1 Einleitung

Während der Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung (UNCED) in Rio de Janeiro 1992, dem sogenannten Erdgipfel (Earth Summit), hat sich eine internationale Ländergemeinschaft mehreren Umweltzielen verpflichtet. Unter anderem wurde die Agenda 21, die Rio-Erklärung über Umwelt und Entwicklung, die Klimarahmenkonvention, die Konvention zur nachhaltigen Nutzung von Wäldern (Rio Forest Principles) sowie die Biodiversitätskonvention beschlossen (Antrim 2019). Diese als gleichwertig betrachteten Konventionen sind für alle unterzeichnenden Länder, inklusive Deutschland, bindend. Die Einhaltung dieser Konventionen wird von der Kommission der Vereinten Nationen für Nachhaltige Entwicklung überwacht. Den Beschlüssen des Erdgipfels folgend formulierte Deutschland das Ziel einer Umstellung von der nichtnachhaltigen Nutzung von fossilen Energieträgern sowie der Kernenergie auf eine nachhaltige Energieversorgung mittels erneuerbarer Energien sowie einer besonderen Berücksichtigung des Schutzes von Arten, Populationen und ihrer Habitate. Zur Umsetzung dieser Ziele wurden die Forderungen der Biodiversitätskonvention in das bereits existierende Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) aufgenommen. In der Genehmigungspraxis von Bau- und Planungsverfahren fällt dem Artenschutz aufgrund dieser gesetzlichen Verankerung im BNatSchG eine zentrale Rolle zu (Lukas 2016). Im Zuge der Umsetzung der Energiewende in Deutschland kommt es jedoch vermehrt zu Interessenskonflikten zwischen dem Ausbau der Windenergieproduktion und dem Artenschutz, da Windenergieanlagen (WEA) eine Gefahr insbesondere für Vögel und Fledermäuse darstellen (Weber und Köppel 2017; Voigt et al. 2015). Das daraus sich ergebende Dilemma zwischen Klimaschutzzielen und dem Artenschutz wird als Grün-Grün-Dilemma beschrieben, bei dem zwei positiv konnotierte Ziele des Umweltschutzes in Konkurrenz zueinander stehen (Voigt et al. 2019; Voigt 2016). In der Gesetzgebung manifestiert sich dieses Grün-Grün-Dilemma im Konflikt zwischen der EU-Richtlinie 2018/2001 zur Förderung der Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen (Erneuerbare-Energien-Richtlinie, EERL) und der EU-Richtlinie 92/43/EWG zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, FFH-RL).

Um das Konfliktpotenzial dieses Grün-Grün-Dilemmas besser bewerten zu können, führten wir eine an Fachexpert*innen gerichtete internetbasierte Umfrage durch. Die Umfrage war in drei Blöcke unterteilt. Die Ergebnisse der ersten beiden Blöcke wurden bereits an anderer Stelle publiziert (Fritze et al. 2019; Kap. 3). Der dritte Block, dessen Ergebnisse hier nun vorgestellt werden sollen, zielte auf umweltpolitische Fragen und allgemeine Punkte zum Thema Artenschutz bzw. Fledermausschutz im Windenergieausbau. Konkret baten wir um eine Bewertung in Bezug auf 1) das aktuell (bis zum Zeitpunkt der Umfrage im Jahr 2016) gültige Artenschutzrecht. Mit der Novellierung des BNatSchG im Jahr 2017 wurde unter anderem eine Anpassung der in der Praxis relevanten artenschutzrechtlichen Privilegierung des §44 Absatz 5 BNatSchG an die aktuelle höchstrichterliche Rechtsprechung vorgenommen (Lütkes 2018). Einige Umweltverbände sowie Jurist*innen befürchteten, dass ein novelliertes BNatSchG zu einer Aufweichung des Artenschutzes zugunsten von wirtschaftlichen Interessen wie dem Ausbau der Windenergie führen könnte (Lukas 2017; Lukas et al. 2016; NABU 2017; Maruschke 2017). Ob diese Novellierung von den Fachexpert*innen als verhältnismäßig erachtet wird, sollte mithilfe unserer Umfrage quantifiziert und zur Diskussion gestellt werden. Darüber hinaus holten wir 2) die Meinung der Fachexpert*innen zum Ausbau der Windenergieproduktion an Waldstandorten ein. Für den Naturschutz und insbesondere für viele Fledermausarten sind Wälder als Quartierstandorte und Lebensräume von besonderer Bedeutung (Meschede und Heller 2000). In der Vergangenheit wurde bereits im Rahmen einer im Auftrag der Deutschen Wildtier Stiftung durchgeführten Umfrage die Gesellschaft zum Thema Ausbau der Windenergieproduktion an Waldstandorten gefragt. Den Ergebnissen dieser Umfrage folgend lehnen 80 % der Teilnehmer*innen eine Windenergieproduktion an Waldstandorten ab, und 67 % der Teilnehmer*innen gaben an, dass der Artenschutz im Wald Vorrang vor der Windenergieproduktion haben sollte (Deutsche Wildtier Stiftung 2016). Im Rahmen unserer Umfrage wollten wir ein Meinungsbild von Fachexpert*innen zu diesem Thema einholen. Darüber hinaus fragten wir, 3) welche Interessensgruppe das Grün-Grün-Dilemma zwischen Windenergieproduktion und Artenschutz am besten lösen kann.

2 Methoden

Über die Online Plattform SurveyGizmo (https://www.surveygizmo.com/) wurde ein Fragebogen entwickelt, der vorgegebene Mehrfach-Auswahl-Antworten zum Anklicken (Multiple Choice) als auch Textfelder mit der Option für einen frei formulierten Text anbot (Fritze et al. 2019). Der Link zum internetbasierten Fragebogen wurde zur Beantwortung an ungefähr 1000 E-Mail-Adressen verschiedener Gruppen und Einzelpersonen verschickt, die mit der Praxis von Genehmigungsverfahren beim Bau von WEA vertraut waren. Um eine möglichst große Vielfalt an Antworten zu erhalten, wurde die Befragung an Behördenvertreter*innen (Naturschutzbehörden; ~500 E-Mail-Adressen), Fachgutachter*innen und Landschaftsplaner*innen (Gutachterbüros, freie Gutachter*innen, Planungsbüros; ~300 E-Mail-Adressen), Vertreter*innen des Windenergiesektors (Interessenverbände, Projektierer*innen, Ingenieurbüros, Rechtsanwält*innen, Betreiber*innen; ~100 E-Mail-Adressen), Vertreter*innen von Umweltschutzorganisationen und ehrenamtlich Tätige (z. B. NABU, BUND; ~50 E-Mail-Adressen) und Wissenschaftler*innen universitärer und außeruniversitärer Einrichtungen (~50 E-Mail-Adressen) gesandt (Fritze et al. 2019). Alle Fachexpert*innen erhielten dieselben Fragen, die in drei Blöcke eingeteilt wurden. Folgende Fragen wurden im Rahmen des dritten Blocks verschickt:

  1. 1.

    Erachten Sie das derzeit in Deutschland gültige Artenschutzrecht (§44 BNatSchG) als zu streng, sodass der Windenergieausbau zu sehr gehemmt wird?

  2. 2.

    Aktuell steigt die Zahl der Windenergieanlagen in Waldgebieten. Welche Aussagen dazu entsprechen Ihrem Meinungsbild?

  3. 3.

    Bei welcher Interessengruppe sehen Sie das größte Potenzial, um zeitnah die Vereinbarkeit des Windenergieausbaus und des Fledermausschutzes zu optimieren?

  4. 4.

    Ist aus Ihrer Sicht der derzeitige wissenschaftliche Kenntnisstand für die Umsetzung des Fledermausschutzes ausreichend?

  5. 5.

    In welchen Bereichen sehen Sie den größten Handlungsbedarf, um langfristig einen effektiven Fledermausschutz gewährleisten zu können?

3 Ergebnisse und Diskussion

3.1 Artenschutzrecht und Windenergieausbau

Wir erhielten einen Rücklauf von insgesamt 168 beantworteten Fragebögen. Unsere Frage bezüglich des Artenschutzrechts und Windenergieausbaus lautete, ob die Teilnehmer*innen des Online-Umfragekataloges das derzeit in Deutschland gültige Artenschutzrecht (§44 BNatSchG) als zu streng erachten, sodass der Windenergieausbau zu sehr gehemmt wird. Insgesamt beantworteten 89,2 % der Befragten diese Frage mit „Nein“ (Abb. 8.1). Nur 7,8 % stimmten bei dieser Frage mit „Ja“ (3 % „keine Angabe“). Lediglich Vertreter*innen aus dem Bereich Windenergieproduktion stimmten mehrheitlich (66,7 %) der Frage zu: „Ja, das Artenschutzrecht ist zu streng und behindert den Windenergieausbau“ (Abb. 8.1).

Abb. 8.1 Fig. 8.1
figure 1

Prozentuale Verteilung der Antworten auf die Frage „Erachten Sie das derzeit in Deutschland gültige Artenschutzrecht (§44 BNatSchG) als zu streng, sodass der Windenergieausbau zu sehr gehemmt wird?“ Die relative Breite der Spalten entspricht der Zahl der Antworten, die Höhe der Kategorien dem Prozentsatz der Antworten

Proportion of responses to the question: ‘Do you consider the conservation legislation (§44 BNatSchG) as to strict and thus hampering the progress of expanding the wind energy sector?’ Green = yes, red = no, grey = no assessment. The relative widths of the boxes indicate the number of responses

Das Meinungsbild der Behördenvertreter*innen, Fachgutachter*innen, Vertreter*innen der Naturschutzorganisationen und Wissenschaftler*innen war sehr einheitlich. Die Einschätzung der Vertreter*innen aus dem Windenergiesektor kontrastierte deutlich mit derjenigen der anderen Fachexpert*innen. Die Notwendigkeit der jüngst erfolgten Novellierung des BNatSchG vom 22.06.2017 (Gesetzentwurf vom 12.04.2017, Drucksache 18/11939), in der das Tötungsverbot von Individuen geschützter Tierarten (§44 BnatSchG) relativiert wurde, in dem ein Verbotstatbestand erst dann erfüllt ist, wenn das Tötungsrisiko der Individuen in „signifikanter“ Weise erhöht ist (Maruschke 2017; Lukas 2017), wird von den Fachexpert*innen scheinbar mehrheitlich kritisch hinterfragt. Diese Fassung, die auf Entscheidungen der Bundesverwaltungsgerichte bezüglich betriebs-, aber auch bau- und anlagenbedingter Risiken (z. B. bei Tierkollisionen im Straßenverkehr oder mit Windkraftanlagen, Baufeldfreimachung) basierte (BVerwGE 134, 166, Rn. 42; BVerwG, Urt. v. 13.05.2009, 9 A 73/07, Rn. 86; BVerwG, Urt. v. 08.01.2014, 9 A 4/13, Rn. 99), sollte die Einzelfallprüfung des bislang allgemeingültigen individuenbezogenen Tötungsverbots vereinfachen. Der offensichtliche Zweck dieser Vereinfachung sind die Beschleunigung der Bau- und Planungsprozesse und die Reduktion der Streitfälle, die in Genehmigungsverfahren für WEA auftreten. Aus naturschutzrechtlicher Sicht ist jedoch zu befürchten, dass die neue Formulierung und Interpretation zugunsten des Windenergieausbaus eine Aufweichung des Artenschutzes nach sich ziehen (Maruschke 2017; Lukas 2017).

Der Begriff „Signifikanz“ ist im Zusammenhang mit der Tötung von Individuen insofern problematisch, weil er in der Wissenschaft und in der Rechtsprechung unterschiedlich interpretiert wird. Während Jurist*innen „Signifikanz“ lediglich mit „deutlich“ übersetzen, ist Signifikanz in der Biologie mathematisch unterlegt, in dem eine statistische Beweisführung für ein Ergebnis ein bestimmtes Signifikanzniveau erreichen muss (in der Regel im Bereich des 5 %-Signifikanzniveaus). Im Falle der Schlagopferzahlen unter WEA ist eine eindeutige Klärung des Begriffs notwendig, besonders hinsichtlich des Aspekts wie sich die Schlagopferzahlen potenziell auf Populationen auswirken (Zahn et al. 2014; Voigt et al. 2015; Frick et al. 2017). Es bleibt aus wissenschaftlicher Sicht somit weiterhin offen, welche Anzahl getöteter Fledermäuse als signifikant zu erachten ist. Der Mangel an wissenschaftlicher Aufarbeitung und Begründung der Gesetzesänderung spiegelt sich auch in der unzureichenden wissenschaftlichen Literatur zu diesem Thema wider. Angesichts der großen Übereinstimmung der naturschutzfachlichen Vertreter*innen im Rahmen unserer Umfrage wird deutlich, dass möglicherweise die Naturschutzverbände nicht in ausreichendem Umfang bei der Novellierung des BNatSchG beteiligt wurden (Lukas 2017).

Die Diskussion um eine Änderung des Artenschutzrechts zugunsten des Windenergieausbaus wird derzeit weitergeführt, da die Windenergieindustrie den Artenschutz weiterhin als Planungshindernis wertet (dts Nachrichtenagentur 2019; bdew 2019; BVF 2019). So wurde 2019 ein 10-Punkte-Papier veröffentlicht, in dem unter anderem eine Privilegierung der Windkraft gegenüber dem Artenschutz gefordert wird, sodass Ausnahmen vom Artenschutz gemäß § 45 BNatSchG für die Errichtung von WEA gerechtfertigt werden können (bdew 2019). Diese Forderungen nach einer Feststellung des generell überwiegenden öffentlichen Interesses gegenüber dem Artenschutz sind jedoch nach derzeitiger Gesetzeslage nicht gegeben und werden von Artenschutzfachverbänden abgelehnt (BVF 2019). Zwar gibt es ein öffentliches Interesse am Ausbau von Windenergieanlagen, jedoch nicht an einem spezifischen Standort, da es hierzu in der Regel Alternativen gibt. Im Einzelfall kann es jedoch dazu kommen, dass die Errichtung von WEA an einem bestimmten Standort gegenüber Artenschutzbelangen abgewogen wird. Allerdings besteht keine generell höhere Gewichtung gegenüber den Belangen des Artenschutzes, sondern ist immer eine Einzelfallentscheidung (Ruß und Sailer 2016; siehe auch BVerwG, Urteil vom 09.07.2009 – 4 C 12/07, Rn. 13). Da bei einer standortbezogenen Einzelfallentscheidung artenschutzrechtliche Beeinträchtigungen zu gewichten sind, ist immer auch eine angemessene artenschutzrechtliche Prüfung notwendig (Ruß und Sailer 2016). Ein weiteres Kriterium für die Erteilung von Ausnahmen gemäß §45 BNatSchG ist der günstige Erhaltungszustand der Populationen, der sich nicht verschlechtern darf. Aus wissenschaftlicher Sicht sind Populationsgrößen von Fledermäusen nur schwer zu ermitteln und kumulative Effekte auf die Gesamtpopulationen nicht auszuschließen (Lehnert et al. 2018; Lindemann et al. 2018; Fritze et al. 2019).

3.2 Windenergieproduktion im Wald

Anknüpfend an die Frage zum Artenschutzrecht im BnatSchG wurde ein allgemeines Meinungsbild zum Thema Windenergieausbau im Wald abgefragt, wobei es vier Antwortmöglichkeiten gab, die allgemeine Aussagen zum Thema darstellen (Abb. 8.2). Hierbei waren Mehrfachantworten möglich. Von 297 abgegebenen Antworten zu dieser Frage gaben 111 (37,4 %) Teilnehmer*innen an, dass WEA im Wald zu sehr mit dem Habitat- und Artenschutz in Konflikt stehen. 94 Umfrageteilnehmer*innen (31,6 %) gaben an, dass WEA im Wald nicht im Sinne einer umweltverträglichen Energiewende seien, und 56 Umfrageteilnehmer (18,9 %) führten an, dass WEA im Wald nur außerhalb von Schutzgebieten, d. h. NSG (Naturschutzgebieten), LSG (Landschaftsschutzgebieten) und FFH-Gebieten, errichtet werden sollten. Lediglich 30 Umfrageteilnehmer*innen (10,1 %) bestätigten, dass WEA im Wald ein notwendiger Kompromiss im Sinne der Energiewende seien. Beim letztgenannten Ergebnis ist anzumerken, dass Vertreter*innen aus dem Windenergiesektor (90 %) mit großer Mehrheit zu dieser Einschätzung kamen. Das Meinungsbild der Umfrageteilnehmer*innen (mit Ausnahme der Vertreter*innen des Windenergiesektors) lässt sich zusammenfassend als überwiegend kritisch gegenüber dem Ausbau der Windenergieproduktion im Wald sehen, auch wenn dies außerhalb von Schutzgebieten im Wald erfolgt.

Abb. 8.2 Fig. 8.2
figure 2

Verteilung der Zustimmung auf die vorgegebenen Antwortmöglichkeiten. a „Windkraft im Wald ist ein notweniger Kompromiss im Sinne der Energiewende.“ b „Windkraft im Wald ist nicht im Sinne einer umweltverträglichen Energiewende.“ c „Windkraft im Wald darf nur außerhalb von Schutzgebieten, d. h. LSG, NSG und FFH-Gebieten, stattfinden.“ d „Windkraft im Wald steht zu sehr im Konflikt mit dem Habitat- und Artenschutz.“ e „Ich kann es nicht einschätzen.“ f „Keine Angabe.“

Distribution of agreements to pre-defined response options a ‘Wind energy production in forests is a necessary compromise for the energy transition.’ b ‘Wind energy production in forests is too much in conflict with the protection of habitats and species.’ c ‘Wind energy production in forests should only be practiced outside of protected area, such as LSG, NSG and FFH areas.’ d ‘Wind energy production in forests is inconsistent with an ecologically sustainable energy transition.’ e ‘I cannot judge this.’ f ‘No selection.’ Dark blue = members of conservation agencies, light blue = consultants, green = voluntaries and members of environmental NGO, red = members of wind energy sector, grey = scientists

Die Umfrageergebnisse zeigen, dass die Windenergiegewinnung im Wald von Fachexpert*innen kritisch gesehen wird, vermutlich weil hier der Konflikt zwischen Naturschutz und dem Ausbau erneuerbarer Energien besonders offensichtlich wird. Bislang haben Studien über den möglichen Einfluss der Windenergieproduktion im Wald, die durch den Bau und Betrieb von WEA entstehen, noch nicht vollumfänglich geklärt, in welchem Maße der Ausbau negative Folgen für das Waldökosystem und die dortigen Fledermäuse hat (Kap. 2). Reichenbach et al. (2015) stellten fest, dass die Aktivität und Artzusammensetzung von Fledermäusen, die über eine akustische Erfassung in Gondelhöhe erfasst wurden, sich nur geringfügig zwischen Offenland- und Waldstandorten unterscheiden. Lediglich die akustische Aktivität von Zwergfledermäusen (Pipistrellus pipistrellus) lag an Waldstandorten höher als im entsprechenden Offenland. Weiterhin wurde festgestellt, dass Langohren (Gattung Plecotus) und Mausohren (Gattung Myotis) selten an WEA an Waldstandorten aufgenommen werden. Angemerkt sei hierbei, dass diese Arten aufgrund ihrer ökologischen Spezialisierung im Vergleich zu anderen Arten leiser rufen und somit schlecht akustisch nachweisbar sind bzw. eine Vergleichbarkeit der akustischen Aktivität mit anderen, laut rufenden Arten wie zum Beispiel dem Großen Abendsegler (Nyctalus noctula) schwierig ist (Kap. 1). Es gibt zudem Hinweise, dass bestimmte Fledermausarten Insekten an den Masten der WEA jagen (Rydell et al. 2016). Abgesehen von der Frage, ob sich die Aktivität von Fledermäusen im Rotorbereich an Wald- und Offenlandstandorten unterscheidet, besteht sicherlich ein wesentlicher Kritikpunkt an der Ausweitung der Windenergieproduktion im Wald in der Zerstörung von Lebensstätten und dem Verlust von Habitaten. Wälder sind der Lebensraum für einige der bedrohtesten Fledermausarten wie zum Beispiel der Bechsteinfledermaus (Myotis bechsteinii) und der Mopsfledermaus (Barbastella barbastellus), für die Deutschland aufgrund ihres Verbreitungsschwerpunktes eine besondere Verantwortung trägt. Darüber hinaus zählen ungefähr zwei Drittel der in Deutschland vorkommenden Fledermausarten zu den Waldfledermäusen (Meschede und Heller 2000).

Die baubedingten Beeinträchtigungen im Rahmen der Baufeldfreimachung und das Tötungsrisiko an den Rotoren lassen vermutlich viele Fachexpert*innen an der Vereinbarkeit von Artenschutz und Windenergieausbau im Wald zweifeln. Dies betrifft sowohl Forste, die aufgrund ihrer insgesamt niedrigen ökologischen Bedeutung für die Errichtung von WEA herangezogen werden, als auch insbesondere naturnahe Wälder, die aufgrund ihrer höheren ökologischen Wertstellung oft einen Schutzstatus (FFH, LSG, NSG) genießen. In Hinblick auf die Erhaltungszustände der Fledermausarten ist deutlich zu erkennen, dass dem Schutz der Wälder mehr Bedeutung zukommen sollte, um dem Verbesserungsgebot und dem Verschlechterungsverbot der FFH-Richtlinie nachzukommen. Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Expert*innen die Errichtung von WEA an Waldstandorten als den Artenschutzzielen gegenläufig und somit kritisch betrachten. Diese Schlussfolgerung deckt sich mit den Empfehlungen der wissenschaftlichen Berater*innen des UNEP/EUROBATS-Abkommens, die Windenergieproduktion an Waldstandorten als nicht einvernehmlich mit den Zielen des Fledermausschutzes betrachten (Rodrigues et al. 2016).

3.3 Potenzial zur Verbesserung des Fledermausschutzes im Windenergieausbau

Der letzte Teil des dritten Umfrageblocks thematisierte mögliche Ansätze, wie das Grün-Grün-Dilemma zwischen Windenergieausbau und Fledermausschutz zu lösen oder zumindest abzumildern ist. Auf die Frage, welche Akteur*innen aus Sicht der Teilnehmer*innen das größte Potenzial besitzen, um zeitnah die Vereinbarkeit des Windenergieausbaus und des Fledermausschutzes zu verbessern, gab es die größte Übereinstimmung darin, dass Naturschutzbehörden (26,8 %) und die Forschung (Wissenschaft) (23,7 %) dieses Potenzial besitzen. Daran anschließend bewerteten die Umfrageteilnehmer*innen die Politik (18,2 %), die Windenergiebranche (14,1 %) und die Naturschutzverbände (12,7 %) sowie andere, nicht näher definierte Gruppen (4,8 %) als relevant (Abb. 8.3).

Abb. 8.3 Fig. 8.3
figure 3

Verteilung der Antworten auf die Frage, welche Akteur*innen aus Sicht der Teilnehmer*innen das größte Potenzial besitzen, um zeitnah die Vereinbarkeit des Windenergieausbaus und des Fledermausschutzes zu verbessern. Es konnten Mehrfachantworten abgegeben werden

Responses to the question, which stakeholder group has the largest potential to solve the conflict between wind energy production and the conservation of bats in the near future. Participants could respond multiple times. Dark blue = conservation agencies, grey = science, red = wind energy companies, magenta = politics, light green = environmental NGO, white = none of these groups

Der Einschätzung, dass Naturschutzbehörden eine zentrale Rolle bei der Konfliktlösung zufällt, könnte der Umstand zugrunde liegen, dass diese in den Genehmigungsverfahren zentrale Entscheidungsträger bei der Prüfung von Artenschutzbelangen und bei der Festsetzung von Schutzmaßnahmen sind. Die positive Wertschätzung der Naturschutzbehörden hinsichtlich einer zeitnahen Konfliktlösung ließe sich auch als Aufforderung verstehen, die Behörden fachlich und personell besser auszustatten. Hierzu kann ihnen die Politik verhelfen, die sowohl den rechtlichen Rahmen festsetzt als auch die finanziellen Mittel für eine mögliche Aufstockung des Personals bereitstellen könnte. Aus Sicht der Umfrageteilnehmer*innen besitzen zudem die Forschung bzw. die Wissenschaftler*innen ebenfalls ein hohes Potenzial, zur Konfliktlösung beizutragen. Der große Forschungsbedarf wurde zudem auch von den Umfrageteilnehmer*innen in der Beantwortung der Frage bestätigt, ob aus Sicht der Umfrageteilnehmer*innen der derzeitige wissenschaftliche Kenntnisstand für die Umsetzung des Fledermausschutzes bei Vorhaben zum Ausbau der Windenergieproduktion ausreichend ist. 87 % der Umfrageteilnehmer*innen bestätigten, dass dieser nicht ausreiche. Lediglich 10 % Prozent betrachten den Kenntnisstand als ausreichend, und 3 % machten hierzu keine Angaben.

Mit nahezu gleicher Punktzahl favorisierten die Umfrageteilnehmer*innen die Forschungsthemen zu Vermeidungsmaßnahmen und zur Ökologie der Arten inklusive des Migrationsverhaltens (Tab. 8.1). Dieser Umstand impliziert, dass die Umfrageteilnehmer*innen mit dem momentanen Kenntnisstand über Vermeidungsmaßnahmen unzufrieden sind, da dieser möglicherweise nicht mit der technischen Entwicklung von WEA mithält. Der Vorschlag, die Ökologie und das Migrationsverhalten von Fledermäusen intensiver zu untersuchen, zeigt, dass Wissenslücken bestehen, deren Beseitigung von großer Bedeutung für die wirksame Umsetzung von Schutzmaßnahmen für Fledermausarten im Rahmen von Vorhaben zur Windenergieproduktion ist. Die Umfrageteilnehmer*innen schlugen zudem vor, dass die Bestände der Fledermäuse, hier insbesondere die der kollisionsgefährdeten Fledermäuse, im Hinblick auf mögliche Populationsrückgänge untersucht werden sollten. Das Migrationsverhalten dieser Arten erschwert dabei eine genaue Abschätzung von Populationseffekten, da die Herkunftsgebiete der Tiere mitunter unklar sind (Lehnert et al. 2018). Die Erforschung von effizienten Auswertemethode für automatisch durchgeführte akustische Aufnahmen an WEA scheint ebenso dringlich zu sein, da die Echoortungsrufe einiger Fledermausarten nur schwer mithilfe automatischer Auswerteprogramme unterscheidbar sind (Russo und Voigt 2018). Bei der korrekten Identifikation von Fledermausarten, basierend auf automatisch erhobenen Echoortungsrufen, könnte die Entwicklung neuer oder die Verwendung mehrerer Auswertealgorithmen Abhilfe schaffen (Heim et al. 2019). Die Erforschung und genauere Beschreibung des Rechtsraums um das Konfliktfeld Fledermausschutz und WEA scheinen zudem von vielen Umfrageteilnehmer*innen gewünscht. Innovative Erfassungsmethoden von Fledermäusen an WEA scheinen bei der momentanen Entwicklung zu größeren WEA dringlich zu sein, da die Erfassungsreichweite von Ultraschalldetektoren im Gondelbereich nur begrenzt ist (Kap. 1). Die Erforschung von wirksamen Kompensationsmaßnahmen wurde mit geringerer Wichtigkeit als die vorher genannten Themen bewertet.

Tab. 8.1 Tab. 8.1 Handlungsbedarf nach kumulativer Punktzahl sortiert. (Frage: „In welchen Bereichen sehen Sie den größten Handlungsbedarf, um langfristig einen effektiven Fledermausschutz gewährleisten zu können?) Eine höhere Punktzahl indiziert eine höhere BewertungRanking of ‘most needed action’ according to cumulative points. (Question: ‘In which areas do you see the greatest need for action in order to be able to guarantee effective bat conservation in the long term?’) A higher number indicates a higher ranking

4 Schlussfolgerung

Die Ergebnisse unserer Umfrage zeigen deutlich auf, dass es im Rahmen von Vorhaben zur Windenergieproduktion einen Konflikt zwischen dem Artenschutz und dem Ausbau der Windenergieproduktion gibt. Die Einschätzungen der Fachexpert*innen waren mit Ausnahme der Vertreter*innen der Windenergiebranche relativ konsistent in Bezug auf den hohen Stellenwert des Artenschutzrechts und der Ablehnung von WEA an Waldstandorten. Naturschutzbehörden und die Wissenschaft haben aus Sicht der Umfrageteilnehmer*innen das größte Potenzial, um den Konflikt zwischen Fledermausschutz und Windenergieproduktion abzuschwächen. Die Erforschung von Vermeidungsmaßnahmen und der Grundlagen der Ökologie und des Migrationsverhaltens von Fledermäusen scheint aus Sicht der Umfrageteilnehmer*innen vorrangig.