Einleitung

Mit einer Dekade seit der Erstzertifizierung sind Chest Pain Units (CPU) noch eine relativ junge Versorgungsstruktur in Deutschland; demgegenüber existiert das Stroke-Unit(SU)-Konzept bereits fast 25 Jahren. Sowohl CPU als auch SU bieten den Vorteil eines strukturierten Erstmanagements von Patienten mit akutem, kardial bedingtem Brustschmerz bzw. akuter Schlaganfallsymptomatik. Die Rolle der SU ist hierbei insofern differenzierter, als hier auch die weitere hospitale Versorgung in weiten Teilen abgebildet wird [18, 30].

Im Folgenden beschreiben wir vergleichend CPU und SU und stellen die Zertifizierungsstrukturen vergleichend gegenüber. Dabei sollen Parallelen und Unterschiede in beiden etablierten Strukturen herausgearbeitet werden.

Entwicklung der Zertifizierung von CPU in Deutschland

Historie

Bis Ende 2008 war der Begriff der CPU in Deutschland uneinheitlich genutzt und unterlag keiner spezifischen Qualitätskontrolle. 2007 wurde die Task Force CPU von der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) ins Leben gerufen und beauftragt, einheitliche Qualitätskriterien zu entwickeln. Das erste Positionspapier wurde Ende 2008 veröffentlicht und seit 2015 mittlerweile 2‑mal novelliert [3, 9, 25]. Die hier definierten Mindestanforderungen beziehen weiter räumliche und apparative Gegebenheiten, Diagnostik- und Therapiestrategien, Ausbildung und Organisation ein und bilden die Basis für die Zertifizierung. Der Auflagenkatalog besteht mittlerweile aus 48 Kriterien. Änderungen des neuen Updates betreffen insbesondere die Bereiche der Risikostratifikation sowie des „rule-in“ und „rule-out“ beim akuten Koronarsyndrom ohne persistierende ST-Strecken-Hebungen, ferner werden medizinrechtliche Aspekte adressiert. Neben den obligaten Kriterien werden weiterhin fakultative DGK-Kriterien benannt und somit Spielraum für weitere Innovationen und zusätzlich verbesserte individuelle Abläufe geschaffen. Die Zertifizierung selbst wird unter der Leitung der DGK organisiert.

Zertifizierungskonzept

Nach formaler Prüfung des Antrags durch das CPU-Gremium der DGK schließt sich ein Audit an. Dieses wird von jeweils 2 unabhängigen, im Zertifizierungsprozess geschulten Gutachtern (Kardiologen) der DGK abgehalten. Die medizinischen Auditoren müssen zuvor einen gezielten Schulungsprozess durchlaufen. Die Gutachter führen das Audit am vereinbarten Termin durch, erstellen einen Bericht und sprechen eine Empfehlung über die Zertifizierung aus. Das Gremium zur Zertifizierung der DGK beschließt anhand dieser Unterlagen über die Erteilung oder Nichterteilung des Zertifikats. Die DGK erteilt entsprechend dem Beschluss das Zertifikat, eine begründete Absage oder eine Zertifizierung unter Vorbehalt, sofern nicht alle Voraussetzungen vom Antragsteller erfüllt wurden, aber in absehbarer Zeit erbracht werden können. Die initiale Zertifizierung gilt für 3 Jahre, danach ist eine Rezertifizierung nötig [2, 9].

Der Rezertifizierungsprozess verläuft analog zur Erstzertifizierung. Anders als bei der Erstzertifizierung wird das Audit jedoch nur noch durch einen Gutachter durchgeführt, der in aller Regel die CPU-Struktur aus dem Erstaudit kennt. Die Rezertifizierung ist anschließend für die Dauer von 5 Jahren gültig, hiernach schließt sich eine neuerliche Rezertifizierung an [4, 9].

Qualitäts-Benchmarking

Bereits 2009 wurde mit dem CPU-Register die Grundlage zur Qualitätserfassung geschaffen. Das Register wurde zwischenzeitlich einmalig als CPU-II-Register novelliert. Es wurden insgesamt bisher über 40.000 Patienten erfasst. Eine Reihe an Publikationen konnte hieraus die hohe Qualität sowie die Überlegenheit gegenüber herkömmlichen Notfallversorgungsstrukturen belegen [18, 31]. Die Vorteile des CPU-Konzepts resultieren hier insbesondere aus der hohen Leitlinienadhärenz, der Verbesserung der Versorgungszeiten sowie der umgehenden diagnostischen Aufarbeitung [6]. Zudem gibt es Hinweise, dass durch die CPU-Struktur auch die Prognose von Patienten mit einem akuten Koronarsyndrom signifikant verbessert werden kann [16]. Einschränkend ist zu bemerken, dass allerdings nur etwa 15 % der zertifizierten CPU am Register teilnahmen und Daten lieferten und somit der repräsentative Charakter teilweise in Frage gestellt werden muss. Grund hierfür ist u. a., dass in den initialen Kriterien die Teilnahme an einer Qualitätskontrolle weder obligates noch fakultatives Kriterium war und das CPU-Register erst im Folgejahr an den Start ging [3, 25]. Die Rolle der Qualitätserfassung wurde mit dem Update der Kriterien zuletzt jedoch gestärkt. Feedback-Mechanismen über Qualität von Diagnostik und Therapie zur Qualitätssicherung sind nun obligat [9]. Die ehemals als zusätzliche DGK-Empfehlung definierte Teilnahme am CPU-Register wurde jedoch aufgegeben und das Register zwischenzeitlich eingestellt. Hierbei muss kritisch angemerkt werden, dass die einzelnen Kliniken in der bisherigen Form wenig von der Registererfassung profitierten und ein leicht erhöhter Arbeitsaufwand durch vermehrte Dokumentation eher abschreckend wirkte, sich an der Registerdatenerfassung zu beteiligen. Wohl erfolgte ein klinikspezifisches Feedback der Benchmark-Parameter, wissenschaftlich erfolgte die Auswertung jedoch weitestgehend zentral. Derzeit werden Möglichkeiten ausgelotet, in welcher Form ein teilweises Benchmarking zu anderen Bedingungen wieder aufgenommen werden kann.

Brustschmerzambulanzen als ergänzende Struktur

Im niedergelassenen Sektor wird das Konzept der CPU durch die komplementär agierenden Brustschmerzambulanzen (BSA) ergänzt [24]. Essenzielle Voraussetzungen sind hier die Versorgung durch einen Facharzt für Kardiologie sowie eine durchgehende Verfügbarkeit unter der Woche. Brustschmerzpatienten können sich hier ohne Terminabsprache vorstellen und fachärztlich abklären lassen. Optimalerweise besteht eine räumliche Nähe zwischen einer CPU und einer BSA, sodass auf der einen Seite nach Ausschluss eines akuten Myokardinfarkts in der CPU eine zeitnahe weitere Ischämiediagnostik ambulant erfolgen kann, auf der anderen Seite Hochrisikopatienten rasch im Kliniksetting weiterversorgt werden können.

Bislang besteht hierfür jedoch keine flächendeckende Versorgung [12]. Seit Start des Zertifizierungsverfahrens durch die DGK wurden insgesamt erst 64 BSA zertifiziert, 39 Einheiten wurden rezertifiziert. Möglicherweise würde hier eine bessere Vergütungsstruktur für eine höhere Akzeptanz sorgen.

Aktueller Zertifizierungsstand in Deutschland

Mit den CPU der Universitätskliniken Essen und Mainz wurden 2008 Deutschlands erste offizielle CPU-Zertifizierungen abgeschlossen. Stand 01.07.2020 sind 290 CPU zertifiziert (Abb. 1). Bereits 244 Einheiten haben die erste Rezertifizierung durchlaufen, 116 Einheiten bereits die zweite Rezertifizierung [13]. Diese Zahlen spiegeln eine hohe Akzeptanz des Programms mit einem hohen Anteil von über 95 % an Rezertifizierungen wider. Mehr als die Hälfte aller Kliniken mit Herzkathetermessplatz in Deutschland bietet derweil ein zertifiziertes CPU-Konzept an.

Abb. 1
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Überblick über die bisher zertifizierten Chest Pain Units mit Stand 01.07.2020. (Quelle: Deutsche Gesellschaft für Kardiologie)

CPU finden derweil ihren Platz in den nationalen Leitlinien. Patienten mit akuten Koronarsyndromen ohne ST-Strecken-Hebungen sollten vorzugsweise in CPU abgeklärt, behandelt und über definierte Zeiträume überwacht werden [9]. Überdies wird gerade ein Konzept überlegt, welches additiv die Optimierung der präklinischen Phase stärker adressiert [5].

Vergleichbare Programme in Europa

Im Gegensatz zum Chest-Pain-Center-Konzept in den USA, die bisher über 1000 Einheiten akkreditieren konnten, sind vergleichbare Konzepte im europäischen Ausland rar. Größere, durch die nationalen Fachgesellschaften mitgetragene Konzepte in Großbritannien und Spanien scheiterten. Obgleich viele Kliniken in Europa vom Grundsatz her bereits CPU-Konzepte praktizieren, existieren bisher keine einheitlichen Mindeststandards. Im deutschsprachigen Raum wurden 2016 von der DGK 2 weitere CPU in Wien und in Zürich zertifiziert [13]. Eine weitere Ausbreitung in Österreich oder in der Schweiz blieb bislang jedoch aus.

2017 wurde ein Positionspapier durch die Acute Cardiovascular Care Association (ACCA) der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) publiziert, wobei man sich hierbei eng an die Zertifizierungskriterien der DGK angelehnt hat [8]. In die Task Force waren internationale Experten sowie Vertreter des CPU-Gremiums der DGK inkludiert. Es gelang, einen organisatorischen und logistischen Mindestrahmen zu definieren. Dieser Mindestrahmen schließt räumliche, technische, diagnostische und therapeutische Voraussetzungen ein und folgt inhaltlich weitestgehend den deutschen Zertifizierungskriterien. Aktuell besteht noch kein europäischer Zertifizierungsprozess. Es wird jedoch im Positionspapier bereits eine gestufte Zertifizierung mit Basis- und Schwerpunktzentren in Aussicht gestellt.

Vergütungsstruktur

CPU werden in der Literatur als kosteneffektiv bezeichnet. Die Kosteneffektivität resultiert maßgeblich aus einer Reduktion stationärer zugunsten ambulanter Fälle durch eine Reduktion der stationären Liegezeit sowie eine bessere medizinische Diagnostik und Therapie, d. h. zu frühe Entlassungen werden durch leitliniengerechte Diagnostik vermieden und damit Wiederaufnahmen aufgrund z. B. eines übersehenen akuten Koronarsyndroms größtenteils vermieden. Die Nutzung klarer Diagnostik- und Therapiepfade führt zu einer überwiegend leitliniengerechten Versorgung ohne wesentliche Verzögerung, unnötige Diagnostiken und Prozeduren und somit ohne Ressourcenverschwendung. Parallel resultiert die schnellere und richtigere Diagnosestellung in einer Reduktion von Folgekosten für die Kostenträger. Internationale Untersuchungen zeigten beispielweise, dass der typische Brustschmerzpatient mit niedrigem Risiko ohne CPU-Struktur etwa 2 bis 3 Tage stationärer Abklärung unterzogen wird. CPU ermöglichen dies innerhalb weniger Stunden und in mehr als 50 % der Fälle ohne stationäre Aufnahme. Parallel führt die Verminderung an Fehldiagnosen zu einer zusätzlichen Kostensenkung [10, 16]. Die Kosten für die Zertifizierung fallen dagegen mit 5000 € für die Erstzertifizierung und 3500 € für die Rezertifizierung wenig ins Gewicht.

Klare Auswertungen für die deutsche Gesundheitsstruktur liegen unserem Wissen nach nicht vor. CPU-Patienten werden mangels spezifischer Sonderentgelte häufig doch stationär aufgenommen und unter Inkaufnahme von Abschlägen früh wieder entlassen. Der Mehrwert errechnet sich aus der Mischkalkulation an Abzügen durch Unterschreiten der Mindestverweildauer bzw. rückwirkender Aberkennung als stationärer Fall in Relation zur Schaffung freier Kapazitäten für Hochrisikofälle. Internationale Berechnungsmodelle zeigen, dass ein CPU-Patient, der mit Niedrigrisikoprofil ambulant geführt werden kann, Platz für 2 bis 3 stationäre Patienten mit erhöhtem Risiko schafft [23]. Eine konkrete Analyse inklusive der Gegenrechnung der Verschiebung eines Teils der Abklärung in den ambulanten Sektor ist überfällig und als weitere Diskussionsgrundlage mit den Kostenträgern obligat.

Zu begrüßen ist der Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), wonach CPU als Zusatzmodul in die stationäre Notfallversorgung eingegangen sind. CPU werden damit entgeltrechtlich Krankenhäusern der Basisnotfallversorgung gleichgestellt [1]. Obgleich zur Erfüllung des Moduls „Durchblutungsstörungen am Herzen“ eine Zertifizierung der CPU durch die DGK nicht obligat ist, entsprechen die angewandten Qualitätskriterien weitestgehend denen der DGK. Demzufolge erfüllen Kliniken mit zertifizierter CPU dieses Modul leicht, jedoch kann dieses Ziel auch ohne zertifizierte CPU erreicht werden.

Entwicklung der Zertifizierung von SU in Deutschland

Historie

Mitte der 90er-Jahre wurden die ersten SU in Deutschland eröffnet. Bereits Ende der 90er-Jahre wurde durch die SU-Kommission der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) – später fortgesetzt durch die Deutsche Schlaganfallgesellschaft (DSG) – in Zusammenarbeit mit der Stiftung Deutsche Schlaganfallhilfe (SDSH) ein Zertifizierungsverfahren etabliert und sukzessive weiterentwickelt [17, 26]. Um den gestiegenen qualitativen Anforderungen an ein Zertifizierungsverfahren gerecht zu werden, wurde im Jahre 2009 als neuer professioneller Partner die LGA InterCert GmbH, eine Tochtergesellschaft des TÜV Rheinland, als akkreditierte Zertifizierungsstelle gewonnen. In dieser Konstellation besteht nunmehr eine 10-jährige erfolgreiche Kooperation in der Zertifizierung.

Zertifizierungskonzept

Von Beginn an wurden 2 sich ergänzende Versorgungsstufen von SU definiert, um eine flächendeckende Versorgung unter regional sehr unterschiedlichen Bedingungen bundesweit zu gewährleisten:

  • regionale SU: Vorhandensein sämtlicher grundlegender Qualitätsmerkmale inklusive der intravenösen Thrombolysetherapie;

  • überregionale SU: hier bestehen zusätzliche Auflagen hinsichtlich struktureller und prozessualer Vorhalteleistungen, seit einigen Jahren insbesondere zur interventionellen Katheterbehandlung.

Das Zertifizierungsverfahren, das mittlerweile aus 42 Kriterien besteht, wird alle 3 Jahre einer inhaltlichen Revision unterzogen [20, 21], was zuletzt im Jahre 2018 erfolgt war [19]. Neben obligaten Mindestanforderungen werden zahlreiche Empfehlungen ausgesprochen, die im Rahmen interner Audits bearbeitet werden müssen. Das Zertifizierungskonzept sieht Vor-Ort-Auditierungen in 3‑jährigem Abstand durch einen geschulten Mitarbeiter der LGA InterCert GmbH (= leitender Auditor) und einen medizinischen Fachexperten (= medizinischer Auditor) vor. Bei den medizinischen Auditoren handelt es sich ausnahmslos um Neurologen mit ausgewiesener Schlaganfallexpertise, die von der DSG berufen werden. Die medizinischen Auditoren müssen ebenfalls zuvor einen gezielten Schulungsprozess durchlaufen und 2 Trainee-Audits absolvieren. 2012 wurde zusätzlich ein sog. Zertifizierungsausschuss gebildet, der das Audit bzw. den Auditbericht bewertet.

Das SU-Zertifizierungskonzept wird in Tab. 1 dem CPU-Konzept gegenübergestellt.

Tab. 1 Gegenüberstellung der wichtigsten Zertifizierungskriterien von Chest Pain Units (CPU) und Stroke Units (SU) in Deutschland

Telemedizinische SU

Es stellte sich heraus, dass in stark ländlich geprägten Regionen eine konventionelle SU wirtschaftlich und personell nicht zu betreiben ist. Dies hat zum Konzept der telemedizinischen SU (Tele-SU) als dritte, subsidiäre Komponente der Zertifizierung geführt. In den meist internistisch geführten Tele-SU wird der Patient mittels Kamera und digitaler Technologie durch einen erfahrenen Spezialisten in einem telemedizinischen Beratungszentrum mituntersucht. Dabei werden auch die Ergebnisse der Bildgebung, der Laborchemie und der medizinischen Zusatzdiagnostik einbezogen. In wissenschaftlichen Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass auf diese Weise auch eine intravenöse Thrombolysetherapie sicher und effektiv anwendbar ist [28]. Mittlerweile wurde auch für Tele-SU einschließlich des Beratungszentrums ein Zertifizierungsverfahren entwickelt.

Neurovaskuläre Netzwerke

Neben dem akuten Schlaganfall als Kernelement von SU gibt es eine Reihe weiterer neurovaskulärer Krankheiten, für die es bislang keine qualitätsgesicherte Struktur gab. Dazu gehören u. a. seltene hereditäre, entzündliche und degenerative Vaskulopathien des zentralen Nervensystems. Um das gesamte neurovaskuläre Spektrum abzudecken, hat die DSG, zusammen mit den Deutschen Gesellschaften für Neurochirurgie und Neuroradiologie ein Zertifizierungsverfahren für sog. neurovaskuläre Netzwerke (NVN) etabliert [7]. Ein NVN setzt sich aus einem koordinierenden Zentrum und mehreren Netzwerkpartnern zusammen. Das koordinierende Zentrum ist an einem Haus der Maximalversorgung angesiedelt und hält das gesamte neurovaskuläre Diagnostik- und Behandlungsspektrum inklusive einer eigenständigen Kardiologie, Gefäßchirurgie und einer neuromedizinisch ausgerichteten Intensivmedizin vor. Von den NVN-Partnern müssen mindestens 3 eine zertifizierte SU vorweisen und eng mit dem koordinierenden Zentrum kooperieren. Das koordinierende Zentrum kann auch Beratungszentrum für Tele-SU sein. Das Zertifizierungsverfahren für NVN wurde im Jahre 2017 etabliert und stellt eine bedeutsame strukturelle Weiterentwicklung in der Schlaganfallmedizin dar.

Qualitäts-Benchmarking

Als ein Kernelement der Zertifizierung wird ein gezieltes Qualitätsmanagement von jeder SU eingefordert, das über allgemeine, hausinterne Maßnahmen hinausgeht [19]. Dazu gehört unter anderem die Teilnahme an Schlaganfallregistern, die teils auf ein Bundesland begrenzt sind (z. B. Bayern, Berlin, Rehinland-Pfalz, Hessen, Hamburg) und teils darüber hinausgehen (z. B. Nordwestdeutschland). Im Rahmen der Arbeitsgemeinschaft Deutsche Schlaganfallregister (ADSR) werden verschiedene (insgesamt 15) Qualitätsindikatoren im Hinblick auf die Prozess- und Ergebnisqualität gemessen. Die für die Qualitätsindikatoren definierten Zielbereiche, die sich inhaltlich auf die aktuellen Leitlinien beziehen, verbesserten sich in den zertifizierten SU zunehmend und werden derzeit fast ausnahmslos erreicht. Im Rahmen regionaler Treffen der Schlaganfallregister werden die Ergebnisse vergleichend dargestellt und ggf. in einem strukturierten Dialog näher erläutert. Durch diese kontinuierliche Qualitätsarbeit konnten zahlreiche sehr bedeutsame qualitative Prozesse (z. B. Tür-Bildgebung-Zeit, Tür-Lyse-Zeit, Rate an Antikoagulationstherapie bei Vorhofflimmerpatienten, frühzeitiger Beginn der Rehabilitation) verbessert werden. Das SU-Konzept konnte hier durch eine Cochrane-Analyse positiv evaluiert werden. Als weiteres Strukturelement findet in 2‑jährigem Turnus ein bundesweites Treffen sämtlicher SU-Betreiber statt, bei dem die wesentlichen Qualitätsaspekte diskutiert werden.

Aktueller Zertifizierungsstand in Deutschland

In Deutschland sind aktuell (Stand 01.07.2020) 335 SU zertifiziert [15]. Dies schließt insgesamt 126 überregionale SU, 190 regionale SU und bereits 19 Tele-SU ein (Abb. 2). Darüber hinaus wurden mittlerweile 8 NVN in Deutschland zertifiziert.

Abb. 2
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Überblick über die bisher zertifizierten Stroke Units mit Stand 01.07.2020. (Quelle: Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe)

Vergleichbare Programme in Europa

Ähnliche Zertifizierungsverfahren existieren in der Schweiz und in Tschechien. Darüber hinaus gibt es einmalige Akkreditierungsverfahren von SU in verschiedenen Ländern, was allerdings keine fortwährende Qualitätsarbeit einschließt. Im Jahre 2019 wurde durch die European Stroke Organization (ESO) der sog. Action Plan for Stroke etabliert [14, 22, 27]. Für insgesamt 7 Domänen wurde eine Vielzahl konkreter und messbarer Ziele in der Schlaganfallversorgung definiert, die bis spätestens 2030 europaweit realisiert werden sollen. Zu den 4 übergreifenden zentralen Zielen dieses Handlungsplans gehört die europaweit flächendeckende Etablierung zertifizierter SU. In den letzten Jahren wurde ein ESO-Zertifizierungsverfahren etabliert, welches ebenfalls auf einer 2‑stufigen Konzeption aus sog. Stroke Center (= überregional) und SU (= regional) basiert [33]. Dabei soll allerdings das Prinzip der Subsidiarität reingehalten werden: Das nationale Zertifizierungsverfahren mit Vor-Ort-Visitierungen bleibt künftiger Standard und kann nicht durch das ESO-Verfahren mit Offsite-Audits ersetzt werden.

Vergütungsstruktur

Um die Vorhalteleistungen ökonomisch abbilden zu können, wurde die OPS(Operationen- und Prozedurenschlüssel)-Ziffer 8‑981 für die „Neurologische Komplexbehandlung des akuten Schlaganfalls“ etabliert. In Abhängigkeit von der Dauer der SU-Behandlung (24–72 h und >72 h) erfolgt eine Zunahme des Relativgewichts der abschließenden DRG. Die Höhe des Zusatzerlöses ist dabei abhängig von den angewandten Prozeduren sowie von der Komorbidität. Die SU sind dazu angehalten, für eine verlängerte SU-Behandlung von mehr als 72 h eine entsprechende Indikationsbegründung zu dokumentieren [11]. Letzteres wird im Rahmen der Zertifizierungsaudits auch überprüft.

Was CPU von den SU lernen können

Analogien und insbesondere die Unterschiede der beiden Systeme von CPU und SU sind in Tab. 2 zusammengefasst.

Tab. 2 Unterschiede und Verbesserungspotenziale der Zertifizierungsverfahren von Chest Pain Units (CPU) und Stroke Units (SU)

Die CPU haben sich rasant entwickelt und konnten in vergleichsweiser kürzerer Zeit deutschlandweit flächendeckend etabliert werden. Bisherige Auswertungen zur CPU-Verteilung zeigen, dass noch ein gewisses Süd-Nord- sowie West-Ost-Gefälle besteht und die Anzahl an CPU in ländlichen Regionen begrenzt ist. Während aktuell die meisten Universitätskliniken über eine CPU verfügen und die Zahl an CPU an akademischen Lehrkrankenhäusern hoch ist, können nur wenige Basis- und Regelversorger eine zertifizierte CPU vorhalten [32]. Wie bei den SU auch sind die optisch imponierenden Lücken in der Versorgungskarte jedoch nicht per se Ausdruck regional-struktureller Gefälle, da die stark unterschiedliche Bevölkerungsdichte hier jeweils nicht mitabgebildet ist. Das abgestufte System der SU ist aber ein interessanter und potenziell übertragbarer Ansatz, mögliche Inhomogenitäten zu reduzieren, und geht über das gestufte Modell der CPU mit ihren BSA hinaus.

Vorteile zugunsten der SU ergeben sich ferner aus dem fachgesellschaftsunabhängigen Partner im Zertifizierungsprozess, der zur Standardisierung und Strukturentwicklung des Zertifizierungsverfahrens beigetragen hat. Zudem wurde eine strukturierte Schulung der ärztlichen Auditoren etabliert und durch einen Zertifizierungsausschuss ein Vier-Augen-Prinzip bei der Berichtserstellung und der Zertifikatentscheidung eingeführt. Nichtsdestotrotz zeigt die aktuelle Datenlage zur medizinischen Qualität der CPU eine hohe Leitlinienadhärenz sowie sehr gute intrahospitale Abläufe, sodass der derzeitige Zertifizierungsablauf insgesamt positiv bewertet werden kann und auch im aktuellen Update nicht modifiziert wird.

Der Zertifizierungs- und Rezertifizierungsprozess der CPU unterliegt einer regelmäßigen Anpassung an gültige Leitlinien. Wesentliche strukturelle Veränderungen haben sich bisher jedoch nicht ergeben. Ein festes Revisionsintervall der Zertifizierungskriterien, wie bei den SU etabliert, könnte überdies vorteilhaft sein. Auch im gerade publizierten Update werden keine neuen Kriterienkategorien eingeführt. Durch die Aufgabe des CPU-Registers ist demgegenüber ein Rückschritt in der Qualitätskontrolle zu verzeichnen. Ein sog. Benchmarking für die CPU ist jedoch sowohl medizinisch als auch ökonomisch sinnvoll, um Qualitätskriterien dieser spezialisierten Einheiten zu messen und ggf. eine Basis für eine künftige Vergütungsstruktur zu etablieren. Hier ist die DGK gefordert, entsprechende Strukturen aufzubauen und ein übergeordnetes Qualitätsmanagement zu einem obligaten Kriterium zu erklären. Die Einrichtung des Moduls „Durchblutungsstörungen des Herzens“ in den Regelungen zu einem gestuften System von Notfallstrukturen in Krankenhäusern in Deutschland stärken die Position der CPU [1]. Eine spezifische Zuteilung eines Pauschalbetrags wäre im Sinne des CPU-Charakters wünschenswert, die jetzt erstmalige Verknüpfung an die Bezüge der Notfallversorgung ist jedoch zumindest ein erster Schritt. Analog zu dem Modul der Schlaganfallversorgung bietet auch das Modul „Durchblutungsstörungen des Herzens“ eine Sondervereinbarung für Krankenhäuser ohne designierte Notfallversorgung, sodass Häuser mit einer CPU nun auch Zuschläge erhalten. Dies kann bisher jedoch lediglich als erster Schritt erachtet werden. Zusätzliche Lobbyarbeit ist zur Kostendeckung unumgänglich, um diese durch das CPU-Register positiv evaluierte Struktur zu erhalten bzw. weiter zu fördern und zu verbreiten.

Per se ist die Struktur der CPU, im Gegensatz zu den SU, dahingehend zu hinterfragen, inwieweit sich das System in der stärker werdenden Notfallmedizin behaupten kann. Die SU schließen sich mit ihrer Komplexbehandlung der initialen Triage (überwiegend per kranieller Computertomographie) an und betreuen den Patienten über weite Teile des stationären Aufenthalts und sind somit weitestgehend autark vom notfallmedizinischen Geschehen in z. B. der zentralen Notaufnahme. Im Prinzip existiert im Gegensatz dazu in der CPU eine diagnostische Strategie mit frühzeitiger kardiologischer Entscheidungsfindung und Disposition (Entlassung, Bildgebung, Differenzialdiagnose, Herzkatheter). Nach aktueller Erhebung befindet sich jedoch die Hälfte der CPU bereits im Notaufnahmesetting, etwa 40 % der CPU sind separate Einheiten [32]. Das Beispiel der aktuellen COVID-19(„coronavirus disease 2019“)-Pandemie zeigt, dass die CPU zur Aufrechterhaltung einer leitliniengerechten Herzinfarktversorgung auch unter Pandemiebedingungen beitragen [29]. Es ist zu überlegen, ob der Aufgabenbereich der CPU auf das stationäre Management der Brustschmerzpatienten erweitert werden sollte. Dies ist jedoch in der aktuellen Novellierung nicht vorgesehen.

Fazit für die Praxis

  • Chest Pain Units (CPU) und Stroke Units (SU) sind integraler Bestandteil der Akutversorgung und dienen der leitliniengerechten Diagnostik und Therapie beim akuten Brustschmerz bzw. bei der akuten Schlaganfallsymptomatik.

  • Sowohl für CPU als auch für SU stehen etablierte Zertifizierungsprozesse zur Verfügung. Die SU-Zertifizierung unterscheidet sich von der CPU-Zertifizierung durch die Beteiligung eines akkreditierten externen Zertifizierungspartners.

  • Durch die Etablierung unterschiedlicher Strukturlevel der SU-Zertifizierung werden die regionalspezifischen Anforderungen in Deutschland vermehrt und damit besser berücksichtigt. Dennoch gelang es den CPU, in deutlich kürzerer Zeit ein vergleichbares bundesweites Netzwerk aufzustellen.

  • In der Qualitätssicherung und in der Vergütung sind die SU den CPU jeweils einen wichtigen Schritt voraus: Neben einem übergeordneten Qualitätsmanagement als obligatem Zertifizierungselement existiert für die SU-Schlaganfallkomplextherapie eine Zusatzvergütung, die zur Kostenabbildung beiträgt.