FormalPara Erwiderung

Zum Leserbrief von H.-J. Gutschmidt (2016) Zur Therapie schwerer Barbituratintoxikationen. Med Klin Intensivmed Notfmed. doi:10.1007/s00063-016-0188-2

Originalbeitrag: M. Ruhe et al. (2016) Phenobarbitalintoxikation in suizidaler Absicht. Kontinuierliche venovenöse Hämodialyse als effektive Therapie. Med Klin Intensivmed Notfmed 111:141–144. doi:10.1007/s00063-015-0046-7

Wir danken recht herzlich für die Leserzuschrift von Dr. Gutschmidt bezugnehmend auf die Fallvorstellung „Phenobarbitalintoxikation in suizidaler Absicht“ [1]. Es ist bereichernd, von einem fachlich versierten und erfahrenen Kollegen sowohl Einblicke in seit Jahren bewährte Handlungsabläufe im klinischen Alltag, theoretische Erklärungsansätze als auch Stellungnahmen zu historischen Einordnungen zu erlangen. Wir möchten zwei Aspekte des Kommentars besonders hervorheben:

  1. 1.

    Herr Dr. Gutschmidt beschreibt, dass durch physiologische „Seufzer“ die endogene Surfactantproduktion angeregt wird und somit die Bildung von Atelektasen und Pneumonien reduziert werden kann. Surfactant wird in den Alveolarepithelzellen Typ II gebildet [2] und reduziert die Oberflächenspannung an der Alveolarmembran [3]. Nach Aktivierung von zellulären Signalkaskaden (Adenylatzyklase, Proteinkinase C, calciumabhängige Signalwege) [2] wird Surfactant per Exozytose im alveolaren Lumen freigesetzt [4]. Es wurden in der Vergangenheit einige Versuchsreihen zur Erforschung der Surfactantsekretionsreize durchgeführt. 1981 wurde an Rattenlungen festgestellt, dass durch eine schnelle, tiefe Inspiration die Surfactantfreisetzung erhöht werden kann [5]. Durch die sedierende und atemdepressive Wirkung von Phenobarbital [6] ist es vorstellbar, dass die Rate an tiefen Inspirationen („Seufzer“) abnimmt. Es erscheint somit nachvollziehbar, dass durch eine Phenobarbitalintoxikation die Surfactantfreisetzung reduziert und das Risiko zur Ausbildung von Atelektasen und Pneumonien erhöht werden kann.

  2. 2.

    Herr Dr. Gutschmidt weist darauf hin, dass Phenobarbital im Dritten Reich zur Euthanasie eingesetzt worden ist. In den letzten Jahren wurden zunehmend die Verbrechen einiger Ärzte während der NS-Zeit aufgearbeitet. Phenobarbital wurde insbesondere bei geistig retardierten Kindern zur Euthanasie in sogenannten „Kinderfachabteilungen“ missbraucht [7]. Berichte von Zeitzeugen ergeben, dass, neben anderen Medikamenten, auch Phenobarbital über Tage in zunehmender Dosis psychisch kranken Patienten verabreicht wurde, sodass ein sedierender und atemdepressiver Effekt eintrat, welcher schließlich zum Tod der Patienten führte [8].

Wir danken für die interessanten und nachdenklich stimmenden Informationen in Bezug auf die Wirkungsweise und das Missbrauchspotenzial von Phenobarbital.

Unabhängig von den oben erwähnten Aspekten scheint sich die klinische Erfahrung von Herrn Dr. Gutschmidt zur Indikationsstellung einer Hämodialyse bei intoxikierten Patienten erfreulicherweise mit den Leitlinien der EXTRIP-Gesellschaft in Deckung bringen zu lassen.