1 Einleitung

Aktuell sind viele landwirtschaftliche Tierhaltungssysteme sowohl aus wissenschaftlicher als auch aus gesellschaftlicher Sicht verbesserungswürdig. Werden keine umfassenden Veränderungen in der Produktion tierischer Lebensmittel hin zu mehr Nachhaltigkeit erreicht, droht die gesellschaftliche Akzeptanz für die gesamte Branche, von der landwirtschaftlichen Produktion bis hin zum nachgelagerten Verarbeitungswesen, verloren zu gehen. Denn die geäußerte gesellschaftliche Kritik an den Zuständen rund um die landwirtschaftliche Nutztierhaltung ist in Deutschland sehr umfangreich. Sie richtet sich oft pauschal gegen die so genannte „Massentierhaltung“ und damit gegen zu wenig Tierschutz bzw. Tierwohl in der Haltung landwirtschaftlich genutzter Tiere, Qualzuchten, bestimmte Fütterungspraktiken (Gentechnik, Futterimporte), Langzeittransporte sowie Betäubungsmängel bei der Schlachtung. Daneben werden der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung unter anderem der Ausstoß von Luftschadstoffen, Klimagasen, der Eintrag von Nitrat ins Grundwasser, der Verlust von Biodiversität sowie eine Beteiligung am Problem der Antibiotikaresistenz und vieles mehr angelastet.

Etwa seit der Jahrtausendwende ist ein wachsendes politisches Bestreben wahrzunehmen, die kritisierte Entwicklung der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung zu korrigieren. Die Problematik ist jedoch außerordentlich komplex weil die Produktion tierischer Lebensmittel meist auf niedrige Kosten und Preise ausgerichtet ist  und das System zudem sehr widerstandsfähig gegen Veränderungen ist, die nicht darauf abzielen die Effizienz zu steigern.

Lösungsmöglichkeiten für die oben beschriebenen Herausforderungen werden jedoch oft nur vage oder nur für bestimmte Tierarten bzw. Haltungsformen formuliert. Ziel des Forschungskonsortiums SocialLab (Tab. 1) war es daher, die gesellschaftliche Sicht auf die landwirtschaftliche Nutztierhaltung genauer zu untersuchen. Dem Labor-Gedanken folgend begann man bereits im Jahr 2012, eine Forschungsinfrastruktur aufzubauen, die den heutigen Ansprüchen transdisziplinärer und partizipativ orientierter Forschung gerecht wird. SocialLab zielte darauf ab, die wirtschaftlichen, ethischen und gesellschaftlichen Bestimmungsgrößen der Akzeptanz der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung und ihrer Transformation zu identifizieren. Betrachtet wurden dabei die unterschiedlichen Haltungssysteme der in Deutschland wichtigsten landwirtschaftlichen Nutztierarten Rind (inkl. Milchvieh), Schwein, Geflügel (Broiler und Legehennen).

Tab. 1 Übersicht über das SocialLab Konsortium und die Zuständigkeiten im SocialLab II

Beim Vorgängerprojekt „SocialLab I: Nutztierhaltung im Spiegel der Gesellschaft“ (Laufzeit: 2015–2019) war das Ziel, die bestehende gesellschaftliche Kritik an der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung und ihrer Entwicklung differenziert zu durchdringen. Die Erkenntnisse aus dem Projekt lieferten wichtige Hinweise zum Gelingen des gesellschaftlichen Diskurses über die Weiterentwicklung der Branche. Die wichtigsten Ergebnisse wurden unter anderem von Christoph-Schulz et al. (1) veröffentlicht. Im Nachfolgeprojekt SocialLab II „Akzeptanz durch Innovation“ (Laufzeit 2019–2023) wurden die aus SocialLab I gewonnenen Erkenntnisse um Lösungsansätze für die zukünftige Entwicklung der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung und der sich anschließenden Wertschöpfungsketten erweitert.

2 Bedeutung der Ergebnisse für die gesamte Wertschöpfungskette

Landwirtschaftliche Betriebe erhalten die Informationen über die Anforderungen des Marktes und der Gesellschaft und bekommen damit mehr Sicherheit bei der Gestaltung von Tierhaltungssystemen. Zudem erhält die Politik mit dem Monitoring-Instrument aus SocialLab die Möglichkeit, zukünftig abzuschätzen, wie sich die gesellschaftliche Wahrnehmung und Akzeptanz gegenüber der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung verändert. Dieses ermöglicht die frühzeitige Aufdeckung gesellschaftlicher Veränderungen und Steuerungsmöglichkeiten und kann als Entscheidungshilfe bei der Gestaltung der Rahmenbedingungen für die landwirtschaftliche Nutztierhaltung dienen.

Daneben erhält der Handel relevante Erkenntnisse darüber, wie Preisstrategien und die Gestaltung von Tierwohllabels den Kaufentscheidungsprozess, die Produktwahl und die Zahlungsbereitschaft für nachhaltigere tierische Produkte beeinflussen. Die in SocialLab II aufgebaute Forschungs- und Beteiligungsinfrastruktur ist insgesamt auf eine langfristige Nutzung angelegt und liefert − bei entsprechender Inanspruchnahme von allen Beteiligten − wertvolle Unterstützung bei der Bewältigung der anstehenden Transformationsprozesse. Um die in der Transformation der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung zu erwartenden Veränderungen bei der Einstellung aller Stakeholder zu erfassen, zu analysieren und vor allem für alle Interessierten zugänglich zu machen, sollte die etablierte Forschungsinfrastruktur des Projekts SocialLab auch in Zukunft weitergeführt werden. Aufbauend auf einer synergetischen Struktur von Arbeitspaketen (AP) forschte das Team von SocialLab aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen unter Verwendung verschiedener Methoden sowie unter Einbeziehung relevanter Stakeholdergruppen. Dabei wurden vor allem Stimmen von Verbraucherinnen und Verbrauchern, landwirtschaftlichen Betrieben und anderen gesellschaftlichen Interessengruppen erhoben, und in die Ableitung von Handlungsempfehlungen für Politik, Praxis und Forschung einbezogen.

Um mehr über die wirtschaftlichen, ethischen und gesellschaftlichen Bestimmungsgrößen der Akzeptanz herauszufinden, wurde ein mehrjähriges Monitoring der Ansichten und Meinungen zur landwirtschaftlichen Nutztierhaltung und ihren Erzeugnissen konzipiert (AP 1), ergänzt durch eine Medienwirkungsanalyse (AP 2) sowie durch eine innovative Diskussionsplattform, die als “Zukunftswerkstatt landwirtschaftliche Tierhaltung” aufgebaut wurde (AP 3). Hier wurden verschiedene Stakeholder-Gruppen mit teilweise sehr unterschiedlichen Einstellungen in Kontakt miteinander gebracht – wissenschaftlich moderiert und analysiert. Parallel dazu wurde mit innovativen Marketingideen zur Erhöhung der Mehrzahlungsbereitschaft für tierfreundlichere und nachhaltigere Lebensmittel experimentiert. Dazu wurde ein virtueller Supermarkt (AP 4) geschaffen und in Zusammenarbeit mit EDEKA ein “Real Labor” (AP 5) in mehreren Märkten aufgebaut, um Marketingmaßnahmen direkt am sogenannten Point of Sale testen zu können. Tabelle 2 zeigt die vielen verschiedenen methodischen Ansätze, die im Rahmen des SocialLab II zur Anwendung kamen.

Tabelle 2 Übersicht über SocialLab II-Arbeitspakete und methodische Ansätze

In der öffentlichen Diskussion um die Weiterentwicklung der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung sind die wichtigsten Stakeholder-Gruppen entlang der Wertschöpfungskette auszumachen. Hinzu kommen die Wissenschaft und Politik. Ergänzend spielen die jeweiligen Interessengruppen vertreten durch Vereine bzw. Verbände o. ä. eine bedeutsame Rolle. Ihnen allen werden unterschiedliche Verantwortlichkeiten zugeschrieben und unterschiedliche Vorwürfe gemacht. Die Herausforderung besteht dabei darin, die schiere Anzahl unterschiedlicher, zum Teil konfligierender Ansprüche gesellschaftlicher Gruppen an die Transformation der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung zielführend in einen konstruktiven Diskurs einzubeziehen. Dabei steigt nicht nur die Zahl der Anspruchsgruppen und ihrer Themen, sondern auch vormals homogen erscheinende Gruppen differenzieren sich immer weiter hinsichtlich ihrer Ziele, Strategien und Wertvorstellungen. Die Tiere selbst werden außerdem inzwischen als von der Politik betroffene Gruppe mit eigenen Ansprüchen anerkannt, wobei ihre politische Vertretung bisher kaum geklärt ist.

Nicht zuletzt ist die gesellschaftliche Sorge um das Wohlergehen landwirtschaftlicher Nutztiere in Deutschland in den vergangenen Jahrzenten zu einem Megatrendthema geworden. Ging es früher tatsächlich um den Schutz der landwirtschaftlich genutzten Tiere, kamen mit der Zeit immer komplexere Perspektiven rund um die Art und Weise wie Tiere für den menschlichen Nutzen gehalten werden hinzu. Eng verbunden mit dieser Debatte sind die großen Themen Transformation der Land- und Ernährungswirtschaft als Ganzes sowie die Anpassungen an den Klimawandel.

3 Ergebniszusammenfassung des SocialLab II

Das Verbundprojekt SocialLab II erreichte sein Ziel durch die Beteiligung von Stakeholdern und innovative Forschungsmethoden. Es etablierte eine langfristige Forschungsinfrastruktur, die bei ausreichender Finanzierung die zukünftige Beobachtung und Analyse der gesellschaftlichen Kritik und Akzeptanz der Nutztierhaltung in Deutschland ermöglichen könnte. Dies würde wichtige Informationen liefern und den Akteuren bei der Transformation der Nutztierhaltung in Richtung Nachhaltigkeit angepasste Unterstützung bieten.

3.1 AP 1: Monitoring der gesellschaftlichen Akzeptanz der Nutztierhaltung

Das Ziel des AP 1 war der Aufbau eines Monitorings zur gesellschaftlichen Kritik und Akzeptanz der Nutztierhaltung. Es wurde eine Längsschnittstudie mit insgesamt 4 Befragungswellen durchgeführt, die über 14.000 Bürgerinnen und Bürger sowie mehr als 900 landwirtschaftliche Betriebe einbezog. Dies ermöglicht zukünftige Befragungen zu Themen wie Wahrnehmung, Akzeptanz, Zielkonflikte, Social Acceptance Score, ethisch motiviertes Ernährungsverhalten, Informationsbedürfnisse, Labelling, Perspektive der landwirtschaftlichen Betriebe und des Handels. Die erhobenen Daten ermöglichen die Analyse betrieblicher, wirtschaftlicher und politischer Entscheidungen sowie die Prognose zukünftiger Entwicklungen.

Der Social Acceptance Score zeigt, dass die aktuelle Nutztierhaltung in Deutschland ein Akzeptanzproblem hat, das nur bei wahrgenommener Veränderung toleriert wird. Kritische Entwicklungen im politischen Mobilisierungspotenzial lassen sich damit identifizieren. Bürgerinnen und Bürger sowie die landwirtschaftlichen Betriebe sehen Verbesserungspotenzial in verschiedenen Aspekten der Tierhaltung, insbesondere in Bezug auf Platz, Zugang ins Freie und Einstreumaterial. Die Ergebnisse betonen die hohe Bedeutung des Tierschutzes, auch im Vergleich zu Umwelt- und Klimaschutz. Daher sollte dem Tierschutz in Fällen von Zielkonflikten besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Die Mehrheit der Bevölkerung unterstützt politische Maßnahmen zur Verbesserung des Tierwohls, einschließlich strengerer Vorschriften und staatlicher Unterstützung.

Die Untersuchung des ethisch-motivierten Ernährungsverhaltens hilft zu verstehen, warum einige Menschen ethisch verträgliche Lebensmittel kaufen, während andere dies trotz geteilter Bedenken nicht tun. Die Ergebnisse informieren über die Bedeutung von Tier-, Klima- und Umweltschutz und die Erwartungen der Verbraucherinnen und Verbraucher. Insgesamt liefert das Monitoring wichtige Einblicke in die gesellschaftliche Sicht auf die Nutztierhaltung und bietet eine Grundlage für zukünftige Entscheidungen und Entwicklungen.

3.2 AP 2: Darstellung der Nutztierhaltung in den Medien und deren Wirkung

Die Medienberichterstattung beeinflusst die öffentliche Diskussion über die Nutztierhaltung erheblich und trägt zum wachsenden Akzeptanzverlust bei. Die Medienwirkungsanalyse ergab, dass die Bevölkerung in Deutschland mit der Medienberichterstattung über die Nutztierhaltung nur bedingt zufrieden ist. Entgegen der Annahme, dass die Medien überwiegend negativ berichten, zeigt sich ein ausgewogeneres Verhältnis von neutraler bis negativer Berichterstattung in den Printmedien. Die Berichterstattung ist facettenreicher als oft angenommen. Die Analyse zeigt, dass verschiedene Aspekte der Nutztierhaltungsdebatte zu unterschiedlichen Zeiten im Fokus stehen. Im Zeitraum Januar 2021 bis Februar 2022 hatte die “Politik” den höchsten Stellenwert. Variationen beeinflussen langfristig die Wahrnehmung der rezipierenden Personen und diese „Frames“ berücksichtigen vielschichtige Aspekte und lassen eigene Perspektiven einfließen. Kontrovers diskutierte Themen wie Tier-, Umwelt-, Klima-, Gesundheits- und Verbraucherschutz, Wirtschaftlichkeit und Agrarpolitik wurden häufig behandelt. Je nach Medienrezeptionsverhalten erhalten Rezipientinnen und Rezipienten unterschiedliche Darstellungen der Nutztierhaltung. Unterschiede in Mediennutzung und Bewertung hängen vom Alter und anderen soziodemografischen Merkmalen ab. Die Erkenntnisse bieten eine Grundlage zur Verbesserung der Kommunikation und Berichterstattung über die Nutztierhaltung. Eine differenzierte Zielgruppenansprache und wissenschaftlich fundierte Berichterstattung sind wichtig, um den Informationsbedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger gerecht zu werden.

3.3 AP 3: Diskussionsplattform “Zukunftswerkstatt landwirtschaftliche Tierhaltung”

Die Debatte über die Nutztierhaltung in Deutschland ist konfliktreich und betrifft eine Vielzahl von Interessengruppen. Kompromisse und Konsens sind zwar möglich, aber die Diskussion wird fortgeführt. Die Politik kann eine Rolle bei der Deeskalation spielen, indem sie auf wissenschaftliche Erkenntnisse aus der Transformationsforschung zurückgreift und Dialogplattformen anbietet. Die SocialLab-Zukunftswerkstatt zur landwirtschaftlichen Tierhaltung hat innovative Beteiligungsmethoden entwickelt und angewendet, um die Interessen der Stakeholder in Bezug auf die Nutztierhaltung zu berücksichtigen. Die Ergebnisse umfassen Methoden, Zukunftsbilder für die Nutztierhaltung und Erkenntnisse zum Stakeholder-Dialog und zur Kommunikation.

Es wurden 3 zentrale Zukunftsbilder für die Nutztierhaltung in Deutschland erarbeitet:

  • Höhere Standards

  • Systemwechsel und Reduktion

  • Alternativen zur Tierhaltung

Allianzen und Kompromisse zwischen diesen Bildern sind möglich, insbesondere in Bezug auf rechtliche Mindestanforderungen im Tierschutz. Dialogformate sollten ihre Fokussierung auf die Debatte offenlegen. Dafür gibt es 3 Funktionsbereiche: Ermittlung von Zukunftsbildern, kurzfristige Entscheidungsfindung und Aufbau von Verständnis und Wertschätzung.

Die Umsetzung der Transformation in der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung wird komplex sein und politische Verantwortung erfordern. Wissenschaftliche Begleitung, Moderation und Mediation können bei der erfolgreichen Umsetzung der Transformation helfen. Es ist zu erwarten, dass die Umsetzung nicht reibungslos verläuft. Um notwendige Anpassungen und Korrekturen vornehmen zu können, ist eine fortlaufende wissenschaftliche Begleitung empfehlenswert.

3.4 AP 4: Virtueller Supermarkt

In AP 4 wurden experimentelle Interventionen getestet, die darauf abzielten, den Verkauf von Produkten aus artgerechter landwirtschaftlicher Nutztierhaltung in einem virtuellen Supermarkt zu steigern. Der virtuelle Supermarkt war eine 3D-Simulation, in  der Personen mit einem Einkaufswagen durch verschiedene Gänge gingen und Produkte einkaufen konnten. Die Kaufentscheidungen waren zwar hypothetisch, jedoch zeigten vorherige Studien, dass Kaufentscheidungen im virtuellen Supermarkt große Ähnlichkeit mit jenen in realen Supermärkten aufwiesen. Es wurden insgesamt 10 verschiedene Interventionen zur Erhöhung des Verkaufs von Tierwohlprodukten getestet. Die Auswahl der Interventionen erfolgte aus der Literatur sowie aus gängigen – aber bisher noch nicht oder nur selten im Tierwohlbereich eingesetzten – Marketingstrategien in Supermärkten. Interventionen mit hoher Akzeptanz bei den Verbraucherinnen  und Verbrauchern wurden schwerpunktmäßig evaluiert. Die Experimente zeigten, dass eine veränderte Verfügbarkeit von Tierwohlprodukten eine hohe Effektivität aufweist. Zum Beispiel konnte der relative Anteil von Tierwohlprodukten zu Standardprodukten oder ein separates Tierwohlregal zu einem signifikanten Anstieg des Anteils an Tierwohlprodukten führen. Darüber hinaus legen die Ergebnisse nahe, dass es wirksam ist, wenn verschiedene Maßnahmen miteinander kombiniert werden. Die Einführung solcher Interventionen fand eine hohe Zustimmung bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern. Nur einige wenige Personen lehnen schärfere Maßnahmen wie Preisanpassungen bei Standardprodukten oder gar deren Streichung aus dem Sortiment ab.

3.5 AP 5: Das RealLabor – systematische Entwicklung und prototypische Erprobung von innovativen Marktleistungen

Reallabore bieten Möglichkeiten der transdisziplinären und transformativen Forschung, um nachhaltig, partizipativ und kooperativ neue Forschungsinfrastrukturen aufzubauen. Dabei können neue Geschäftsmodelle, Produkte oder Vermarktungsstrategien unter realen Bedingungen erprobt werden. Im „RealLabor“ von SocialLab II sollte vor diesem Hintergrund die folgende Leitfrage beantwortet werden: Ist es möglich, durch innovative Marketingmaßnahmen die Kaufsituation so zu gestalten, dass Kundinnen und Kunden häufiger zu tierfreundlicheren Produkten (Produkte mit der Haltungsformkennzeichnung 3) greifen?

Zur systematischen Entwicklung und prototypischen Erprobung von innovativen Marktleistungen wurden im RealLabor zunächst geeignete Maßnahmen mittels Prozess- und Konzept-Benchmarking sowie durch die Integration von Expertise aus der Konsumgüterindustrie identifiziert, in iterativen Evaluationsrunden weiter entwickelt und anschließend umgesetzt. Daraus ergab sich eine partizipativ erarbeitete Marketingkonzeption mit folgenden 2 Ansätzen: Der „kognitive Ansatz“ sollte Transparenz und Aufklärung über die Haltungsformkennzeichnung im Allgemeinen bieten. Im „emotionalen Ansatz“ wurden die Vorteile und der Mehrwert von Produkten der Haltungsformkennzeichnung 3 kommuniziert.

Die entsprechend dieser beiden Ansätze entwickelten Maßnahmen wurden insgesamt in 10 Märkten (d.h. Filialen) über einen Zeitraum von 18 Kalenderwochen angewandt. Die Analyse der Umsatzdaten mittels hierarchisch linearer Modelle zeigte einen signifikanten Effekt des Ansatzes und des Umsetzungsgrades der RealLabor-Maßnahmen auf den Bruttoumsatzanteil der Artikel mit der Haltungsformkennzeichnung 3. Ergänzend dazu zeigte sich in methodischer Hinsicht, dass die noch neue, transformative Forschungsmethode des Reallabors auch im Bereich Landwirtschaft und Ernährung zielführend verwendet werden kann. Auch wurde deutlich, dass innovative Marketingkonzepte dazu beitragen können, den Marktanteil der Haltungsformkennzeichnung 3 im Lebensmitteleinzelhandel zu erhöhen. Der kognitive Ansatz, der auf Aufklärung und Transparenz basiert, hatte dabei einen stärkeren Effekt auf die Erhöhung des Bruttoumsatzanteils der Haltungsformkennzeichnung 3 als der emotionale Ansatz.

4 Ausblick

Die Infrastruktur des SocialLab bietet in der fortlaufenden Debatte um die Weiterentwicklung der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung in Deutschland die Gelegenheit, den gesellschaftlichen Dialog faktenbasiert, partizipativ, multimethodisch, multidisziplinär und situativ flexibel zu gestalten und zu begleiten. Auf diese Weise können wertvolle Informationen, Erkenntnisse und Einsichten gewonnen werden, die dabei helfen, künftige Maßnahmen sorgfältig abzuwägen, ihre Wirkung kontinuierlich zu überprüfen und gegebenenfalls notwendige Anpassungen zu planen. Die bestehende und erprobte Forschungsinfrastruktur des SocialLab ist somit in der Lage, Politik und Wirtschaft bei der herausfordernden Weiterentwicklung der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung zu unterstützen. Um veränderte Einstellungen aller Interessengruppen während ihrer Transformation zu erfassen, zu analysieren und zu verbreiten, sollte die etablierte Forschungsinfrastruktur von SocialLab fortgeführt werden. Daher wird ein Folgeprojekt, "SocialLab III", in Erwägung gezogen.