Zusammenfassung
Lungenprotektive Beatmung ist ein Standard in der Therapie des akuten Lungenversagens („acute respiratory distress syndrome“, ARDS) zur Aufrechterhaltung eines suffizienten Gasaustauches bei gleichzeitiger Minimierung beatmungsassoziierter Lungenschäden. Neben der Reduktion der Tidalvolumina ist die Begrenzung der Beatmungsdrücke, die Einstellung eines individuellen positiven endexspiratorischen Drucks und der Erhalt von Spontanatmungsaktivität abzuwägen. Es gibt mehrere bettseitige Techniken, um die Beatmung dem individuellen Patienten und dessen eingeschränktem Gasaustausch anzupassen. Der Beitrag gewährt einen Überblick über die Pathophysiologie des ARDS sowie die beatmungsassoziierten Lungenschädigung und stellt die aktuelle Studienlage zur Einstellung der maschinellen Beatmung beim ARDS dar.
Abstract
Ventilation of patients suffering from acute respiratory distress syndrome (ARDS) with protective ventilator settings is the standard in patient care. Besides the reduction of tidal volumes, the adjustment of a case-related positive end-expiratory pressure and preservation of spontaneous breathing activity at least 48 h after onset is part of this strategy. Bedside techniques have been developed to adapt ventilatory settings to the individual patient and the different stages of ARDS. This article reviews the pathophysiology of ARDS and ventilator-induced lung injury and presents current evidence-based strategies for ventilator settings in ARDS.
Primum nil nocere – aber, was schadet nicht? Insbesondere bei der Beatmung von Patienten mit akutem Lungenversagen muss diese Frage in ihrer Absolutheit bedacht sein, da jede Form der invasiven Beatmung, so unausweichlich sie auch sein mag, das Lungenparenchym beeinflusst – oder gar schädigt.
Der klinische Nachweis der erhöhten Letalität durch ungünstige Beatmungseinstellung hat zu einer grundlegenden Neuausrichtung der Beatmung beim akuten Lungenversagens („acute respiratory distress syndrome“, ARDS) geführt: Es wird nunmehr mit geringen, an das ideale Körpergewicht angepassten Tidalvolumina und einem an der Schwere der Erkrankung ausgerichteten positiv endexspiratorischen Druck („positive end-expiratory pressure“, PEEP), der eine weitestgehende Offenhaltung der gesunden, bisher nicht geschädigten Alveolen ermöglicht, beatmet. Gleichzeitig werden hierbei Beatmungsdrücke <30 cm H2O angestrebt. Dies wird als lungenprotektive Beatmung bezeichnet. Der Beitrag soll einen Überblick über die wissenschaftlichen Grundlagen und klinischen Anwendungen von lungenprotektiver Beatmung geben.
Nomenklatur und Pathophysiologie
Der bis heute gültige Konsens aus dem Jahre 1994 über die Definition des ARDS [1] verlangt neben einer pulmonalen Erkrankung ein Auftreten von beidseitigen Infiltraten in der Röntgenaufnahme des Thorax und den Ausschluss einer kardialen Ursache. Das Ausmaß der Gasaustauschstörung – gemessen am Quotienten aus arteriellem Sauerstoffpartialdruck (PaO2) und inspiratorischer Sauerstoffkonzentration (FiO2), dem sogenannten Horowitz- oder Oxygenierungsindex – wird verwendet, um den Grad einer akuten Lungenschädigung festzulegen. Liegt dieser Quotient <200 mmHg, spricht man vom „acute respiratory distress syndrome“ (ARDS), bei Werten zwischen 200 mmHg und 300 mmHg von „acute lung injury“ (ALI). Beides wird im deutschen unter „akutes Lungenversagen“ subsummiert. Eine überarbeitete Version dieser Kriterien ist von der European Society of Intensive Care Medicine (ESICM) als „Berlin definition“ vorgelegt worden und erlaubt eine genauere Klassifikation [2]. Im Vergleich mit der von 1994 bietet diese Klassifikation den Vorteil einer höheren prädiktiven Validität der Letalität und eine genauere Beschreibung der Kofaktoren (Röntgenbild des Thorax, Ursache eines Lungennödems, etc.).
Pathophysiologie
Pathophysiologisch werden während des ARDS drei Phasen beobachtet. Die exsudative Phase (bis Tag 7) ist histologisch gekennzeichnet durch das Auftreten eines intraalveolären und interstitiellen Lungenödems, ausgelöst durch eine Permeabilitätserhöhung der alveolär-kapillären Barriere. Insbesondere das Ausmaß der Schädigung des Alveolarepithels ist ein Prädiktor der Letalität, da dieses nicht nur die Ausbildung des Ödems verursacht, sondern auch über die Schädigung von Alveolarzellen Typ II die Surfactant-Produktion reduziert und unter Umständen der Übertritt von Bakterien aus der Lunge in den Kreislauf ermöglicht wird [3]. Mikroskopisch zeigen sich im weiteren Verlauf eine Ausbildung hyaliner Membranen, Zellnekrosen, Hämorrhagien und Thrombosen in den Pulmonalgefäßen [4]. Makroskopisch imponieren diese Veränderungen durch ein massives Ödem mit resultierendem erhöhten Lungengewicht, eine verminderte pulmonale Compliance der erkrankten Lungenanteile, Auftreten von Atelektasen und Shuntvolumina, die zu einem deutlich eingeschränkten Gasaustausch führen [4]. Die kollabierten, in der Frühphase noch nicht konsolidierten Alveoli lassen sich durch entsprechende Erhöhung des intrapulmonalen Drucks häufig gut rekrutieren. Insbesondere bei schwerem ARDS mit frühzeitig ausgeprägter Atelektasenbildung zeigt sich deshalb meist ein hohes Rekrutierungspotential [5]. In der proliferativen Phase (Tage 7–21) findet entweder die Remission oder, falls diese nicht eintritt, der chronische Umbau des Lungengerüsts (fibrotische Phase) statt. Eine chronische Inflammationsreaktion mit Alveolitis, Parenchymnekrosen und Endarteritis obliterans führt klinisch zur weiteren Reduktion der Compliance, zur Formation von Bullae und zu einem pulmonalen Hypertonus [4]. Kommt es zu keiner Remission, führt die zunehmende Lungenfibrose zum Umbau des Lungengerüstes und massiver dauerhafter Lungenfunktionseinschränkung, pulmonaler Hypertonie und chronischer sekundärer Rechtsherzbelastung.
Zu Beginn des ARDS überwiegt das alveoläre Ödem mit massiver Hypoxie. Die zunehmende Fibrosierung des Lungengerüstes vermindert den Anteil rekrutierbarer Areale, während pulmonaler Hypertonus und Rechtsherzbelastung zunehmen. Die Veränderungen der Lungenstruktur während dieser Phasen sind fließend und bedürfen einer adaptierten Therapie, Adjustierung der Beatmungsparameter und -formen.
Baro- und/oder Volutrauma
Die Überdehnung des Lungengewebes der noch gesunden Restlunge („Baby lung“) führt zum Volu-/Barotrauma mit einer weiteren Schädigung dieser weniger veränderten Areale. Die im Jahr 2000 publizierten Ergebnisse des ARDS-Networks haben die Beatmung mit niedrigen Tidalvolumina (6 ml/kg ideales Körpergewicht, KG) zu einem Standard der intensivmedizinischen Therapie gemacht [6]. Die Reduktion der Letalität in der Interventionsgruppe, die mit 6 ml/kg KG beatmet worden war, belegte eindeutig den Nutzen niedriger Tidalvolumina. Die Relation von Volu-/Barotrauma konnte durch die Betrachtung der Letalitätsraten der ARDS-Network-Studie in Quartilen der maximalen Pleateaudrücke gezeigt werden (Abb. 1, [7]). Die Daten demonstrieren eindrucksvoll, dass bei einem Tidalvolumen von 6 ml/kg KG kein „sicherer“ oberer Plateaudruck existiert und sich die Letalität mit steigenden Plateaudrücken ebenfalls erhöht. Diese Studie wurde durch die Arbeit von Terragni et al. [8] bestätigt, die unter Nutzung der Computertomographie je nach Verteilung des ARDS eine Überdehnung der Restlunge bei einem Drittel der Patienten nachweisen konnten, auch wenn ein Tidalvolumen von 6 ml/kg KG und Plateaudrücke <30 cm H2O gewählt wurden. Zudem ist die direkte Verknüpfung von Volumen- und Druckänderung zumindest für adipöse Patienten infrage gestellt worden. Bei diesen Patienten war der Unterschied zwischen der Beziehung von steigendem Druck/größerem Volumen umso größer, je höher der BMI des Patienten war [9].
Bei einem Tidalvolumen von 6 ml/kg KG gibt es keinen „sicheren“ oberen Plateaudruck
In diesem Kontext sei daran erinnert, dass nicht der Plateaudruck per se, sondern der resultierende transpulmonale Druck (i.e. intrapulmonaler Druck – Pleuradruck) das Ausmaß der (Über-)Dehnung von Lungenarealen beeinflusst. Ist also wie bei Adipositas der Pleuradruck erhöht, können durchaus höhere Atemwegsdrücke akzeptiert werden, allerdings sollte hierbei eine engmaschige Kontrolle des Pleuradrucks, zum Beispiel durch Messung des Ösophagusdrucks erfolgen. Durch den Prozess der (Über-)Dehnung von Lungenarealen werden inflammatorische Zytokine (Interleukine) freigesetzt (Biotrauma), die nicht nur lokal, sondern auch organübergreifend proinflammatorische Wirkung entfalten können. Diese Induktion oder weitere Aggravierung des Lungenschadens durch den Ventilator selbst wird als Ventilator induzierter Lungenschaden („ventilator induced lung injury“, VILI) bezeichnet. So konnte gezeigt werden, dass bei Patienten mit einem ALI bereits eine Stunde nach Erhöhung des Tidalvolumes von 5 ml/kg KG auf 12 ml/kg KG proinflammatorische Mediatoren signifikant in der bronchoalveolären Lavage und im Plasma erhöht waren [10]. Zudem persistierte die Zytokinerhöhung in der bronchoalveolären Lavage nach Wechseln in den protektiven Modus [10]. Diese Daten bezeugen eindrucksvoll, dass auch eine kurzfristige nicht adäquate Beatmung (z. B. während Transporten) einen negativen Effekt auf das Krankheitsgeschehen, u. U. mit den Folgen eines Multiorganversagens, mit sich bringen kann.
Rekrutierung von Lungengewebe in der Inspiration
Entscheidend für das Maß der Überdehnung und damit einen Teil der Schädigung der Restlunge ist die Inspirationsphase, da während der Inspiration Rekrutierung von atelektatischem Lungengewebe stattfindet. Diese Rekrutierung wird durch die intraalveolären- (Ödem) und parenchymatösen Veränderungen (Fibrosierung, hyaline Membranen) beeinflusst, variiert regional und erlaubt die Zuordnung in nicht rekrutierbare und rekrutierbare Areale. Besonderes Augenmerk ist auf die als gesund angesehene Restlunge zu legen, denn die zur Eröffnung rekrutierbarer Areale benötigten Plateaudrücke können zu einer Überdehnung der Restlunge führen. Grasso et al. [11] haben tierexperimentell in verschiedenen ARDS-Induktionsmodellen eine „open lung strategy“ mittels Recruitment-Manövern und adaptierten PEEP(„positive end-expiratory pressure“)-Leveln umgesetzt, die zu einer Überdehnung der „baby lung“ endinspiratorisch führte. Ebenso wurde demonstriert, dass rekrutierte Areale eine niedrigere Compliance als die „baby lung“ aufwiesen; folglich wird der applizierte Beatmungsdruck primär in der „baby lung“ und nachfolgend erst in rekrutierten Arealen appliziert. Diese Erkenntnisse unterstützen das computertomographisch festgestellte unterschiedliche Rekrutierungsverhalten einer durch ARDS affektierten Lunge, je nach Vorliegen diffuser, flächiger oder regionaler Verteilung der Belüftungsstörung [12]. Der Druck, bei dem alle Lungenareale rekrutiert sind, ist abhängig von der Verteilung des ARDS (s. oben; [12]). Borges et al. [13] untersuchten eine „open lung strategy“ mit sich steigernden Atemwegsdrücken bis 60 cm H2O. Trotz dieser Höhe konnte nicht bei allen Patienten eine vollständige Eröffnung erreicht werden.
Das Rekrutierungspotenzial variiert nach Stadium des ARDS und der Verteilung der Belüftungsstörung und ist daher von Patient zu Patient auf Basis der CT-Befunde und bettseitiger Messmethoden (s. unten) vorzunehmen. Andernfalls resultiert eine übergroße Schädigung der „baby lung“ ohne klinischen Nutzen.
Weitere Oxygenierungsmöglichkeiten bei ARDS
Neben extrakorporalen Gasaustauschverfahren und der Bauchlagerung, die in anderen Beiträgen dieser Ausgabe behandelt werden, sind weitere Methoden zumindest experimentell etabliert, mit denen die Oxygenierung verbessert werden kann.
Die Beatmung mit „high frequency oscillation“ (HFO) nutzt einen hohen „continuous positive airway pressure“ (CPAP) nahe der totalen Lungenkapazität, der dann mit hochfrequentem Gasfluss kombiniert wird. Mehrere klinische Studien haben demonstrieren können, dass mit dieser Beatmungsform die Oxygenierung im schweren ARDS aufrecht erhalten werden kann [14]. Signifikante Unterschiede zwischen konventioneller Beatmung und HFO konnte in einer randomisierten und kontrollierten Studie mit 148 Patienten lediglich in den ersten 6 Stunden der Beatmung festgestellt werden, da die HFO in diesem Zeitraum die Oxygenierung verbesserte [15]. Allerdings konnten die Autoren einen Trend (p=0.102) zu einer geringeren Letalität in der HFO-beatmeten Patientengruppe registrieren. Die Nutzung der HFO ist ebenso sicher wie eine konventionelle Beatmung. Allerdings stehen randomisierte Studien, die eine klaren Vorteil gegenüber konventioneller Beatmung zeigen, noch aus. Die zu erwartende Auswertung der „High Frequency Oscillation in ARDS“(OSCAR)-Studie (ISRCTN10416500) wird möglicherweise eine genauere Bewertung ermöglichen.
Zusammenfassend sind die Beatmung mit an das Körpergewicht angepassten Tidalvolumina von höchstens 6 ml/kg KG und die Vermeidung von Plateaudrücken >30 cm H2O Standard intensivmedizinischer Therapie. Die weitest gehende Schonung der Restlunge muss im Vordergrund der Bemühungen stehen. Derzeit ist die HFO beim therapierefraktären ARDS, bei dem es unter Ausschöpfung der konventionellen Beatmungsstrategien nicht zu einer ausreichenden Oxygenierung kommt, eine Möglichkeit der Behandlung, die jedoch nur in wenigen Kliniken etabliert ist. Neben der optimalen Rekrutierung innerhalb der Inspirationsphase ist ein an den Patienten adaptierter „PEEP-Level“ Teil einer „open lung strategy“, die einer weiteren Verschlechterung der Lungenfunktion durch die Beatmung entgegenwirken soll.
PEEP
Neben der Rekrutierung atelektatischer Lungenanteile in der Inspiration ist die Offenhaltung dieser Areale und die Vermeidung eines Alveolenkollapses (Atelektrauma) ein entscheidender Bestandteil der „open lung strategy“. Die Hypothese des Atelektraumas beschreibt die Induktion von Zytokinausschüttung durch die frequenzabhängige, wiederkehrende Eröffnung und nachfolgenden Kollaps von Alveolen [16]. Die Minimierung des Atelekttraumas bedarf also eines „idealen“ PEEP, der nach erfolgter Rekrutierung in der Endinspiration in der nachfolgenden Exspiration keinen erneuten Kollaps eröffneter Areale zulässt [16]. Der Idealfall einer mittels CT-Untersuchung eingestellten Beatmung/PEEP-Adaption ist im klinischen Alltag praktisch nicht möglich, sondern wird nur zur Klassifikation von Rekrutierungspotenzial und im Rahmen klinischer Studien durchgeführt [17]. Allgemein üblich ist die Verwendung einer PEEP/FiO2-Tabelle, wie sie die ARDS-Network-Studiengruppe verwendet hat [6]. In Folge dieser Publikation sind mehrere klinische Studien durchgeführt worden, die unterschiedlich „hohe“ PEEP-Level untersucht haben. Die erste dieser Studien (Assessment of low tidal volume and elevated end-expiratory pressure to obviate lung injury; ALVEOLI; [18]) konnte keine Unterschiede in Letalität, beatmungsfreien Tagen und Oxygenierung feststellen. Basierend auf den Ergebnissen der ALVEOLI-Studie führten Meade et al. [19] eine auf der „open lung strategy“ basierende Untersuchung durch, die neben verschiedenen „hohen“ PEEP-Leveln (an Tag 1: 15,7 cm H2O in der Interventionsgruppe, 10,0 cm H2O in der Kontrollgruppe) Rekrutierungsmanöver in der Interventionsgruppe nutzte. Die Autoren konnten keine Letalitätsunterschiede oder eine Verkürzung der Beatmungstage feststellen, auch wenn refraktäre Hypoxie und die Notwendigkeit von supportiver Therapien (Bauchlage, NO-Beatmung) in der Interventionsgruppe signifikant reduziert war. Die parallel erschienene Studie von Mercat et al. [20] stellte das PEEP-Level so ein, dass in der „hohen“ Gruppe ein Plateaudruck zwischen 28 und 30 cm H2O resultierte, während die Kontrollgruppen mit PEEP-Leveln zwischen 5 und 9 cm H2O beatmet wurde. Dieses Vorgehen resultierte an Tag 1 in einem PEEP von 15,8 cm H2O (Intervention) zu 8,4 cm H2O in der Kontrollgruppe. Auch in dieser Studie zeigte sich kein Letalitätsunterschied, allerdings führte dieses Regime zu einer Verbesserung der Oxygenierung und Reduktion der Beatmungstage. Eine Metaanalyse der drei genannten Studien betonte den Effekt von hohen PEEP-Leveln abhängig vom Schweregrad der Gasaustauschstörung. Bei Patienten mit ARDS kann eine Verbesserung des Outcome durch hohe PEEP-Level erreicht werden, während ALI-Patienten nicht von hohen PEEP-Leveln profitieren, sondern eine unnötige Überdehnung der gesunden Restlunge resultiert [21].
ARDS-Patienten profitieren von hohen PEEP-Leveln
In einem innovativen Studiendesign wurde der transpulmonale Druck [Atemwegsdruck – Pleuradruck (mit dem ösophagealen Druck als gemessenem Parameter)] als Richtwert der Beatmungseinstellung herangezogen [22]. Die Beatmung wurde in der Interventionsgruppe so adjustiert, dass ein positiver transpulmonaler Druck am Ende des Atemzyklus resultierte, während der PEEP in der Kontrollgruppe nach ARDS-Network-Studientabelle eingestellt wurde. Die resultierenden PEEP-Werte variierten signifikant voneinander (Interventionsgruppe: PEEP 18±5 cm H2O, transpulmonaler Druck 0,1±2,6 cm H2O; Kontrollgruppe nach ARDS-Network-Tabelle: PEEP 12±5 cm H2O transpulmonaler Druck von −2,0±4,7 cm H2O). Eine Bestätigung dieser Ergebnisse durch Folgestudien unter Nutzung des ösophagealen Drucks steht allerdings noch aus. Die Compliance und Oxygenierung der Interventionsgruppe waren signifikant höher als in der Kontrollgruppe und belegten damit einerseits den klinischen Nutzen dieser physiologischen Einstellung und andererseits den Nutzen der hohen PEEP-Level in den zuvor genannten Studien zur PEEP-Titrierung [21].
Die Einstellung eines „idealen“ PEEP, der eine maximale Offenhaltung rekrutierter Areale mit möglichst großer Schonung der gesunden Restlunge erlaubt, ist das therapeutische Ziel. Hilfreich dabei die Untersuchung der Rekrutierbarkeit, wie sie zuverlässig bis heute nur in der funktionellen CT evaluiert werden kann. Eine derartige Untersuchung ist deshalb bei schwerem ARDS zumindest initial zu erwägen, eine kontinuierliche Anpassung der Beatmung ist damit jedoch natürlich auf Grund der Transportrisiken, der Strahlenbelastung und der damit verbundenen Kosten nicht möglich. Für eine erste Routineeinstellung und die Adjustierung des PEEP im weiteren Verlauf bleibt deshalb die Einstellung mittels festgelegter PEEP/FiO2-Tabellen eine praktikable und ubiquitär einsetzbare Hilfe. Weitere bettseitige Maßnahmen der Beatmungseinstellung wie die Einstellung nach Druck-Volumen-Kurve oder dem „stress index“ können hierbei allerdings ebenfalls hilfreich sein:
Bettseitige Möglichkeiten der Beatmungseinstellung
Druck-Volumen-Kurve
Eine Möglichkeit der Beatmungseinstellung bietet die Interpretation der Druck-Volumen-Kurve („pressure volume curve“, PVC). Die statische PVC beschreibt die volumenabhängige Druckänderung während Inspiration und Exspiration. Zu Beginn der Insufflation ist diese flach, da die Compliance des Lungengewebes gering ist und Alveolen nur gering vorgedehnt oder verschlossen sind. Ab der Überschreitung des „lower inflection point“ (LIP) steigt die Kurve steil an und spiegelt eine annähernd lineare Rekrutierung wider. Oberhalb des „upper inflection point“ (UIP) flacht die Kurve erneut ab, da durch die Überdehnung bereits eröffneter Areale die Compliance wieder reduziert ist (Abb. 2). Vereinfacht könnte damit gesagt werden, dass der PEEP oberhalb des LIP, der Plateaudruck (statische Compliance) oder der Spitzendruck (dynamische Compliance) den UIP nicht überschreiten sollte. Diese vereinfachte lungenphysiologische Überlegung ist nur in Teilen zutreffend [23]. Albaiceta et al. [23] haben die Ergebnisse der statisch gemessenen PVC (mittels geeichter Spritze zur Applikation genauer Volumina) mit dem Vorhandensein tatsächlich rekrutierter Areale in CT-Bildern verglichen (Abb. 2). Das Volumen der Lunge ist bei einem identischen intrapulmonalen Druck exspiratorisch höher als inspiratorisch (Hysterese). Insofern ist der Punkt, an dem Alveolen erneut kollabieren, nicht auf dem inspiratorischen, sondern auf dem exspiratorischen Schenkel zu suchen, da ja die Offenhaltung in der Exspiration stattfindet. Die Autoren haben den Scheitelpunkt der Exspirationskurve („point of maximum curvature“, Abb. 2) als Zeitpunkt der beginnenden Derekrutierung definiert und bei klinischer PEEP-Einstellung an Hand dieses Wertes eine verbesserte Oxygenierung, Compliance und Belüftung der Lunge nachgewiesen [23].
Die bettseitige Anwendung unter Nutzung der dynamischen Compliance, welche die Compliance des gesamten respiratorischen Systems darstellt, ist eine sichere und nebenwirkungsarme Methode der PEEP-Adjustierung und in modernen Respiratoren integriert [23]. Die Grenzen liegen in der fehlenden Differenzierung für einzelne Lungenanteile.
Stress index
Lungenphysiologische Überlegungen haben zur Entwicklung des Stressindexes geführt [24], der die Druck-Zeit-Kurve als Korrelat für die Rekrutierung nutzt. Diese wird von jedem Beatmungsgerät angezeigt und zeigt in der volumenkontrollierten Beatmung eine ansteigende, im Idealfall lineare Kurve. Dieser linearen Rekrutierung wurde der Stressindex 1 zugewiesen, da nach den Autoren eine mit der homogenen Rekrutierung einhergehende Erhöhung der Compliance stattfindet. Findet eine mit dem Atemhub zunehmende Rekrutierung statt (die Kurve ist konvex, Stress Index <1), wird der Atemhub inhomogen verteilt, und es besteht Rekrutierungspotenzial. Folglich würde die konkave Form der Kurve (Stressindex >1) eine abnehmende Eröffnung und Überdehnung anzeigen. Diese Überlegungen haben in einem computerbasierten System bereits Eingang in die klinische Forschung gefunden [25]. Die Autoren konnten den PEEP verglichen mit dem ARDS-Network-Protokoll reduzieren und wiesen reduzierte Plasmaspiegel von Interleukin (IL) 6 und IL 8 nach.
Es bleibt abzuwarten, inwieweit diese Messmethode Eingang in die klinische Routine findet. Allerdings muss (ähnlich wie bei der PVC) bedacht werden, dass nur allgemeine Veränderungen der gesamten Lunge erfasst werden, die einem fokal ausgeprägten ARDS nicht gerecht werden, und Störfaktoren, etwa ein Pleuraerguss, die Messwerte beeinflussen können.
Elektroimpendanztomographie
Die Elektroimpendanztomographie (EIT) ist eine hochfrequente und niedrig auflösende Technik zur Detektion von Impedanzänderungen innerhalb des Thorax. Diese verändert sich durch Belüftung und erlaubt die Zuordnung, ob Lungenareale nicht belüftet, rekrutiert oder überdehnt sind. Durch die Nutzung von EIT konnte tierexperimentell in ARDS-Modellen eine genaue Betrachtung des zeitlichen Verlaufs der Ventilation [26] ermöglicht werden. Klinische Studien bestätigen die Möglichkeit einer PEEP-Titrierung [27], auch wenn derzeit nicht bekannt ist, nach welchen EIT-Kriterien der PEEP optimalerweise eingestellt werden sollte.
Die EIT hat großes Potenzial, die bettseitige Einstellung von Beatmungsparametern an die jeweilige Situation und den Patienten anzupassen. Sobald Geräte in ausreichender Zahl zur Verfügung stehen, ist in den nächsten Jahren mit einer Zunahme der Nutzung zu rechen.
Spontanatmung im ARDS
Die positive Bewertung der Spontanatmung basiert auf einer Vielzahl von Studien, die unter Nutzung verschiedener Beatmungsmodi die Auswirkungen auf Ventilation, Perfusion, Endorganschäden und Muskelschwäche untersucht haben. Ein Hauptvorteil der Spontanatmung und Teilaktivierung des Diaphragmas besteht in der Verbesserung des Ventilations-Perfusions-Verhältnisses, da durch die verbesserte Belüftung der dorsalen Lunge durch nicht unterstützte Atemzüge (während „bi-phasic positive airway pressure“, BIPAP) eine Verbesserung der Perfusion zu abhängigen, dorsalen Arealen resultiert [28]. In einem Modell mit Bi-Level-Beatmung und druckunterstützter Beatmung („pressure support ventilation“, PSV), wurde zudem eine Reduktion des Biotraumas durch Verminderung der Zytokinausschüttung demonstriert [29]. Der direkte Vergleich zwischen BiPAP + Spontanatmung gegenüber PSV zeigte gleichartige Verbesserungen von Ventilation und Perfusion, sodass unabhängig von der Art und Weise der Spontanatmung eine Verbesserung der Oxygenierung durch eine zusätzliche Reduktion des Shuntvolumens erfolgt [29]. Neben der Verbesserung der Oxygenierung ist der Erhalt der diaphragmalen Funktion entscheidend, da diese den Entwöhnungserfolg maßgeblich beeinflusst. Die bereits nach 6 Stunden einsetzende „ventilator induced diaphragma dysfunction“ (VIDD) führt zur Atrophie aller Muskelfasertypen und zur Kontraktionsschwäche [30]. Der Stellenwert der assistierten Spontanatmung zur Prävention scheint allerdings abhängig von den gewählten Unterstützungsleveln zu sein, da eine hohe Unterstützung nicht zu einer vollständigen Prävention der VIDD führt [30].
Die Debatte über den positiven Nutzen der Spontanatmung ist 2010 durch Untersuchungsergebnisse von Papazian et al. [31] erneut angeregt worden. Die Studie wies eine Reduktion der 90-Tage-Letalität und der Beatmungstage bei Patienten auf, die unmittelbar nach Auftreten des ARDS für 48 Stunden mit Cisatracurium relaxiert waren. Diese Ergebnisse widersprechen primär der Annahme, dass ein zurückhaltender Einsatz von Muskelrelaxantien die Beatmungsentwöhnung verkürzt und sekundär Einfluss auf die Letalität nimmt. Allerdings war diese Letalitätsreduktion nur in der Gruppe mit einem PaO2/FiO2<120 mmHg zu finden. Arthur Slutsky [32] hat in seinem Editorial als eine mögliche Ursache die Reduktion der Desynchronisierung zwischen Beatmungsgerät und Atembemühungen des Patienten angeführt, die zu einem verminderten VILI führen könnte, und damit einen der Hauptkritikpunkte der Studie angesprochen. Die Desynchronisierung in der Kontrollgruppe war nicht untersucht, und es bleibt offen, ob dies möglicherweise der Grund der höheren Letalität in der Kontrollgruppe gewesen ist. Desweiteren wurde kritisiert, dass der Beatmungsmodus („assist control“) eine obligatorische Mindestzahl von Atemhüben appliziert und keine Möglichkeit der Spontanatmung während des Atemhubs ermöglicht. Bei gleichzeitiger Kontraktion des Diaphragmas resultieren erhöhte transpulmonale Drücke und eine ungleiche Verteilung des PEEP, was das Atelektrauma und folglich die Ausprägung des VILI erhöht. Ebenso muss bedacht werden, dass der Effekt auch durch eine tiefe Sedierung, wie sie bei ARDS-Patienten durchgeführt wird, möglicherweise denselben Effekt gezeigt hätte. Bereits tierexperimentell konnte allerdings demonstriert werden, dass während der Spontanatmung in dorsalen Lungenanteilen, wo die diaphragmale Kontraktion am stärksten zur Rekrutierung von Lungenarealen führt, ein VILI auftritt [33].
Festzuhalten bleibt, dass Spontanatmung bei ARDS-Patienten die Oxygenierung verbessert, das Shuntvolumen reduziert und die diaphragmale Funktion erhält.
Auf Grund der Ergebnisse von Papazian et al. [31] wird eine anfängliche Muskelrelaxation bei einem Oxygenierungsindex <120 mmHg empfohlen [34], ohne dass ausgeschlossen werden kann, dass nicht eine tiefe Analgosedierung den gleichen Effekt hätte.
Fazit für die Praxis
Folgende Punkte sind für die möglichst protektive Beatmung von ARDS-Patienten zu fordern:
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Nutzung niedriger Tidalvolumina von höchstens 6 ml/kg KG, da auch diese Tidalvolumina die Überdehnung der Restlunge nicht ausschließen
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PEEP-Titrierung anfänglich nach PEEP/FiO2-Tabelle. Sollte die Beatmung mit AF <30 durchgeführt werden, könnte es sinnvoll sein, geringfügig höhere PEEP-Werte (+4−5 cm H2O) zu nehmen
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Begrenzung des Spitzendrucks auf niedrigst mögliche Drücke; nach Möglichkeiten nie >30 cm H2O
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Computertomographische Diagnostik zur Abschätzung der Verteilung der Belüftungsstörung und Rekrutierungspotenzial zu Beginn der Behandlung und im Verlauf
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Erwägung genauerer Adjustierung mittels bettseitigen Methoden; da die Möglichkeit dynamischer Druck/Volumenmessungen in modernen Beatmungsgeräten vorhanden sind, ist diese problemlos durchführbar
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Im schweren ARDS (PaO2/FiO2<120 mmHg) und wenn keine tiefe Sedierung zur optimalen Interaktion von Patient und Beatmungsgerät führt (Möglichkeit der Spontanatmung während des Atemhubs oder keine Atembewegung), Relaxierung ≤48 Stunden
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Zulassen der Spontanatmung, unterstützt oder nicht unterstützt
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Bei Erfolglosigkeit der Maßnahmen Bauchlagerung oder extrakorporale Verfahren
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Der Autor gibt für sich und seine Koautoren an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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Bruells, C., Rossaint, R. & Dembinski, R. Beatmung beim akuten Lungenversagen. Med Klin Intensivmed Notfmed 107, 596–602 (2012). https://doi.org/10.1007/s00063-012-0130-1
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