1 Einleitung

Im April 2019 wurde von den größten Lebensmittelhändlern in Deutschland gemeinsam eine freiwillige vierstufige Haltungsform-Kennzeichnung eingeführt. Ziel der Initiative war es, die Transparenz für die Verbraucherinnen und Verbraucher zu erhöhen und hierdurch den Verkauf von Tierprodukten mit besseren Haltungsstandards zu fördern. In Stufe 3 haben die Tiere ein höheres Platzangebot als in den Stufen 1 (Stallhaltung) und 2 (StallhaltungPlus), Frischluftkontakt sowie Zugang zu Beschäftigungsmaterial. In Stufe 4 steht den Tieren noch mehr Platz zur Verfügung. Darüber hinaus erhalten sie (ständige) Auslauf- und Beschäftigungsmöglichkeiten (Initiative Tierwohl 2019). Die Haltungsform-Kennzeichnung war als Label ursprünglich nur auf Frischfleisch zu finden und wurde schrittweise auf weitere Produkte wie Wurstwaren und Molkereiprodukte ausgeweitet (Aldi Süd 2022; Verbraucherzentrale 2022).

Labels auf Verpackungen werden jedoch oft nicht wahrgenommen, dies gilt insbesondere dann, wenn nicht gezielt danach gesucht wird (Bartels et al. 2018). Grund ist, dass man im Lebensmitteleinzelhandel mit einer überwältigenden Menge an Informationen über eine Vielzahl von Konsumalternativen konfrontiert wird. Eine Strategie, um die Aufmerksamkeit von Menschen gezielter auf die Haltungsform-Kennzeichnung zu lenken, ist es, die Kennzeichnung salienter zu machen. Der Begriff „Salienz“ kommt aus der Psychologie und bedeutet, dass Objekte oder Gegenstände im Entscheidungskontext hervorgehoben werden, damit sie leichter bemerkt bzw. eher wahrgenommen werden (Taylor und Thompson 1982; Bordalo et al. 2013). Dies hat sich zum Beispiel im Bereich der Bio-Produkte als effektive Maßnahme gezeigt, um den Verkauf dieser Produkte zu erhöhen (Peschel et al. 2018). Um die Salienz zu erhöhen, können Banner über den Regalen oder die Label zusätzlich neben den Preisen auf den Regalbrettern angebracht werden. Die Implementierung von Bannern und Labels wird als eine ‚softe‘ Intervention angesehen (Griffiths und West 2015; Nuffield Bioethics Council 2007). Der Vorteil von ‚soften‘ Interventionen ist, dass sie eher akzeptiert werden, da die Entscheidungsfreiheit nicht eingeschränkt wird (Banerjee et al. 2021). Darüber hinaus haben Umfragen ergeben, dass sich Verbraucherinnen und Verbraucher mehr Informationen und mehr Transparenz in der Tierhaltung wünschen (Eurobarometer 2006; 2016; BMEL 2018), was auch zu einer erhöhten Akzeptanz von salienzbasierten Interventionen in diesem Bereich führen kann.

Um zu testen, ob eine Erhöhung der Salienz der Haltungskennzeichnung auch kausal zu einem veränderten Einkaufsverhalten führt, gibt es verschiedene experimentelle Ansätze. So können Interventionen zum Beispiel im Rahmen einer Feldstudie in einem echten Supermarkt oder in einer kontrollierten Umgebung wie einem Verhaltenslabor getestet werden. Beide Settings sind mit verschiedenen Vor- und Nachteilen verbunden (siehe z.B. van Herpen et al. 2016). Eine Alternative zu der klassischen Feld- und Laborforschung stellt die „virtuelle Realität“ dar. Mit einem virtuellen Supermarkt kann das Einkaufsverhalten realitätsnah simuliert werden. Es ermöglicht eine kosteneffiziente Erhebung von Daten auch bei größeren Stichproben und bietet gleichzeitig einen hohen Grad an experimenteller Kontrolle (De-Magistris et al. 2021). Insbesondere lassen sich durch den virtuellen Supermarkt verschiedene Interventionen testen, ohne diese in den laufenden Betrieb eines echten Supermarktes integrieren zu müssen. Für die Anwendung des virtuellen Supermarktes gibt es bereits einige Beispiele in der Fachliteratur (Waterlander et al. 2015; Hoenink et al. 2021; Xu et al. 2023), jedoch bezogen sich bisherige Studien nicht auf Deutschland. Daher war Ziel dieser Studie, das Design des virtuellen Supermarktes vorzustellen und damit zu untersuchen, wie sich salienzbasierte Interventionen auf den Verkauf von Fleischprodukten mit höheren Tierhaltungsstandards auswirken. Darüber hinaus wurde die Akzeptanz bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern für die verschiedenen salienzbasierten Interventionen ermittelt.

2 Methode

2.1 Der virtuelle Supermarkt

Der virtuelle Supermarkt ist eine 3D-Simulation eines echten Supermarkts, der, in Anlehnung an eine EDEKA-Filiale, im Rahmen von SocialLab II in Kooperation mit dem Marktforschungsinstitut IPSOS entworfen wurde. EDEKA wurde ausgewählt, da der Verbund mit einem Marktanteil von 27,2 % den höchsten Lebensmittelumsatz im deutschen Einzelhandel ausmacht (BVE 2022) und somit für einen Großteil der Teilnehmenden einen gewissen Wiedererkennungswert hat. Vor Beginn des virtuellen Einkaufs gingen die Versuchspersonen zuerst durch einen Übungssupermarkt, um die Funktionsweise zu erlernen. Ebenso erhielten die Versuchspersonen eine Beschreibung ihrer Einkaufsaufgabe. Sie wurden gebeten, u.a. 3 Fleischprodukte einzukaufen, aus denen sie für ihren Haushalt 3 Mahlzeiten zubereiten können. Wie in der Realität konnten die Versuchspersonen im virtuellen Supermarkt mit einem Einkaufswagen durch verschiedene Gänge gehen (Abb. 1). Jedoch konnte nicht aus allen Regalen Produkte entnommen werden. Die nicht interaktiven Regale wurden durch Fotos unterschiedlichster Produktkategorien aus einer EDEKA-Filiale dargestellt, um sicherzustellen, dass die Einkaufsumgebung im virtuellen Supermarkt so realistisch wie möglich ist. Die interaktiven Regale hingegen waren mit 3D-Simulationen von echten Produkten aus deutschen Supermärkten befüllt. Neben dem Fleischregal waren auch das Eier- und Milchregal interaktiv. Diese werden jedoch für die weitergehende Analyse nicht betrachtet. Die Fleischprodukte konnten von den Sudienteilnehmenden durch einen Mausklick auf das entsprechende Produkt aus dem Regal entnommen, und von allen Seiten näher betrachtet werden. Sie hatten die Wahl zwischen 24 verschiedenen Hühnchen-, Schweine-, und Rindfleischprodukten sowie Hackfleisch, die alle mit einem der 4 Haltungsformlabeln gekennzeichnet waren (Tab. 1) und alle von der gleichen, fiktiven Handelsmarke stammten. Die einzelnen Produkte waren unterschiedlich oft im Regal platziert. Insgesamt befanden sich 128 Produkte im Regal. Von diesen waren 56,3 % der Haltungsform 1, 18,7 % der Haltungsform 2 und jeweils 12,5 % den Haltungsformen 3 und 4 zuzuordnen. Da zum Zeitpunkt der Datenerhebung überwiegend Haltungsform 1 für Rinder- und Schweinefleischprodukte sowie Haltungsform 2 für Geflügelprodukte auf dem Markt zu finden waren (Verbraucherzentrale 2020), wurde bei allen Schweine- und Rindfleischprodukten ausschließlich die Haltungsform 1 und bei Geflügelfleisch die Haltungsform 2 für die Repräsentation der niedrigeren Haltungsform im virtuellen Supermarkt verwendet. Um eine gleichmäßige Auswahl von Produkten mit höheren Tierhaltungsstandards zu bieten, waren Produkte gleich häufig mit Haltungsform 3 und Haltungsform 4 ausgezeichnet. Dadurch waren Produkte der Haltungsformen 3 und 4 verglichen zur Realität in deutschen Supermärkten zum Zeitpunkt der Erhebung überrepräsentiert und Produkte der Haltungsform 2 unterrepräsentiert.

Abb. 1
figure 1

Der virtuelle Supermarkt. Darstellung oben links zeigt den Eingangsbereich des virtuellen Supermarkts. Rechts oben ist ein Ausschnitt des Fleischregals der Bannergruppe zu sehen, links unten der Banner + Labelgruppe, rechts unten der Kontrollgruppe

Tab. 1 Beschreibung der Fleischprodukte

In Anlehnung an reale Marktpreise aus dem Jahr 2020 kosteten im virtuellen Supermarkt die Fleischprodukte der Haltungsformen 3 und 4 durchschnittlich 8,31 € (21,23 € pro kg), während die Produkte der Stufe 1 im Fall von Schweine- und Rindfleisch und die Produkte der Stufe 2 im Fall von Geflügelfleisch zu einem durchschnittlichen Preis von 4,24 € (11,24 € pro kg) angeboten wurden. Wie in einem echten Supermarkt konnten die Fleischprodukte nach einer näheren Betrachtung entweder zurück ins Regal oder in den Einkaufswagen gelegt werden. Um den Einkauf abzuschließen, gingen die Teilnehmenden in den Kassenbereich. Dort hatten sie noch einmal die Gelegenheit, Produkte aus dem Warenkorb zu entfernen, bevor sie den Einkauf beendeten. Der Kauf war hypothetisch. Das heißt, im Anschluss an den virtuellen Einkauf mussten sie weder mit ihrem Geld für die Produkte bezahlen, noch erhielten sie die ausgewählten Produkte.

2.2 Experimentelles Design

Die Studie wurde im Februar und März 2022 durchgeführt. Es wurde ein Between-Subjects-Design gewählt. Hierbei wurden die Versuchspersonen zufällig in eine von 3 Gruppen zugeordnet, i) Bannergruppe, ii) Banner + Labelgruppe, iii) Kontrollgruppe. Die Versuchspersonen wurden in Zusammenarbeit mit einem Marktforschungsunternehmen zu der Online-Studie eingeladen. Teilnehmende mussten im Alter von 18 − 65 Jahren sein und regelmäßig tierische Produkte für ihren Haushalt einkaufen. Die Studie wurde vom ZEF Research Ethics Board der Universität Bonn genehmigt (Protokollcode: 8_ILR_21). Das Experiment setzte sich aus 2 Teilen zusammen: Zuerst absolvierten die Teilnehmenden einen Einkauf im virtuellen Supermarkt und anschließend füllten sie einen Fragebogen aus. Im Rahmen der Studie wurden die Haltungsformen in den beiden experimentellen Gruppen in folgender Weise salient gemacht. In der „Bannergruppe“ wurden oberhalb des Fleischregals drei Banner mit Informationen zu den vier Haltungsformstufen angebracht. In der „Banner + Labelgruppe“ sahen die Teilnehmenden zusätzlich zu den Bannern über dem Regal ein Label der jeweiligen Haltungsform für die Produkte der Haltungsform Stufe 3 und 4 an den Regalen neben dem Preisschild. Die Kontrollgruppe hatte weder ein Banner noch zusätzliche Regallabel, unterschied sich sonst aber nicht von den experimentellen Gruppen (Abb. 1).

2.3 Fragebogen

Nach Abschluss des Einkaufs im virtuellen Supermarkt füllten die Versuchspersonen einen Fragebogen aus. Es wurden soziodemografische Angaben, sowie psychografische Konstrukte erhoben. Weitere Bestandteile des Fragebogens bezogen sich auf die Wahrnehmung und Akzeptanz der Interventionen. So wurde die Wahrnehmung des virtuellen Supermarktes mit 4 Items gemessen (z.B. Die Preise im virtuellen Supermarkt entsprachen realistischen Marktpreisen), die auf einer 5-Punkte Likert Skala (1 = Ich stimme überhaupt nicht zu, 5 = Ich stimme voll und ganz zu) beantwortet wurden. Ebenfalls wurde abgefragt, ob den Teilnehmenden an der Studie die Intervention aufgefallen war. Dazu wurden ihnen die Banner und anschließend die Regallabel gezeigt, jeweils zusammen mit der Frage, ob sie diese im virtuellen Supermarkt bemerkt hatten (Ja/ Bin mir nicht sicher, denke eher ja/ Ich weiß es nicht/ Bin mir nicht sicher, denke eher nein/ Nein). Die Fragen wurden allen Gruppen gestellt, unabhängig davon, ob es sich um eine der experimentellen Gruppen oder um die Kontrollgruppe handelte.

Basierend auf Djugepot und Hansen (2020) wurde mittels 3 Items (z.B. Ich unterstütze die Nutzung solcher Maßnahmen) die Akzeptanz der Intervention auf einer 5-Punkte Likert Skala gemessen. Die beiden experimentellen Gruppen wurden jeweils gebeten, die Intervention der eigenen experimentellen Gruppe zu bewerten. Hierfür wurden ihnen Regalbilder aus der von ihnen besuchten Gestaltung des Supermarktes gezeigt. Die Kontrollgruppe erhielt die gleichen Regalbilder wie die Bannergruppe. Zuletzt wurden Studienteilnehmende bezüglich ihrer Kenntnis und Meinung zu der von einigen Unternehmen des Lebensmitteleinzelhandels geplanten Auslistung von Produkten der Haltungsform 1 und 2 aus dem Sortiment über einen Zeitraum von 10 Jahren befragt. Dafür wurden 7 Items verwendet (z.B. Solche Maßnahmen sind notwendig, um das Tierwohl zu verbessern), die ebenfalls mit einer 5-Punkte Likert Skala erhoben wurden.

3 Ergebnisse

3.1 Stichprobe

Im Durchschnitt waren die Befragten 45,8 Jahre alt (Std = 12,4), mehr als die Hälfte gab an, sich omnivor (59,6 %) zu ernähren und etwas mehr als ein Drittel flexitarisch (reduzierter Konsum von Fleischprodukten, 38,6 %). Die restlichen 1,8 % folgten einer vegetarischen, pescetarischen oder veganen Ernährungsweise. Einschlusskriterium für die Studie war, mindestens einmal im Monat Frischfleisch zu kaufen. 10,5 % der Teilnehmenden kauften mehrmals pro Woche abgepacktes Frischfleisch ein, die meisten (52,7 %) ungefähr einmal pro Woche, weitere 23,3 % ungefähr alle 14 Tage und 13,5 % ungefähr einmal im Monat. Weitere Angaben zur soziodemografischen Zusammensetzung der Stichprobe sind in Tab. 2 zusammengefasst. Im Vergleich zur deutschen Bevölkerung ist die Stichprobe insbesondere zugunsten von männlichen (StBa 2022a) und höher gebildeten Befragten verzerrt (StBa 2022b).

Tab. 2 Zusammensetzung der Stichprobe

Von den insgesamt 630 Teilnehmenden wurden n = 198 der Bannergruppe zugeordnet, n = 220 der Banner + Labelgruppe und n = 212 der Kontrollgruppe. Chi-Quadrat-Tests zeigten, dass sich die Gruppen hinsichtlich demografischer Variablen wie Geschlecht, Einkommen, Haushaltsgröße, Anzahl der Kinder, Bildung, Wohngegend, Einkaufs- und Ernährungsverhalten nicht signifikant unterscheiden (alle p > 0,12). Ebenso ergab ein Kruskal–Wallis-Test keinen signifikanten Zusammenhang zwischen der Gruppeneinteilung und dem durchschnittlichen Alter der Teilnehmenden.

3.2 Einkaufsverhalten im virtuellen Supermarkt

Die Teilnehmenden verbrachten im Durchschnitt 7:45 min (Std = 253,7 sek.) im virtuellen Supermarkt. Auch hier gab es keine signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppen (p = 0,76). Eine Übersicht zum Einkaufsverhalten der Stichprobe ist in Tab. 3 zu finden. Die Mehrheit (75,2 %) kaufte, wie in den Instruktionen vorgegeben, 3 Fleischprodukte. Bei den übrigen 24,8 % variierte der Umfang des Warenkorbs von einem bis zu 11 Produkten. Im Durchschnitt gaben die Teilnehmenden 18,6 € (Std = 8,8) für ihren Einkauf im virtuellen Supermarkt aus, wobei der günstigste Einkauf 3,04 € und der teuerste Einkauf 71,76 € betrug. Die Anzahl der Produkte des Warenkorbes und der Wert des Warenkorbs wiesen eine positive Korrelation auf (r = 0,7; p < 0,001). Insgesamt kauften die Teilnehmenden im Durchschnitt 1,3 Produkte (Std = 1,2) aus den Haltungsform Stufen 3 oder 4. Mit einem Wert von durchschnittlich 10,8 € (Std = 11,1 €) machten diese Produkte ungefähr die Hälfte des gesamten Werts des Warenkorbs aus. Mehr als die Hälfte der Teilnehmenden (68,1 %) kauften mindestens ein Fleischprodukt der Stufe 3 oder 4.

Tab. 3 Einkaufsverhalten der Stichprobe

Betrachtet man die einzelnen experimentellen Gruppen gesondert, zeigt sich, dass der Anteil der Produkte der Haltungsform 3 und 4 in der Banner- und Labelgruppe mit durchschnittlich 43,4 % (Std = 38,0) am höchsten war. Dieser Anteil ist in der Bannergruppe etwas niedriger (MW = 42,7 %; Std = 36,5) und am geringsten in der Kontrollgruppe (MW = 39,1 %; Std = 37,2). Die Unterschiede zwischen den Gruppen sind jedoch statistisch nicht signifikant (p = 0,39). Ein ähnliches Bild zeigt sich bei Betrachtung des anteiligen Warenwertes. Obwohl beide Interventionsgruppen anteilig mehr Geld für Produkte der Haltungsform 3 und 4 ausgaben (Bannergruppe 49,0 %; Std = 37,5; Banner + Labelgruppe 48,6 %; Std = 38,8) als die Kontrollgruppe (44,3 %; Std = 38,6), ist dieser Unterschied nicht signifikant (p = 0,44).

3.3 Evaluation des virtuellen Supermarktes

Abb. 2 zeigt, dass die meisten Teilnehmenden die Erfahrung im virtuellen Supermarkt als positiv und realistisch bewerteten. Der Mittelwert aller Items lag bei 3,9 (Std = 0,8). Die Kaufentscheidung und die Preise wurden überwiegend als realistisch wahrgenommen. So stimmten 88,4 % (voll und ganz) zu, dass die Kaufentscheidung realistisch war, und etwa drei Viertel gaben an, dass die Preise im virtuellen Supermarkt den Marktpreisen entsprachen (74,1 %). Auch die Benutzerfreundlichkeit wurde im Allgemeinen als relativ hoch eingeschätzt. 71,3 % der Teilnehmenden stimmten (voll und ganz) zu, dass es einfach war, den Umgang mit dem virtuellen Supermarkt zu erlernen, und 61,8 % stimmten (voll und ganz) zu, dass es einfach war im virtuellen Supermarkt das zu tun, was sie tun wollten. Dies impliziert aber auch, dass ein Teil der Teilnehmenden Schwierigkeiten hatte, beispielsweise im virtuellen Supermarkt das zu tun, was sie tun wollten (22,2 %). Die 4 Items zur Einschätzung des virtuellen Supermarkts wiesen eine akzeptable interne Konsistenz auf (Cronbach’s Alpha = 0,77). Ein Kruskal–Wallis-Test zeigte keine signifikanten Unterschiede des Einschätzungskonstrukts zwischen den Gruppen (p = 0,79).

Abb. 2
figure 2

Wahrnehmung des virtuellen Supermarkts

3.4 Wahrnehmung der Interventionen

Neben der Evaluation des Supermarktes, wurde auch die Wahrnehmung der einzelnen Interventionen ermittelt (Tab. 4). Die Mehrheit (65,2 %) der Teilnehmenden in der Bannergruppe gab an, die Banner bemerkt zu haben (Antwortkategorien: ja und eher ja). Noch deutlicher wahrgenommen wurden sie in der Banner + Labelgruppe + (71,8 %). Jedoch äußerten auch viele aus der Kontrollgruppe, die Banner bemerkt zu haben (44,3 %), obwohl während ihres Einkaufs im virtuellen Supermarkt keine vorhanden waren. Ein Kruskal–Wallis-Test zeigt, dass sich die Wahrnehmung der Banner zwischen den Gruppen unterscheidet (p < 0,001). Anschließend durchgeführte paarweise Vergleiche angepasst mit Bonferroni Korrektur zeigen, dass die Kontrollgruppe signifikant seltener angab, die Banner wahrgenommen zu haben als die Bannergruppe (p < 0,001) oder die Banner + Labelgruppe (p < 0,001). Zwischen der Bannergruppe und der Banner + Labelgruppe konnten keine signifikanten Unterschiede festgestellt werden (p > 1,0).

Tab. 4 Wahrnehmung der Interventionen

Ein ähnliches Ergebnis wurde bei den zusätzlichen Labels auf den Regalen festgestellt. Am häufigsten äußerte die Banner + Labelgruppe, die Label bemerkt zu haben (67,3 %). Jedoch gaben auch 60,6 % der Teilnehmenden aus der Bannergruppe und 44,9 % aus der Kontrollgruppe an, solche Label an den Regalen bemerkt zu haben. Auch hier konnten mit einem Kruskal–Wallis-Test Gruppenunterschiede ermittelt werden (p < 0,001). Die anschließend durchgeführten paarweisen Vergleiche angepasst mit Bonferroni Korrektur zeigen, dass Teilnehmende aus der Kontrollgruppe signifikant seltener als die der anderen beiden Gruppen (p < 0,001) angaben, die Label wahrgenommen zu haben. Signifikante Unterschiede zwischen der Bannergruppe und der Label + Bannergruppe konnten nicht festgestellt werden (p = 0,35).

3.5 Akzeptanz der Interventionen

Die mit 3 Items erfasste Akzeptanz der Interventionen war für beide Maßnahmen sehr hoch (Tab. 5). Über 75 % der Teilnehmenden gaben an, die Nutzung solcher Maßnahmen zu unterstützen (Antwortkategorien: stimme zu und stimme voll und ganz zu). Kruskal–Wallis-Tests zeigen einen signifikanten Unterschied zwischen den Interventionen und deren Unterstützung (p = 0,02). Die paarweisen Vergleiche angepasst mit Bonferroni Korrektur zeigen, dass die Banner + Labelgruppe eine signifikant höhere Unterstützung der Maßnahme angibt, als die Kontrollgruppe (p = 0,02), die ausschließlich die Intervention mit Bannern bewertete. Die Unterschiede zwischen der Bannergruppe und Banner + Labelgruppe (p = 0,11) oder der Bannergruppe und der Kontrollgruppe (p = 1,00) sind nicht signifikant. Auch zeigen die Bewertungen der Banner + Labelgruppe im Vergleich zur Banner- oder Kontrollgruppe, dass diese Intervention am besten geeignet scheint, um Menschen zu helfen, informierte Lebensmittelentscheidungen zu treffen (MW = 4,3; Std = 0,9). Statistisch signifikant waren die Gruppenunterschiede bezogen auf dieses Item jedoch nicht (p = 0,16). Die große Mehrheit (rund 60 %) der Teilnehmenden sahen durch die Maßnahmen ihre Entscheidungsfreiheit nicht eingeschränkt (MW = 2,3; Std = 1,2). Dennoch ist zu beachten, dass immerhin insgesamt ca. 18 % dies anders sahen und durch die Maßnahmen eine Einschränkung ihrer Entscheidungsfreiheit wahrnahmen. Auf Basis eines Kruskal–Wallis-Tests konnten für dieses Item keine signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppen festgestellt werden (p = 0,80).

Tab. 5 Akzeptanz der Interventionen

Darüber hinaus und unabhängig von der experimentellen Studie im virtuellen Supermarkt wurden die Teilnehmenden befragt, ob sie die aktuellen Pläne des Lebensmitteleinzelhandels in Deutschland kennen und wie sie diese bewerten, Fleischprodukte der Haltungsstufe 1 und 2 nach und nach aus dem Sortiment zu nehmen, parallel die Anzahl an Produkten der Stufen 3 und 4 zu erhöhen und in ca. 10 Jahren ausschließlich Produkte aus den Stufen 3 und 4 anbieten zu wollen. Einem Großteil der Befragten war diese Maßnahme bekannt (69,0 %). Die Akzeptanz wurde mit 6 weiteren Items ermittelt, die eine akzeptable interne Konsistenz aufweisen (Cronbach’s alpha = 0,76). Der Mittelwert über alle Items lag bei 3,5 (Std = 0,7), was eine mittlere Akzeptanz der Maßnahme darstellt. Rund 77,8 % der Befragten gaben an, dass sie diese Maßnahme unterstützen, zudem stimmten 72,1 % zu, dass solche Maßnahmen notwendig sind, um das Tierwohl zu verbessern. Gleichzeitig äußern aber auch 43,8 % die Sorge, dass solche Maßnahmen dazu führen könnten, dass Menschen mit niedrigerem Einkommen sich kein Fleisch mehr leisten könnten. Obwohl diese Maßnahme eine Einschränkung der Entscheidungsfreiheit des Einzelnen zur Folge hätte, stimmten nur 21,4 % zu, dass ihre Entscheidungsfreiheit eingeschränkt wurde.

4 Diskussion und Ausblick

Im Rahmen der vorliegenden Studie wurde untersucht, ob salienzbasierte Interventionen in Form von Bannern oberhalb des Regals sowie einer Kombination dieser Banner mit Labeln am Regal Auswirkungen auf das Einkaufsverhalten der Studienteilnehmenden haben. Die Ergebnisse zeigen, dass die Interventionen zwar zu einer leichten Erhöhung des Einkaufs von Fleischprodukten mit einer höheren Haltungsstufe führten, diese Ergebnisse sich jedoch nicht signifikant von der Kontrollgruppe unterscheiden.

Ein möglicher Grund für den fehlenden Effekt von Bannern und Regallabeln ist, dass ein großer Teil der Versuchspersonen die Banner nicht bewusst wahrgenommen hat. Der virtuelle Supermarkt stellte für die Studienteilnehmenden eine neue Umgebung dar, weshalb zusätzliche Banner und Label vielleicht nicht bewusst wahrgenommen wurden. Zwar gab die Mehrheit aus den Interventionsgruppen an, die Banner und Regallabel gesehen zu haben, jedoch ist dieser Anteil auch in der Kontrollgruppe relativ hoch. Diese hohe Zustimmungsrate kann neben der tatsächlichen Wahrnehmung von Bannern und Regallabeln auch durch das ‚Akquieszenz‘ Phänomen erklärt werden (Kuru & Pasek 2016). Diesem Phänomen zufolge haben Umfrageteilnehmende die Tendenz, Fragen eher zuzustimmen als zu widersprechen. Durch die Formulierung des Items, welches genutzt wurde, um die Wahrnehmung zu messen (Gab es in dem Supermarkt, den Sie besuchten, das folgende Informationsbanner?), lässt sich nicht eindeutig klären, ob Teilnehmende die Intervention wirklich ausreichend bemerkten. Eine weitere Erklärung dafür, dass die Banner nicht bewusst erfasst wurden, könnte die einmalige Exposition der Banner im virtuellen Supermarkt sein. Zukünftige Studien sollten testen, inwiefern eine wiederholende Nutzung der Infrastruktur die Wahrnehmung und Effektivität von Interventionen erhöht.

Betrachtet man nicht die einzelnen experimentellen Gruppen, sondern die gesamte Stichprobe, war der Anteil der gekauften Produkte aus den Haltungsstufen 3 und 4 mit ca. 40 % weitaus höher, als das in Deutschland in der Realität der Fall ist (AMI 2022). Dafür gibt es eine Reihe von Erklärungen. Zunächst ist zu beachten, dass die Produktzusammensetzung im virtuellen Supermarkt nicht der in realen Supermärkten entsprach. So waren Produkte der Haltungsform 2 bei Schweinefleischprodukten im virtuellen Supermarkt gar nicht und Produkte der Haltungsformen 3 und 4 generell vermehrt verfügbar. Das Sortiment des Fleischregals bestand in der vorliegenden Studie zu jeweils 12,5 % aus Produkten der Stufe 3 bzw. 4, während die entsprechenden Anteile in deutschen Supermärkten in 2020 schätzungsweise 2,9 % für Fleischprodukte der Haltungsstufe 3 und 10,2 % für Fleischprodukte der Haltungsstufe 4 betrugen (Verbraucherzentrale 2020). Daher lässt sich das Einkaufsverhalten im virtuellen Supermarkt nicht mit Einkaufsdaten aus realen Supermärkten vergleichen. Darüber hinaus war die Haltungsformkennzeichnung im virtuellen Supermarkt konsistent auf allen Produkten angebracht. Laut eigenen Angaben kennzeichnete der teilnehmende Handel durchschnittlich circa 90 % des Selbstbedienungsfleischs mit der Haltungsformkennzeichnung (BVLH 2021). Die erhöhte Verfügbarkeit von Produkten der Stufe 3 und 4, sowie die konsistente Kennzeichnung alleine, könnten die Salienz des Labels erhöht und dadurch eine Veränderung des Einkaufsverhaltens bereits in der Kontrollgruppe induziert haben. Ein weiterer möglicher Grund stellt die fehlende Incentivierung des Einkaufs dar. Da die Versuchspersonen die ausgewählten Produkte nicht erhalten haben und dementsprechend nicht dafür bezahlen mussten, wurden vielleicht mehr Produkte der Haltungsformen 3 und 4 gekauft. Diese waren im virtuellen Supermarkt im Durchschnitt 4,02 € teurer als Produkte der Haltungsformen 1 und 2. Der hohe Preis für höhere Haltungsstandards wird oft als Begründung für die Kaufentscheidungen von Produkten mit niedrigen Haltungsstandard angeführt (Simons et al. 2018), wobei dieser Effekt in verschiedenen Bevölkerungssegmenten unterschiedlich stark ausgeprägt ist (Yeh und Hartmann 2021).

Die große Mehrheit der Versuchspersonen empfand den Supermarkt als realistisch und leicht zu bedienen, wobei aber auch immerhin 20 % Probleme hatten. Letzteres deutet darauf hin, dass der Weiterentwicklung der Infrastruktur in Hinblick auf eine höhere Bedienungsfreundlichkeit Beachtung zu schenken ist. Zudem sind weitere Studien wünschenswert, die die Validität der in der virtuellen Einkaufsumgebung gewonnen Ergebnisse mit den Ergebnissen entsprechender Interventionen in realen Supermärkten vergleichen.

Die Befragten zeigten eine sehr hohe Akzeptanz für die Interventionen. Diese Erkenntnis deckt sich mit vorheriger Forschung, die zu der Schlussfolgerung kommt, dass softe, nicht invasive Interventionen eine hohe Zustimmung in der Bevölkerung finden (Banerjee et al. 2021). Die schrittweise Auslistung der Haltungsform 1 und 2 aus dem Sortiment findet demgegenüber eine etwas geringere Zustimmung. Die Mehrheit der Befragten in dieser Studie äußerte sich insgesamt jedoch auch positiv über diese geplante Strategie des Einzelhandels, nimmt eine solche Maßnahme sogar als notwendig wahr und fühlt sich dadurch in der Entscheidungsfreiheit nicht eingeschränkt. Wie auch in vorangegangener Forschung des SocialLab Konsortiums deutlich wurde, begrüßen die Verbraucherinnen und Verbraucher hohe Tierhaltungsstandards (Simons et al. 2018).

Jedoch zeigen die Ergebnisse dieser Studie auch, dass die getesteten Interventionen das Einkaufsverhalten der Teilnehmenden nicht beeinflussen. Möglicherweise waren die gewählten Interventionen nicht ausreichend salient. Um die Salienz noch weiter zu erhöhen, wäre ein ganzheitliches Marketingkonzept sinnvoll, das neben Informationsbannern und Labeln auch weitere Maßnahmen im Supermarkt und darüber hinaus beinhaltet. Dies gilt es durch weitere Studien zu überprüfen. Neben der Erhöhung der Salienz von Produkten mit höheren Haltungsstandards, ist auch die Testung der Implementierung weiterer Interventionsansätze, wie Preisinterventionen oder eine Erhöhung der Verfügbarkeit von Tierwohlprodukten, interessant. Diese Interventionsansätze wurden im SocialLab II entwickelten virtuellen Supermarkt in nachfolgenden Studien getestet.