FormalPara Originalpublikation

Correa Neto IJF et al (2022) Administration of an anal bulking agent with polyacrylate-polyalcohol copolymer particles versus endoanal electrical stimulation with biofeedback for the management of mild and moderate anal incontinence: a randomized prospective study. Dis Colon Rectum 65(7):917–927

FormalPara Hintergrund.

Anale Inkontinenz (AI) wird als unwillkürlicher Verlust von Stuhl oder Winden definiert. Die Prävalenz in der Normalbevölkerung liegt zwischen 2 und 8,4 % und steigt mit zunehmendem Alter an [1]. Therapieoptionen für Patienten mit milder und moderater AI sind eingeschränkt und bestehen u. a. aus Bulking-Agents oder dem Einsatz einer Biofeedbacktherapie. Vergleichende Studien über deren Effektivität sind sehr limitiert. Die folgende randomisiert-kontrollierte Studie hat sich daher zum Ziel gemacht, Bulking-Agents mittels Polyacrylate-Polyalcohol-Copolymer-Partikeln mit einer Biofeedbacktherapie zu vergleichen [2].

FormalPara Methode.

Konsekutive Patienten mit milder oder moderater SI ohne Schließmuskeldefekte wurden in die Studie eingeschlossen. AI wurde definiert durch den Cleveland Clinic Florida Fecal Incontinence Score (CCFIS) von 13 oder darunter. Das primäre Studienziel war eine Verbesserung des CCFIS. Sekundär wurde die Lebensqualität beurteilt anhand des Fecal Incontinence Quality of Scale (FIQL) und des Short Form Health Survey (SF-36). Zusätzlich wurden eine anorektale Manometrie und ein endorektaler Ultraschall angewendet. Der Randomisierungsprozess wurde mit Microsoft Office Excel (Microsoft, Redmond, VA, USA) durchgeführt, das Follow-up endete nach 12 Monaten. Die Applikation des Bulking-Agents verlief unter digitaler Kontrolle transkutan in die Submukosa ca. 5 mm oberhalb der Linea dentata bei 0, 3, 6 und 9 Uhr Steinschnittlage. Die zweite konservative Gruppe erhielt 10 Einheiten einer 30-minütigen (2-mal pro Woche) Biofeedbacktherapie mit Elektrostimulation.

FormalPara Ergebnisse.

Es wurden insgesamt 16 Patienten in die Bulking-Agent-Gruppe eingeschlossen und 15 Patienten in die Biofeedbacktherapie Gruppe. In der Bulking-Agent-Gruppe waren Fieber (n = 8,44 %) und Schmerzen (n = 14,78 %) die häufigsten Komplikationen, während die konservativ behandelten Patienten einen unauffälligen Verlauf hatten.

FormalPara Vergleich des CCFIS zwischen den beiden Gruppen.

In der Bulking-Agent-Gruppe verbesserte sich der CCFIS von durchschnittlich 10,4 auf 6,9 nach 1 Monat (p = 0,012) und auf 6,2 nach 12 Monaten (p = 0,001). Im Gegensatz dazu, gab es keinen signifikanten Unterschied vor und nach durchgeführter Biofeedbacktherapie zu allen gemessenen Zeitpunkten. Eine Verbesserung des CCFIS von über 50 % war in 37,5 % in der ersten Gruppe erkennbar. Allerdings zeigte sich kein Beschwerderückgang von mehr als 50 % in der Biofeedbackgruppe nach 12 Monaten (p = 0,0018).

FormalPara Vergleich der Lebensqualität.

In der Bulking-Agent-Gruppe fand sich nur initial eine signifikant positive Veränderung in den Domänen „Coping/Behavior“ und „Lifestyle“ des FIQL-Fragebogens. Nach 12 Monaten zeigte sich kein Unterschied mehr in der Lebensqualität.

FormalPara Schlussfolgerung der Autoren.

Obwohl die Studie gezeigt hat, das Bulking-Agents bessere funktionelle Ergebnisse erzielen als eine Biofeedbacktherapie, sollte dennoch als Therapiebeginn eine Biofeedbackbehandlung eingeleitet werden. Milde Komplikationen traten gehäuft in der ersten postoperativen Woche auf und waren deutlich höher im Vergleich zur Literatur. Vergleichbare randomisiert-kontrollierte Studien sind stark limitiert und zeigten bisher keinen entsprechend hohen Unterschied im funktionellen Outcome. Eine systematische Studie von Hong et al. ermittelte eine allgemeine Verbesserung von 39,5 % bei Patienten mit einer Bulking-Agent-Therapie.

Kommentar

Das Studiendesign ist klar und die Arbeit ist gut strukturiert. Die Patientenanzahl erscheint allerdings etwas niedrig, um eine gute evidenzbasierte Aussage zu treffen. Die Auswertung ist sehr detailliert, es wurden zur Erfassung der Inkontinenz standardisierte und validierte Fragebögen verwendet. Die Diskussion hätte eine tiefere Analyse wünschen lassen, der Vergleich mit der bestehenden Literatur wird meist oberflächlich und kurz abgehandelt.

Die Autoren vergleichen zwei Therapiearme, deren Wirksamkeiten in der Literatur unterschiedlich bewertet werden. Die Anwendung von Bulking-Agents zeigte vielversprechende funktionelle Verbesserungen bei leichter und moderater Stuhlinkontinenz [3]. Im weiteren Verlauf nimmt die Effizienz aber deutlich ab und die Substanzen scheinen sich aufzulösen bzw. sind sonographisch nicht mehr darstellbar [4]. Dementsprechend wäre es gerade bei dieser Fragestellung sinnvoll gewesen, auch eine längere Nachbeobachtung durchzuführen. Es ist anzunehmen, dass zu einem späteren Zeitpunkt kein signifikanter Unterschied erkennbar sein wird. Die Biofeedbacktherapie hat einen etablierten Stellenwert in der Behandlung der Inkontinenz mit unterschiedlich publizierter Effektivität [5]. Die Autoren schreiben, dass obwohl die funktionellen Ergebnisse durch die Bulking-Agents besser waren, dennoch primär eine Biofeedbacktherapie durchgeführt werden sollte. Aus praktischer Perspektive ist diese Aussage nachvollziehbar. Die Mehrheit der Studienpatienten gab auch an, die Therapie weiterzuempfehlen. Basierend auf den aktuellen Studiendaten, hat die Biofeedbacktherapie aber nur eine sehr marginale Wirkung auf die Symptome und könnte daher durchaus im Behandlungsalgorithmus hinterfragt werden.

Fazit für die Praxis

In der funktionellen Chirurgie gibt es einen gravierenden Mangel an Studien mit hohem Evidenzlevel. Das hat mehrere Gründe; die Heterogenität der Patientenkohorten in Hinblick auf Alter, Ursache und Charakteristika ist einer davon. Das spiegelt sich in der Schwierigkeit wider, eine große Anzahl an vergleichbaren Studienpatienten zu rekrutieren. Trotz oben erwähnter Limitationen zeigt die Studie aber interessante Ergebnisse: Bulking-Agents sind klar effektiver als eine Biofeedbacktherapie nach 12 Monaten. Dementsprechend könnten Patienten mit hohem Leidensdruck direkt einer invasiveren Therapie zugeführt werden. Individuelle Behandlungsstrategien spielen auch im Management der Stuhlinkontinenz eine relevante Rolle.