FormalPara Koordinierende_r Leitautor_in

Andrea Jany

FormalPara Leitautor_innen

Meike Bukowski, Gabu Heindl und Katharina Kreissl.

FormalPara Revieweditor

Roger Keil

FormalPara Zitierhinweis

Jany, A., M. Bukowski, G. Heindl und K. Kreissl (2023): Wohnen. In: APCC Special Report: Strukturen für ein klimafreundliches Leben (APCC SR Klimafreundliches Leben) [Görg, C., V. Madner, A. Muhar, A. Novy, A. Posch, K. W. Steininger und E. Aigner (Hrsg.)]. Springer Spektrum: Berlin/Heidelberg.

FormalPara Kernaussagen des Kapitels

Status quo und Dynamik

  • Das Menschenrecht auf angemessenes Wohnen (kurz: Recht auf Wohnen) ist in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) und im UN-Sozialpakt verankert. Um es im Rahmen einer sozialökologischen Transformation einlösen zu können, braucht es Änderungen der Strukturen der Wohnpolitik. (hohe Übereinstimmung, mittlere Literaturbasis)

  • Steigende Energie- und Wohnkosten im Allgemeinen und Wohnen in energetisch nicht angemessen sanierten Bestandsgebäuden – mit dementsprechenden Energieverlusten, Mehrbedarfen und somit höheren Energiekosten – im Besonderen stellen eine finanzielle Belastung dar, die insbesondere Haushalte mit geringem Einkommen trifft. (hohe Übereinstimmung, starke Literaturbasis)

  • Wenn Gebäude im Rahmen der voranschreitenden Kommodifizierung des Wohnbausektors thermisch saniert werden, geht häufig leistbarer Wohnraum zugunsten von hochpreisigem Wohnen verloren. (mittlere Übereinstimmung, mittlere Literaturbasis)

  • Raumwärme ist mit Abstand der größte CO2-Emittent im Gebäudesektor und zweitgrößter Energieverbraucher bezogen auf die Emissionen im Betrieb. Der Ausstieg aus Öl und Gas und die Umstellung der Heizsysteme auf erneuerbare Energieträger (Bsp. Erdwärme, Biomasse, oder Biogas) bzw. klimafreundliche Fernwärme ist daher ein Schlüsselfaktor für klimafreundliches Wohnen. (hohe Übereinstimmung, starke Literaturbasis)

  • Der ressourcenschonende Umgang mit Grund und Boden ist die Basis für klimafreundlichen Wohnbau. Dafür braucht es überregionale sozialökologische Kriterien für angemessene Wohnraumversorgung bei gleichzeitiger Reduktion von Zersiedelung und Versiegelung. (hohe Übereinstimmung, starke Literaturbasis)

Notwendige Veränderungen

  • Es braucht einen Paradigmenwechsel in Richtung Bestandsnutzung und Energieraumplanung, um den hohen Boden- und Ressourcenverbrauch durch Neubautätigkeit im Wohnungsbau, die ausufernde Verkehrs- und Siedlungsentwicklung und den hohen Versiegelungsgrad abzuwenden. (hohe Übereinstimmung, starke Literaturbasis)

  • Die Stadt- und Raumplanung hat eine sozial- (inkl. gender-), umwelt- und klimagerechte Verteilung zu berücksichtigen und den Zugang zu klimafreundlicher und -gerechter Wohninfrastruktur für alle Bevölkerungsgruppen zu gewährleisten. Damit kann sie einen Beitrag zum gesellschaftlichen Wohlergehen leisten, insbesondere in Hinblick auf gemeinschaftliche Bedürfnisse im Zusammenhang mit steigenden Umwelt- und Klimabelastungen wie z. B. Biodiversitätsverlust und steigender Hitzebelastung. (hohe Übereinstimmung, starke Literaturbasis)

  • Eine Re-Kommunalisierung in Verbindung mit der Förderung von dekarbonisiertem und bezahlbarem Wohnraum eröffnet kommunale Handlungsspielräume mit Verfügungs- und Optionsmöglichkeiten für sozialökologisch gerechten Wohnbau. Alternative Wohnkonzepte, wie z. B. Baugruppen oder Genossenschaftsmodelle, stellen einen wertvollen, bereits praktizierten Ansatzpunkt für ein klimafreundliches Leben dar. (hohe Übereinstimmung, starke Literaturbasis)

  • Eine klimafreundlichere Raumplanung und Bauweise mit nachwachsenden Rohstoffen, eine klimagerechte Verteilung von bestehendem Wohnraum sowie eine verstärkte Förderung von Sanierung und/oder Adaption für Weiter- und Umnutzung reduziert den hohen Ressourcenverbrauch im Neubau. (hohe Übereinstimmung, starke Literaturbasis)

  • Ohne die Zuständigkeiten auf Bundes- und Länderebene noch stärker zu fragmentieren, ist den unterschiedlichen regionalen Ausgangslagen und Handlungsoptionen entsprechend differierend zu begegnen: der Abwanderung und dem Leerstand im ländlichen Raum, dem Wunsch nach Einfamilienhausbau in den suburbanen Siedlungen und dem Zuzug mit stetig steigenden Wohnpreisen in urbanen Regionen. (hohe Übereinstimmung, schwache Literaturbasis)

Gestaltungsoptionen

  • Förderungen mit ihrem lenkenden Einfluss könnten noch stärker auf einen ressourcenschonenden und klimafreundlichen Wohnbau ausgerichtet werden: durch gezielte und verstärkte Wohnbauförderung im gemeinnützigen Wohnbausektor, Priorisierung von Umbau vor Neubau, Förderung von kollektiven Wohnformen und Förderung der Verwendung klimafreundlicher Konstruktionsweisen, Materialien und Wärmesysteme. Auch die Wiedereinführung der Zweckwidmung der Wohnbaufördermittel könnte hierbei unterstützen. (hohe Übereinstimmung, mittlere Literaturbasis)

Die vorliegende Ausarbeitung orientiert sich durch die zeitliche Parallelität an der Bearbeitung der 17 SDGs im Uninetz-Projekt und hat die Themen im Austausch und in Abstimmung mit den dort handelnden Personen zum Thema Wohnen und speziell dem SDG 1 und 11 entwickelt.

4.1 Einleitung

Wohnen ist durch die im Rahmen der Vereinten Nationen unterzeichnete Erklärung und die Europäische Menschenrechtskonvention ein Menschenrecht sowie in vielen Staaten – jedoch nicht in Österreich – ein Grundrecht und zählt zu den Grund- und Existenzbedürfnissen. Wohnraum als begrenzter Raum und Ort sowie Wohnen als Tätigkeit, welche sich über den eigenen Wohnraum hinaus in die Nachbarschaft und Freiräume erstreckt, bestehen aus einem multiplen Beziehungsgeflecht ökologischer, ökonomischer, sozialer und kultureller Aspekte. Die Wechselwirkungen zwischen gebauten Wohnstrukturen, der Konzeptionierung und Planung dieser und die Auswirkungen auf Verhalten und Lebensqualität der Bewohner_innen sind in der Ausgestaltung eines klimafreundlichen Lebens zu berücksichtigen.

Nach der Anzahl der Gebäude zeigt sich in Österreich aktuell folgendes Bild: Quantitativ umfassen Wohngebäude 82 Prozent des gesamten österreichischen Gebäudebestands (Statistik Austria, 2019). Der Großteil der Wohngebäude sind Einfamilienhäuser mit einem Anteil von 65,8 Prozent (Statistik Austria, 2013).

Die Haushaltsebene umfasst in Österreich 48 Prozent Eigentumswohnungen, davon 37 Prozent als Hauseigentum und 11 Prozent als Wohnungseigentum. In Mietobjekten leben etwa 42 Prozent der Haushalte sowie etwa 10 Prozent in sonstigen Rechtsverhältnissen. Das Mietrecht und die Mietvertragsverhältnisse werden über den Bund geregelt, die Wohnbauförderung auf Länderebene.

Bezogen auf die Personenebene wohnen etwa 55 Prozent der Menschen im Wohnungseigentum (Statistik Austria, 2019). In einem Betrachtungszeitraum von 1985 bis 2020 stieg die Zahl der Privathaushalte um 42,4 Prozent. Mit steigendem Alter leben immer mehr Menschen allein. Insgesamt lebten 2020 33,1 Prozent der Personen ab 65 Jahren allein in einem Haushalt (Statistik Austria, 2021d).

Qualitativ definiert sich Wohnraum als angemessen, wenn weder Überbelag noch Gesundheitsbelastung vorliegen und der Wohnraum über eine adäquate und energieeffiziente Heiz-, Wasch- und Duschmöglichkeit verfügt (APCC, 2018; BAWO – Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe, 2017).

CO2-Emissionen im Bereich Wohnen beruhen auf direkten und indirekten Ursachen. Abb. 4.1 veranschaulicht den klimarelevanten Status quo des Gebäudesektors im Vergleich zu anderen Sektoren, Abb. 4.2 die einzelnen Komponenten der Kohlenstoffdioxid-Emissionen aus den Privathaushalten.

Abb. 4.1
figure 1

Treibhausgasbilanz nach Emissionen 2019. (Umweltbundesamt, 2021b)

Der Sektor Gebäude verursachte im Jahr 2019 rund 8,1 Millionen Tonnen an Treibhausgasemissionen. Dies entspricht einem Anteil des Gebäudesektors von 10,2 Prozent aller Treibhausgasemissionen in Österreich im Jahr 2019 (Umweltbundesamt, 2021b), wobei Wohngebäude einen Treibhausgasemissionsanteil von 8,2 Prozent aufweisen (Statistik Austria, 2019). Eine Reduktion der Treibhausgasemissionen im Gebäudesektor konnte bereits von 1990 bis 2014 beobachtet werden, doch stiegen diese Emissionen zwischen 2014 und 2017 wieder an (Umweltbundesamt, 2021b).

Die durchschnittliche Wohnfläche pro Person in einer Hauptwohnsitzwohnung in Österreich liegt bei 45,3 m2/Person. Allerdings ist diese regional ungleich verteilt. So steht beispielsweise Menschen in Wien eine durchschnittliche Wohnfläche von 36,1 m2/Person zur Verfügung, im Burgenland hingegen 54 m2/Person (Statistik Austria, 2019). Auch die Betrachtung der Herkunft von Personen zeigt eine Ungleichverteilung: So wohnen beispielsweise Menschen aus der Türkei auf durchschnittlich 23 m2/Person, gefolgt von Personen aus dem ehemaligen Jugoslawien (außerhalb der EU) mit 27 m2/Person (Statistik Austria, 2019).

Der Zuwachs an Bodenverbrauch für Wohn- und Geschäftsgebiete liegt in Österreich im Jahr 2020 bei 23 km2 (Umweltbundesamt, 2021a). Die Siedlungsformen des Wohnens sind für die Ökobilanz relevant – sowohl für den CO2-Ausstoß der Gebäude selbst als auch für den des Verkehrs, der mit seiner Treibhausgasbilanz von 30 Prozent drei Mal so viel Emissionen produziert wie der Gebäudesektor und dessen Emissionen zudem im Unterschied zum Gebäudesektor seit 1990 stark steigen. Je nach Siedlungsform und funktionalen Verflechtungen, wie beispielsweise Wohnen und Arbeiten, produziert das Wohnen viel oder weniger Verkehr, insbesondere motorisierten Individualverkehr. Damit wird indirekt ein großer Teil der Treibhausgasemissionen vom Wohnen mitbestimmt. Ergebnisse der Gebäudeanalyse verdeutlichen zudem, wie wesentlich die Kompaktheit des Gebäudes für die Ökobilanz ist: Einfamilienhäuser weisen im Vergleich zu Wohnsiedlungen und Geschoßwohnbau eine deutlich schlechtere Bilanz auf. Die „graue Energie“ eines Gebäudes ist für die Richtwertanalyse, die Kompaktheit des Gebäudes wie auch für die Belegungsdichte von Relevanz (Mair am Tinkhof et al., 2017). Graue Emissionen, also die gesamten Energien, die bei Herstellung, Einbau und Abbruch von tragwerksrelevanten Bauelementen benötigt werden, werden vermehrt beforscht, ebenso wie entsprechende Grenzwerte und Maßnahmen der Vermeidung in frühen Planungsphasen (u. a. Weidner et al., 2021).

Abb. 4.2
figure 2

Komponentenzerlegung der Kohlenstoffdioxidemissionen aus Privathaushalten. (Umweltbundesamt, 2019)

4.2 Status quo

Im Folgenden wird der Status quo des Wohnens in Österreich aus drei verschiedenen Blickwinkeln thematisiert. Vorweg wird das „Ob“ thematisiert – diese Frage fokussiert auf die Notwendigkeit von Neubauten unter Berücksichtigung von Wohnungsbestand, Leerstand, Beschaffenheit und Sanierungsmöglichkeiten. Das „Wie“ bezieht sich auf die technische und bauliche Gestaltung neuer Wohnraumproduktion. Die Frage „Wer und für wen“ konzentriert sich auf die Bauträgerschaft und die Bewohnerschaft der Wohngebäude.

Die Frage nach dem „Wo“, die das Augenmerk auf die zur Verfügung stehenden Flächen legt, wird im Rahmen des Kapitels zur Raumplanung diskutiert (Verweis Kap. 19).

4.2.1 Muss neu gebaut werden? Entscheidungen im Wohnbau unter Berücksichtigung von Bestand, Leerstand, Beschaffenheit und Sanierungsmöglichkeiten

Die Frage, ob überhaupt gebaut werden muss, ist ein zentraler Punkt in der Diskussion um klimafreundliches Wohnen. Der Wohnraum in Österreich unterliegt unterschiedlichen regionalen Entwicklungen: Ländliche Regionen sind oftmals von Abwanderung und Leerstand betroffen, in den urbanen Regionen führt der Zuzug sowie Wohnungskäufe aufgrund von Finanzspekulationen und Kapitalanlagen (was vielfach zu Leerstand führt) zur Wohnraumverknappung und zu steigenden Preisen.

Der bauwirtschaftliche Fokus auf Neubau lässt vermuten, dass hier höhere Gewinne durch höhere Preise und effizientere Prozesse zu erwirtschaften sind. Im Neubau lassen sich neue technische Lösungen einfacher umsetzen (Amann & Mundt, 2019). Das belegt unter anderem auch der Sozialbericht zum Thema Wohnen des BMASGK (2019), der auf die sehr viel größere Herausforderung der Dekarbonisierung bestehender Gebäude hinweist und auf die Notwendigkeit von sektorspezifisch differenzierten Bündeln von Rahmenbedingungen und Handlungsoptionen für qualitätsvolles, dauerhaftes, leistbares und inklusives Wohnen (Amann & Mundt, 2019). Es sind allerdings nicht allein die Dekarbonisierungsmaßnahmen kostentreibend, sondern vor allem die Dynamiken des Immobilienmarkts wie z. B. eine erhöhte Nachfrage nach Wohnimmobilien oder Investitionen in sogenanntes Betongold (Kranzl et al., 2019). Doch besonders die Nutzung von Leerstand könnte helfen, den Neubau von Einfamilienhäusern einzudämmen. Die Dominanz des Einfamilienhauses wirkt sich negativ auf das Klima aus, da es als Wohnform den höchsten Flächenverbrauch aufweist sowie umfangreicher Infrastrukturmaßnahmen, speziell im Bereich des Verkehrs, und die energetische Ertüchtigung der Bauvolumen bedarf. Zum Thema Leerstand in Österreich wurden zwar lokal einzelne Studien durchgeführt (SIR 2015), eine vollständige und regionenübergreifende Leerstandserhebung für Österreich liegt derzeit nicht vor (Schneider, 2019). Eine solche Erhebung könnte die Notwendigkeit von Neubautätigkeiten relativieren und den Fokus vermehrt auf den Bestand und dessen Aktivierung bzw. Gebäudeertüchtigung lenken.

Um die Klimaziele zu erreichen, ist die klimaadäquate Beschaffenheit und Niedrigemissionsfähigkeit von bestehendem Wohnraum relevant. Eine aktive Dekarbonisierung ist sowohl durch Energiebedarfssenkung als auch mittels alternativer, nicht fossiler Energiebereitstellung zu erreichen.

Die Sanierung des Gebäudebestands in Österreich, der zu 45 Prozent vor 1990 errichtet wurde und zu 60 Prozent einen energetischen Sanierungsbedarf aufweist (Statistik Austria, 2020), hat großes Potenzial für eine Senkung des Energiebedarfs, ebenso wie die Sanierung und Dekarbonisierung der Eigenheime und Einfamilienhäuser aufgrund ihrer Anzahl und Gesamtenergiebilanz (IIBW Amann, Furhmann, Stingl, 2019). Das Potenzial zur Einsparung von CO2-Emissionen ist im Gebäudebestand aus den Bauperioden vor 1970 am höchsten, da diese Gebäude einen Anteil von rund 45 Prozent an der gesamten Wohnnutzfläche aufweisen (Umweltbundesamt, 2020) und zudem aufgrund ihrer Bauweise ein hohes Einsparpotenzial besitzen. Laut einer aktuellen Studie in Vorarlberg ließe sich bei der energetisch effizienten Gebäudeertüchtigung von Gebäuden aus den 1970er Jahren mit ökologischen Materialien im Vergleich zu einer reinen Instandhaltung ohne thermische Sanierung das globale Erwärmungspotenzial um 72 Prozent reduzieren (Energieinstitut Vorarlberg, 2020).

Eine der größten Herausforderung in Zusammenhang mit der notwendigen Dekarbonisierung des Wohnungssektors und der hieraus erwachsenden Energieeffizienz des gesamten Wohngebäudebestandes liegt in der geringen Sanierungsrate (Amann, 2019; Forum Wohnbaupolitik, 2020). In Österreich gibt es für private Wohngebäude, die älter als 20 Jahre sind, die Möglichkeit eines Sanierungschecks, womit umfassende Sanierungen nach klimaaktiv-Standard gefördert werden, wie z. B. Außenwände und/oder Geschoßdecken dämmen oder Fenster und Außentüren erneuern. Dennoch liegt die für die Energiebedarfssenkung relevante thermische Sanierung von Wohnbauten derzeit weit unter den Zielvorgaben. Die Sanierungsrate hat sich seit 2010 nicht wie geplant um die Hälfte erhöht, sondern ist sogar um etwa ein Viertel zurückgegangen (Global 2000, 2021). Im Betrachtungszeitraum 2008 bis 2018 liegt die Rate der vollständigen thermischen Sanierungen bei 0,7 Prozent (\({\pm}\)0,1 %) pro Jahr und die mittlere Rate der umfassenden thermisch-energetischen Gebäudesanierungen bei etwa 0,9 Prozent (Umweltbundesamt, 2021, S. 159 f.). Bei gemeinsamer Betrachtung von umfassenden Sanierungen und Einzelmaßnahmen zeigt sich, dass die Sanierungsrate in Österreich von ca. 2,2 Prozent im Jahr 2010 (für Hauptwohnsitze) auf 1,4 Prozent im Jahr 2018 gefallen ist (IIBW, Umweltbundesamt, 2020).

Der Zielwert für Sanierungen wurde laut Energie- und Klimaplan mit 2 Prozent p. a. festgelegt (Amann, 2019). Für eine im aktuellen Regierungsprogramm angestrebte Sanierungsrate zur Dekarbonisierung des Gebäudebestands von jährlich 3 Prozent ist der Handlungsbedarf entsprechend groß (IIBW, Umweltbundesamt, 2020), um den hieraus erwachsenden Herausforderungen, wie z. B. vorhandene Marktkapazitäten, Fachpersonal, steigende Preise, zu begegnen. Expert_innen erklären das Phänomen der rückläufigen Sanierungsraten im Wohnsektor zum einen mit dem Ausbleiben von Energiepreiserhöhungen, zum anderen mit den stetig steigenden Miet- und Bodenpreisen, die in bestimmten Regionen auch ohne energetische Sanierungen eine Profitsteigerung von Wohneigentum mit sich bringt (Weißermel & Wehrhahn, 2020).

Der zweite Aspekt der Dekarbonisierung im Wohnsektor betrifft die Energiebereitstellung, u. a. für Heizen, Kühlen, Bereitung von Warmwasser und Haushaltsstrom. Ein hohes Dekarbonisierungspotenzial liegt in der Umstellung von Heizsystemen mit fossilen Energieträgern auf Betriebsweisen mit einem niedrigeren Kohlenstoffumsatz. Mit der Förderungsaktion des Bundes „raus aus Öl und Gas“ wird der Austausch fossiler Heizungssysteme durch klimafreundliche Technologien im privaten Wohnbau gefördert (BMK, 2021). Im Bereich der Raumwärme und der Brauchwassererwärmung in Wohn- und Servicegebäuden wird vermehrt Umweltwärme genutzt. Die Anzahl an Wärmepumpen ist deutlich gestiegen (siehe Abb. 4.3), während sich die Entwicklung solarthermischer Anlagen zögerlicher zeigt (Zentrum für Energiewirtschaft und Umwelt, 2018).

Abb. 4.3
figure 3

Anzahl und Art von Wärmepumpen in Österreich 1975 bis 2017. (Quelle: Erneuerbare Energien in Zahlen 2018, Zentrum für Energiewirtschaft und Umwelt, e-think)

Auch die Ökologisierung der Fernwärme durch einen Umstieg auf erneuerbare Energieträger wird gefordert. Der Anteil erneuerbarer Energieträger an der Fernwärmeerzeugung und am -verbrauch lag laut Umweltbundesamt im Jahr 2018 bei nur 48 Prozent (Umweltbundesamt, 2022). Die Effizienz der Verteilung und die CO2-Neutralität der Fernwärme selbst werden in diesem Zusammenhang differenziert betrachtet.

Schließlich ist die sozialökologische Herausforderung bei der Dekarbonisierung von Wohnraum in Bestandsgebäuden zu beachten: Die Effektivität von umwelt- und klimafreundlichen Heizsystemen hängt von entsprechenden Sanierungsmaßnahmen ab, die kostenintensiv sein können (Rechnungshof, 2020; Statistik Austria, 2019). In Bestandsgebäuden wohnen überwiegend mittlere oder niedrige Einkommensgruppen, die von den höheren energetischen Sanierungskosten finanziell besonders betroffen wären. Der Ausweg, in energetisch bereits angemessene Neubauwohneinheiten zu übersiedeln, ist für diese Einkommensschichten meist keine Option, da diese höhere Miet- und Kaufpreise aufweisen (Amann und Mundt 2019).

4.2.2 Wie wird gebaut? Wohnungsneubau angesichts von Ressourcen- und Bodenknappheit

Durch den Föderalismus liegen in Österreich für den Wohnbau derzeit stark fragmentierte Zuständigkeiten auf Entscheidungs- und Wissensebenen vor. Die neun Bundesländer entscheiden über Gesetzgebung, Regelungen und Förderungen im Wohnbausektor weitgehend autonom. Im Förderbereich zu den Themen Energie und Umwelt stimmen sich Bundes- und Länderstellen ab, allerdings werden Wohnbauförderungen auf Landesebene und Genehmigungsverfahren auf kommunaler Ebene geregelt. Infolgedessen wirken sich nationale oder internationale politische Ziele meist zeitverzögert und indirekt in der Praxis aus (Kranzl et al., 2019).

Mindeststandards für den Wohnbau werden maßgeblich durch die neun Bauordnungen der Bundesländer vorgegeben. Dort gibt es Möglichkeiten, Erfordernisse einzuschreiben, etwa Grünflächenfaktor, Versiegelungsfaktor etc. Wenig berücksichtigt wird dabei das Verhältnis von Siedlungsstrukturen und Wohnformen zum Energieverbrauch (Quan & Li, 2021). Gegenwärtig liegt der Fokus der Vereinheitlichung von Bauordnungen verstärkt auf Energieeffizienzstandards wie z. B. Passivhausdefinition, da Abstimmungs- und Harmonisierungsprozesse im Gebäudebereich in Bezug zu Klimaschutzstandards, etwa in Form von 15a-B-VG-Vereinbarungen zu Klimaschutz im Wohnbau, über technische Anforderungen verhandelt werden. Der nationale Plan für Österreich für die Energieeffizienz bei Gebäuden wurde 2018 vom Österreichischen Institut für Bautechnik erarbeitet. Somit müssen alle Wohngebäude ab 01.01.2021 die Mindestanforderung an ein Niedrigstenergiegebäude im Sinne des Artikels 2, Ziffer 2 der Richtlinie 2010/31/EU erfüllen. Die Verankerung in den Bauordnungen ist bereits in allen neun Bundesländern erfolgt (Österreichisches Institut für Bautechnik, 2018).

Die Ökologisierung des Wohnbausektors betrifft die Baubiologie (z. B. Giftstoffe in Baumaterialien) und die Bauökologie (Land-, Ressourcen- und Energieverbrauch im Bau, im laufenden Betrieb und im Recycling). Aktuell wird der Großteil der Gebäude aus Stahl und Beton gebaut, mit besonders hohen anfallenden CO2-Emissionswerten bei der Produktion von Primärstahl und Zement. Im Jahr 2014 stammten global 1,32 Milliarden Tonnen CO2-Emissionen aus der Zementproduktion und 1,74 Milliarden Tonnen aus der Stahlproduktion (Sonter et al., 2017). Beide Industriezweige arbeiten zwar an emissionsärmeren Produktionsverfahren, dennoch wird dem erwarteten Wachstum von Städten vor allem durch emissionsärmere Bauweisen in der Neuerrichtung von Wohnraum und Infrastruktur und zugleich einer Steigerung der Umnutzung von Leerstand zu begegnen sein.

Für die CO2-Bilanz bei der Herstellung von Baumaterial zeigt die Forschung, dass der Baustoff Holz deutliche Vorteile im Vergleich zu den hohen CO2-Emissionen der Zementindustrie für Stahlbeton und der Stahlproduktion aufweist (Schadauer et al., 2020; Lukić et al. 2020). Es wird aber auch auf die noch mangelhafte Prüfung von Herkunft und Nachhaltigkeit der Bewirtschaftungsform des verwendeten Holzes hingewiesen (Windsperger & Windsperger, 2015).

In Bezug auf Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft von Baustoffen und Materialkomponenten von Bauteilen fordert die Baumaterialforschung eine CO2-Bilanzierung der Bauprodukte sowie neue Indikatoren zur Bewertung der Umweltwirkung von Bauprodukten und Bauweisen (Fischer & Schulter, 2014). So wären etwa Öko-Indikatoren geeignet, um nachhaltiges Bauen in den einschlägigen europäischen Normen stärker zu verankern. Ein wichtiges Ziel ist, die Zertifizierung ökologischer Baustoffe voranzubringen. Denn z. B. strohgedämmte Häuser haben ein großes Potenzial für CO2-Speicherung (Best-Practice-Beispiele: „ASBN – Strohballenbau in Österreich“ und konkrete Forschungsprojekte im Rahmen der Förderungsstruktur „Haus der Zukunft“). Der Verwendung von neuen – teils Lowtech und insofern alten – Bauweisen stehen oft kostenintensive Genehmigungs- und Prüfverfahren im Weg. Während es für etablierte Industriebaustoffe und -bauteile frei zugängliche zertifizierte Prüfzeugnisse gibt, fehlen diese teils bei ökologischen Baustoffen. Wenn die Ressourcen fehlen, um Prüfprozesse für alternative Baumaterialien und -elemente einzuleiten, führt das zu Verunsicherung und Verzögerungen im Einsatz. Dadurch verfestigt sich der Einsatz von Industrieprodukten ungeachtet der ökologischen Qualitäten – vgl. die Diskussion um die Vorherrschaft von Polystyrol (EPS- oder XPS-Dämmplatten) in Wärmedämmverbundsystemen (Bauer, 2015; Reinhardt et al., 2020) inklusive des Problems ihrer Entsorgung.

Im Kontext der Kreislaufwirtschaft (Circular Economy) versteht das neue Forschungs- und Anwendungsgebiet „Social Urban Mining“ Städte als integrierte Recycling-Systeme (Brunner, 2011) wiederverwertbarer und wertvoller Ressourcen. In Österreich organisiert seit Kurzem das BauKarussell den koordinierten Rückbau großer Gebäude und die Wiederverwendung brauchbarer Materialien.

4.2.3 Wer baut und für wen wird gebaut? Bauträgerschaft und Bewohnerschaft von Wohngebäuden vor dem Problem steigender Kosten

Neben dem „Wie“ ist die Frage „Wer baut und für wen wird gebaut?“ mit dem Fokus auf die Bauträgerschaft und die Bewohnerschaft ein weiterer wichtiger Punkt in der Diskussion. In Österreich zeigen sich in den vergangenen Jahren Verschiebungen im Bereich Bauträgerschaft. Seit den 1980er Jahren unterliegt das Wohnungs- und Sozialsystem einem Strukturwandel hin zu einem marktorientierten System. Eine ausreichende Versorgung mit Wohnraum für untere und mittlere Einkommensgruppen in urbanen Regionen wird zunehmend schwieriger (Kadi et al., 2020). Die Steuerungsmacht des Staates im Rahmen geförderter Wohneinheiten und somit der Vorgaben von Rahmenbedingungen wurde seit den 1990er Jahren zugunsten freifinanzierter Wohneinheiten abgebaut (vgl. Abb. 4.4; Kadi et al., 2020).

Abb. 4.4
figure 4

Geförderter und nichtgeförderter (= freifinanzierter) Neubau in Österreich 1992–2017. (Kadi et al., 2020)

Mit dem verstärkten Bau von freifinanzierten Wohnimmobilien stiegen gleichzeitig die Wohnimmobilienpreise von einem Ausgangsniveau im Jahr 2010 von 76,8 Prozent zum Basiswert von 2015 mit 100 Prozent bis 2019 auf 126,6 Prozent an. Österreich zählt – bei einer moderaten Ausgangslage – zu den Ländern mit den größten Preissteigerungen am Wohnungsmarkt im europäischen Vergleich zwischen 2010 und 2019 nach Estland, Ungarn, Lettland und Luxemburg (vgl. Abb. 4.5; Eurostat, 2012).

Abb. 4.5
figure 5

Wohnimmobilienpreisentwicklung Österreich im Vergleich mit EU 27 zwischen 2010 und 2019. (Eurostat, 2021)

Neben der real steigenden Nachfrage nach Wohnungen durch städtischen Zuzug steigt seit Jahren parallel die Nachfrage nach Wohnungen als Finanzanlage (Kadi et al., 2020). Ende 2019 lag der Fundamentalpreis-Indikator für Wohnimmobilien für Gesamtösterreich bei 14 Prozent. Das wurde von der Nationalbank als erstes Anzeichen für eine Überhitzung des Marktes und eine potenzielle Blasenbildung gedeutet (Österreichische Nationalbank, 2019). Für das Jahr 2021 wurde eine Überschussproduktion von 35.000 Wohneinheiten prognostiziert (Österreichische Nationalbank, 2019) bei gleichzeitig weiter steigendem Bedarf an bezahlbarem, ökologisch angemessenem Wohnraum (Allianz Nachhaltiger Hochschulen, 2021). Das bedeutet, dass trotz Überschussproduktion nicht genügend leistbare, ökologisch angemessene Wohneinheiten in nachgefragten, urbanen bzw. suburbanen Standorten zur Verfügung stehen. Angemessene Instrumente zur klima- und sozialgerechten Verteilung von Wohneinheiten zu finden, ist angesichts der derzeitigen Preisentwicklungen am Wohnungsmarkt eine Herausforderung, um die Klimaziele gesamtgesellschaftlich und sozialverträglich zu erreichen.

Aktuell setzt sich der Trend steigender Preise für Wohnimmobilien fort mit einem deutlichen Anstieg um 9,5 Prozent im 3. Quartal 2020 (ÖNB, 2020). Speziell die unteren und mittleren Einkommensgruppen können kaum einen Beitrag zur klimafreundlichen Gesellschaft leisten, da sie zur Wohnversorgung auf billigere Immobilien mit schlechterer Bauqualität und daher schlechterer Energieeffizienz in minderversorgten Wohngegenden zurückgreifen müssen, was wiederum eine erhöhte Mobilität und somit mehr Verkehr mit sich bringt (Weißermel & Wehrhahn, 2020).

4.2.4 Soziale Aspekte beim Zugang zu klimafreundlicher Wohninfrastruktur

Auch wenn der thermischen Sanierungsrate im gemeinnützigen Wohnbau Steigerungen bescheinigt werden, sind diese Wohnsegmente nur unter bestimmten Bedingungen zugänglich. Obwohl rund 20 Prozent aller Österreicher_innen und rund 45 Prozent der Wiener_innen heute bereits in einer Gemeinde- oder Genossenschaftswohnung wohnen (Schwarzbauer et al., 2019; Van-Hametner et al., 2019), werden Wohnsegmente aus dem sozialen Wohnungsbau trotzdem nicht dem steigenden Bedarf an bezahlbarem und umwelt- bzw. klimafreundlichem Wohnraum gerecht (Van-Hametner et al., 2019). Die Kommodifizierung und Renditisierung, also die Privatisierung bzw. Kapitalisierung von vormals öffentlichen und/oder gemeinnützigen Gütern der Wohnungswirtschaft, birgt dabei die Gefahr, soziale Belange gegen Klimaschutz und andere ökologische Anliegen auszuspielen (Weißermel & Wehrhahn, 2020).

Laut Statistik Austria (Statistik Austria, 2021c) leben ca. 52 Prozent der energiearmen Haushalte in Wohneinheiten, die noch vor 1960 gebaut wurden. Die vorerst letzten Erhebungen zu Österreich aus dem Jahr 2016 beziffern 117.100 Haushalte, die von Energiearmut betroffen sind. Vertreter_innen der Armutskonferenzvermuten vermuten weit höhere Zahlen (Armutskonferenz, 2019, 2020).

4.3 Barrieren und Konflikte im Bereich klimafreundliches Wohnen

Potenzielle Konflikte und Systemwiderstände sind aufgrund der gegenwärtigen autonomen Handlungsspielräume in den fragmentierten Zuständigkeiten im Hinblick auf Steuerungs- und Machtverluste zu erwarten. Durch das unzureichend akkumulierte Wissen für Gesamtösterreich wie z. B. statistische Daten zum Leerstand, qualitative Erhebungen zu Wohnbedürfnissen, Evaluation bestehender Wohnbaualternativen mangelt es an Argumentationsmöglichkeiten. Außerdem muss man damit rechnen, dass der freifinanzierte bzw. gewerbliche Wohnbausektor, welcher auf die Errichtung und Vermarktung von Wohnraum mit dem Ziel der Gewinnmaximierung speziell im Neubau ausgerichtet ist, Druck ausübt. Konkrete Konflikte werden im Bereich notwendiger gesetzlicher Regelungen und Vorgaben gesehen, z. B. bei der Verhinderung der Ausweisung von neuem Bauland.

Komplementär zur Stärkung der nationalen Ebene sowie zur Förderung ganzheitlicher und vielfältiger Wohnkonzepte liegt ein Potenzial in der verbindlichen Koordination und Kooperation urbaner und ländlicher Regionalplanung. Eine große Barriere stellt die in den 1960er Jahren an die Bürgermeister_innen der Gemeinden erteilten Kompetenzen als Baubehörde erster Instanz dar. Das Zusammenführen der Zuständigkeiten auf Bundesebene in Form einer Koordinations- und Monitoringstelle für Österreich für das Thema Wohnen würde eine adäquate Grundlage zur Gesetzgebung inklusive klimafreundlicher sowie gerechter städtischer und ländlicher Raumentwicklung liefern.

Anreizsysteme zur Steigerung der Sanierungsrate könnten ihr Ziel verfehlen, wenn diese finanziell zu gering ausfallen. Weitere Barrieren für die Sanierung sind die derzeit fehlenden Kapazitäten am Arbeitsmarkt und in diesem Zusammenhang das Fehlen einer politischen Strategie, die Planungssicherheit bietet, um notwendige Investitionen, z. B. in neue Betriebsanlagen oder zusätzliche Mitarbeiter_innen, zu gewährleisten. Eine wissenschaftliche Spezifikation oder Analyse hierzu konnte derzeit nicht ermittelt werden. Ein ebenfalls noch zu diskutierender Punkt stellt die Umlage der Sanierungskosten auf bestehende Mieter_innen dar. Das verhindert vermutlich effiziente Energielösungen im Bestand. Ebenso existiert derzeit kein nationales Monitoringsystem zur Erfassung der gesamten aktuellen Sanierungsaktivitäten, welches alle thermisch-energetisch relevanten Maßnahmen berücksichtigt (Umweltbundesamt, 2020).

Derzeit hat das Thema Sanierung einen geringen politischen Stellenwert und damit einhergehend fehlt ein ausreichend konkretisierter politischer Wille (Amann, 2019). Bedingt durch strukturelle Hindernisse sind übergeordnete Strategien im Bereich Sanierung für ein geschlossenes Vorgehen in Österreich ausständig. Das derzeitige Kompetenzgefüge zur Umsetzung und Implementierung weitreichender Reformen müsste eine koordinierte Vorgehensweise zwischen verschiedenen Ministerien und den einzelnen Ländern herstellen (Amann, 2019).

4.4 Gestaltungsoptionen für klimafreundliche Strukturen im Bereich Wohnbau

Im Folgenden werden Gestaltungsoptionen für klimafreundliche Strukturen für den Wohnbau diskutiert. Es gibt vielfältige Handlungsoptionen, die explizit, aber auch implizit den Wohnbau betreffen und ein geschlossenes Vorgehen für ein klimafreundliches Wohnen in Österreich befördern können. Zentrale Themen sind die Institutionalisierung des Themas Wohnen für Österreich, die Aktivierung und Attraktivierung des Wohngebäudebestandes, die Dekommodifizierung und die verstärkte Förderung gemeinnütziger Wohnbauten und alternativer Konzepte sowie der fairen Nutzung von Commons als natürliche Ressource.

Basis und Hintergrund der Handlungsoptionen stellt die Forderung einer Zusammenführung der derzeit mehrdimensionalen Zuständigkeiten auf Bundesebene in Form einer Koordinationsstelle für Österreich für das Thema Wohnen in Form einer Institutionalisierung dar (Allianz Nachhaltiger Hochschulen, 2021). Forschung zu den bundesländerspezifischen Gegebenheiten sowie deren Abgleich und Zusammenführung zu einem österreichischen Leitbild des Wohnbaus wären hier anzusiedeln, ebenso die Etablierung einer interdisziplinären Wohnbauforschung, die der Komplexität des Wohnens und der Wohnraumversorgung mit speziellem Fokus auf klimafreundliche Strukturen gerecht wird. Das Zusammenwirken aller Entscheidungsträger_innen und Wissenschaftsdisziplinen im Wohnbausektor und die Auswirkungen verschiedener Maßnahmen auf die Gesellschaft wären langfristig sicher- und darzustellen (Allianz Nachhaltiger Hochschulen, 2021). In Anlehnung an die österreichische Wohnbauforschung der Jahre 1968 bis 1988 (Bundesministerium für Bauten und Technik, 1968 bis 1999) sowie aktuelle Überlegungen in Deutschland (Schönig & Vollmer, 2020) wäre eine institutionalisierte Koordinationsstelle zum Thema Wohnen für Österreich nützlich, welche die gesellschaftlichen Bedingungen und Möglichkeiten zur Wohnraumversorgung ins Zentrum ihres Interesses rückt. Nach einer institutionellen Etablierung auf Bundesebene bedarf es einer Forcierung von zukunftsfähigen, nachhaltigen und sozial gerechten Wohnformen sowie deren wissenschaftlicher Begleitung für ein neues Leitbild des klimafreundlichen Wohnens auf Basis der Bedürfnisse der Menschen in den heutigen und zukünftigen sozialen Strukturen (Weißermel & Wehrhahn, 2020).

Die weiteren genannten Maßnahmen bedürfen zusätzlich einer Änderung der Finanzierungsgrundlagen, die stärker an nachhaltige und soziale Erfordernisse zu binden ist. Dazu dient unter anderem das Konzept der Objektförderung, welches nachhaltige Investition in die gebaute Umwelt bedeutet und Wohnen im Rahmen der öffentlichen Infrastruktur positioniert (Allianz Nachhaltiger Hochschulen, 2021). Im Gegensatz zur Subjektförderung, die Personen fördert und somit Einzelinteressen dient, kann die Objektförderung als öffentliches Investmentinstrument für den Wohnbau als soziale Infrastruktur verstanden werden (Allianz Nachhaltiger Hochschulen, 2021; Koch 2020a). Klimaschutz im Bereich Wohnen ist im objektgeförderten Wohnbau eine öffentliche Aufgabe für das Gemeinwohl. Dafür wäre die Wohnbauförderung und deren Zweckbindung im Rahmen des Finanzausgleichs – nachdem diese 2008 aufgelöst wurde – wiederum zweckzubinden und mit verstärkten ökologischen Auflagen zu koppeln.

Für ressourcenschonende Wohnbaupolitik ist eine flächendeckende Leerstandserhebung für Österreich ein wichtige Voraussetzung (Schneider, 2019). Der Leerstand in ländlichen und städtischen Regionen und dessen Veränderung ist eine relevante Kennzahl für den gesamtösterreichischen Wohnungsmarkt. Eine Leerstandskennzahl würde die Notwendigkeit für Neubau in beiden Regionen relativieren. Die Reduzierung des Neubaus sorgt für eine Verringerung der Bodenversiegelung und schützt somit den Naturraum und das Klima. Leerstand im ländlichen Raum kann als bauliche Ressource betrachtet werden, deren graue Energie genutzt werden kann. Mit verringerten Energieaufwänden in der Gesamtbilanz (zusammengesetzt aus grauer Energie des Bestandes plus dem Energieaufwand für den Betrieb) kann im Vergleich zum Neubau eine Um- und Weiternutzung klimaschonender umgesetzt werden. Die Erhebung des Leerstandes in Kombination mit einer Bestandsaktivierung bzw. -mobilisierung wäre daher dem Neubau vorzuziehen (Koch, 2020). Aus der Leerstandserhebung ließen sich mit Berücksichtigung der österreichweiten Binnenmigration sowie einer Fokussierung auf die menschlichen Bedürfnisse die Wohnrealitäten und deren Abweichungen auf regionaler Ebene ermitteln. Anknüpfend daran ließen sich regional abgestimmte und detaillierte Maßnahmen zur Deckung des Wohnbedarfs für alle Bevölkerungsgruppen ableiten. Auf dieser Basis könnten Abgaben und Sanktionen für spekulativen Leerstand umgesetzt werden (Allianz Nachhaltige Universitäten in Österreich, 2021).

Es braucht Ausschreibungen zur Entwicklung und Erforschung nachhaltiger und zukunftsfähiger Wohnformen. In gezielten Forschungsförderungsausschreibungen würden für die Bundesländer regional spezifische Themenfelder in Abstimmung mit dem übergeordneten Forschungsprogramm ausgerichtet auf die Themen (1) Aktivierung und Attraktivierung des Wohnbaubestandes, (2) Restrukturierung der Flächenverbräuche und Dekommodifizierung des Wohnraums, (3) Ausbau des gemeinnützigen Wohnbaus und Förderung alternativer Wohn- und Wohnbaukonzepte sowie (4) die Nutzung von Commons.

4.4.1 Aktivierung und Attraktivierung des Wohnbaubestandes

In der Bereitstellungsperspektive wird zunächst das Feld der Aktivierung und Attraktivierung des Wohnbaubestandes in den Fokus genommen. Das achtsame Erhalten, Reparieren und Weiterdenken durch städtebaulich übergreifende Ansätze und gemeinwohlorientierte Kooperationen sowie Beteiligungskonzepte haben in Kombination mit Lebenszyklusbetrachtungen und zirkulären, ökologischen Materialeinsätzen klimafreundliche Potenziale. Die Aktivierung und Attraktivierung des Wohnbaubestandes senkt die Neubautätigkeiten und beugt der weiteren Ausbreitung der Siedlungsflächen in Form von zunehmender Versiegelung des Bodens vor (Ebinger et al., 2001).

Die Sanierung von privaten Mietwohnungen könnte durch eine verkürzte Absetzung von Sanierungskosten oder alternativ mit Investitionsprämien unterstützt werden (Amann, 2019). Diese Vorgangsweise würde auf die Bereitschaft vieler Haus- und Wohnungseigentümer, in die eigene Immobilie zu investieren, treffen. Klassische steuerliche Förderungen bevorzugen reichere Haushalte. Dieser Effekt würde mit dem Förderungsmodell dann neutralisiert, wenn die anerkennbaren Kosten gedeckelt und Niedrigverdiener alternativ eine Negativsteuer in Anspruch nehmen könnten. Der Mechanismus der Weitergabe der steuerlichen Vorteile ist zu einem signifikanten Anteil notwendig, um die Einsparungen auch bei Mieter_innen wirksam werden zu lassen. Um Häuser einer aktiven Nutzung zuzuführen, ist es sinnvoll, den Bestandsschutz mit einer besseren Rechtslage gegen Abbruch und Leerstand auszustatten. Der Forschungsansatz der Convivial Conservation analysiert die Relevanz der Nutzung für eine Bestandspflege sowohl im großen naturräumlichen Zusammenhang als auch im gebauten Gefüge (Büscher & Fletcher, 2019).

Mit dem verstärkten Blick auf den Bestand und somit auf die Sanierungen wird eine Verschiebung im fachlich-technischen wie auch im handwerklichen Bereich des Baugewerbes einsetzen, samt adäquater Instrumente der Umschulung sowie Fördermechanismen ebenso wie eine Verlagerung der Wirtschaftsleistung (Amann, 2019). Für den Einsatz neuer ökologischer Materialien sind Änderungen der Bauordnungen sowie Förderungs- und Anreizmaßnahmen ebenso notwendig wie eine adaptierte Ausbildung der Professionist_innen. Im Rahmen der sozioökologischen Transformation der Bauwirtschaft muss auch den Arbeitsbedingungen, der Entlohnung und dem Status von Bauarbeiter_innen begegnet werden (QV Arbeit). Vor allem stellt die hochwertige und kostengünstige Sanierung während voller Bewohnung die Planung wie die Umsetzungsphase vor neue Herausforderungen.

4.4.2 Restrukturierung des Flächenverbrauchs und Dekommodifizierung des Wohnraums

Wenn durch Verteilungsgerechtigkeit anstelle immer kleinerer Wohnungen für niedrige Einkommen das Reduktionspotenzial am oberen Ende des Flächenspektrums eingelöst werden kann, dann muss die Frage, wie viel Wohnfläche pro Person angemessen ist, in Zukunft demokratisch verhandelt werden. Denn: Jeder Quadratmeter Wohnraum, der nicht neu gebaut werden muss, trägt zur Emissionsreduktion bei.

Wenn man den Forschungen im Rahmen der Gesellschaft-Natur-Perspektive folgt, kann Ziel und Maßstab für die Bewertung wohnungspolitischer Programme und Regelungen die Dekommodifizierung sein, also das Herauslösen der Wohnungsversorgung aus den Logiken des Marktes (Holm, 2019). Mit dieser Maßnahme wird anerkannt, dass die Wohnung keine marktförmige Ware zur Erzielung von Kapitalprofiten ist. Die bestehende Planungspraxis weist den Kommunen hoheitsrechtliche Befugnisse der Wohn- und Gewerbebebauung in ihrem Gemeindegebiet zu. Komplementär zur Stärkung dieser lokalen Ebene ist eine verbindliche Koordination wohnungspolitischer Strategien der Regionalplanung laut Expert_innen sinnvoll (Weißermel & Wehrhahn, 2020; vgl. Allianz Nachhaltiger Hochschulen, 2021). Allein der Anschein, dass die politischen Maßnahmen zur weiteren Renditesteigerungen im Immobiliensektor dienen und in weitere Verknappung von leistbarem Wohnraum münden, kann zu einer wachsenden Skepsis und Abwehrverhalten gegenüber klimarelevanten Maßnahmen bis hin zum Scheitern derselben führen (Weißermel & Wehrhahn, 2020). Die Handlungsoption der Dekommodifizierung und Restrukturierung der Flächenverbräuche zielt daher auf die Entkoppelung vom freien bzw. gewerblichen Wohnungsmarkt ab. Die territoriale Verteilung von bestehendem Wohnraum kleinmaßstäblich zu erfassen und Verdrängung sowie Segregation der Menschen durch steigende Immobilienpreise und die damit verbundene Ungleichheit und Schwächung der sozialen Inklusion und Armut abzubilden, stellt einen wesentlichen Punkt im Zusammenhang mit Wohnraum, Energiearmut und gesamtgesellschaftlich klimafreundlichen Lebensweisen dar. Finanzielle Umlagen von energetischen Sanierungsmaßnahmen und Investitionen können dabei zu einem Instrument der Miet- und Renditesteigerung werden und als ungerechte Aufteilung klimapolitischer Kosten verstanden werden, insbesondere für einkommensschwächere Bevölkerungsgruppen (Weißermel & Wehrhahn, 2020). Um Verteilungs- und Umweltkonflikte zu lösen oder zu vermeiden, ist es unerlässlich, Klima- und Umweltgerechtigkeitsfragen mit einzubeziehen, um leistbares und klimafreundliches Wohnen zu ermöglichen. Die Kommodifizierung und Renditisierung der Wohnungswirtschaft birgt dabei die Gefahr, soziale Belange gegen Klimaschutz und andere ökologische Anliegen auszuspielen (Weißermel & Wehrhahn, 2020).

Effektives kommunales Handeln im Bereich des dekarbonisierten und gemeinnützigen Wohnens hängt von einer entsprechenden Verfügbarkeit von kommunalem Boden und Wohnungsbeständen ab und kombiniert die Bereitstellungs- und Marktperspektive. Da vor allem der Bodenpreis ein zentraler Faktor für die Preisgestaltung von Wohnraum ist, sollte sich die Dekommodifizierungspolitik nicht allein auf Wohnungen beschränken, sondern auch den Boden als endliche Ressource mit einschließen. Eine Reihe bereits bestehender Instrumente können von der Planungspolitik und der öffentlichen Verwaltung verstärkt genutzt werden, um der voranschreitenden Kommodifizierung des Wohnraums und zunehmenden Flächenverbräuchen entgegenzuwirken (Heindl, Kittl, 2019, Architekturzentrum Wien, 2020). Die Bodenvergabe für Wohnbauzwecke ist über gemeinnützige Organisationsformen wie dem Erbbaurecht weiterzuentwickeln (Kaltenbrunner & Schnur, 2014). In diesem Zusammenhang ist auch die Stärkung ökologischer Ziele in der Vertragsraumordnung sinnvoll.

Die Anwendung bestehender Instrumente in Raumordnung und Stadtplanung, wie z. B. Widmung auf Zeit, Rückwidmung, Enteignung, Baulandumlegung etc., harren einer verstärkten Nutzung in der Praxis. Die österreichische Raumordnungskonferenz (ÖROK) empfiehlt, Umwidmungen nur noch so sparsam wie möglich vorzunehmen und – wenn eine Umwidmung nötig ist – die Bodenflächen nur auf Zeit zu widmen und dies mit einem Vorkaufsrecht der Gemeinde zu koppeln (ÖROK-Empfehlung Nr. 56: „Flächensparen, Flächenmanagement & aktive Bodenpolitik“, 2017). In Bezug auf die generelle Versiegelungsproblematik – der Versiegelungsgrad (versiegelte Fläche/Flächeninanspruchnahme) produktiver Böden liegt 2019 in Österreich bei 7 Prozent der Landesfläche und 18 Prozent des Dauersiedlungsraumes (Umweltbundesamt, 2020) – ist auf rasche Umsetzung des Vorhabens der Bundesregierung zu hoffen, eine umfassende bundesweite Bodenschutzstrategie zu erarbeiten, um den Flächenverbrauch zu bremsen. (Verweis Kap. 19)

Die Widmungskategorie „Geförderter Wohnbau“ in Wien ist beispielgebend für eine soziale Gestaltung des boden- und ressourcenverbrauchenden Neubaus und kombiniert die Gesellschafts- und Marktperspektive. Wenn in (Um-)Widmungsverfahren diese Kategorie beschlossen wird, muss laut Wiener Bauordnung „überwiegend“ geförderter Wohnbau errichtet werden, die Planungsgrundlagen präzisieren „überwiegend“ mit zwei Drittel Anteil geförderter Wohnbau. Auch ein Anteil von 75 Prozent oder sogar 100 Prozent geförderter Wohnbau kann im einzelnen Widmungsverfahren vorkommen, ist aber kein Grundsatz. Diese Regelung kommt nicht nur bei Neuausweisungen, sondern auch bei Erhöhung der zulässigen Dichte im Bestand (ab 5000 m2) zur Anwendung. Geförderter Wohnbau ist gekoppelt an einen maximalen Bodenpreis pro erreichbarer Brutto-Grundfläche (BGF-)Wohnnutzfläche, der weit unter dem freien Marktpreis liegt. Von diesem Instrument erhofft man, die Spekulation am Bodenmarkt zu reduzieren und durch Kostenreduktion bei Grund und Boden den Weg für ökologische Investitionen zu öffnen. In abgeänderter Form wird im Land Salzburg mittels „Vorbehaltsflächen zur Sicherung von Flächen für die Errichtung von förderbaren Miet-, Mietkauf- oder Eigentumswohnungen“ (Land Salzburg, 2008) und in Tirol mittels „Vorbehaltsflächen für den geförderten Wohnbau“ (Land Tirol, 2016) aktive Bodenpolitik betrieben. In allen Fällen könnte der Klimabezug noch deutlicher hergestellt werden. Entsprechend wären neue Instrumente, wie z. B. ein Grünflächenfaktor zur Ökologisierung, weiterzuentwickeln und verbindlich zu machen (Hliwa, 2015). Bodenpolitische Förderungen könnten verstärkt qualitätssichernd genutzt werden zur klimafreundlichen Ausgestaltung und zur Hemmung von Energiearmut und Umweltbelastungen.

Eine stärkere Integration von Stadt und Umland (Koch, 2020; Schwarzbauer et al., 2019) und verstärkte Koordinierung der Raumordnung, der Flächenwidmungs- und Bebauungsplanung sind im Sinne der Dekarbonisierung dienlich. Durch engere Zusammenarbeit und vermindertes Konkurrenzdenken zwischen urbanen und ländlichen Gebieten können klimatechnisch synergetische Effekte, wie etwa eine gemeinsame dezentrale klimafreundliche Energiegewinnung, und verbesserte infrastrukturelle Erschließung entstehen, inklusive der Schaffung attraktiver Angebote im öffentlichen Verkehr, wodurch Pendlerbewegungen und Individualverkehr reduziert werden können. Ferner kann eine Entlastung der stark nachgefragten urbanen Räumen auch zu einer Abfederung der unweigerlich steigenden Mietpreise und Segregationsprozesse einhergehen, die beispielsweise für energetisch sanierte Wohnsegmente anfallen (Schwarzbauer et al., 2019) und sozialräumlich zu einer Art Klima-Gentrifizierung führen können.

Auf Bundesebene gibt es mehrere staatlich gestützte Initiativen zur Förderung von Klima- und Umweltschutz im Baubereich: Umweltförderung, Klima- und Energiefonds, klimaaktiv oder Solarwärme. Das Förderprogramm „klimaaktiv mobil“ des Bundesministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK, 2021) bietet Unterstützung für Unternehmen, Gebietskörperschaften und Vereine bei der Umsetzung klimafreundlicher Mobilitätslösungen, die sich auch auf die Raumgestaltung beziehen. Die angebotenen Unterstützungen und Förderungen beziehen jedoch den Aspekt der sozialen Benachteiligung und Armut, der insbesondere für das Thema des leistbaren Wohnraums wichtig ist, so gut wie gar nicht mit ein.

Die Minimierung des Flächenverbrauchs im Wohnsektor hat positive Auswirkungen auf den Schutz der Biodiversität und Ökosysteme, da Flächenversiegelungen vor allem für Offenlandökosysteme einen wesentlichen Gefährdungsfaktor darstellen und somit auch auf die Ökobilanz wirken. Die Minimierung der Flächenverbräuche und -versiegelungen durch Gebäude ist auch eine wichtige Maßnahme zur Sicherung der lokalen Ernährungssouveränität (QV Ernährung). Die Erweiterung des Nichtwohnnutzungsbestands, z. B. die Aufstockung von Handelsimmobilien, unterstützt ebenfalls den Effekt der Flächeneinsparung. Um neue Finanzierungsmodelle, die den Umwelt- und Klimaschutz in den Mittelpunkt stellen, zu entwickeln, wäre die steuerliche Bevorteilung von Gemeinden bei Maßnahmen zur Reduktion der Flächenverbräuche und Intakthaltung der bestehenden Gebäudesubstanz denkbar. Die Minimierung der Flächenverbräuche durch verdichtete Siedlungsformen und ortzentrumsnahe Gebäude (QV Raumplanung) oder die generelle Vermeidung von weiter suburbanisierenden Neubauten bieten außerdem die große Chance, den Straßenausbau ebenso wie den motorisierten Individualverkehr zu reduzieren (QV Mobilität).

4.4.3 Ausbau gemeinnütziger Wohnbau und Förderung alternativer und klimafreundlicher Wohn- und Wohnbaukonzepte

Die Förderung von dekarbonisiertem und leistbarem Wohnraum mittels Re-Kommunalisierung bringt die Rückgewinnung kommunaler Handlungsspielräume, Verfügungs- und Optionsmöglichkeiten für sozialökologisch-gerechten Wohnbau mit sich und fokussiert auf die Innovationsperspektive. Sie kann als Voraussetzung angesehen werden, angemessene Fördermöglichkeiten und Wohnbausegmente zu schaffen. Dafür braucht es:

  • eine konsequente Durchsetzung des öffentlichen (kommunalen) Vorkaufsrechts für Boden und Wohnungen (gegebenenfalls mithilfe zinsloser Kredite);

  • höhere Umverteilungsabgaben für umgewidmete Flächen (Anregung zur Refinanzierung weiterer Flächen) mit Vorrang für klimafreundliche und sozialverträgliche Ausgestaltung der gemeinnützigen oder genossenschaftlichen Bauplanung (in diesem Kontext ist in Österreich die Frage nach der Doppelbesteuerung zu klären);

  • eine stärkere Vernetzung und Kooperation von urbanen Regionen und ländlichen Gegenden und Stärkung der regionalplanerischen Ebene als Abstimmungsorgan;

  • eine Reform kommunaler Einnahmen (z. B. durch Loslösung von Einkommens- und Gewerbesteuer oder einem regionalen Finanzausgleich) sowie

  • die rechtliche Verortung hoheitlicher Flächenwidmungs- und Bebauungsplanung auf der überregionalen Planungsebene.

Die Reduktion sozialökologischer Ungleichheiten, das Zusammendenken von klimaneutraler und klimagerechter Wohnversorgung sind auf den gesellschaftlichen Mehrwert und das Gemeinwohl ausgerichtet und beruhen auf Verteilungsmechanismen, z. B. Formen der Gemeinnützigkeit. Eine Intensivierung des kommunalen Wohnbaus bzw. sozialer Wohnbauförderung stellt ein aktives (staatliches) Steuerungsinstrument für erschwingliche Mietpreise und gesellschaftlichen Zusammenhalt im Sinne einer sozialen Durchmischung dar. Wichtig ist ein niederschwelliger, inklusiver Zugang ohne hemmende Anforderungen wie Melde- oder Arbeitsdauer. Die Vergabe von geförderten Wohnungen ist eine wichtige Ressource zur Wohnversorgung von Menschen mit niedrigem Einkommen und Menschen mit besonderen Bedarfslagen. Die geförderten sozialen Wohnsegmente, die es bereits gibt, sind für Menschen mit niedrigem Einkommen oft nicht leistbar (Koch, 2020). Dabei ist es wesentlich, gesellschaftspolitische Zielorientierungen wie Inklusion und De-InstitutionalisierungFootnote 1 im Vergabeprozess stärker zu berücksichtigen und Zugänge für Menschen mit Behinderungen zu vereinfachen.

4.4.3.1 Verbesserung der Vergabeinstrumente von gefördertem Wohnraum

Auch eine Verbesserung der Vergabeinstrumente von gefördertem Wohnraum kann als Hebel dienen, um Klimaschutzmaßnahmen im Wohnsegment sozial- und umweltgerechter zu verteilen. In diesem Zusammenhang sind soziale Zielgruppenorientierung und nichtdiskriminierende Zugänge zur Vergabe von gefördertem Wohnraum sowie ökologisch angemessene Verfügbarkeit desselben zu berücksichtigen. Dafür bedarf es der Abschaffung diskriminierender Vorgaben, z. B. Mindestwohn- (hier Meldedauer-) oder Arbeitsdauer als Vorbedingung zur Vergabe von sozialem Wohnraum. Das würde derzeitigen Arbeitsrealitäten mit zunehmenden prekären Arbeitsverhältnissen, wechselnden Arbeitgeber_innen und Wohnorten Rechnung tragen; andernfalls wären viele systemrelevante Arbeitskräfte mit oft niedrigerem Einkommen stark benachteiligt. Die Gesellschaft-Natur-Perspektive fordert, dass die Vergabe transparenter und treffsicherer werden soll, besonders im Sinne einer klimagerechten TeilhabeFootnote 2 für Personen mit besonderen Bedarfslagen (BAWO, 2017; Dollinger, 2010; EcoAustria, 2018).

4.4.3.2 Abbau von Hindernissen in Normen – weitere Fördermechanismen zur sozialgerechten Teilhabe am klima- und umweltfreundlichen Wohnen

Der österreichische Rechnungshof stuft Österreichs bisherige Ansätze und Klimaschutzmaßnahmen besonders im Hinblick auf die Themen „Energiearmut“ und „Teilhabe an klimafreundlichem Wohnen“ als unzureichend ein und empfiehlt die Etablierung einer nationalen Gesamtstrategie gegen Energiearmut, welche über die rein finanzielle Unterstützung hinausgeht und notwendige flankierende Maßnahmen mitdenkt und plant (Rechnungshof, 2020). In diesem Zusammenhang werden auch Überlegungen zu staatlichen Regelungen für Energieversorger für eine sozial angemessene Energieversorgung und Preisgestaltung bedacht, die die Not energiearmer Haushalte lindern könnte, wie beispielsweise Abschaltverbote im Winter, einkommensgestaffelte Energietarife, sozialverträgliche Ratenzahlungen etc. (Rechnungshof, 2020). Um eine weitere Säule zur Bekämpfung von Energiearmut zu etablieren, wäre die Einrichtung von Energie- und Klimahilfsfonds denkbar, die betroffenen Haushalten unbürokratische Hilfen (kurz-, mittel-, langfristig) bieten. Dafür werden von der EU-Kommission sowie der Arbeiterkammer Vorschläge zu Energie- und Klimahilfsfonds eingebracht, die auch als Kompetenzzentrum oder interministeriale Stabsstelle (Arbeiterkammer (AK), 2019) für die Erarbeitung angemessener Maßnahmen, Strategien und Fördermechanismen zur Bekämpfung von Energiearmut gedacht werden (Armutskonferenz, 2019, 2020; EU-Kommission, 2020; Weißermel & Wehrhahn, 2020). Konkret könnten mit öffentlicher Unterstützung z. B. ineffiziente Elektro-Altgeräte in einkommensschwachen Haushalten durch energieeffiziente Geräte ersetzt werden.

4.4.3.3 Gemeinwohlorientierung

Aus einer Gesellschaft-Natur-Perspektive ist der Einfluss des Finanzsektors im Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz unter genauere Beobachtung zu stellen: Mittlerweile sind bereits über 40 Prozent des Gesamtbestandes der gemeinnützigen Wohnungen vom Einfluss des Finanzsektors betroffen (Orner, 2020). Das betrifft die direkte sowie indirekte Beteiligung von Banken und Versicherungen an Kapitalgesellschaften sowie Genossenschaften, die über Verträge mit Kapitalgesellschaften verbunden sind. Weiters ermöglicht die gesetzliche Eigentumsoption bei gemeinnützigen Wohnbauvereinigungen Mieter_innen, ihre Wohnung bereits nach fünf Jahren privat zu kaufen (Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz § 15b), was letztlich eine Privatisierung von gemeinnützigem Wohnungsbestand bedeutet. Um das Gemeinwohl zu stützen, ist es sinnvoll, dass bei freiwilligem Weiterverkauf im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten diese verkauften Wohnungen dauerhaft gleichen Mietzinsbeschränkungen unterliegen wie jene der gemeinnützigen Wohnbauvereinigungen, da derzeit die WGG-Novelle 2019 lediglich ein 15-Jahre-Limit der Mietobergrenzen vorsieht.

Die Stützung des Gemeinwohls, insbesondere mit Blick auf Klimaschutz und klimagerechte Maßnahmen, kann nur als Gemeinschaftsaufgabe gelingen. Ein verengter Blick auf vorrangig eigene Lokalinteressen von Wohnungs- oder Gewerbeneubau drängt die Gemeinden in einen Wettbewerb um die Ansiedelung von möglichst einkommens- und umsatzstarken Einwohner_innen und Unternehmer_innen ungeachtet ökologischer, klimarelevanter und sozialer Notwendigkeiten. Eine weitere Idee für eine Maßnahme, die als Hebel für eine bessere Versorgung mit bezahlbarem Wohnraum sorgen könnte, ist die stärkere planerische und raumordnerische Vernetzung und Zusammenarbeit zwischen städtischen und ländlichen Gebieten. Im Sinne von „Leave no one behind“ (LNOB) beinhalten die oben genannten Maßnahmen auch eine Wohnumfeldförderung zur klimafreundlichen Ausgestaltung und zur Hemmung von Energiearmut, Enge und Umweltbelastungen.

4.4.3.4 Nachverdichtung

Der gemeinnützige Wohnbau, wie er derzeit in Österreich praktiziert wird, steht mit privaten Konkurrent_innen um bezahlbares Bauland im Wettbewerb. Obwohl heute bereits rund 20 Prozent aller Österreicher_innen und rund 45 Prozent der Wiener_innen in einer Gemeinde- oder Genossenschaftswohnung wohnen (Schwarzbauer et al., 2019; Van-Hametner et al., 2019), werden Wohnsegmente aus dem sozialen Wohnungsbau trotzdem nicht dem steigenden Bedarf an leistbarem und umwelt- bzw. klimafreundlichem Wohnraum gerecht (Van-Hametner et al., 2019). Um den zukünftigen Anforderungen Rechnung zu tragen, empfehlen Expert_innen, dass bestehende Strukturen zur Baulandmobilisierung nachverdichtet werden, vor allem in Gebieten mit großen, zusammenhängenden Wohnsiedlungen durch den Überbau von Garagen oder Parkplätzen sowie Neubau oder Dachausbau (Gruber et al., 2018). Zusätzlich ist anzudenken, dass private Projektentwickler_innen und Investor_innen bei Nachverdichtung verpflichtend einen Teil der Wohnungen langfristig als Sozialwohnungen realisieren und kostengünstig vermieten. Eine systematische Untersuchung der Nachverdichtung und inwiefern gesteckte Ziele erreicht wurden liegt derzeit nicht vor (Gruber et al., 2018). Zuständigkeiten liegen hier beim Bund und bei den Ländern.

4.4.3.5 Innovative Wohnformen fördern

Durch die Förderung von innovativen Wohnformen und -konzepten, gekoppelt mit kooperativer Baulandentwicklung und Konzeptverfahren kann sich ein multidimensionales Potenzial entfalten, welches die Innovationsperspektive unterstützt. Dies kann gefördert werden durch Modellprojekte und Best-Practice-Beispiele, die bei Erfolg Vorbildfunktionen entfalten.

Alternative Wohnbaukonzepte, z. B. in Form von Baugruppen, Eco Villages, Mietshäusersyndikaten etc., können neuartige und inklusive Zugänge in ökonomischer, ökologischer und sozialer Hinsicht für den Wohnbau befördern. Die Etablierung eines österreichweiten Förderfonds sowie die Beforschung und Abschätzung der wesentlichen Übertragbarkeit in den geförderten Wohnbausektor wären nützlich, ebenso öffentlich finanzierte Informations- und Beratungsstellen. Exemplarisch sei erwähnt, dass die Etablierung von Plattformen für Liegenschaftseigentümer_innen, die ihre Grundstücke gemeinnützigen Wohnformen zuführen möchten, anstatt sie an gewerbliche Bauträger bzw. Entwicklungsfonds zu verkaufen, hier angesiedelt werden könnte.

Eine Unterstützung für alternative Wohnformen bieten z. B. gezielte Projektförderungen von Co-Wohnformen (Social Cohousing), in denen sich Wohngemeinschaften (auch im Mehrgenerationenkontext) zusammenfinden und beispielsweise Wohngebäude gemeinschaftlich nutzen mittels eigener kleiner Genossenschaften und Stiftungen (PT.RWTH, 2012). Die Entwicklung neuer Genossenschaften mit Bezug zu sozialökologischen Wohnkonzepten könnten neue Möglichkeiten der Teilnahme eröffnen. Alternative Wohnkonzepte als Nische beziehen sich auf unkonventionelle, nicht etablierte Wohnformen wie z. B. mobiles und modulares Wohnen, Ökodörfer, Baugruppen in verschiedenen regionalen Settings, gemeinschaftliche Boden- und Wohnraumnutzungen, Cohousing etc. Darüber hinaus könnten alternative Wohnformen und Communities helfen, den Mangel an leistbarem Wohnraum zu verringern. Hierzu sind vereinfachte Freigaben und Bestimmungen sowie gezielte Förderungen bestimmter Gebiete und Flächen für alternative Wohnkonzepte, mobiler experimenteller Wohnbau gekoppelt mit ökologischer Ausrichtung zu entwickeln. Ein vereinfachtes Genehmigungsverfahren für die Nutzung mobiler Wohnobjekte wäre eine klimagerechte Teillösung, die einerseits der Problematik des knappen sozialverträglichen Wohnraumangebots gerecht wird und andererseits keine Versiegelung von neuen Flächen oder Rodungen mit sich bringt. Studien aus verschiedenen Ländern haben gezeigt, dass alternative Wohnformen auch zu einem ressourcenreduzierten Lebensstil beitragen und im Vergleich zu herkömmlichen Wohngebäuden auch im Bereich der Energiebilanz positiv auffallen (Ford & Gomez-Lanier, 2017; Jackson et al., 2020; PT.RWTH, 2012).

Der Zusammenhang zwischen Klima und alternativen Wohnkonzepten findet in der gegenwärtigen Forschungslandschaft in Österreich geringe Berücksichtigung. Eine vertiefte wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den in Österreich realisierten Wohnprojekten würde einen mehrfachen Erkenntnisgewinn in ökonomischer, ökologischer und sozialer Nachhaltigkeitsdimension bedeuten. Expert_innen stufen das Herausarbeiten der Übertragbarkeit in den allgemeinen Wohnungsbau und hier speziell in den geförderten Wohnbau in den Forschungsprojekten als wesentlich ein (Lang & Stoeger, 2018; Höflehner et al., 2019; Jany, 2019; van Bortel & Gruis, 2019).

4.4.3.6 Nutzung von Commons und Ressourcen

Dieser Abschnitt bezieht sich auf Handlungsoptionen und Akteur_innen im Hinblick auf die Nutzung von Commons und Ressourcen, die für den Wohnbau relevant sind. Im Kontext sozialökologischer Bauwirtschaft stellt sich die Frage der Verteilungsgerechtigkeit in Bezug auf das „Anzapfen“ von Ressourcen.

Urban Mining bzw. städtischer Bergbau ist ein Mittel zur Steigerung von Ressourceneffizienz von Städten und fördert eine Rückgewinnung von Sekundärrohstoffen im Sinne einer Kreislaufwirtschaft im Bauwesen. Der Verbrauch von Primärrohstoffen kann somit gesenkt werden. Dies ermöglicht auch eine weitgehende Unabhängigkeit vom Import. Dafür benötigt es die Erstellung eines Ressourcenkatasters zur Identifikation anthropogener Lager und die Vernetzung von Akteur_innen entlang der Wertschöpfungsgrenze (Allesch et al., 2019; Kral et al., 2018).

Ressourceneffizienz im urbanen Raum wird verbessert durch die Nutzung von Recycling-Baumaterial einerseits und materialbewusster Konstruktion im Rahmen kreislaufbewussten Bauens und späterer Materialwiederverwendung andererseits (Kakkos et al., 2020). Die Möglichkeiten, die sich aus kreislauffähigem Bauen ergeben, sind auch im sozialen Wohnbau vielfältig. Neben der Bestandsnutzung und Bestandsumnutzung finden sich Möglichkeiten der Ressourcenschonung in Materialbörsen, im Recycling von Aushub- und Mutterboden und deren Verbringung auf Eigengrund u. v. m.

Weitere Ressourcen stellen die Umweltenergien dar, wie unter anderem Solarenergie, Grundwasser, Erdwärme, Windenergie. Deren „Anzapfen“ stellt die noch ungelöste Frage der Zugriffsrechte auf das Gemeingut. Ein Beispiel liefern einige Neubauprojekte entlang des Wiener Donaukanals, die das Flusswasser zur Kühlung der Gebäudestruktur nutzen. Für die begrenzte Nutzungsmöglichkeit dieser Ressource ist eine gesellschaftspolitische Diskussion nötig. Denn Umweltenergien sind bislang kostenlos, es kann sie jedoch nicht jede_r in gleicher Form nutzen, nachdem die technischen Ernteeinrichtungen nicht kostenlos und die Ressourcen für deren Herstellung zumeist nicht kostenwahr und sozialfair abgebildet werden. So können öffentliche Förderungen für Photovoltaik(PV)-Anlagen nur abgerufen werden, wenn eine Fläche zur Abholung der Sonnenenergie vorhanden ist. Bei der Konsumation von Umweltenergien, deren Quelle sich regenerieren muss wie etwa bei Erdsonden, ist der Einsatz von Regenerationstechnologie wichtig (Hofer et al., 2020).

Besondere Verteilungsfragen birgt der Zugang zur vermeintlich kostenlosen Ressource der Sonnenenergie in sich, deren Nutzen jedoch abhängig ist von der Zugriffsmöglichkeit auf Dach-, Wand- und Bodenflächen, die jedoch höchst ungleich verteilt ist. Photovoltaikanlagen stehen zudem immer wieder im Konflikt mit dem kollektiven Gut des Orts- und Landschaftsbildes. Hier besteht sowohl im städtischen als auch im ländlichen Gebiet dringender Handlungsbedarf, besonders in Gemeinden, die aufgrund aktueller Planungsvorhaben großflächiger Photovoltaikanlagen in der Naturlandschaft unter Entscheidungsdruck stehen.

Resümierend lässt sich festhalten, dass die Verknappung des Wohnraums und die zunehmende Flächenversiegelung geprägt sind durch Finanzialisierung und Bodenspekulation. Von öffentlicher Seite ist es aufgrund einer Austeritätspolitik, aber auch aufgrund der knappen Ressource von Grund und Boden schwierig, neuen Wohnraum in angemessener Qualität und in ausreichendem Umfang unter Berücksichtigung klimarelevanter Faktoren zu schaffen (Jackson et al. 2020; PT.RWTH, 2012). Der Verkauf kommunaler Flächen und Wohneinheiten, beispielsweise im Zuge von Finanzkrisen (z. B. 2008) und weiterer Marktliberalisierung, ist für die Gestaltung von sozial, ökologisch und ökonomisch angemessenem Wohn- und Lebensraum problematisch. Um dekarbonisierten, sozialökologisch gerechten Wohnbau im Sinne des Gemeinwohls zu ermöglichen, müssen staatliche und kommunale Stellen vermehrt Verfügungs- und Handlungsspielräume zurückgewinnen, wobei verschiedene Maßnahmen aufzugreifen sind. Das beinhaltet unter anderem die konsequente Nutzung des Bestands, kreislaufwirtschaftliche Ressourcennutzung, sozialverträgliche Zugänge zu Wohnraum sowie die Änderung bestehender Regelungen zugunsten eines gemeinwohlorientierten Klimaschutzes.