoren schlussfolgern, dass eine Kombinationstherapie nicht nur bei Patienten mit septischem Schock einen Vorteil bringt, sondern auch bei Hochrisikopatienten mit lebensbedrohlichen Infektionen und einem Risiko von  > 25% zu versterben. Dagegen scheint eine initiale Kombinationstherapie bei Patienten mit einem Letalitätsrisiko  < 15% mit einer Erhöhung der Letalität assoziiert zu sein (OR: 1,18, 95%-KI: 1,02–1,37, p = 0,0334).

Fazit

Für Patienten im septischen Schock scheint nach den aktuell vorliegenden Daten die initiale Kombinationstherapie von 2 Antibiotika mit unterschiedlichen Wirkmechanismen Vorteile zu bringen. Patienten, deren Letalitätsrisiko anhand von Scoring-Systemen als  > 25% eingeschätzt wird, könnten möglicherweise ebenfalls von einer initialen empirischen antibiotischen Kombinationstherapie profitieren. Die Ergebnisse der randomisierten kontrollierten MAXSEP-Studie des Kompetenznetzes Sepsis (SepNet), die diese Fragestellung erstmals prospektiv untersucht hat, werden Anfang 2012 vorliegen.

Katheterassoziierte Infektionen

Zahlreiche Studien und nahezu sämtliche klinischen Bemühungen zur Vermeidung von katheterassoziierten Infekten fokussieren auf zentrale Venenkatheter (ZVK) unter der Annahme, dass Infektionen durch arterielle Katheter (AK) zur invasiven Druckmessung selten sind. Kleine Studien aus den letzten Jahren geben jedoch Hinweise darauf, dass auch AK eine relevante Quelle für Blutstrominfektionen sind. Ferner geht man – obwohl klinische Daten bislang fehlen – davon aus, dass ähnlich wie für ZVK ein routinemäßiger geplanter AK-Wechsel keinen Vorteil bringt, weil das Infektionsrisiko über die Zeit konstant bleibt. Lucet et al. [28] untersuchten daher in einer großen Multizenterstudie an 2095 Patienten mit fast 28.000 Kathetertagen (1617 AK und 1915 ZVK) das Infektionsrisiko durch AK im Vergleich zu ZVK. Andere Infektionsquellen mussten jeweils ausgeschlossen sein. Die Rate für eine bakterielle Kolonisation von AK lag mit 11,4/1000 Kathetertagen genauso hoch wie bei ZVK (11,1/1000 Kathetertage, p = 0,8). Auch die Rate an katheterassoziierten Infektionen (Nachweis der gleichen Keimspezies mit dem gleichen Resistenzspektrum in Blutkulturen und an der Katheterspitze, klinischen Zeichen einer Sepsis ohne positive Blutkultur bei gleichzeitig kolonisierter Katheterspitze, eitriger Einstichstelle oder einem deutlichen Rückgang der Sepsiszeichen nach Entfernung der Katheter) unterschied sich nicht zwischen AK und ZVK (1,0 vs. 1,1/1000 Kathetertage). Das Risiko einer bakteriellen Kolonisation von AK stieg kontinuierlich von 1,3% am Tag 5 auf 2,4% am Tag 10 und 3,0% am Tag 15 an. Die Kolonisation von ZVK-Spitzen lag dagegen an den entsprechenden Tagen konstant bei 1,2%, 1,6% resp. 1,4%. Damit ist ab dem 8. Tag der Liegedauer das Kolonisationsrisiko eines AK 1,59-mal so hoch wie das eines ZVK (95%-KI: 1,17–2,17, p = 0,001). Als weiteres, aber bereits lange bekanntes Ergebnis dieser Studie wurde erneut dokumentiert, dass das Risiko der Kolonisation eines ZVK in der V. jugularis interna 3-mal höher ist als in der V. subclavia sowie 7-fach erhöht bei einer Anlage in der V. femoralis. Bei AK ist das Risiko bei femoraler Anlage 2,4-fach erhöht im Vergleich zu einer Katheterisierung der A. radialis.

Fazit

Bei Verdacht auf einen katheterassoziierten Infekt sollten nicht nur ZVK, sondern auch AK gewechselt und der mikrobiologischen Diagnostik zugeführt werden. Auch wenn die Ergebnisse dieser Studie einen routinemäßigen Wechsel AK nach 8 Tage nahelegen, muss ein Vorteil für den Patienten durch weitere prospektive Studien nachgewiesen werden, da das Risiko ischämischer Komplikationen mit jeder arteriellen Punktion nicht außer Acht gelassen werden darf.

Hämodynamik

Bei 80 Patienten mit einem Zirkulationsversagen im Rahmen einer Sepsis wurde entweder eine Volumentherapie (n = 40) oder eine Therapie mit Arterenol (n = 40) durchgeführt [29]. Es wurde der „cardiac index“ (CI) mithilfe des Pulse-Contour-Cardiac-Output(PiCCO)-Systems bzw. des Vigileo-Systems bestimmt, und der entsprechende mithilfe der transpulmonalen Thermodilution bestimmte CI vor und nach therapeutischer Interventionen dazu korreliert. Das PiCCO-System zeigte dabei die Veränderungen des CI nach Volumengabe im Vergleich zur transpulmonalen Thermodilutionsmessung mit einem Korrelationskoeffizienten von r=0,72 (p < 0,05) zuverlässiger an als das Vigileo-System mit einer Korrelation von nur r=0,33 (p < 0,05). Veränderungen des CI durch den Beginn bzw. die Erhöhung einer Noradrenalininfusion wurden ebenso durch das PiCCO-System zuverlässiger erfasst (r = 0,78 vs. r = −0,03 beim Vigileo-System).

Daher wurde inzwischen die Software des Vigileo-Systems weiterentwickelt und in einer internationalen multizentrischen Studie validiert [11]. Hierzu wurde bei 58 septischen Patienten die alte (2. Generation) und neue (3. Generation) Software mit dem mithilfe des Pulmonalarterienkatheters gemessenen Herzzeitvolumen (PAC-HZV) als Goldstandard verglichen. Insgesamt wurden 401 Vergleichsmessungen durchgeführt. Der Bias zwischen der Vigileo-Messung mit alter Software und PAC-HZV betrug −10% (95%-KI: −15 bis −5%) oder −0,8 l/min (95%-KI: −1,1bis −0,4 l/min), zwischen der Vigileo-Messung mit neuer Software und PAC-HZV war der Bias dagegen nicht relevant (95%-KI: −4 bis 4% bzw. −0,3 bis 0,3 l/min). Auch die Beeinflussung der Messung durch den niedrigen systemischen Widerstand konnte durch die neue Software deutlich reduziert werden.

Fazit

Das PiCCO-System kann zuverlässig zur Messung des CI bzw. HZV und deren Veränderung unter Katecholamin- und Volumentherapie bei Patienten im septischen Schock eingesetzt werden. Beim Vigileo-System sind dagegen in dieser Patientengruppe zur HZV-Messung nur Geräte mit der Software der 3. Generation geeignet.

Durch die Kreislaufstabilisierung im septischen Schock mit Noradrenalin wird nicht nur die Makrozirkulation stabilisiert, sondern auch die Mikrozirkulation verbessert. Dies zeigte eine Untersuchung an 28 Patienten, die zur Kreislaufstabilisierung im septischen Schock eine hochdosierte Noradrenalintherapie benötigten (0,71 ± 0,48 µg/kgKG/h, [12]). Es wurde je eine Messung vor und nach Beginn einer kontinuierlichen Noradrenalininfusion bzw. einer deutlichen Steigerung deren Dosis durchgeführt. Der durchschnittliche MAP während der ersten Messung betrug 54 ± 8 mmHg und wurde durch Noradrenalin auf 77 ± 9 mmHg angehoben. Hierdurch konnte die kapilläre Sauerstoffsättigung (gemessen mithilfe der Nahinfrarotspektroskopie) in der Thenarmuskulatur signifikant erhöht werden (75 ± 9 vs. 78 ± 9%, p < 0,05). Die Wiederanstiegsgeschwindigkeit der kapillären Sauerstoffsättigung nach einem durch eine arterielle Okklusion (mithilfe einer Blutdruckmanschette am Oberarm) induzierten Abfall auf 40% war signifikant höher (1,0 ± 0,6 vs. 1,5 ± 0,7%/s, p < 0,05).

Fazit

Durch die Applikation von Noradrenalin im septischen Schock wird bei adäquatem Volumenstatus nicht nur die Makrohämodynamik, sondern auch die Mikrozirkulation verbessert.

Ernährung

Die Vorteile einer möglichst frühen enteralen Ernährung (EN) intensivmedizinischer Patienten sind inzwischen unumstritten. Unklar ist jedoch der Zeitpunkt, ab dem eine parenterale Ergänzung erfolgen sollte, falls die enterale Kalorienzufuhr unzureichend ist. Die Leitlinien der European Society of Parenteral and Enteral Nutrition (ESPEN) empfehlen den Beginn einer parenteralen Ernährung (PN) innerhalb von 24–48 h nach Aufnahme auf die Intensivstation, falls eine EN kontraindiziert ist bzw. nicht toleriert wird, sowie eine additive PN ab dem 3. Behandlungstag, falls bis dahin kein voller enteraler Aufbau erreicht werden konnte [39]. Dagegen wird entsprechend der Empfehlung der amerikanischen und kanadischen Fachgesellschaften eine hypokalorische Ernährung während der ersten Woche der Intensivtherapie ohne parenterale Substitution toleriert, falls bei Aufnahme keine Zeichen der Malnutrition (Body-Mass-Index  < 17 kg/m2) vorliegen. In einer großen, randomisierten, multizentrischen Studie auf 7 belgischen Intensivstationen wurden nun 2312 Patienten, die ab dem 1. Tag eine additive PN mit Glucose und ab dem 3. Tag auch mit Aminosäuren und Lipiden erhielten, verglichen mit 2328 Patienten, die entsprechend der nordamerikanischen Leitlinien erst ab dem 8. Tag der Intensivtherapie parenteral ernährt wurden, falls dies zur Erreichung des rechnerischen Kalorienbedarfs noch notwendig war [9]. Vitamine, Spurenelemente und Mineralien wurden in beiden Gruppen substituiert. Der Blutzuckerspiegel wurde mithilfe einer i.v.-Insulin-Therapie in beiden Gruppen zwischen 80 und 110 mg/dl (4,44 und 6,11 mmol/l) gehalten. Es zeigte sich eine im Median um 1 Tag verkürzte Intensivtherapiedauer bei verzögertem Beginn der parenteralen Ernährung (3 vs. 4 Tage, p = 0,02). Ferner kam es in dieser Gruppe seltener zu Infektionen der Atemwege oder der Lunge (16,4% vs. 19,3%, p = 0,009), Wund- (2,7 vs. 4,2%, p = 0,006) und Blutstrominfektionen (6,1 vs. 7,5%, p = 0,05). Die Dauer der Nierenersatztherapie war bei verzögertem Beginn der parenteralen Ernährung 3 Tage kürzer (7 vs. 10 Tage, p = 0,008), und die Gesamtkosten pro Patient konnten im Mittel um EUR 1100 gesenkt werden (p = 0,04). Ein Unterschied in der 90-Tage-Sterblichkeit konnte nicht nachgewiesen werden. Als Limitation dieser Studie muss allerdings bedacht werden, dass beinahe zwei Drittel der teilnehmenden Patienten herzchirurgische Operationen hinter sich hatten. Auch die Interpretation der europäischen Leitlinien erscheint diskussionswürdig. Nach den Leitlinien sollte bei Intensivpatienten mit der Möglichkeit zur EN erst ab dem 3. Tag (und nicht bereits ab dem 1. Tag) eine additive (den nichtgedeckten Bedarf supplementierende) PN initiiert werden. Ferner sind die mediane Verweildauer der Patienten auf der Intensivstation (3 bzw. 4 Tage) und die mediane Dauer der maschinellen Beatmung (2 Tage in beiden Gruppen) für eine Aussage über das Nutzen-Risiko-Verhältnis einer parenteralen Ernährung zu kurz. Im Weiteren ist der berechnete Kalorienbedarf für den frühen Verlauf des Intensivaufenthalts möglicherweise zu hoch. Die meisten Experten raten zu einem graduellen Aufbau der Kalorienzufuhr in den ersten Tagen des Intensivaufenthalts. Nach der Formel der Studie liegt der Kalorienbedarf eines 60-jährigen Mannes, der bei 180-cm-Körpergröße 90 kg wiegt, am 3. Tag bei >3200 kcal/Tag. Bei einer Berücksichtigung dieser Kalorienmenge führt die intensivierte Insulintherapie möglicherweise zu einer Verdeckung einer sonst beobachteten hyperkalorischen Hyperglykämie.

Fazit

Auf den ersten Blick erscheint es, dass eine parenterale Ernährung vor dem 8. Tag nicht mehr indiziert ist. Aufgrund der Vielzahl an Limitationen kann jedoch eine solche Empfehlung nicht verallgemeinert werden. Patienten, die frühzeitig extubiert werden können und verlegungsfähig sind, sollten keine parenterale Ernährung erhalten.

Zentraler Bestandteil von „standard operating procedures“ (SOP) zur EN ist die Refluxkontrolle, um eine Intoleranz gegenüber einer EN zu erkennen und das Aspirationsrisiko zu reduzieren. Unklar ist bislang aber die kritische Menge an Mageninhalt, die bei der Refluxkontrolle über die Magensonde abgesaugt werden kann, ab der die EN pausiert bzw. reduziert werden muss. Montejo et al. [30] verglichen daher in einem prospektiven RCT (REGANE-Studie) an 329 überwiegend internistischen Intensivpatienten ein Protokoll, bei dem ab 200 ml Refluxvolumen eine Reduktion der EN stattfand (Kontrollgruppe), mit dem identischen Protokoll, bei dem jedoch erst ein Refluxvolumen von 500 ml als Interventionsgrenze angesehen wurde. Durch den höheren „Cut-off“-Wert konnten in der ersten Woche der EN im Schnitt 88% des errechneten Kalorienbedarfs zugeführt werden im Vergleich zu 84% in der Kontrollgruppe (p = 0,0002). Im weiteren Verlauf zeigte sich kein statistisch signifikanter Unterschied mehr. Die Inzidenz gastrointestinaler Komplikationen wie Blähungen, Durchfälle, Erbrechen, Regurgitation und Aspiration sowie das Outcome der Patienten unterschied sich zwischen den beiden Gruppen nicht signifikant, jedoch war die ICU-Letalität in der Studiengruppe erhöht (19,8 vs. 15,7%, p = 0,28).

Fazit

Ab welchem Refluxvolumen bei EN eine Intervention notwendig ist und ob dadurch die Kalorienzufuhr sowie das Outcome der Patienten positiv beeinflusst werden können, bleibt weiterhin unklar.

Probiotika

Der Einsatz von Probiotika in der Intensivmedizin zur Reduktion der Inzidenz nosokomialer Infektionen war 2010 ebenfalls ein Thema, zu dem es mehrere interessante Publikationen gab. Barraud et al. [2] untersuchten in einer prospektiven, randomisierten, placebokontrollierten Studie an 167 Intensivpatienten den Einfluss des Einsatzes von Lactobacillus rhamnosus auf die 28-Tage-Letalitätrate als primären Endpunkt. Es konnten weder in den Rohdaten noch nach Anpassung an die Erkrankungsschwere signifikante Unterschiede in der 28-Tage-Letalitätsrate nachgewiesen werden (OR: 0,89, 95%-KI: 0,45–1,75, p = 0,73). Auch für die 90-Tage-Letalitätsrate zeigte sich kein Unterschied zur Kontrollgruppe (31 vs. 30%, p = 0,90). Weder die ICU- noch die Krankenhausverweildauer konnten durch den Einsatz von Probiotika verkürzt werden. Weitere sekundäre Endpunkte wie die Zahl antibiosefreier Tage, die Inzidenz nosokomialer Infektionen (VAP, Katheterinfekte, Harnwegsinfekte) erbrachten ebenfalls keinen Vorteil für die probiotikabehandelten Patienten. In einer Subgruppenanalyse fand sich für die Patienten mit schwerer Sepsis eine reduzierte 28-Tage-Letalitätsrate (OR: 0,38, 95%-KI: 0,16–0,93, p = 0,035), aber kein Effekt auf die 90-Tage-Letalitätsrate (OR: 0,52, 95%-KI: 0,26–1,04). Auch eine sehr frühe Applikation einer probiotischen Ernährung innerhalb von 48 h nach Aufnahme auf die Intensivstation erbrachte keinen Vorteil.

Siempos et al. [38] konnten in einer Metaanalyse, die 5 RCT mit 689 Patienten umfasste, keinen positiven Effekt von Probiotika auf die Letalität und die Beatmungsdauer von Intensivpatienten nachweisen. Die Ergebnisse der Metaanalyse konnten jedoch für eine Behandlung mit Probiotika eine Reduktion der VAP-Inzidenz (OR: 0,61, 95%-KI: 0,41–0,91) und eine Verkürzung der ICU-Verweildauer um etwa einen Tag (95%-KI: 0,61–1,37 Tage) nachweisen.

Fazit

Bei kritisch kranken Patienten kann bisher durch eine probiotische Ernährung die Letalität nicht überzeugend gesenkt werden. Ob durch Probiotika die Inzidenz an nosokomialen Infektionen gesenkt werden kann, lässt sich anhand der aktuellen Datenlage nicht eindeutig beantworten. Zu diesem Thema laufen zurzeit mindestens 2 große RCT, die diese Frage hoffentlich in den kommenden Jahren klären können.

Adjunktive Therapiesäule

Intensivierte Insulintherapie

Die Einstellung der Blutglucosekonzentration beim Intensivpatienten war in den vergangenen Jahren ein viel diskutiertes und intensiv untersuchtes Thema. Die Implementierung einer intensivierten Insulintherapie (IIT, Ziel: Blutglucosekonzentration von 80–110 mg/dl, 4,44–6,11 mmol/l) führt zu einer erhöhten Inzidenz von Hypoglykämien. Die 2009 veröffentlichte Studie Normoglycemia in Intensive Care Evaluation–Survival Using Glucose Algorithm Regulation (NICE-SUGAR) wies eine erhöhte Letalitätsrate für die Patienten nach, deren Blutglucosekonzentration auf 81–108 mg/dl (4,50–5,99 mmol/l) eingestellt werden sollte, im Vergleich zu Patienten mit einer Zielblutzuckerkonzentration  ≤ 180 mg/dl (9,99 mmol/l; 27,5 vs. 24,9%, p = 0,02). Hermanides et al. [17] konnten nun in einer retrospektiven Kohortenstudie nachweisen, dass bei Auftreten einer hypoglykämischen Episode (Blutglucosekonzentration  ≤ 45 mg/dl, ≤2,5 mmol/l) auch nach Anpassung an die Erkrankungsschwere (z. B. mithilfe des SOFA Score) die Letalität erhöht war (OR: 2,1, 95%-KI: 1,6–2,8, p < 0,001). Bei Anpassung an den APACHE II Score zeigte sich ebenso eine Letalitätsratensteigerung (OR: 1,6, 95%-KI: 1,2–2,1). Auch bei einer geänderten Definition der Hypoglykämie (Blutglucosekonzentration  ≤ 85 mg/dl, ≤4,72 mmol/l) kann noch ein statistischer Zusammenhang zur an die Erkrankungsschwere angepassten Letalitätsrate hergestellt werden kann (OR: 1,4, 95%-KI: 1,1–1,8, p = 0,006).

Fazit

Das Auftreten einer Hypoglykämie scheint eine direkte Beziehung zur ICU-Sterblichkeit zu haben.

Hydrokortison

Der Benefit von niedrig-dosierten Kortikosteroiden bei schwerer Sepsis und septischem Schock wird weiterhin kontrovers diskutiert. Gemäß den Empfehlungen der Surviving Sepsis Campaign können Kortikosteroide bei volumen- und katecholaminrefraktärem septischem Schock eingesetzt werden. Die Empfehlungen der Deutschen Sepsis-Gesellschaft sind noch zurückhaltender, da keine evidenzbasierte Datenlage existiert. Die Daten der internationalen Studie PROmoting Global Research Excellence in Severe Sepsis (PROGRESS), einer prospektiven internationalen Kohortenstudie mit Sepsispatienten, wurden nun hinsichtlich des klinischen Behandlungsergebnisses für Patienten, die mit niedrig-dosierten Kortikosteroiden (≤ 50 mg Hydrokortisonäquivalent alle 6 h und 50 µg Fludrokortison) und ohne Kortikosteroide im septischen Schock behandelt wurden, erneut analysiert [4]. Insgesamt wurden 8968 Patienten mit septischem Schock bzw. schwerer Sepsis aufgenommen. Es erhielten 79,8% der Patienten Vasopressoren und 34,0% Kortikosteroide. Als ein besonders interessantes Ergebnis dieser Analyse konnte gezeigt werden, dass 14,2% der mit Kortikosteroiden behandelten Patienten zu keinem Zeitpunkt der Sepsistherapie Vasopressoren erhielten. Mit Kortikosteroiden behandelte Patienten wiesen eine längeren ICU-Aufenthalt (12 vs. 8 Tage, p < 0,001) und eine höhere Krankenhaussterblichkeit (58,0 vs. 43,0%, p < 0,001) als die nicht mit Kortikosteroiden behandelten Patienten auf. Nach Adjustierung von Imbalancen in beiden Studiengruppen fand sich je nach Modell eine um den Faktor 1,30–1,47 erhöhte Sterblichkeit in der mit Kortikosteroiden behandelten Patientengruppe. Darüber hinaus konnte eine regional und länderbezogen große Varianz im Einsatz von Kortikosteroiden nachgewiesen werden. In Europa war der Einsatz von Kortikosteroiden mit durchschnittlich 51,1% am häufigsten.

Fazit

In Anbetracht der unklaren Datenlage und der erhöhten Letalität unter einer niedrig-dosierten Gabe von Kortikosteroiden sollte der Einsatz von Hydrokortison bei Patienten mit septischem Schock zurückhaltend erfolgen.

Ebenfalls mit der Evaluation des Nutzens einer niedrigdosierten Kortisontherapie im septischen Schock befasste sich die Studie Corticosteroids and Intensive Insulin Therapy for Septic Shock (COIITSS, [47]). Darüber hinaus sollte in dieser Untersuchung die Effektivität der IIT bei Patienten, die im septischen Schock mit hydrokortisoninduzierter Hyperglykämie behandelt wurden, untersucht werden.

An dieser multizentrischen 2 × 2-faktoriellen randomisierten Studie nahmen 509 septische Patienten im Multiorganversagen und mit einem SOFA Score  ≥ 8 teil, die zwischen 2006 und 2009 auf 11 französischen Intensivstationen Hydrokortison erhielten. Dabei wurden die Patienten in jeweils eine von 4 Gruppen randomisiert: (1) IIT plus Hydrokortison (50 mg Bolus alle 6 h für 7 Tage), (2) IIT plus Hydrokortison (50 mg Bolus alle 6 h für 7 Tage) sowie zusätzlich Fludrokortison (einmalig 50 µg/Tag p.o. für 7 Tage), (3) konventionelle kontinuierliche i.v.-Insulintherapie plus Hydrokortison (50 mg Bolus alle 6 h für 7 Tage) sowie (4) konventionelle kontinuierliche i.v.-Insulintherapie plus Hydrokortison (50 mg Bolus alle 6 h für 7 Tage) und Fludrokortison (einmalig 50 µg/Tag p.o. für 7 Tage). Für die konventionellen Therapiegruppen war analog den Empfehlungen der Surviving Sepsis Campaign aus dem Jahr 2008 eine Blutglucosekonzentration von  < 150 mg/dl (<8,33 mmol/l) als Ziel definiert, für die Gruppen der IIT galt das „Van-den-Berghe“-Protokoll (Zielblutglucosekonzentration: 80–110 mg/dl, 4,44–6,11 mmol/l).

Patienten mit IIT verstarben im Vergleich zu Patienten mit einer konventionellen Insulintherapie nicht signifikant häufiger (45,9 vs. 42,9%, OR: 1,07, 95%-KI: 0,88–1,30, p = 0,50), zeigten jedoch deutlich häufiger schwere Hypoglykämien (Blutglucosekonzentration  < 40 mg/dl, <2,22 mmol/l) als in der konventionellen Behandlungsgruppe. Kritisch anzumerken ist, dass die „Zielglucosespiegel“ weder in den intensivierten noch in den konventionellen Insulinbehandlungsgruppen regelmäßig erreicht wurden.

Bis zur Krankenhausentlassung waren 42,9% der mit Fludrokortison und 45,8% der Patienten der Kontrollgruppe verstorben (OR: 0,94, 95%-KI: 0,77–1,14, p = 0,50). Auch bezüglich der ICU- und der Krankenhausverweildauer sowie der vasopressorfreien Tage zeigte sich kein Vorteil durch eine Fludrokortisongabe.

Fazit

Nach der aktuellen Datenlage scheinen Patienten im septischen Schock nicht von einer Fludrokortisongabe zu profitieren. Der Nutzen einer kontinuierlichen i.v.-Insulintherapie zur Vermeidung von unerwünschten hydrokortisoninduzierten Hyperglykämien ist nicht geklärt.

Ob mehrfach verletzte Patienten (definiert als mindestens 2 Verletzungen und ein Injury Severity Score  > 15), die voraussichtlich mehr als 48 h beatmet werden müssen, von einer Hydrokortisontherapie profitieren, untersuchte eine randomisierte, placebokontrollierte, doppelblinde Multizenterstudie an 150 Traumapatienten (HYPOLYTE-Studie, [35]). Ein Behandlungsschema mit 200 mg/Tag Hydrokortison für 5 Tage, 100 mg am 6. Tag und 50 mg am 7. Tag nach dem Trauma reduzierte die Inzidenz einer nosokomialen Pneumonie (35,6 vs. 51,3%, p = 0,007). Die mechanische Beatmung konnte in der Hydrokortisongruppe im Schnitt 4 Tage früher beendet werden (95%-KI: 2 bis 7 Tage, p = 0,001), und die Patienten konnten die Intensivstation 6 Tage früher (95%-KI: 1 bis 11 Tage, p = 0,03) verlassen. Eine Limitation dieser Studie ist sicher die kleine Patientenzahl von nur 150 Patienten. Im Gegensatz dazu belegt nämlich die größte randomisierte Studie zur niedrig-dosierten Hydrokortisontherapie bei Sepsispatienten Corticosteroid Therapy of Septic Shock (CORTICUS, n = 499) eine erhöhte Infektionsrate in der Hydrokortisongruppe [41]. Eine weitere Studie zum Nutzen von Methylprednisolon bei Traumapatienten mit Schädel-Hirn-Trauma, Medical Research Council Corticosteroid Randomisation after Significant Head Injury (MRC CRASH), mit 10.008 Patienten wies für die Kortisongruppe eine erhöhte Letalität nach 2 Wochen nach [34].

Fazit

Große Studien sprechen bisher gegen den allgemeinen Einsatz von Kortison bei kritisch kranken Patienten. Daher sollten die positiven Ergebnisse der HYPOLYTE-Studie an einer größeren Zahl von Traumapatienten überprüft werden.

Ergänzende Aspekte

Faktor VII

Der rekombinante aktivierte Faktor VII (rFVIIa) ist zur Therapie von Blutungen bei Patienten mit Hämophilie A oder B, die Antikörper gegen exogen zugeführte Gerinnungsfaktoren VIII bzw. IX entwickelt haben, zugelassen. Es gibt jedoch inzwischen zahlreiche Fallberichte und kleinere Studien über den erfolgreichen „Off-label“-Einsatz von rFVIIa bei massiven unkontrollierbaren Blutungen (z. B. stumpfes Bauchtrauma mit Leberruptur, intrakranielle Blutungen oder Blutungen während chirurgischen Eingriffen). Obwohl theoretisch die Aktivierung der Thrombinbildung durch rFVIIa auf die Stellen der Gefäßläsionen begrenzt sein sollte, kommt es zu einer systemischen Aktivierung der Gerinnung mit der Gefahr von thromboembolischen Komplikationen. Daher haben Levi et al. [26] in einer Metaanalyse 35 placebokontrollierte Studien mit insgesamt 4119 Patienten, die „off label“ rFVIIa oder Placebo im Rahmen von Blutungen erhalten haben, im Hinblick auf die Inzidenz thromboembolischer Komplikationen ausgewertet. Es konnten eine signifikant erhöhte Inzidenz an arteriellen Thromboembolien (5,5 vs. 3,2%, p = 0,003) und eine vergleichbare Inzidenz an venösen Thromboembolien (5,3 vs. 5,7%, p = 0,61) nachgewiesen werden. Am häufigsten betroffen waren die Koronararterien mit einer Inzidenz kardiovaskulärer Ereignisse von 2,9% bei rFVIIa-Therapie und 1,1% bei Placebobehandlung (p = 0,002). Für zerebrovaskuläre Ereignisse war kein signifikanter Unterschied festzustellen (1,7 vs. 1,3%, p = 0,39). Mit zunehmendem Patientenalter erhöhte sich die Gefahr von thromboembolischen Ereignissen durch den „Off-label“-Einsatz von rFVIIa weiter (für Patienten  älter als  65 Jahre: 9,0 vs. 3,8%, p = 0,003). Ebenso konnte ein Zusammenhang zwischen der Dosierung von rFVIIa und der Inzidenz thromboembolischer Komplikationen festgestellt werden (6,0% bei  < 80 µg/kgKG, 10,3% bei 80–120 µg/kgKG, 11,9% bei  > 120 µg/kgKG, p = 0,02).

Fazit

Der „Off-label“-Einsatz von rFVIIa zur hämostatischen Therapie ist insbesondere bei älteren Patienten mit einer erhöhten Inzidenz an meist kardiovasulären Thromboembolien verbunden. Dies muss bei der Nutzen-Risiko-Abwägung in Betracht gezogen werden.

Blutungen sind die Haupttodesursache bei etwa einem Drittel aller Traumapatienten, die innerklinisch versterben [27]. Darüber hinaus trägt ein hoher Blutverlust mit Schocksymptomatik und konsekutiver Massivtransfusion wesentlich zur Entstehung einer transfusionsassoziierten akuten Lungeninsuffizienz („transfusion related acute lung injury“, TRALI) oder eines Multiorganversagens bei. Für Tranexamsäure konnte bereits nachgewiesen werden, dass bei elektiven operativen Eingriffen der Bedarf an Fremdblutprodukten signifikant gesenkt werden kann. In einer sehr großen prospektiven, randomisierten und placebokontrollierten Studie (CRASH-2) wurde daher untersucht, ob die Letalität und der Transfusionsbedarf von Traumapatienten mit bestehender oder drohender schwerer Blutung durch eine frühzeitige Applikation von Tranexamsäure reduziert werden können [10]. In die Studie aufgenommen wurden 20.211 Traumapatienten innerhalb von 8 h nach dem Traumaereignis, die sich durch eine aktive Blutung im hämorrhagischen Schock befanden oder bei denen ein hämorraghischer Schock drohte (z. B. blutende Patienten mit noch stabilen Vitalparametern). Die Aufnahme der Patienten in die Studie erfolgte unabhängig von den Ergebnissen von Laboruntersuchungen. Patienten mit nachgewiesener Hyperfibrinolyse und somit klarer Indikation zur Therapie mit Tranexamsäure wurden ausgeschlossen. Durch die Gabe von 1 g Tranexamsäure über 10 min und eine anschließende Dauerinfusion von 1 g Tranexamsäure über 8 h konnte die Letalität dieser Patienten signifikant gesenkt werden (OR: 0,91, 95%-KI: 0,85–0,97, p = 0,0035).

Das Risiko, an einer Blutung zu versterben, kann durch Tranexamsäuregabe reduziert werden (OR: 0,85, 95%-KI: 0,76–0,96, p = 0,007.) Thromboembolische Gefäßverschlüsse (Myokardinfarkte, Lungenembolien, Schlaganfälle, tiefe Venenthrombosen) waren in beiden Gruppen gleich häufig. Der Transfusionsbedarf und die Häufigkeit eines chirurgischen Interventionsbedarfs konnten durch den Einsatz von Tranexamsäure nicht gesenkt werden.

Eine weitere Analyse der Daten ergab, dass eine möglichst frühzeitige Tranexamsäureapplikation den größten Nutzen bringt [48]. Bei Gabe der Tranexamsäure innerhalb der ersten Stunde nach dem Trauma konnte die Letalität auf eine OR von 0,69 (95%-KI: 0,57–0,82) gesenkt, nach 1 bis 3 h konnte nur noch eine OR von 0,79 (95%-KI: 0,64–0,97) erreicht werden.

Fazit

Durch den Einsatz von Tranexamsäure kann die Letalität von Traumapatienten mit manifestem oder drohendem hämorrhagischem Schock bei vermuteter aktiver Blutung signifikant und ohne ein erhöhtes Risiko für Thromboembolien gesenkt werden. Um eine möglichst frühe und damit auch präklinische Gabe gewährleisten zu können, erscheint eine Ausstattung von arztbesetzten Rettungsmitteln mit Tranexamsäure sinnvoll.

Magnesium bei Subarachnoidalblutung

Die Letalität nach aneurysmatischen Subarachnoidalblutungen (SAB) beträgt trotz erheblicher wissenschaftlicher und klinischer Anstrengungen in den vergangenen Jahren bis zu 50%. Hauptursache hierfür sind zerebrale Ischämien durch Vasospasmen. In einer prospektiven, randomisiert placebokontrollierten Studie an mehr als 100 Patienten konnte die Inzidenz von ischämischen Infarkten (22 vs. 51%, p = 0,002) und Vasospasmen (67 vs. 85%, p = 0,028) nach SAB durch die Erhöhung der Magnesiumkonzentration im Serum auf 2,0–2,5 mmol/l in Form einer i.v.-Substitution signifikant gesenkt werden [53]. Darüber hinaus erlitten – wahrscheinlich aufgrund des zusätzlichen neuroprotektiven Effekts von Magnesium – Patienten, bei denen ein Vasospasmus auftrat, nur in 28% einen zerebralen Infarkt, falls diese mit Magnesium behandelt wurden, gegenüber 58% der Patienten in der Kontrollgruppe (p = 0,007). Eine signifikante Verbesserung der Letalitätsrate (11 vs. 19%, p = 0,261) oder des neurologischen Behandlungsergebnisses (63 vs. 51%, p = 0,209) durch die Magnesiumtherapie konnte jedoch nicht nachgewiesen werden. Unter 8-stündlicher Kontrolle des Magnesiumspiegels traten keine relevanten Bradykardien auf. Der Blutdruck war im Vergleich zur Kontrollgruppe unverändert.

Fazit

Im Hinblick auf die Tatsachen, dass die Evidenzlage für Nimodipin zur Letalitätsratensenkung und Verbesserung des neurologischen Behandlungsergebnisses zweifelhaft ist, die Resorption bei oraler Gabe unsicher und die i.v.-Gabe schwere Hypotonien und Oxygenierungsstörungen verursachen kann, müssen zukünftige Studien zeigen, ob Magnesium als Alternative oder die Kombination von Magnesium und Nimodipin zur Prophylaxe zerebraler Vasospasmen nach SAB eingesetzt werden sollte.