FormalPara Zusammenfassung

Interprofessionelle Zusammenarbeit wird mit Blick auf die Steigerung der Versorgungsqualität in der Pflege immer wichtiger. Gerade in der Langzeitpflege sind positive Effekte durch die Zusammenarbeit der Gesundheitsberufe für die Betroffenen anzunehmen, allerdings ist die Studienlage zu diesem Thema defizitär. Bei der Messung der Versorgungsqualität wird insbesondere die Perspektive der Pflegeempfängerinnen und Pflegeempfänger immer stärker in den Fokus genommen. Versorgungsstrukturen und -prozesse in der Langzeitpflege müssen stärker an die Bedarfe guter interprofessioneller Zusammenarbeit angepasst werden, was in der Umsetzung oft auf Herausforderungen stößt. In Ausbildung und Studium in der Pflege muss interprofessionelles Lernen verstärkt integriert werden. Hier hat das neue Pflegeberufegesetz bereits positive Signale gesetzt, indem es die Bedeutung interprofessioneller Lehre und teambasierter Kompetenzen betont.

Interprofessional collaboration is becoming increasingly important with regard to improving the quality of care. Particularly in long-term care, positive effects can be assumed for those affected through interprofessional collaboration, but more research is needed in this setting. When measuring the quality of care, the perspective of the care recipients/patients is increasingly taken into account. Structures and processes in long-term care must be more closely aligned with the needs of interprofessional cooperation, which often encounters challenges in implementation. Interprofessional education should be integrated more into nursing study programs. The revised Nursing Professions Act has already given positive signals by emphasizing the importance of interprofessional teaching and team-based competencies.

1 Einleitung

Die Versorgungsanforderungen in Deutschland machen die interprofessionelle Zusammenarbeit der Gesundheitsberufe jetzt und in Zukunft notwendig, um eine patientenzentrierte Versorgung sicherzustellen. Interprofessionelle Zusammenarbeit wird unter anderem aufgrund der Versorgungsanforderungen und der sogenannten „Megatrends“ in der Gesellschaft immer relevanter (WHO 2010). Zu diesen gehört der demographische Wandel hin zu einer Bevölkerung mit einem größeren Anteil betagter und hochbetagter Menschen. Der epidemiologische Wandel, der ein verändertes Krankheitsspektrum hin zu chronisch und/oder multimorbid Erkrankten erkennbar werden lässt, führt ebenfalls dazu, dass eine Zusammenarbeit der Gesundheitsberufe notwendig ist, da diese Personengruppen oftmals komplex und langfristig erkranken und Leistungen verschiedener Akteure des Versorgungssystems benötigen (Wissenschaftsrat 2012). Hinzu kommt, dass der wissenschaftliche Fortschritt zu einem Wissenszuwachs in allen Gesundheitsberufen führt. Dieser macht den Austausch zwischen den Professionen notwendig, damit Versorgungsprozesse aufeinander abgestimmt bzw. miteinander erfolgen können. Gleichzeitig stellt sich die Herausforderung des Fachkräftemangels in den Pflege- und Gesundheitsberufen. Eine der zentralen Aufgaben ist es, die Gesundheitsberufe auf diese Herausforderungen und sich verändernden Gegebenheiten in der Versorgung vorzubereiten und sie entsprechend zu qualifizieren (Wissenschaftsrat 2012; Wissenschaftsrat 2022).

Durch interprofessionelle Zusammenarbeit soll die Versorgungsqualität sowie die Patientensicherheit verbessert werden. Hierzu zählt auch das Vermeiden von Fehlern bzw. unerwünschten Ereignissen, die unter anderem durch Kommunikationsprobleme entstehen können. Zudem ist nachgewiesen, dass sowohl die Arbeitszufriedenheit des Gesundheitspersonals als auch die subjektive Zufriedenheit der Patientinnen und Patienten durch eine erfolgreiche interprofessionelle Zusammenarbeit steigen können (Reeves et al. 2016; Sottas 2016).

Die einhellige Meinung von Expertinnen und Experten ist es, dass die Kompetenzen zum interprofessionellen Zusammenarbeiten bereits in Ausbildung und Studium erlernt werden sollten. Gesundheits- und Bildungsexpertinnen betonen bereits seit Jahren, dass interprofessionelle Kompetenzen für alle Gesundheitsberufe relevant sind, diese jedoch in Ausbildung und Studium bislang zu wenig vermittelt werden (Robert Bosch Stiftung 2011; SVR 2007; Wissenschaftsrat 2012). Um interprofessionelles Lernen zu verankern, braucht es die Bereitschaft, diese Lernformate auf allen Ebenen in den jeweiligen Bildungsinstitutionen umzusetzen, sowie eine entsprechende Qualifizierung der Lehrenden. Vor allem wird jedoch die strukturelle Verankerung des Themas in den Ausbildungs- und Studienordnungen und Berufsgesetzen der Gesundheitsberufe benötigt, um für eine verbindliche Umsetzung zu sorgen (Fachkommission Interprofessionalität des HVG 2021; Kaap-Fröhlich et al. 2022). Da in mehreren Berufen Überarbeitungen der Berufsgesetze bzw. Approbationsordnungen anstehen, ist davon auszugehen, dass zukünftig eine stärkere Verbindlichkeit für interprofessionelles Lernen festgeschrieben werden wird.

Begrifflichkeiten

Interprofessionelles Lernen wird definiert als: zwei oder mehr Professionen, die voneinander, miteinander und übereinander lernen mit dem Ziel, die Zusammenarbeit und die Versorgungsqualität zu verbessern (CAIPE 2002).

Lernende sollen demnach zusammengebracht und zum Austausch angeregt werden. Das voneinander, miteinander und übereinander Lernen kann dabei als drei Säulen des Lernens verstanden werden, bei denen es darum geht, die beruflichen Rollen und Verantwortlichkeiten der eigenen und anderen Berufe kennenzulernen, etwas gemeinsam zu erlernen sowie die eigenen Schwerpunktthemen oder besonderen Fähigkeiten/Fertigkeiten an andere Lernende zu vermitteln. Ziel ist es, ein gegenseitiges Verständnis und eine Wertschätzung für die unterschiedlichen Perspektiven auf die Versorgung zu fördern.

Interprofessionelle Zusammenarbeit wird in den Quellen unterschiedlich definiert und reicht von abgestimmter Zusammenarbeit bis hin zur gemeinsamen Entscheidungsfindung. Die WHO definiert interprofessionelle Zusammenarbeit folgendermaßen: „Collaboration occurs when two or more individuals from different backgrounds with complementary skills interact to create a shared understanding that none had previously possessed or could have come to on their own.“ (WHO 2010, S. 36)

Oft werden die Begriffe „interdisziplinär“ und „interprofessionell“ synonym genutzt. Im medizinischen Kontext wird in der Regel von interprofessionell gesprochen, wenn zwei unterschiedliche Professionen (zum Beispiel Pflege und Medizin) zusammenarbeiten. Interdisziplinär wird verwendet, wenn zwei Disziplinen aus der gleichen Profession zusammenarbeiten (zum Beispiel Kardiologen und Chirurgen).

Besonderheiten und Interprofessionalität in der Langzeitpflege

Auch in der Langzeitpflege kommt der interprofessionellen Zusammenarbeit eine hohe Bedeutung zu. Die Langzeit- unterscheidet sich von der Akut- oder Kurzzeitpflege durch den längeren Zeitraum der Inanspruchnahme der gesundheitsbezogenen Leistungen. Hauptsächlich nehmen immer noch ältere Menschen Leistungen der Langzeitpflege wahr, allerdings sind auch Jüngere aufgrund von krankheitsbedingten Einschränkungen und/oder Behinderung betroffen (Ewers und Lehmann 2019). Vergleichbar mit der episodischen Pflege nimmt auch in der Langzeitpflege die Komplexität der Leistungserbringung zu, z. B. durch ein vielschichtiges Behandlungs- und Medikamentenregime (Ewers und Lehmann 2019). Dadurch steigt im Sinne der Qualitätssicherung auch die Notwendigkeit, die arbeitsteilige Gesundheitsversorgung in Deutschland stärker interprofessionell und nutzerorientiert auszurichten (Schmitz et al. 2020).

Zur Operationalisierung des Qualitätsbegriffs ist in der Pflege die Systematik von Donabedian (1966, 1980) geläufig (Hensen 2018). Diese Gliederungshilfe unterscheidet in eine Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität. Unter dem Begriff Strukturqualität werden strukturelle Voraussetzungen wie persönliche (z. B. Qualifikation, Fähigkeiten), materielle (bauliche und räumliche Ausstattung) oder organisatorische Faktoren gefasst. Daneben bezieht sich die Prozessqualität auf alle Aktivitäten der jeweiligen Fachkräfte im entsprechenden Versorgungskontext mit den dazugehörigen Teilprozessen (Planung, Dokumentation, Beschaffung u. a.). Die Ergebnisqualität betrifft wiederum die Outcomes (z. B. Lebensqualität, Körperfunktion, Zufriedenheit) und fragt nach den konkreten Resultaten der jeweiligen personenbezogenen Dienstleistung (Hensen 2018).

Dieser Beitrag gibt einen Überblick über die interprofessionelle Zusammenarbeit in der Langzeitpflege. In Abschn. 13.2 wird die Studienlage zur interprofessionellen Zusammenarbeit und Qualität in der pflegerischen Versorgung beleuchtet und dann auf den aktuellen Stand der Zusammenarbeit in der Langzeitpflege eingegangen. Abschn. 13.3 beschreibt die aktuelle Situation in Ausbildung und Studium der Pflege in Deutschland und skizziert dann im Besonderen das interprofessionelle Lernen in der Aus-, Fort- und Weiterbildung der Pflege.

2 Studienlage zur interprofessionellen Zusammenarbeit in der Langzeitpflege

2.1 Interprofessionelle Zusammenarbeit und Qualität in der pflegerischen Versorgung

Interprofessionelle Zusammenarbeit hat unter anderem zum Ziel, die Qualität der pflegerischen Versorgung zu verbessern, jedoch gibt es bislang wenige Studienergebnisse, die einen direkten Zusammenhang zwischen interprofessioneller Zusammenarbeit und Qualität in der Pflege aufzeigen. Gründe können sein, dass unterschiedliche Interpretationen von guter interprofessioneller Zusammenarbeit vorherrschen, die sowohl professionsübergreifend, aber auch individuell unterschiedlich sein können. Zudem ist interprofessionelle Zusammenarbeit oft ein Teil von vielen Qualitätsinterventionen in der Versorgung, sodass die konkrete Wirkung der interprofessionellen Zusammenarbeit von derjenigen anderer Interventionen nicht klar unterscheidbar ist (Gerber et al. 2018). Es fehlt an Forschung, die genau diese Aspekte im Versorgungssetting untersucht, jedoch sind Studiendesigns in der Umsetzung schwierig und haben häufig zahlreiche Limitationen. Dennoch wird in verschiedenen Bereichen und durch unterschiedliche Wirkweisen ein positiver Effekt auf die Versorgungsqualität vermutet.

Der unbestrittene Bedarf an interprofessioneller Zusammenarbeit setzt voraus, dass interprofessionelles Arbeiten in die Versorgungsprozesse integriert wird. Dies kann sowohl auf der Struktur- als auch auf der Prozessebene erfolgen. Da die Kompetenzen der Beschäftigten Elemente der Strukturqualität einer Einrichtung darstellen (Hensen 2018), kann die interprofessionelle Kompetenz, die eine Pflegefachperson im Rahmen von Ausbildung, Studium oder im Berufsleben erworben hat, als ein Element der Strukturqualität angesehen werden. In die Prozessqualität ließe sich das interprofessionelle Arbeiten leicht aufnehmen und überprüfen, da die Prozessqualität alle Aktivitäten und Teilprozesse der pflegerischen Versorgung umfasst (Hensen 2018). Dort wo es sinnvoll ist, könnten interprofessionelle Visiten oder regelmäßige professionsübergreifende Fallbesprechungen als verbindliche Elemente in die Versorgungsprozesse aufgenommen und als Prozessmerkmale überprüft werden.

Die Ergebnisqualität ist in der Pflege von besonderer Relevanz und die Bedeutung wird mit der Einführung eines neuen Qualitätssystems für die stationäre Pflege nochmal verstärkt (BMG 2023). Dabei wird der Fokus auf die bewohnerbezogene Ergebnisqualität gelegt und man weiß, dass gerade die subjektive Zufriedenheit mit der Versorgung durch interprofessionelle Zusammenarbeit steigt (IMPP 2019; Sottas 2016).

Es lässt sich also sagen, dass positive Effekte durch die interprofessionelle Zusammenarbeit wahrscheinlich sind und diese auf den verschiedenen Operationalisierungsebenen der Pflegequalität durchaus als überprüfbare Elemente verankerbar wären. Um Interprofessionalität als Qualitätsmerkmal zu definieren und in Studien zuverlässig messen zu können, braucht es individuelle Anpassungen an das jeweilige Setting. Da die Arbeit in der Pflege sehr kontextabhängig ist, sollten die Messkriterien individuell an die jeweilige Versorgungssituation angepasst werden. Interprofessionelle Schnittstellen und Kooperationskonzepte, die beispielsweise in der ambulanten Versorgung oder in der Kurzzeitpflege sinnvoll sind, müssen demnach für die Langzeitpflege evaluiert, kritisch reflektiert und ggf. angepasst werden.

2.2 Interprofessionelle Zusammenarbeit in der Langzeitpflege

Vergleichbar mit der episodischen Pflege liegen auch in der Langzeitpflege insgesamt nur wenige Nachweise positiver Outcomes vor (Martin et al. 2010; Reeves et al. 2017; Zwarenstein et al. 2009). Nicht in allen Studien wird jedoch zwischen Settings der Akut- und Langzeitpflege unterschieden. Die Studien berichten über den Einfluss von interprofessioneller Zusammenarbeit auf die Sterblichkeitsrate, funktionelle Outcomes, psychosoziale Faktoren oder die Dauer der Inanspruchnahme medizinisch-pflegerischer Versorgungsleistungen. Auch zu nutzerorientierten Outcomes wie Lebensqualität, Aktivitäten des täglichen Lebens oder die Zufriedenheit mit gesundheitsbezogenen Dienstleistungen liegen Studienergebnisse vor (Sottas und Kissmann 2015). Die meisten RCT-Studien zur interprofessionellen Zusammenarbeit berichten von mindestens einem Outcome, das im Vergleich zur normalen, arbeitsteiligen Regelversorgung verbessert werden konnte (Martin et al. 2010). Selten sind diese Unterschiede allerdings über Follow-ups dauerhaft nachzuweisen. Weiter ist die Qualität der Studien häufig gering, sodass kaum belastbare Aussagen getroffen werden können. Einen Hinweis auf die Verbesserung des funktionellen Status von Schlaganfallpatientinnen und -patienten durch eine gute interprofessionelle Zusammenarbeit gibt beispielsweise eine Studie von Strasser et al. (2008). Eine Übersichtsarbeit von Wöhl et al. (2018) legt nahe, dass eine stärkere Verbesserung kognitiver Leistungen bei Pflegeheimbewohnenden zu vermuten ist, wenn die kognitiven Interventionen von allen Berufsgruppen in der jeweiligen Einrichtung initiiert und durchgeführt werden. Insgesamt ist zu begrüßen, dass die Nutzerperspektive bei der Beurteilung der Ergebnisqualität in der Langzeitpflege sukzessiv eine größere Rolle spielt (Black et al. 2013; Boersma et al. 2021; Cranley et al. 2020; Huijbregts et al. 2012).

Neben den Bewohnenden, die von einer guten interprofessionellen Zusammenarbeit in der Langzeitpflege profitieren können, wird in einigen Studien auch über positive Effekte im Hinblick auf die Arbeitszufriedenheit und das persönliche Wohlbefinden des medizinischen, pflegerischen und/oder therapeutischen Personals berichtet (Boult et al. 2008; Chew-Graham et al. 2007). Eine gute Teamarbeit ist aber laut Studienlage nicht nur für das Fachpersonal erstrebenswert, sondern auch im Hinblick auf die Vermeidung kritischer Situationen und Notfälle unerlässlich. Schlechte Teamarbeit und fehlende Kommunikation zwischen den verschiedenen Berufen können zu einer geringen Versorgungsqualität und zu Lücken in der Versorgungssicherheit führen (Choi et al. 2021; Manser 2009). Eine schlechte interprofessionelle Zusammenarbeit drückt sich neben mangelnder Kommunikation beispielsweise durch die fehlende Bereitschaft zur Zusammenarbeit im Team, mangelnde Flexibilität der Teammitglieder und eine geringe Präsenz von einzelnen Fachdisziplinen aus. Weiter haben sich feste Hierarchien in den Einrichtungen der Langzeitpflege und die spezifische Terminologie der einzelnen Fachdisziplinen als Barrieren für eine gute Zusammenarbeit im Team erwiesen. Eine gute Teamarbeit hängt also sowohl von der persönlichen Einstellung und dem individuellen Engagement der Teammitglieder als auch den unterstützenden, organisationalen Rahmenbedingungen ab (Doornebosch et al. 2022). Die Vergleichbarkeit der Studien zur Struktur- und Prozessqualität wird jedoch häufig durch verschiedene zugrundeliegende Modelle und Konzepte von interprofessioneller Zusammenarbeit erschwert.

3 Qualifikationen der Pflege für interprofessionelle Zusammenarbeit in der Langzeitversorgung

3.1 Ausbildung und Studium in der Pflege

Seit dem Jahr 2020 erfolgt die Ausbildung in der Pflege auf der Grundlage des neuen Pflegeberufegesetzes. Es löst die älteren Alten- und Krankenpflegegesetze ab, die die Alten- und Krankenpflege gesetzlich separat geregelt hatten. Ziel der Ausbildungsreform war es unter anderem, die Qualität der Pflegeausbildung durch neue Lerninhalte und vermehrte praktische Anleitung zu verbessern und so die Attraktivität des Pflegeberufs zu steigern. Neben der Einführung einer dreijährigen generalistischen Pflegeausbildung wurde in diesem Zuge ergänzend zur beruflichen eine grundständige, hochschulische Pflegeerstausbildung verankert. Was seit 2003 bzw. 2004 laut den Berufsgesetzen für die Pflege modellhaft erprobt werden durfte, wurde damit in Deutschland erstmals regelhaft eingeführt (Darmann-Finck und Reuschenbach 2018).

Ob berufliche oder hochschulische Qualifikation – interprofessionelle Zusammenarbeit soll innerhalb der zukünftigen Erstausbildung in der Pflege eine entscheidende Rolle spielen. Über 200-mal ist im neuen Pflegeberufegesetz und den ihm zugeordneten Regularien von dem Begriff „Interprofessionalität“ oder „Interdisziplinarität“ die Rede. Selbst bei der Benennung der wesentlichen Ausbildungsziele spielt die Kommunikation und die effektive Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen eine Rolle. Es sollen „individuelle, multidisziplinäre und berufsübergreifende Lösungen“ für (hoch-)komplexe Pflegesituationen entwickelt und „teamorientiert“ umgesetzt werden (§ 5 Abs. 3. PflBG, 2017). Vor dem Hintergrund jahrelanger Bestrebungen, interprofessionelle Zusammenarbeit in Bildung und Praxis stärker (rechtlich) zu verankern (Schmitz et al. 2020, S. 183), ist für den Bildungsbereich damit immerhin ein Fortschritt zu verzeichnen.

Dem im Pflegeberufegesetz verankerten Ausbildungsziel folgen Kompetenzen, die in der beruflichen und hochschulischen Ausbildung erworben und in der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung differenziert nach den unterschiedlichen Erstausbildungen beschrieben werden. Im Vordergrund steht das verantwortliche Gestalten und Mitgestalten des intra- und interprofessionellen Handelns in unterschiedlichen Versorgungskontexten. Die hochschulische Qualifikation hebt zusätzlich auf die Konzeption, Weiterentwicklung und Steuerung der gesundheitlichen und pflegerischen Versorgung im Team unter Berücksichtigung aktueller Forschungsergebnisse ab (Anlage 2, 5 PflAPrV, 2018). Bleibt die Frage, ob berufliche Pflegeschulen und Hochschulen dem Anspruch an die Ausbildung interprofessioneller Qualifikationen und Kompetenzen mit Blick auf ihre jeweiligen Rahmenbedingungen gerecht werden können.

3.2 Interprofessionelles Lernen in der Aus-, Fort- und Weiterbildung der Pflege

Interprofessionelles Lernen ist eine lebenslange Aufgabe für alle Gesundheitsberufe. Der Grundstein für den Erwerb interprofessioneller Kompetenzen sollte während Ausbildung und Studium gelegt werden und ist wie oben beschrieben nun auch stärker im Berufsgesetz verankert. Offen sind jedoch die Art und Weise der Vermittlung interprofessioneller Kompetenzen. Empfohlen werden interprofessionelle Lehrveranstaltungen, die in die jeweiligen Curricula der Grundausbildungen fest implementiert werden. Auch in den späteren Fort- und Weiterbildungen sollten interprofessionelle Elemente integriert oder direkt für mehrere Berufsgruppen gemeinsam angeboten werden. Jedoch sind interprofessionelle Lehrveranstaltungen herausfordernd in Planung und organisatorischer Umsetzung.

Damit die Umsetzung gemeinsamer Lehre verschiedener Gesundheitsberufe in Präsenz gelingt, muss zunächst ein konkretes Thema für die Lehrveranstaltung(-sreihe) identifiziert werden. Es muss zudem die inhaltlich-didaktische Planung erfolgen, in die idealerweise Lehrende aller beteiligten Professionen einbezogen werden. Besondere Herausforderungen sind hierbei die heterogenen Lerngruppen, aber auch die unterschiedlichen Lern- und Berufskulturen, die sowohl in der Planung als auch in der Umsetzung Berücksichtigung finden sollten (Behrend et al. 2019; Hall 2005). Für die organisatorische Umsetzung müssen unterschiedliche Stundenpläne aneinander angepasst und ggf. Wegezeiten eingeplant werden. Die Lehrenden sollten speziell geschult sein, da sie selbst i. d. R. monoprofessionelle Qualifizierungswege durchlaufen haben. All dies führt zu einem erhöhten Planungsaufwand, der oft dazu führt, dass interprofessionelles Lernen nur im Rahmen von Projekten oder auf freiwilliger Basis angeboten wird (Nock 2016; 2020). Selbst bei curricularer Einbindung bleibt es vielerorts bei punktuellen Interventionen. In den letzten Jahren wurden, auch aufgrund verschiedener Förderungen, zahlreiche interprofessionelle Lehr- und Lernprojekte an deutschen Hochschulen, aber auch in Projekten erprobt. Ziel war hierbei meist, die Entwicklung und erste organisatorische Umsetzung zu unterstützen und die nachhaltige Implementierung vorzubereiten. An vielen Standorten ist dies gelungen und interprofessionelle Angebote wurden nachhaltig umgesetzt. Es besteht jedoch weiterhin die Herausforderung, die erprobten und zum Teil implementierten Angebote weiterzuentwickeln und auszubauen. Nach zahlreichen Projekten ist an vielen Standorten ein Grundstein gelegt (Nock 2020) und es ist zum Beispiel zu beobachten, dass an mehreren Hochschulen Stellen für die Weiterentwicklung und Implementierung interprofessioneller Lehre geschaffen wurden. Zudem wird in komplett neu entwickelten Curricula interprofessionelles Lernen mitunter von Anfang an eingeplant. Ein Beispiel hierfür ist der Studiengang „Bachelor Pflege“ an der Charité – Universitätsmedizin Berlin, der mehrere curriculare, interprofessionelle Lehrveranstaltungen enthält. Die Pflegestudierenden besuchen beispielsweise in den ersten Wochen ihres Studiums interprofessionelle Notfallkurse mit Medizinstudierenden. Hierbei lernen Pflege- und Medizinstudierende in kleinen Gruppen das Handeln in Notfallsituationen und erproben Basic Life Support in Simulationen. Die gemischten Gruppen werden jeweils von einem ärztlichen und einem pflegerischen Lehrenden angeleitet.

3.3 Umsetzung interprofessioneller Zusammenarbeit in der Langzeitversorgung

Die Implementierung interprofessioneller Zusammenarbeit in die Praxis der Langzeitpflege in Deutschland ist trotz allgemeinem Konsens über die Notwendigkeit und der langjährigen Bestrebungen in diese Richtung noch immer defizitär (Körner et al. 2016; Reeves et al. 2017). Immerhin müssen meist etablierte und in Teilen schon bewährte Versorgungsmodelle und Strukturen durchbrochen sowie disziplininhärente Vorgehensweisen verändert und angepasst werden. Die interprofessionelle Zusammenarbeit muss sich im Vergleich zur normalen, arbeitsteiligen Regelversorgung in Deutschland erst einmal qualitativ bewähren (Klapper 2017; Schmitz et al. 2020). Beispielhaft sei an der Stelle der Einsatz von Aktivierungskonzepten bei älteren und hochbetagten Menschen mit Demenz in Pflegeheimen erwähnt. Trotz des Nachweises, dass aktivierende Maßnahmen für Betroffene vor allem dann effektiv sind, wenn sie interprofessionell eingesetzt werden, scheitert die Umsetzung in der Breite in der Regel daran, dass es in den entsprechenden Einrichtungen wenig festangestellte Physio- oder Ergotherapeutinnen und Therapeuten gibt. Natürlich können sich Pflegefachkräfte Anregungen holen, wenn therapeutisches Personal vor Ort ist – eine optimale interprofessionelle Kooperation bleibt unter diesen Umständen aber dennoch schwierig (Seiler und Morgenstern 2019).

Eine gute interprofessionelle Zusammenarbeit ist vor allem dann gefragt, wenn von Versorgungsroutinen und Zuständigkeiten abgewichen werden muss und höhere Anforderungen an die Verständigung zwischen den Berufen gestellt werden. Im Blick von Reformen sind an der Stelle exemplarisch das stärkere Bilden von Netzwerken, Modelle zur integrierten Versorgung und medizinische Versorgungszentren sowie strukturierte Programme zu nennen. In der Rehabilitation, im Bereich der Geriatrie und in der Palliativversorgung ließen sich in Deutschland bisher am ehesten teambasierte Kooperationen – über die Kulturgrenzen von Behandlung (Medizin) und Betreuung (Pflege, Therapie) hinweg – umsetzen (Schmitz et al. 2020). Pflege und Therapie werden bei diesen Reformanstrengungen allerdings noch zugunsten des ärztlichen Handelns vernachlässigt (Ewers 2012; Kuhlmey et al. 2014; Schaeffer und Hämel 2016; Schmitz et al. 2020).

Die Gesundheitsstrukturen in Deutschland zu verbessern und neue Versorgungsmodelle zu erproben, haben sich der seit 2016 im Sozialgesetzbuch V verankerte Innovationsfonds oder das Förderprogramm der Robert Bosch Stiftung PORT bzw. supPORT zur Aufgabe gemacht. Der Innovationsfonds zielt auf die Förderung neuer Versorgungsformen, die über die klassische Regelversorgung hinausgehen, ab. Zu den Förderkriterien gehören u. a. die „Optimierung der Zusammenarbeit innerhalb und zwischen verschiedenen Versorgungsbereichen, Versorgungseinrichtungen und Berufsgruppen“ sowie „interdisziplinäre und fachübergreifende Versorgungsmodelle“ (§ 92a Abs. 1 SGB V). Zwischen 2016 und 2019 wurde eine jährliche Fördersumme von 300 Mio. Euro für die geförderten Projekte zur Verfügung gestellt. Im Programm PORT bzw. supPORT werden Projekte gefördert, mit deren Hilfe patientenorientierte Gesundheitszentren zur Primär- und Langzeitversorgung in der Region verankert werden. Gemein ist den Projekten ein umfassendes Gesundheitsverständnis und die Verbindung zwischen Leistungen der Gesundheitsförderung/Prävention mit medizinischen, pflegerischen und therapeutischen Maßnahmen, insbesondere bei chronisch kranken Menschen (Klapper 2017; Robert Bosch Stiftung 2021). Hoch im Norden in Büsum soll die Gesundheitsversorgung beispielsweise mithilfe sogenannter Nichtärztlicher Praxisangestellter multiprofessionell aufgestellt werden. Sie sollen Hausärztinnen und Hausärzte bei bestimmten Aufgaben vor Ort entlasten. Daneben kommen Case Managerinnen und Manager zum Einsatz, die vor allem chronisch Kranke und Pflegebedürftige langfristig betreuen sollen (Robert Bosch Stiftung 2021).

4 Fazit

Interprofessionelles Zusammenarbeiten wird in allen Gesundheitsberufen und somit auch in der Pflege zunehmend diskutiert und umgesetzt. Gerade für die Langzeitpflege lassen sich positive Effekte für die Pflegeempfängerinnen und Pflegeempfänger belegen. Durch die stärkere Gewichtung interprofessioneller Kompetenzen im Berufsgesetz ist davon auszugehen, dass Interprofessionalität in Ausbildung und Studium vermehrt thematisiert wird. Für die Versorgung bedeutet dies, dass Strukturen geschaffen werden, die interprofessionelle Zusammenarbeit fördern. Dabei sollten jeweils der individuelle Kontext und das Setting genau betrachtet werden, damit interprofessionelle Zusammenarbeit einen sinnvollen Beitrag für die Versorgung leisten kann. Im Rahmen der Qualitätsmessung ist neben der professionellen Bewertung der Versorgungsqualität die Nutzerperspektive wichtig. Mit ihr gewinnt die Erfahrungsdimension der Bewohnenden und die individuelle Lebensrealität an Gewicht, die nach Bolz (2016) für eine umfassende Qualitätsbeurteilung unerlässlich ist. Die Einschätzung der Versorgungsqualität durch die Betroffenen ergänzt die Sichtweise der jeweiligen Fachkräfte (Sonntag et al. 2018). Erfolgreiche interprofessionelle Versorgung in der Praxis sollte demnach sowohl an Qualitätsindikatoren, aber auch am subjektiven Erleben des Gesundheitspersonals und vor allem der Pflegeempfängerinnen und Pflegeempfängern gemessen werden.