Lernziele

Nach Studium dieses Artikels ...

  • kennen Sie die epidemiologische Relevanz von Bissverletzungen.

  • sind Sie in der Lage, eine frische Bissverletzung unfallchirurgisch zu versorgen.

  • können Sie die korrekte antibiotische Therapie einleiten.

  • können Sie die Nachbehandlung einer Bissverletzung korrekt durchführen.

  • kennen Sie die möglichen Komplikationen einer Bissverletzung und deren Therapie.

Vorbemerkungen

Hundebisse treten in den USA bei 4,5 Mio. Menschen auf. Nur jeder Fünfte sucht medizinische Hilfe und 3–18 % der Betroffenen infizieren sich [1]. Die Häufigkeit von Bissverletzungen liegt bei 12,9 pro 10.000 Einwohnern. Im häuslichen Umfeld sind zu 80–90 % Hunde und Katzen beteiligt [2, 3]. An dritter Stelle finden sich Menschenbisse [4]. Seltener treten Bisse von Pferden oder Schlangen auf [5, 6]. Jeder Mensch in den USA wird folglich mit über 50 %iger Wahrscheinlichkeit in seinem Leben von einem Tier gebissen werden [7, 8]. Dies führt zu ca. 1 % aller Notaufnahmebesuche und direkten Kosten von mehr als 50 Mio. USD jährlich [9, 10]. In Großbritannien wird von 250.000 Hundebissen jährlich ausgegangen, für den deutschen Raum lassen sich einheitliche Zahlen nur schwer ermessen, angenommen werden bis zu 50.000 Bissverletzungen im Jahr [11, 12, 13].

Zumeist ist die rechte Hand betroffen, was an einer Abwehrbewegung mit dem dominanten Arm liegen mag [14]. Während Katzenbisse mit einer Häufigkeit von 1,5:1 häufiger das weibliche Geschlecht und die obere Extremität betreffen, verhält es sich bei Hundebissen umgekehrt [15, 16, 17]. Zumeist handelt es sich um ein bekanntes Tier [18]. Die Größe der Verletzung korreliert mit der Größe des Tieres, wohingegen die Infektionswahrscheinlichkeit unabhängig von der Tiergröße zu sein scheint [19].

Insgesamt kommt es bei einer Bissverletzung meist zu einer perforierenden Verletzung mit gleichzeitiger Quetschung des Weichteilgewebes bis hin zu knöchernen Beteiligungen. Wundtiefe und das weibliche Geschlecht sind als Prädiktoren für eine Infektion zu werten [16]. Katzen verursachen aufgrund ihrer scharfen Zähne, insbesondere Eckzähne (Abb. 1), und schwächeren Bisskraft punktuelle Bissverletzungen (Abb. 2), während Hunde eher eine Quetschverletzung mit größerem Flurschaden herbeiführen ([2], Abb. 5 und 6).

Abb. 1
figure 1

Katzenbissverletzungen. Verletzung mit Darstellung der Oberkieferzahnreihe des Tieres (a), oberflächliche Bissverletzung am radialen Unterarm Grad I (b) sowie tiefere Verletzungen Grad II (c) und Grad III (d) nach Rueff et al. am proximalen dorsalen Unterarm. (Mit freundl. Genehmigung der Autoren)

Abb. 2
figure 2

Oberflächliche Katzenbissverletzung an der Hand eines Erwachsenen dorsal (a), palmar (b) und im Detail (c) entsprechend Grad I nach Rueff et al. (Mit freundl. Genehmigung der Autoren)

Hunde verletzen eher Kinder, die älter als 5 Jahre sind, während jüngere Kinder häufiger von Katzenbissen betroffen sind [14, 16]. Die bei ausgedehnten Bissverletzungen resultierenden Narben können die Betroffenen ein Leben lang ästhetisch und funktionell beeinträchtigen (Abb. 3 und 5). Kinder werden zudem häufiger als Erwachsene im Gesicht gebissen ([20, 21]; Abb. 4 und 5).

Abb. 3
figure 3

Vernarbte Hundebissverletzung am Unterschenkel, Oberarm und an der Flanke eines Kindes, entsprechend Grad I nach Rueff et al. (Mit freundl. Genehmigung der Autoren)

Abb. 4
figure 4

Oberflächliche Hundebissverletzung im Gesicht eines Kindes, entsprechend Grad I nach Lackmann. (Mit freundl. Genehmigung der Autoren)

Abb. 5
figure 5

a, b Hundebissverletzung im kindlichen Gesicht entsprechend Grad II nach Lackmann. c, d Die chirurgische Therapie führte per primam zum Wundverschluss, es wurde eine Penrose-Lasche eingelegt. (Mit freundl. Genehmigung der Autoren; Abb. ad freundlicherweise zur Verfügung gestellt von D. Friesen, Klinik für Mund,- Kiefer und Gesichtschirurgie der Universitätsmedizin Göttingen)

Bissverletzungen lassen sich für alle Regionen außerhalb des Gesichts nach Rueff et al. [22] einteilen; für den Gesichtsbereich verwenden wir die Einteilung nach Lackmann ([12, 23]; Tab. 1).

Tab. 1 Einteilung von Bissverletzungen an Extremitäten und Rumpf nach Rueff et al. [22] sowie im Gesicht nach Lackmann [23]
Abb. 6
figure 6

Tiefe Hundebissverletzung linksthorakal und abdominal entsprechend Grad II nach Rueff et al. a Übersicht, b Mamillenregion im Detail. (Mit freundl. Genehmigung der Autoren)

Abb. 7
figure 7

Ausgeprägte Hundebissverletzung am Unterarm mit Weichteilschaden Grad III nach Rueff et al. (Mit freundl. Genehmigung der Autoren)

Abb. 8
figure 8

Klinisches Bild einer ausgeprägten Hundebissverletzung am Unterarm mit drittgradigem Weichteilschaden nach Rueff et al. (Mit freundl. Genehmigung der Autoren)

Bei vom Menschen verursachten Bissen (3,6–23 % aller Bisswunden [4]) sind direkte von den gefährlicheren indirekten, z. B. durch einen Faustschlag gegen Zähne verursachten, Verletzungen zu unterscheiden [24]. Hier ist die besonders infektionsgefährdete „Fight-bite-clenched fist“-Verletzung zu erwähnen, die in einer septischen Arthritis münden kann. Hierbei trifft die geschlossene Faust auf die Zähne des Gegners. Die Beteiligung des Metakarpophalangealgelenks über eine typischerweise 3–8 mm lange Lazeration, ggf. mit Verletzung der Strecksehne, gilt als Risikofaktor für Infektionen von Menschenbissen, da die Gelenkkapsel beschädigt sein kann [25]. In der Folge einer Extension des Fingers gleitet der verletzte Sehnenanteil nach proximal und die intakte Sehne verdeckt die Perforationsstelle. Die initiale Unscheinbarkeit darf hier nicht zur Unterschätzung der Verletzung führen, da dramatische Verläufe bis zum Handverlust resultieren können. Um dies zu verhindern, muss das Gelenk exploriert und débridiert werden [26, 27].

Die häufige Superinfektion von Bissverletzungen, z. B. an Fingern im Rahmen einer Beugesehnenphlegmone, stellt einen Notfall dar. Ohne Therapie kann es im Rahmen der Infektion der Beugesehnenscheide zur Nekrose der Beugesehnen und zur Hohlhandphlegmone kommen. Die Prognose bei unzureichender Therapie ist sehr schlecht, es resultiert eine deutliche Funktionseinschränkung [28].

Ätiologisch spielen aggressives Verhalten, Sexualpraktiken, Sportunfälle oder selbstverletzendes Verhalten eine Rolle [29]. Besonderes Augenmerk sollte der Detektion übertragbarer Krankheiten gelten [30].

Primärer Wundverschluss

Ein primärer Verschluss von Bissverletzungen ist heute zulässig und nach korrektem und ausgiebigem Débridement auch angezeigt. Die von Friedrich 1898 geforderte offene Behandlung [31] ist nach randomisierten klinischen Studien [32, 33] und Metaanalysen [34, 35] nicht mehr haltbar.

Primär verschlossen werden können kleinere Verletzungen wie punktuelle Wunden und Abrasionen, Hundebisse sowie alle Verletzungen oberhalb der Dermis und tiefere Verletzungen, die nach akkurater Inspektion keine grobe Verunreinigung aufweisen [32, 34, 36, 37]. Gerade frische kleine Lazerationen oder Abrasionen ohne Risikofaktoren (s. nächster Absatz) sollten jedoch, v. a. an der Hand, keinesfalls unterschätzt werden und bedürfen vor einem primären Wundverschluss einer genauen chirurgischen Exploration und Therapie [5, 9, 17, 38].

Als Kontraindikationen für einen primären Wundverschluss sehen wir die häufig unterschätzten Katzenbissverletzungen an der Hand mit unklarer Tiefenausdehnung sowie veraltete Wunden nach mehr als 24 h. Hier ist Vorsicht geboten und eine Second-look-Operation nach initial offener Wundbehandlung indiziert [18, 39, 40, 41].

Bei ästhetisch relevanten Stellen wie an Kopf oder Nacken sollte die Wunde bis zu 8 h nach der Verletzung primär verschlossen werden, auch um funktionelle Störungen wie Lidverletzungen und Narbenbildung zu verhindern [16, 19, 42, 43].

Prädiktoren für eine Infektion

Nach einem ausreichenden Wunddébridement liegt die Infektionswahrscheinlichkeit einer Hundebissverletzung um 2 % [44]. Als Risikofaktoren gelten:

  • Wunden an Arm und Hand,

  • punktuelle Wunden,

  • Gelenk- oder Knochenbeteiligung,

  • ausgedehnte Weichteilquetschung,

  • verzögerte Wundbehandlung nach 24–48 h,

  • Alter >50 Jahre,

  • Komorbiditäten sowie

  • weibliches Geschlecht.

Menschen- und Katzenbisse sind in dieser Hinsicht ungünstiger als Hundebisse [16, 40, 42, 45].

Keimspektrum

Die meisten Infektionen haben eine polymikrobielle Keimflora mit aeroben und anaeroben Bakterien. Im Falle eines Hundebisses findet sich v. a. Staphylococcus aureus oder Pasteurella multocida sowie Haemophilus influenzae [19]. Bei Katzenbissen wird hauptsächlich das Bakterium Pasteurella multocida gefunden, das in der natürlichen Mundflora von Hauskatzen in >90 % vorliegt [17]. In Menschenbissverletzungen wurden über 600 bakterielle Spezies entdeckt [46], wobei sich v. a. Streptococcus anginosus und Eikenella corrodens nachweisen lassen [24, 30, 47, 48]. Als häufiger Erreger von Infektionen wurde Pasteurella spp. identifiziert [49, 50, 51].

Tollwut

Bei Tollwutverdacht muss der betreffende Hund 10 Tage beobachtet werden. Deutschland gilt zwar seit 2008 laut World Health Organisation (WHO) als tollwutfrei, jedoch stellt der Import von Tieren aus Drittländern und unkontrollierten Zuchtbetrieben ein Risiko dar. Die Postexpositionsprophylaxe sieht eine großzügige Reinigung mit Wasser und 70 %igem Alkohol vor. Die Wunden sollten dann nicht primär verschlossen werden. Bei Kratzern eines tollwütigen Tieres ist die aktive Immunisierung mit Tollwutimpfstoff zu fordern, bei schweren Bissverletzungen zusätzlich eine passive Immunisierung mit Tollwutimmunglobulin [48].

Antibiotikatherapie

Zur Prophylaxe bei niedrigem Risiko kann die Antibiotikagabe nach prospektiven randomisierten Studien nicht empfohlen werden [10, 52], selbst bei Schlangenbissen nicht [4].

Bei Hochrisikowunden wird die 7‑tätige Prophylaxe mit z. B. Amoxicillin (875 mg) und Clavulansäure (125 mg) 2‑mal täglich empfohlen [2, 49, 50].

Im Falle giftiger Bisse und eindeutiger Vergiftungssymptome oder schwerer Komplikationen wird laut WHO die Applikation eines Antivenins empfohlen [53], auf die Schwierigkeiten der intravenösen Gabe tierischen Eiweißes ist jedoch hinzuweisen [54].

Das empirische Management infizierter Bissverletzungen beinhaltet eine Therapie mit Amoxicillin und Clavulansäure [51, 55]. Während Kulturen von a priori nicht infizierten Wunden keine Zusatzinformationen liefern können, sind bei infizierten Wunden Kulturen und Sensitivitätstestungen indiziert, um die erregergerechte medikamentöse Therapie einleiten zu können [10, 41, 56]. Bei infizierten Wunden nach Celsus [57] sowie bei Austritt von Pus, Rötung oder Abszessformationen ist die Antibiotikatherapie indiziert.

Bisse und Toxine

Im deutschsprachigen Raum kommen gelegentlich Bisse von Schlangen oder Arthropoden vor. Bei Letzteren ist auf die in Deutschland heimische Kreuzspinne (Araneus) hinzuweisen, deren Biss i. d. R. ohne ernsthafte Komplikationen bleibt [58, 59]. Ferner ist die Dornfingerspinne (Eutichurida) als im europäischen Raum heimische Giftspinne zu erwähnen, deren Bisse lokale Schmerzen und Schwellungen hervorrufen können und symptomatisch behandelt werden sollten [60, 38, 61]. Außerdem findet sich im europäischen Raum die Schwarze Witwe (Latrodectus tredecimguttatus), über deren Toxizität Uneinigkeit herrscht [62]. Der durch einen Biss mitunter hervorgerufene Symptomkomplex wird als Latrodektismus beschrieben und bezeichnet Schmerzen, Muskelkrämpfe und Erbrechen. Tödliche Verläufe wurden beschrieben, sind jedoch eine Rarität. Bestehen Symptome länger, wird eine Therapie mit Analgetika empfohlen; eine Antivenintherapie ist umstritten [63, 64, 65].

Ein Biss der im deutschsprachigen Raum gewöhnlichen Kreuzotter (Vipera berus) verursacht geringe Lokalsymptome wie Schwellung und nur selten tödliche Vergiftungen. Der Biss der Aspisviper (Vipera aspis) kann tödliche Folgen haben. Für beide Vipernarten stehen jedoch Antiseren zur Verfügung [5, 66]. Die in Deutschland vorkommenden Natterarten sind allesamt für den Menschen nicht giftig. Aufgrund des verbreiteten Hangs zu exotischeren Haustieren können jedoch auch seltene Exemplare mitunter in deutschen Haushalten angetroffen werden [6, 67].

Generell gilt für das Management von Spinnen- und Schlangenbissen, dass die Identifikation des Tieres entscheidend zum Therapieerfolg beiträgt. Eine Immobilisierung der betroffenen Extremität und der umgehende Transport in ein Krankenhaus sind indiziert, im Zweifel kann die Giftnotrufzentrale wertvolle Hilfestellung geben [68]. Fälle von Kompartmentsyndromen nach Schlangenbissen sind keine Seltenheit; bestehen hier diagnostische Schwierigkeiten, können die intrakompartimentelle Druckmessung und eigens entwickelte Algorithmen Abhilfe schaffen [69, 70].

Prävention

Am wirksamsten zur Verhinderung von Bissverletzungen kann die Vermeidung einer Bedrängung des Tieres, v. a. wenn es frisst oder schläft, durch das Kind im häuslichen Umfeld beitragen, da dies die häufigste Unfallursache jüngerer Kinder darstellt [71].

Zunehmend werden nicht mit einem Biss assoziierte Verletzungen durch Hunde beobachtet, die durch Bedrängen oder Stoßen eines Hundes in Richtung kleinerer Kinder zu schweren Verletzungen führen können [72]. Elterliche Beaufsichtigung ist also in jedem Fall einer Interaktion zwischen Hund und Kind zu fordern. Zumeist kennen sich Gebissener und beißendes Tier [71].

Rechtliches

Meldepflichtig sind Verdacht auf, Erkrankung an oder Tod durch Tollwut sowie die Verletzung eines Menschen durch ein tollwütiges oder tollwutverdächtiges Tier [12, 73, 74]. Bissverletzungen von Landwirten, Züchtern usw. sowie im Rahmen der veterinär- oder humanmedizinischen Tätigkeit und in der Pflege, der Schule und im Kindergarten u. a. sind Unfälle im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung.

Operationsprinzip und -ziel

Konsequente und zeitgerechte Behandlung von Bissverletzungen aller Art zur Vermeidung von Komplikationen und Folgeschäden. Die Notfallmaßnahmen umfassen Überprüfung des Tetanusstatus und ggfs. Impfung, eine gezielte Blutstillung, das ausgiebige Wunddébridement und mehrfache Spülen der Wunden sowie die Exploration und Behandlung von Zusatzverletzungen der Sehnen, Knochen und Gelenke. Bei sauberen Verhältnissen möglichst primärer Wundverschluss, bei infizierten Wunden und Hautdefekten zusätzlich Entnahme von Gewebeproben, Nekrosektomie, offene oder Vakuum(VAC)-Therapie für 24–48 h und sekundärer Wundverschluss im Rahmen der Second-look-Operation.

Vorteile

Akute Bissverletzungen

  • Umfassende Entfernung potenziell kontaminierter Gewebeanteile

  • Schnelle primäre Wundheilung

  • Reduzierung von Folgeeingriffen, Funktionsausfällen und anderen Komplikationen

Veraltete oder infizierte Bissverletzungen

  • Beschleunigter Heilungsverlauf

  • Reduzierung von Folgeeingriffen, Funktionsausfällen und anderen Komplikationen

  • Reduzierung von Ersatzoperationen

Indikationen

  • Jede Bissverletzung, von der punktuellen bis Bissen mit größerem Weichteilschaden und Verletzung tieferer Strukturen

  • Infizierte Bissverletzung

Kontraindikationen

  • Abrasionen, hier genügt eine Reinigung und aseptische Wundbehandlung

Patientenaufklärung

  • Allgemeine Operationsrisiken (z. B. Verletzung von Nerven und Gefäßen)

  • Wundinfektion

  • Wundheilungsstörung

  • Verletzung von Sehnen

  • Sekundärer Wundverschluss

  • Protrahierter Heilungsverlauf

  • Funktionelle und ästhetische Beeinträchtigung, z. B. durch Narben

  • Folgeschäden, die evtl. Sekundäreingriffe nötig machen

Operationsvorbereitung

  • Anamnese mit Abklärung von Risikofaktoren, z. B. Antikoagulanzien

  • Bei unbekanntem oder freilaufendem Tier Sicherstellung des Impfstatus des Tieres bezüglich Tollwut

  • Überprüfung des Tetanusschutzes. Aufgrund von immer noch 10–15 Tetanusfällen in Deutschland jährlich Booster-Impfung bei unsicherem Tetanusschutz oder weniger als 3 Tetanus-Immunisierungen, z. B. DTaP/Tdap [75, 76, 77].

  • Im Falle von Menschenbissverletzungen Überprüfung des Immunstatus und der Antikörpertiter bezüglich Hepatitiden (B, C, D) und HIV

  • Bei Eingriffen an der Hand und im Gesicht Verwendung einer Lupenbrille, bei Nerven- oder Gefäßverletzungen Einsatz des Operationsmikroskops

  • Radiologische Diagnostik: Zähne oder Schmutz in situ (Abb. 9 und 10), Beteiligung von Knochen oder Gelenken?

  • Eine Enthaarung zur Reduktion des Infektionsrisikos kann allgemein nicht empfohlen werden, jedoch existieren keine Leitlinien für Bissverletzungen [78]. Einem Cochrane-Review zufolge kann keine eindeutige Empfehlung ausgesprochen werden, Scheren sind jedoch mit einer niedrigeren Infektionsrate assoziiert als Rasierer [79]. Im eigenen Vorgehen werden Haare, die eine chirurgische Therapie behindern, mit einer Schere entfernt.

Abb. 9
figure 9

Röntgenbild einer Hundebissverletzung mit in situ verbliebenem Zahn (Pfeil) nach unzureichender Primärversorgung. (Mit freundl. Genehmigung der Autoren)

Abb. 10
figure 10

Röntgenbild des Patienten von Abb. 8. Hierbei handelt es sich um eine drittgradig offene Fraktur nach Tscherne u. Oestern. (Mit freundl. Genehmigung der Autoren)

Instrumentarium

  • Skalpell, scharfer Löffel, chirurgische Pinzette, Präparierschere, Nadelhalter, Nahtmaterial (z. B. Polypropylen 3‑0)

  • Kompressionsbinden

  • Material für Stützverbände (z. B. semirigides Stützverbandmaterial)

  • Gegebenenfalls bipolare Antikoagulation

  • Gegebenenfalls Blutsperre

  • Polihexanid-Lösungen oder hypochlorige Säurelösungen sowie isotone Kochsalz- und Ringerlösungen zur Spülung

Anästhesie und Lagerung

  • Behandlung in Abhängigkeit von der Größe der Verletzung entweder in der Notfallaufnahme oder im Operationssaal

  • Die lokale Feldblockanästhesie, ein regionaler Block oder die „Wide-awake-Technik“ [80] bei Bissverletzungen der oberen und unteren Extremität verbessern die Gründlichkeit der Wundsäuberung [12] und können auch für die Exploration genutzt werden, um alle tieferen Areale zu erreichen.

  • Bei Bissverletzungen im Gesicht Lokalanästhesie, bei ausgedehnten Befunden Vollnarkose

  • Applikation des Lokalanästhetikums durch die nichtverletzte Haut

  • Bauchlage oder Rückenlage, je nach Lokalisation der Verletzung unter Beachtung einer ausreichenden Polsterung

  • Anlage einer Blutsperre, die bei Bedarf aufgepumpt wird

  • Bei kleineren Verletzungen Klebe- oder Lochtuch, sonst reguläre Operationsabdeckung

Operationstechnik

Frische Bissverletzung mit primärem Wundverschluss

(Abb. 1112131415)

Abb. 11
figure 11

Bissverletzung am Unterarm mit Gewebenekrose und großem Substanzdefekt, auf die Muskelfaszie reichend und darüber hinausgehend, entsprechend einer Bissverletzung Grad II–III nach Rueff et al. (Mit freundl. Genehmigung der Autoren)

Abb. 12
figure 12

Es erfolgt die Exploration der Wunde mit Inspektion aller tendinösen Strukturen, Evaluation einer Knochen- oder Gelenkbeteiligung sowie der neurovaskulären Strukturen. Hierzu wird zunächst eine chirurgische Pinzette verwendet, um die Wundränder zu heben, und vorsichtig mit Schere in die Tiefe präpariert. Zum Anheben neurovaskulärer Strukturen findet die anatomische Pinzette Anwendung. a schematische Abbildung der Muskulatur am Ellenbogen von ulnar, b schematische subkutane Präparation entsprechend dem Biss aus Abb. 11 und über dem Areal aus a

Abb. 13
figure 13

Wundrandexzision und Entfernung avitaler sowie kontaminierter Gewebeabschnitte mit ausgiebigem Débridement und Entfernung von Fremdkörpern sowie Reduktion der Keimzahl durch akribisches chirurgisches Débridement an den Wundrändern und scharfes Débridement avitalen Gewebes mit hinlänglicher Nekrosektomie, also dem Entfernen von nichtdurchblutetem Gewebe. Hinlänglich bedeutet hier, einen vitalen, rosigen Wundgrund und -rand herzustellen

Abb. 14
figure 14

Darstellung der Verletzung nach sorgfältigem Débridement mit Skalpell, scharfem Löffel und Schere

Abb. 15
figure 15

Anschließend ausgiebige Spülung mit 0,02 %iger oder 0,04 %iger Polihexanid-Lösung, auch um die Inokulation der Mundflora des Beißenden zu reduzieren [81]. Nun muss die Inspektion der tiefen Wundareale erfolgen. Eine ausreichende Säuberung wurde erreicht, wenn jegliche Inokulation von Fremdmaterial beseitigt wurde und der Wundgrund blutend vital ohne darunterliegende Defektzone erscheint. Nun kann die Wunde per primam verschlossen werden (Abb. 18)

Frische Bissverletzung mit sekundärem Wundverschluss

(Abb. 161718)

Abb. 16
figure 16

Sollte ein primärer Wundverschluss aufgrund von Infektzeichen, grob kontaminierter Wundverhältnisse oder unzureichender Weichteildeckung primär nicht möglich sein, legen wir einen schwarzen VAC-Schwamm auf die Faszie und verschließen damit die Wunde temporär. Bei offener Wundbehandlung ist die Vakuumtherapie mit moderatem Unterdruck (−125 mm Hg) der traditionellen offenen Wundbehandlung überlegen [82]. Bei lokalen Infektionen sind Gewebeproben zur mikrobiologische Aufarbeitung Grundlage einer gezielten antibiotischen Therapie [18, 24, 66]

Abb. 17
figure 17

Beim Wechsel des Vakuumverbands (regulär nach 24–48 h) kann die Wunde erneut inspiziert werden. Das Débridement wird so lange wiederholt, bis der Wundgrund sauber erscheint. Bei persistierenden Infektzeichen ist eine Inspektion tieferer Schichten erforderlich

Abb. 18
figure 18

Nach Mobilisierung während des regulären Vakuumverbandwechsels und bei sauberen Wundverhältnissen kann die Wunde nun verschlossen werden. Sollte dies nicht spannungsfrei möglich sein, sind erneute Verbandwechsel mit schrittweiser Mobilisierung der Wundränder erforderlich. Häufig werden jedoch plastische Deckungsverfahren (Spalthaut- oder Vollhauttransplantation) notwendig. Der Hautverschluss kann entweder a schrittweise oder b direkt vollständig erfolgen

Sekundär infizierte Bissverletzung im Bereich der Finger

(Abb. 19202122232425)

Abb. 19
figure 19

Bei einer infizierten Bissverletzung, gerade im Bereich der Hand, ist ein mehrzeitiges Vorgehen notwendig. Die Eintrittspforte einer Bissverletzung über dem proximalen Interphalangealgelenk des Digitus III führte zu einer Beugesehnenphlegmone. Nach Kanavel [83] gelten 4 Kardinalzeichen der akuten Beugesehnenphlegmone: eine semiflektierte Position der Finger, eine symmetrische Schwellung des gesamten Fingers, eine deutliche Berührungsempfindlichkeit entlang des Beugesehnenverlaufs und unerträglicher Schmerz bei Passivextension des Fingers entlang der Beugesehne [84]

Abb. 20
figure 20

Zickzackförmige Schnittführung nach Bruner über Grund‑, Mittel- und Endglied [11, 15, 50, 68], ggf. Erweiterung bis zu Hohlhand und Unterarm (Canalis carpi, Parona-Raum). Der Hautschnitt geht bis auf die Fingerfaszie. Alternativ ist eine mediolaterale Inzision von der Mitte der distalen Phalanx bis zur Grundgliedbasis möglich [84]. a Eingezeichnete Schnittführung, b zickzackförmige Schnittführung nach Bruner, welche proximal und distal ausläuft

Abb. 21
figure 21

Exploration mit Spülung der Eintrittspforte und Darstellung des A3-Ringbandes und der Beugesehnenscheide. Aufsuchen und Entfernen von Fremdkörpern

Abb. 22
figure 22

Nun wird die Beugesehnenscheide unter Schonung der Ringbänder (v. a. A2 und A4) dargestellt. Bei Nekrose der Beugesehnen ist eine Resektion, unter Schonung v. a. der A2- und A4-Ringbänder, angezeigt. Alternativ ist auch eine geschlossene Spülung der Sehnenscheide über 2 kleine Inzisionen (Abb. 23) möglich, ebenfalls wird die Einlage von Antibiotikaträgern(-ketten) diskutiert, eine Synovialektomie stellt das andere Ende des operativen Spektrums dar [28]. Das Débridement der Beugesehnenscheide erfolgt über Kanülen mit Natriumchloridlösung (Eintritt vor A1-Ringband, Austritt distal von A4), wobei zu hohe Drücke vermieden werden müssen, um Gewebeschäden vorzubeugen ([11, 28, 40]; Abb. 21). Dies kann in offener oder geschlossener (Abb. 23) Variante erfolgen

Abb. 23
figure 23

Offene Variante: Die Beugesehnenscheide wird unter Sicht vor dem A1-Ringband eröffnet und eine Kanüle wird eingelegt (rote Linie). Distal inzidieren wir die Sehnenscheide nach dem A4-Ringband (rote Linie) oder legen ein Fenster in Höhe des A3-Ringbandes (rote Linie) an. Minimalinvasive Variante: Proximaler Zugang zur Beugesehnenscheide über eine ca. 1,5-cm lange transversale Inzision vor dem A1-Ringband mit Eröffnung der Sehnenscheide. Alternativer Zugang im Rahmen des offenen Vorgehens (s. oben). Distal des A4-Ringbandes kann über eine gesonderte 4–6 mm lange Inzision zugegangen werden. Eine 14- oder 16-Gauge-Kanüle kann in die Sehnenscheide proximal zur Spülung eingesetzt werden, distal empfehlen wir eine kleine Drainage, die gerade sicher in der Sehnenscheide zum Liegen kommt [84]. a Zugänge vor dem A1-Ringband, für das Fenster auf Höhe des A3-Ringbandes und distal des A4-Ringbands, b minimalinvasive Variante mit Zugang vor dem A1-Ringband und Drainage distal von A4

Abb. 24
figure 24

Präparation der Drainage: Für die Drainage kann auch ein Venenverweilkatheter verwendet werden, der per Schere oder Skalpell mit zusätzlichen Perforationen ausgestattet wird. Dafür wird der Katheter zwischen Zeigefinger und Daumen gebogen und an der Umknickstelle perforiert. Anschließend kann er in die Sehnenscheide eingelegt werden. Nun kann eine Drainage dauerhaft eingelegt und somit die kontinuierliche Spülung (2–3 Tage, ca. 1 l pro 24 h) garantiert werden. a Herstellung einer Spüldrainage mit zusätzlicher Perforation, b Einlage der Spüldrainage in die Beugesehnenscheide

Abb. 25
figure 25

Die Wunde kann nun wieder verschlossen werden, der Spülkatheter verbleibt dabei in situ. Empfohlen wird eine Spülmenge von 500–1500 ml NaCl in 24 h. Je nach Antibiogramm kann auch 2‑mal täglich mit Antibiotikalösung gespült werden. Ferner erfolgt eine Immobilisierung des Fingers in der Schiene. Nach 2 bis 3 Tagen kann die Drainage entfernt werden. Falls die Infektzeichen nicht rückläufig sind, muss ggf. weiter exploriert werden [8, 61, 80, 81]. Eine Beugesehnenrekonstruktion ist frühestens 6 Monate nach Abklingen des Infekts möglich [28]

Besonderheiten

Im Falle der seltenen ausgedehnten lebensbedrohlichen Bissverletzungen ist es das vorrangige Ziel, die Blutung zu stillen. Zumeist ist das Auswaschen und radikale Débridement avitalen Gewebes entscheidend [12, 36, 71, 85], um eine Infektion abzuwenden.

Postoperative Behandlung

  • Hochlagerung und Immobilisierung der Extremität, z. B. mit semiregidem Material

  • Hochhängen des Arms oder der Hand in einer Oberarmgipsschale

  • Häufig Second-look-Operation nach 24–48 h

  • Wundkontrolle nach spätestens 24 h

  • Entfernen des Spülkatheters nach Abklingen des Infekts, Entfernen der Drainage in Abhängigkeit vom Infektstatus

  • Nahtentfernung am 10.–12. postoperativen Tag

  • Bei Risikopatienten ist eine Antibiotikatherapie mit Amoxicillin und Clavulansäure (alternativ bei Penicillin-Allergie auch Carbapeneme wie Meropenem) bzw. nach Erregerspektrum resistenzgerecht indiziert.

  • Eine Phlegmone an der Hand wird obligat mit einem Antibiotikum behandelt, wobei zunächst mit Amoxicillin/Clavulansäure begonnen werden kann. Nach Erhalt des Antibiogramms wird auf die erregergerechte medikamentöse Therapie umgestellt.

Fehler, Gefahren, Komplikationen

  • Unzureichende Primärversorgung und Infektion durch Unterschätzung des Schweregrads der primären Bissverletzung oder ungenügendes Débridement: septische Revisionen, Wunddébridement und sekundärer Wundverschluss sowie Antibiotikatherapie nach Antibiogramm [36, 44, 86, 87, 88]

  • Unzureichende Bestimmung des Verletzungsausmaßes durch ungenügende Analgesie: lokale Feldblockanästhesie oder regionaler Block (Handblock) mit gründlicher Wundsäuberung. Gegebenenfalls Wundinspektion in Vollnarkose [2, 12, 88]

  • Unnötige antibiotische Abdeckung bei fehlenden Risikofaktoren für eine Infektion: Es entstehen Resistenzen gegen die gängigen Antibiotika [89, 90, 91].

  • Unzureichende Antibiotikatherapie bei bereits infizierten Wunden sowie Hochrisikopatienten/-wunden: Die Infektion wird nicht suffizient therapiert. Bei infizierten Bissverletzungen wird Amoxicillin/Clavulansäure empfohlen [2, 20, 41, 51].

  • Große Hautdefekte bei ausgiebigem Débridement, ästhetisch nicht zufriedenstellendes Langzeitergebnis: plastische Deckungsverfahren wie Spalt- oder Vollhaut-Transplantation sowie Lappendeckung [43, 92, 93]

  • Verletzung von Gefäßen oder Nerven: sekundäre Rekonstruktion mit Gefäß- oder Nervennaht [2, 18, 19].

  • Zu lange Immobilisierung (resultiert in Einsteifung und Bewegungseinschränkungen, die physiotherapeutisch nur schwer zu therapieren sind): Nach Beruhigung der Infektion ist eine frühfunktionelle Therapie möglich, die Ruhigstellung sollte beendet werden [24, 94].

Ergebnisse

Von 1995 bis 2015 behandelten wir 142 Bissverletzungen im Operationssaal mit einer durchschnittlichen Dauer von 69,7 min. Dabei handelte es sich zumeist (46 %) um Hundebissverletzungen, dicht gefolgt von Katzenbissen mit 32 %. Andere Tiere wie Ratten (2 %), Meerschweinchen (2 %) oder Hausschweine (1 %) führten selten zu operationspflichtigen Verletzungen, Menschenbisse nur in 1 % der Fälle. Das Durchschnittsalter der gebissenen Personen betrug 43,9 Jahre. Von Hundebissverletzungen waren 55 % Frauen betroffen, von Katzenbissen 67 %. Die operative Behandlung war zu 52 % in Regionalanästhesie möglich, in 48 % war eine Vollnarkose erforderlich.

Nur einen Eingriff benötigten 120 Patienten (84,5 %), während ein Second-look-Eingriff 20-mal (14,1 %) notwendig wurde. Bei 2 Patienten (1,4 %) waren mehrfache Operation erforderlich. Tenolysen wurden bei 26 Eingriffen vorgenommen. Arthrolysen waren insgesamt in 5 Fällen notwendig: 3 während der ersten, 2 während der zweiten Operation. Lediglich 9,2 % der Patienten wurden ambulant weiterbetreut. Im Mittel waren die Patienten mit stationärer Behandlung 9,01 (±0,79) Tage im Krankenhaus. Bei einfacher Operation lag die Verweildauer bei 8,8 Tagen (±0,8), bei 2‑fachem Eingriff bei 11,7 Tagen (±3, 9). Die postoperative Infektionsrate betrug 6,3 % und entspricht den Literaturangaben von 5,2–17 % [4, 28, 32, 95].

Fazit für die Praxis

  • Bissverletzungen sollten niemals unterschätzt werden und bedürfen einer differenzierten chirurgischen Therapie.

  • Eine Fingerphlegmone stellt einen handchirurgischen Notfall dar.

  • Bei immunsupprimierten Patienten, verzögerter Wundheilung und Bissen an Hand und Arm ist eine antibiotische Therapie indiziert.

  • Ein ausgiebiges chirurgisches Débridement ist für einen komplikationsfreien Verlauf entscheidend.

  • Schlangenbisse und Verletzungen durch exotische Tiere bedürfen immer einer Abklärung der Toxizität.

  • Frische Bissverletzungen werden akribisch débridiert, nekrotische Wundanteile exzidiert und die Wunde primär verschlossen.

  • Bei Infektzeichen oder grober Verschmutzung sowie unzureichender Weichteildeckung lässt sich über eine VAC-Anlage und wiederholte -wechsel, ggf. mit plastischen Verfahren, ein sekundärer Wundverschluss erreichen.

  • Sekundär infizierte Bissverletzungen im Bereich der Finger bedürfen einer Inspektion der darunterliegenden Sehne.