4.1 Einleitung

Im transformativen Prozess der Digitalisierung kommt der Grundschule als Ort des gemeinsamen Lernens aller Kinder eine besondere Rolle zu, da sie fachübergreifend informatische Bildungsinhalte bearbeiten soll und bisher kein eigenständiges Fach Informatik kennt. Zu den erweiterten Kompetenzfacetten, die durch die Kultusministerkonferenz (2017) in ihrem Strategiepapier formuliert wurden, gehört u. a., dass die Schülerinnen und Schüler algorithmische Strukturen in digitalen Werkzeugen erkennen und formulieren sowie eine strukturierte, algorithmische Sequenz zur Lösung eines Problems planen und einsetzen können. Daraus ergibt sich ein Lernbedarf für die Schülerinnen und Schüler (u. a. Umgang mit Algorithmen) und damit einhergehender Fortbildungsbedarf für Grundschullehrkräfte (u. a. Gestaltungsgrundlagen entsprechender Lernumgebungen).

Der vorliegende Beitrag greift die Kompetenzfacetten zum Computational Thinking auf und zeigt exemplarisch, wie diese im Mathematikunterricht der Grundschule gefördert werden können. Zu deren Förderung wurden verschiedene geometriebezogene Lernumgebungen auf der Unterrichtsebene (Studie 1, s. Abschn. 4.3) sowie auf der Fortbildungsebene (Studie 2, s. Abschn. 4.4) entwickelt.

Im Folgenden wird zuerst der theoretische Hintergrund zum Konzept des Computational Thinking erläutert, die Konzeption von mathematischen Lernumgebungen vorgestellt sowie das 3-Tetraeder-Modell als Orientierungspunkt für die Entwicklung von Lernumgebungen und Fortbildungen einbezogen (s. Abschn. 4.2). Im Anschluss daran wird zum einen die qualitative Untersuchung von Potenzialen einer Lernumgebung zur Förderung des Computational Thinking sowie möglicher Weiterentwicklungsansätze vorgestellt (s. Abschn. 4.3). Zum anderen werden aufbauend auf der theoretischen und empirischen Grundlage der Unterrichtsebene die Herleitung eines entsprechenden Fortbildungsdesigns sowie laufende Begleitforschung präsentiert (s. Abschn. 4.4).

4.2 Theoretischer Hintergrund

4.2.1 Computational Thinking

Die Definition des Computational Thinking der ICILSFootnote 1-Studien (Fraillon et al., 2019) kann als Synopse aus verschiedenen Argumentationssträngen verstanden werden und liegt dieser Arbeit zugrunde.

Computational Thinking

Computational Thinking bezieht sich auf die Fähigkeit einer Person, Aspekte realweltlicher Probleme zu identifizieren, die für eine [informatische] Modellierung geeignet sind, algorithmische Lösungen für diese (Teil-)Probleme zu bewerten und selbst so zu entwickeln, dass diese Lösungen mit einem Computer operationalisiert werden können. Die Modellierungs- und Problemlösungsprozesse sind dabei von einer Programmiersprache unabhängig. Der Europäische Rahmen für die digitale Kompetenz von Lehrenden beschreibt in sechs Bereichen die professionsspezifischen Kompetenzen, über die Lehrende zum Umgang mit digitalen Technologien verfügen sollten. Die Bereiche umfassen die Nutzung digitaler Technologien im beruflichen Umfeld (z. B. zur Zusammenarbeit mit anderen Lehrenden) und die Förderung der digitalen Kompetenz der Lernenden. Kern des DigCompEdu-Rahmens bildet der gezielte Einsatz digitaler Technologien zur Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung von Unterricht.

Weitere Definitionen stammen u. a. von Wing (2006) oder Angeli et al. (2016). Da jedoch allgemein anerkannte Teilkompetenzen im Fokus stehen, sind die geringfügigen Unterschiede der Definitionen nicht zentral. Stattdessen ist relevant, dass beim Computational Thinking eine Person sich eines realweltlichen Problems annimmt und dieses mithilfe von Algorithmen und weiteren Problemlösestrategien, die dem Computational Thinking inhärent sind, bearbeitet. Dabei ist, in einer breit gefassten Definition, zunächst nicht entscheidend, ob ein Computer bei diesem Prozess involviert ist oder nicht (Wing, 2006). Vielmehr ist das Computational Thinking eine Art des Denkens (Knöß, 1989, S. 121), die dazu genutzt wird, um Probleme zu lösen.

Innerhalb des Computational Thinking lassen sich mehrere Teilkomponenten identifizieren, die sich nach Autor und Jahr unterscheiden. Für die hier vorgestellten Studien sind die fünf Komponenten, die Problemlöseprozesse im Allgemeinen kennzeichnen, von Angeli et al. (2016) maßgeblich:

  1. 1.

    Beim Abstrahieren müssen relevante Eigenschaften eines Problems abgeleitet und von irrelevanten Eigenschaften abgesehen werden. Dies kann auch anhand von Alltagsproblemen erfolgen.

  2. 2.

    Generalisieren bezeichnet das flexible Formulieren und Lösen von Problemen, damit diese auf ähnliche Problemstellungen übertragen werden können. Hierbei spielt das Erkennen von Mustern eine wichtige Rolle.

  3. 3.

    Dekomposition meint das Zerlegen komplexer Probleme in Teilprobleme, um diese leichter verstehen und lösen zu können.

  4. 4.

    Beim algorithmischen Denken geht es darum, eine Schritt-für-Schritt-Anleitung zum Lösen eines Problems zu finden. Es bezeichnet die Fähigkeit, in Form von Sequenzen und Regeln zu denken.

  5. 4.1.

    Beim Sequenzieren müssen die identifizierten Teilprobleme in einen Algorithmus übersetzt werden.

  6. 4.2.

    Der Kontrollfluss dient dazu, die Teilschritte in die korrekte Reihenfolge zu bringen und während des Programmierens immer wieder zu kontrollieren. So wird sichergestellt, dass der Algorithmus funktioniert.

  7. 5

    Debugging umfasst die Kompetenz, Fehler in einer Problemlösung bzw. in einem Algorithmus zu finden und zu beheben.

Dem algorithmischen Denken kann außerdem gemäß Knöß (1989) auch die grundlegende Tätigkeit des Verstehens von Handlungsabfolgen zugeordnet werden. Algorithmen werden somit nicht nur generiert, sondern auch nachvollzogen.

4.2.2 Lernumgebungen als Planungs- und Organisationskonzept

Das Konzept der Lernumgebungen (vgl. auch Abschn. 1.4 in Band 1) bildet einen geeigneten Rahmen zur unterrichtlichen Umsetzung selbstbestimmten, aktiv-entdeckenden und sozialen Lernens und wird in diesem Beitrag im Sinne der umfangreichen Arbeiten aus der Mathematikdidaktik verstanden:

Eine Lernumgebung ist eine flexible große Aufgabe. Sie besteht in der Regel aus mehreren Teilaufgaben und Arbeitsaufgaben, die durch bestimmte Leitgedanken – immer basierend auf einer innermathematischen oder sachbezogenen Struktur – zusammengebunden sind (Hirt et al., 2010, S. 13).

Die kleinste Organisationseinheit sind „gute“ bzw. substantielle Aufgaben, die durch natürliche Differenzierung bzw. Selbstdifferenzierung (z. B. Schütte, 2008; Krauthausen & Scherer, 2016) das gemeinsame Lernen an einem Gegenstand trotz unterschiedlicher Ausgangslagen ermöglichen. Dies wird bspw. über eine niedrige Eingangsschwelle für leistungsschwache Schüler und sog. RampenFootnote 2 für leistungsstarke Schülerinnen und Schüler erreicht. Durch die flexible Zusammenstellung der Aufgaben in der Lernumgebung können für die jeweilige Lerngruppe lokale und temporäre Schwerpunkte gesetzt werden, die dann individuell durch die Lernenden bearbeitet werden können. Außerdem werden durch substantielle Aufgaben die Argumentations-, Kommunikations- sowie Problemlösefähigkeiten der Lernenden gefördert (z. B. Wollring, 2009).

Lernumgebung

Lernumgebungen bilden den Rahmen für das selbstständige Arbeiten von Lerngruppen oder individuell Lernenden. Sie organisieren und regulieren den Lernprozess über Impulse, wie z. B. Arbeitsanweisungen.

Lernumgebungen können aber nicht nur in der Schule, sondern auch in der Aus- und Fortbildung (angehender) Grundschullehrkräfte eingesetzt werden. Zum einen haben sich materialbasierte Ansätze in der Lehrkräftebildung als vielversprechender Ansatz für die Vermittlung von fachlichen und fachdidaktischen Inhalten erwiesen (Göb, 2017). Zum anderen werden „Lernumgebungen … als ein Planungs- und Organisationskonzept [angesehen, d. Verf.], mit dem konstruktivistisch orientierte[s] Lernen und ein damit verbundenes positives Lernklima zu realisieren sind. Lernumgebungen bilden somit sinnvolle Organisationseinheiten in der Lehrerbildung“ (Wollring, 2009, S. 14).

4.2.3 Lernumgebungen zum Computational Thinking

Als strukturierendes Element bei der Planung von Lernumgebungen zum Computational Thinking kann das Drei-Tetraeder-Modell (Prediger et al., 2019) genutzt werden. In diesem Modell wurde das didaktische Dreieck um die Ecke der Materialien und Medien zu einem Tetraeder ergänzt sowie strukturgleich auf die Fortbildungs- sowie Qualifizierungsebene übertragen. Die Lehr-Lern-Situation kann dadurch als Ganzes in den Blick genommen, Lernwege der jeweiligen Akteure theoriebezogen gestaltet und forschungsbasiert optimiert werden (Prediger et al., 2019). Abb. 4.1 zeigt die beiden Tetraeder, die für die beiden vorgelegten Studien relevant sind und in der Planung als Strukturmodell genutzt werden können.

Abb. 4.1
figure 1

Drei-Tetraeder-Modell in Anlehnung an Prediger et al. (2019)

Die im theoretischen Hintergrund dargelegten Konstrukte lassen sich dem Tetraeder folgendermaßen zuordnen: Die Teilkomponenten des Computational Thinking können als Strukturierung des Lerngegenstandes herangezogen werden, der durch das Medium Educational Robotics realisiert wird (lila Seitenfläche). Die Anwendung der allgemeinen Leitideen zur Gestaltung von Lernumgebungen lassen sich dem Dreieck Lehrkraft-Lernende-Material/Medien zuordnen (graue Seitenfläche).

Bei der Gestaltung von Lernumgebungen zum Computational Thinking müssen noch weitere Aspekte des Tetraeders berücksichtigt werden. Im Folgenden werden drei davon überblicksartig dargestellt.

Educational Robotics

Eine Möglichkeit, um vor allem junge Kinder an die Teilkomponenten des Computational Thinking heranzuführen, besteht in der Arbeit mit Lernrobotern bzw. Educational Robotics. Sie bilden das eingesetzte Material bzw. Medium und sind in der linken unteren Ecke des Tetraeders zu verorten (Abb. 4.1). In verschiedenen Studien werden die Potenziale von Lernrobotern zur Förderung des Computational Thinking aufgezeigt (z. B. Yanik et al., 2017; Benvenuti & Mazzoni, 2020). In Trainingsstudien mit einfachen Use Bots, wie z. B. dem Bee-Bot oder dem BlueBot, können Leistungszuwächse in Bezug auf die Komponenten Fehlerbehebung, Mustererkennung und Sequenzieren bei Grundschulkindern erzielt werden (Bartolini Bussi & Baccaglini-Frank, 2015; Caballero-Gonzalez et al., 2019). Im späteren Grundschulalter kann auch mit Built-Bots bspw. von LEGO (Yanik et al., 2017) der Aufbau des Computational Thinking fortgeführt werden.

Konzept der pädagogischen Erfahrungen

Kotsopoulos et al. (2017, S. 154) stellen ein pädagogisches Rahmenkonzept für die Förderung des Computational Thinking vor, das vier in ihrer Komplexität aufsteigende pädagogische Erfahrungen umfasst:

  1. 1.

    Unplugged: Erfahrungen mit Materialien ohne digitale Unterstützung;

  2. 2.

    Tinkering: Veränderungen an bestehenden Objekten unter der Frage: „Was, wenn …?“;

  3. 3.

    Making: Aktivitäten zum Erschaffen neuer Objekte;

  4. 4.

    Remixing: Verwendung von (Teil-)Objekten in anderen Objekten bzw. für andere Zwecke.

Jede Stufe stellt höhere kognitive Anforderungen. So ermöglichen die vier Erfahrungen eine zunehmend tiefere Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand. Ihre Abfolge kann variiert oder es können Erfahrungen wiederholt verwendet werden. Dieses Konzept lässt sich auf der Bodenfläche des Tetraeders (Lernende – Unterrichtsgegenstand – Material und Medien) verorten und zur Beschreibung gegenstandsspezifischer Lernwege zur Förderung des Computational Thinking heranziehen (Abb. 4.1).

Scaffolding

Der Ansatz des Scaffolding im Sinne des Use-Modify-Create-Konzeptes kann auf der rechten Fläche des Tetraeders (Lehrkraft-Lernende-Unterrichtsgegenstand) als gegenstandsbezogene Lernunterstützung verortet werden (Abb. 4.1).

Je nach Stufe können den Lernenden nach der Erkundung des Problems unterschiedliche Programmiervorlagen als gegenstandsbezogene adaptive Hilfen im Lernprozess durch die Lehrkraft zur Verfügung gestellt werden (ausführlich Möller et al., 2022):

  • Use: fehlerhafte Programmiervorlage, die zur Lösungsfindung nachgebaut, gelesen und korrigiert werden muss;

  • Modify: stumme Programmiervorlage, in der Leerstellen zur Lösungsfindung noch gefüllt bzw. durch weitere Blöcke ergänzt werden müssen;

  • Create: freies Programmieren ohne Vorlage zur Lösungsfindung.

Im Folgenden werden nun zwei Arbeiten vorgestellt, die das Computational Thinking als gemeinsamen Bezugspunkt im Kontext der Auseinandersetzung mit Lernumgebungen auf den verschiedenen Ebenen thematisieren.

4.3 Potenzial einer Lernumgebung zum Computational Thinking

Am Institut für Mathematik (Landau) wurde eine Lernumgebung zur Förderung des Computational Thinking im Grundschulalter entwickelt. Es wird ein einfacher Use Bot verwendet, der BlueBot (Catlin et al., 2018, Abb. 4.2). Die Lernumgebung wird am außerschulischen Lernort PriMa LernwerkstattFootnote 3 eingesetzt. Ziel der vorgestellten Teilstudie ist es, das Potenzial der Lernumgebung zur Förderung des Computational Thinking aufzuzeigen und zu evaluieren.Footnote 4

Abb. 4.2
figure 2

BlueBot mit Befehlstasten

4.3.1 Methode

Dem Design-based-Research-Ansatz (Gravemeijer & Cobb, 2006) folgend wurden zunächst prototypische Aufgaben zu verschiedenen Teilkomponenten des Computational Thinking – algorithmisches Denken, Fehler finden und beheben, Muster erkennen und verallgemeinern (Angeli et al., 2016) – entwickelt. Im ersten Zyklus wurden die Formulierung, Reihung und Verständlichkeit der Aufgaben für die Zielgruppe erprobt. Im zweiten Zyklus stand das Förderpotenzial der Aufgaben in Bezug auf die Teilkomponenten des Computational Thinking im Fokus. Dazu wurden Videoaufzeichnungen mittels einer strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse (Mayring, 2015) mithilfe der Software MaxQDA kodiert. Ziel der Strukturierung war die theoriegeleitete Erfassung bestimmter Aspekte im Datenmaterial (Mayring, 2015) – hier das Auftreten der Teilkomponenten des Computational Thinking. Das Kategoriensystem wurde deduktiv aus der Theorie entwickelt. Weiter wurden Kodierregeln formuliert und Ankerbeispiele aus dem Material generiert. Das Kategoriensystem wurde durch konsensuelles Kodieren mit drei Forschenden (Projektleitung, wissenschaftliche Mitarbeiterin und studentische Hilfskraft) optimiert. Hierbei wurden Diskussionen zur Konsensfindung eingesetzt (Kuckartz, 2022, S. 244 f.). Die Kodierung erfolgte im Anschluss durch die in den Forschungsprozess eingebundene geschulte Hilfskraft.

Der Kodierleitfaden enthält folgende Haupt- und Subkategorien:

  • Algorithmisches Denken:

    • Sequenzieren (Befehlsfolgen entwickeln)

    • Befehlsfolgen nachvollziehen

    • Kontrollfluss (Lösung evaluieren)

  • Debugging:

    • Fehler finden und erkennen

    • Fehler beheben

  • Muster:

    • Muster erkennen

    • Muster verallgemeinern

Im Folgenden wird auf diesen zweiten Zyklus der Kodierung Bezug genommen.

4.3.2 Stichprobe und Design

Die Lernumgebung wurde mit insgesamt acht Kindern im Alter zwischen 9 und 10 Jahren in Klasse vier erprobt. Die Aufgaben wurden im Tandem an vier aufeinanderfolgenden Terminen à 60 min bearbeitet. Die Lernumgebung besteht aus Aufgabenkarten, einem Forscherheft, digitalen Werkzeugen (BlueBot, Programmierleiste, Tablet) sowie gegenständlichen Materialien (Befehlskarten, Setzleiste, Plan)Footnote 5.

Der Aufbau der Lernumgebung orientiert sich an ausgewählten Teilkomponenten des Computational Thinking (Angeli et al., 2016) und den pädagogischen Grunderfahrungen (Kotsopoulos et al., 2017). So wurde einerseits darauf geachtet, dass in den Aufgabenstellungen verschiedene Teilkomponenten des Computational Thinking angeregt werden können. Andererseits wurden die pädagogischen Grunderfahrungen Unplugged, Tinkering, Making und Remixing in den Aufgaben berücksichtigt:

Zum Einstieg (Modul 1) navigiert ein Kind ein anderes Kind oder ein Stofftier von einem Start- zu einem Zielpunkt durch ein Gitternetz, indem es einen möglichen Weg durch verschiedene Befehle beschreibt. Digitale Werkzeuge kommen noch nicht zum Einsatz (Unplugged). Weiter lernen die Kinder die Befehle des BlueBot kennen: Vorwärts, Rückwärts, Rechtsdrehung, Linksdrehung.

Im zweiten Modul lernen die Kinder unterschiedliche Darstellungen von Fahrtwegen kennen (Abb. 4.3): Pfeilfolgen, Wege im Gitternetz, verbale Beschreibungen. Sie entwickeln Algorithmen in Form von Befehlsfolgen (Making) und experimentieren mit verschiedenen Darstellungen, wenn Übersetzungen mit vorgegebenen Befehlsfolgen vorgenommen werden (Tinkering).

Abb. 4.3
figure 3

Verschiedene Darstellungen eines Fahrtwegs

Im dritten Modul werden fehlerhafte Programmierungen in verschiedenen Darstellungen gefunden und korrigiert.

Im vierten Modul sollen Muster erkannt und verallgemeinert werden. Hierfür werden regelmäßige geometrische Figuren als Fahrtwege vorgegeben (Quadrat, Rechteck, Treppe), um die Entwicklung sich wiederholender Bausteine zu motivieren (Baustein kleines Quadrat: vorwärts, Rechtsdrehung; Making). Die Bausteine werden anschließend auf ähnliche Probleme übertragen und damit verallgemeinert (Baustein größere Quadrate: x-mal vorwärts, Rechts- oder Linksdrehung; Remixing).

4.3.3 Ergebnisse

Die Module zwei bis vier wurden entwickelt, um spezifische Teilkomponenten des Computational Thinking – algorithmisches Denken, Fehler finden und beheben, Muster erkennen und verallgemeinern – zu fördern. Die anderen beiden Teilkomponenten nach Angeli et al. (2016) – Abstrahieren und Dekomposition – spielen bei diesen Aufgaben keine Rolle.

Durch die strukturierende qualitative Inhaltsanalyse wurde geprüft, inwiefern sich die genannten Teilkomponenten beim Einsatz der Lernumgebung auch tatsächlich beobachten lassen. Hierzu wurde der Kodierleitfaden auf das gesamte Datenmaterial angewendet. Anschließend wurden in den Modulen zwei bis vier die Häufigkeiten der Haupt- und Subkategorien pro Aufgabe bestimmt, aber auch die Reihenfolge, in der sie im Bearbeitungsprozess auftraten.

In Tab. 4.1 sind die Häufigkeiten der einzelnen Subkategorien für die drei Module abgetragen. Es zeigte sich, dass die Teilkomponenten Sequenzieren sowie Muster erkennen und verallgemeinern durch die entwickelten Aufgabenstellungen gezielt evoziert werden können bzw. sogar müssen. So haben die Kinder eine Befehlsfolge nur dann entwickelt, wenn die in der Aufgabenstellung gefordert war. Vergleichbares gilt für das Erkennen und Weiterentwickeln von Mustern.

Tab. 4.1 Häufigkeiten der Subkategorien

Hingegen traten die Teilkomponenten Kontrollfluss sowie Fehler finden und beheben über alle Module hinweg auf. Wenn die Kinder die Aufgabe nicht direkt beim ersten Versuch richtig bearbeitet haben, wechseln sich Kontrollfluss im Sinne des Evaluierens einer Problemlösung mit dem Fehler finden und beheben in einer Schleife ab. Nach erneuter Evaluation kommt es bei Erfolg entweder zum Abbruch der Bearbeitung oder zur erneuten Fehlerkorrektur usw. Hierbei handelt es sich also um Teilkomponenten, die immer dann angeregt werden, wenn die korrekte Lösung nicht auf Anhieb gefunden wird. Dies konnte bei allen Tandems über nahezu alle Aufgaben hinweg beobachtet werden.

Abb. 4.4 zeigt einen exemplarischen Bearbeitungsprozess einer Aufgabe aus Modul 2 (Fahrtwege unterschiedlich darstellen). Der Farbverlauf gibt die Abfolge der Bearbeitung innerhalb der Transkripte wieder. Alle vier Tandems beginnen damit, eine Befehlsfolge zu entwickeln (Sequenzieren; dunkelblau). Während Tandem 1, 2 und 4 mehrere Schleifen aus Kontrollfluss (türkis), Fehler finden (hellgrün) und beheben (dunkelgrün) durchlaufen, benötigt Tandem 3 nur eine Schleife.

Abb. 4.4
figure 4

Kodierung aus Modul 2 – Fahrtwege unterschiedlich darstellen

Die Anzahl und Länge der eben beschriebenen Bearbeitungsschleifen (Kontrollfluss – türkis, Fehlern finden und beheben – hellgrün/dunkelgrün) waren unterschiedlich, aber sie traten bei allen Tandems mindestens einmal auf.

4.3.4 Diskussion

In allen untersuchten Modulen der Lernumgebung treten das Entwickeln oder Nachvollziehen von Algorithmen (im Sinne einfacher Schritt-für-Schritt-Befehlsfolgen), allgemeine Problemlösestrategien wie das Evaluieren einer Befehlsfolge sowie das Finden und Beheben von Fehlern auf und dies unabhängig von der vorab angedachten Zielrichtung der Aufgabenstellungen. Das Evaluieren meint die Ausführung der entwickelten Programmierung und erfolgt bei Befehlsfolgen mit als auch ohne Fehler. Das Finden und Beheben von Fehlern schließt sich bei fehlerhaften Befehlsfolgen an.

Teilkomponenten wie das Sequenzieren und das Erkennen und Verallgemeinern von Mustern zeigen sich hingegen nur, wenn sie durch gezielte Aufgabenstellungen angeregt werden: So konnten das Sequenzieren nur in Modul 2 und 4 und das Erkennen und Verallgemeinern von Mustern nur in Modul 4 beobachtet werden. Damit können durch die vorgenommene Analyse vergleichbare Lerngelegenheiten wie in anderen Studien aufgezeigt werden (Bartolini Bussi & Baccaglini-Frank, 2015; Caballero-Gonzalez et al., 2019). Es wird aber auch deutlich, dass die zuletzt genannten Teilkomponenten beim (Re)Design der Lernumgebung gezielt berücksichtigt werden müssen.

4.4 Fortbildung zum Computational Thinking im Mathematikunterricht

4.4.1 Kontext

Die Materialentwicklung auf der Unterrichtsebene allein ist nicht ausreichend, um Computational Thinking nachhaltig mathematikbezogen in der Praxis zu implementieren. Die Lehrkräfte müssen zusätzlich in der Vermittlung dieser Kompetenzen fortgebildet werden, weil digitalbezogene Kompetenzen bisher unzureichend Teil der Lehrkräftebildung waren. Auf Grundlage des Design-based-Research-Ansatzes (DBR; Gravemeijer & Cobb, 2006) wurde deshalb im Rahmen des math.media.labFootnote 6 an der Humboldt-Universität zu Berlin eine Fortbildung zum Computational Thinking im Mathematikunterricht entwickelt. Die Veranstaltungsreihe wurde wiederholt erprobt und iterativ weiterentwickelt. Durch die örtliche Anbindung konnten u. a. materiale Unterstützungsangebote unmittelbar in die Fortbildung integriert werden (ausführlich Beyer et al., 2020).

4.4.2 Fortbildungsdesign

Aufbauend auf theoretischen und empirischen Grundlagen zu mathematischen Lernumgebungen zum Computational Thinking soll im Folgenden die Umsetzung von Fortbildungsdesignprinzipien näher vorgestellt werden. Im Sinne des Nesting wird dabei das gesamte Unterrichtstetraeder (vgl. Abschn. 4.2 und 4.3) als Fortbildungsgegenstand in das Fortbildungstetraeder aufgenommen (Prediger et al., 2019; Abb. 4.5). Dadurch entspricht die Strukturierung des Fortbildungsgegenstandes im Kern jener auf der Unterrichtsebene. Jedoch wird die materiale Realisierung durch Unterrichtsdokumente, z. B. Videovignetten von Kinder-Programmierungen angereichert. Allgemeine Ziele der Fortbildungsreihe sind: Wissen zur Rolle von Algorithmen im Mathematikunterricht vertiefen, Wissen zum Lernen und Lehren mit prototypischen Lernumgebungen zum Computational Thinking aufbauen sowie anwenden.

Abb. 4.5
figure 5

Drei-Tetraeder-Modell in Anlehnung an Prediger et al. (2019) mit Fokus Fortbildungsebene

Die gegenstandsunabhängige Gestaltung der Fortbildung (Abb. 4.5, hintere Seitenfläche) orientiert sich an den Gestaltungsprinzipien wirksamer Fortbildungen. Im Fokus dabei: Kompetenzorientierung, Teilnehmendenorientierung, Lehr-Lern-Vielfalt und Reflexionsförderung (ausführlich Barzel & Selter, 2015). Insbesondere die Lehr-Lern-Vielfalt im Sinne einer Verschränkung von Input-, Erprobungs- und Reflexionsphasen wird betont, weil dadurch die berufliche Praxis unmittelbar integriert werden kann.

Die Gestaltung der gegenstandsspezifischen Lernwege und kognitive Aktivitäten (Abb. 4.5, untere Seitenfläche) orientiert sich an inhaltsübergreifenden Konzeptbausteinen (Tab. 4.2; Huhmann et al., 2019). Ausgangspunkt ist stets das handelnde Erkunden und Analysieren der fachlich-fachdidaktischen Hintergründe der Lernumgebung, z. B. der algorithmische Charakter von Wegbeschreibungen. Dabei analysieren die Lehrkräfte die Aufgaben hinsichtlich der Teilkomponenten (s. Abschn. 4.2.1) und der pädagogischen Erfahrungen (s. Abschn. 4.2.3) zur Förderung des Computational Thinking. Sie erkunden den Funktionsumfang der eingesetzten Lernroboter (Use Bots, s. Abschn. 4.2.3) und mit deren Einsatz verbundene Anforderungen, Handlungsmöglichkeiten und Potenziale. Außerdem lernen die Lehrkräfte Formen des Scaffolding (s. Abschn. 4.2.3) kennen sowie Vorlagen selbst zu gestalten, um den Lernenden entsprechend ihres Kompetenzstandes Hilfen geben zu können. Dieser Prozess ist nicht auf eine Einzelveranstaltung begrenzt, sondern wird in der schulischen Praxis fortgesetzt. Im Fokus der schulpraktischen Erprobung liegen die Planungs- und Implementationsprozesse. Auf Grundlage der eigenen Lernerfahrungen sollen die Lehrkräfte nun die Teilaufgaben der Lernumgebung für ihren lokalen Kontext zusammenstellen und adaptieren. In der Folgeveranstaltung werden die schulpraktischen Erfahrungen gemeinsam anhand von Dokumentationen reflektiert, im Anschluss kooperativ Lernumgebungsdesigns weiterentwickelt und miteinander geteilt.

Tab. 4.2 Übersicht der Lehrkraftperspektiven in Verbindung mit den Konzeptbausteinen nach Huhmann et al. (vgl. 2019, S. 281–282)

4.4.3 Begleitforschung

Die Fortbildung wurde begleitend beforscht, um Fragen der inhaltlichen und methodischen Gestaltung sowie zu Unterstützungsangeboten zu untersuchen und das Angebot im Sinne des DBR-Ansatzes weiterzuentwickeln. Im Folgenden werden zu diesen Schwerpunkten ausgewählte Ergebnisse der Begleitforschung vorgestellt.

Kontrollerfahrungen

Eine Studie untersuchte affektiv-motivationale Faktoren, von denen auf Grundlage bestehender Forschungsergebnisse anzunehmen ist, dass sie den tatsächlichen Einsatz digitaler Medien im Klassenzimmer vorhersagen können. Die Befunde dieser Studie weisen u. a. auf die besondere Bedeutung wahrgenommener Kontrolle über digitale Medien für die Selbstwirksamkeitserwartung und damit den tatsächlichen Einsatz digitaler Medien hin. Dem folgend stellt der für die Fortbildung gewählte Ansatz intensiver und selbstständiger Auseinandersetzung mit Lernumgebungen zum Computational Thinking eine erfolgversprechende Herangehensweise dar: Lehrkräfte werden gezielt in die Lage versetzt, Mathematikunterricht mit programmierbaren Lernrobotern und Blockprogrammiersprachen zu planen, durchzuführen und zu bewerten (ausführlich vgl. Kap. 5 in Band 1).Footnote 7

Transferhürden

Im Rahmen der Fortbildungsevaluation stellte sich der Transfer der Inhalte in den schulischen Alltag als größte Hürde dar. Dieser Befund deckt sich mit Forschungsergebnissen zu Herausforderungen von Fortbildungsmaßnahmen für Lehrkräfte und war Anlass für ein Entwicklungsprojekt zum Mobile Learning mit Chatbots zur situativen Unterstützung von schulpraktischen ErprobungenFootnote 8 (Beyer et al., 2020).

Ausgangspunkt der Chatbot-Entwicklung war die Erfassung kritischer Ereignisse, Spannungsverhältnisse und Handlungsmuster in Lernwegen von Lehrkräften im Rahmen der Fortbildung. Diese Probleme können sowohl technisch-organisatorische als auch didaktische Schwierigkeiten während der Erprobung im Klassenzimmer zur Folge haben, sodass Unterrichtseinheiten entweder nur unvollständig umgesetzt oder abgebrochen wurden. Als Konsequenz des ermittelten Bedarfs konzentriert sich die Entwicklung des Chatbots auf die Begleitung von Planungsphasen, um so Lehrkräfte bei der optimalen Vorbereitung der schulpraktischen Erprobung zu unterstützen (ausführlich Beyer, 2022).

Insgesamt hat sich in der Begleitforschung gezeigt, dass das mehrteilige Fortbildungsdesign und damit verbundene Lernaktivitäten grundlegende Erwartungen erfüllen. Zugleich besteht weiterer Forschungsbedarf im Hinblick auf nachhaltigen Transfer der Fortbildungsinhalte in die Unterrichtspraxis.

4.5 Implikationen der Ergebnisse

Mit dem vorliegenden Beitrag haben wir exemplarisch aufgezeigt, wie eine Förderung des Computational Thinking, einer grundlegenden Kompetenz im Zusammenhang mit der zunehmenden Digitalisierung, im Rahmen des Mathematikunterrichts und der Fortbildung von Lehrkräften integriert werden kann. Dazu wurden zwei Lerngelegenheiten für Lernende und Lehrkräfte forschungsbasiert entwickelt und optimiert. Die beiden unabhängigen Projekte beleuchten dabei Möglichkeiten der fachbezogenen Implementation des Computational Thinking. Diese benötigt weitere universitäre Entwicklungsarbeit sowohl auf der Unterrichts- als auch auf der Fortbildungsebene, um langfristig Innovationsprozesse in der Bildungspraxis zu unterstützen. Die vorgestellte Lernumgebung kann hierbei als Prototyp für die eigene unterrichtliche Umsetzung herangezogen werden. Die vorgestellte Fortbildungskonzeption bietet einen inhaltlich-organisatorischen Rahmen zur vorunterrichtlichen Auseinandersetzung, die situativ adaptiert werden kann. Diese Arbeiten können dabei als Ausgangspunkt weiterer mathematikbezogener Forschung zum Computational Thinking gesehen werden.