Zusammenfassung
Dieser Beitrag verfolgt zwei Zielsetzungen: Im ersten Teil werden das Erkenntnisinteresse und zentrale Inhalte des Bandes „Jenseits der Krisen: Potenziale der europäischen Integration im 21. Jahrhundert“ abgesteckt. Dabei erfolgt zunächst eine bewusst sparsame Konturierung des Begriffs „Potenziale“, zum anderen werden die im Band versammelten Studien sowie die sie leitenden Fragestellungen kurz vorgestellt. Der zweite Teil formuliert – ausgehend von vier zentralen Fokuspunkten der jüngeren integrationstheoretischen und konzeptionellen Debatten – Anschlussmöglichkeiten für Potenzialanalysen der europäischen Integration. Diese sollen einen Kontrapunkt setzen zur Desintegrationforschung der Polykrise, ohne einem blinden Integrationismus zu verfallen.
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Notes
- 1.
Der Terminus „poly-crise“ wurde erstmals 1999 vom französischen Philosophen Edgar Morin in seinem Buch „Terre Patrie“ (verfasst mit der Ko-Autorin Anne Brigitte Kern) verwendet. Vgl. auch Janzwood und Homer-Dixon (2022). Im europapolitischen Diskurs wurde der Begriff zuerst vom Brüsseler European Policy Centre verbreitet. Vgl. dazu grundlegend Emmanouilidis und Zuleeg (2016, S. 3–17).
- 2.
Nimmt man die Verfassungskrise hinzu, besteht das Krisengeschehen bereits seit Mitte der 2000er-Jahre.
- 3.
Die Beiträge entstanden zwischen Sommer 2021 und Winter 2022/2023, die ‚Zeitenwende‘ des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine, aber auch andere Geschehnisse und Entwicklungen dieses Zeitraums konnten daher nicht von allen Autoren und Autorinnen vertieft berücksichtigt werden.
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Vgl. hierzu das Mosaik der EU-Außenpolitik (Müller-Brandeck-Bocquet und Rüger 2015, S. 10; Rüger 2023) aus intergouvernementaler Dimension (Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik), Gemeinschaftsdimension (Gemeinsame Handelspolitik, Entwicklungszusammenarbeit, Humanitäre Hilfe), restriktiven Maßnahmen/Sanktionen, sui-generis-Dimension (Erweiterungspolitik und Europäische Nachbarschaftspolitik) sowie der externen Dimension interner Politikbereiche (z. B. externe Migrationsgovernance oder Klimapolitik).
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Manners (2021) geht gar über die EU-Perspektive hinaus und verortet die Einzigartigkeit der Krise auf planetarer Ebene: „The twenty-first century has been increasingly discussed in terms of crisis and catastrophe for both the EU and planetary politics.“ In Anlehnung an Gill und Benatar (2020, S. 5) konstatiert er „an unprecedented planetary organic crisis“.
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Wenn auch auf anderer Abstraktionsebene. Angestrebt wird nicht etwa eine „Potenzialtheorie“ der europäischen Integration.
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In der Slowakei und Griechenland dominiert das Lager derer, die die EU-Mitgliedschaft für weder gut noch schlecht halten.
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Für eine differenzierte Bewertung der Politisierungsthese vgl. Hutter et al. (2016).
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Während die EU teilweise als klassisches politisches System durch die Brille der Vergleichenden Politikwissenschaft betrachtet wurde (so exemplarisch Hix 1999, 2005; Hix und Høyland 2011, 2021), speisen sich die Governance-Ansätze sowohl aus der Tradition der Internationalen Beziehungen als auch der Vergleichenden Politikwissenschaft und betrachten die EU als Mehrebenensystem, als „polity […] in which authority and policy-making influence are shared across multiple levels of government – subnational, national and supranational“ (Marks et al. 1996, S. 342).
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Die Stärkung des Europäischen Parlaments wurde in den letzten Jahren ebenfalls uneinheitlich perzipiert und scheint je nach Politikbereich zu variieren. So bewerten etwa Meissner und Schöller (2019) die Strategie des „self-empowerment“ durch das Parlament im Bereich der economic governance als sehr erfolgreich, Ripoll Servent (2019) sieht dagegen in der „Asylkrise“ Anzeichen für ein „gradual disempowerment“ des Parlaments.
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Anknüpfend an die Beiträge in diesem Band lassen sich hier z. B. nennen: das Führungspotenzial von Deutschland (statt vieler: Müller-Brandeck-Bocquet 2012; Bulmer und Paterson 2013; Hellmann 2016; Schöller 2017; Müller-Brandeck-Bocquet 2021), dem vor allem seit dem Krisenmanagement in der Eurokrise der „Mythos“ der Hegemonie anhaftet (Schild 2019), oder das Führungspotenzial des deutsch-französischen Motors (Schild 2010; Schild und Krotz 2013; Krotz und Schramm 2022).
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Ex-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker verwendete den Begriff erstmals prominent bei der 54. Münchner Sicherheitskonferenz 2018.
- 16.
So Trump im CBS-Interview am 14. Juli 2018.
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Bisweilen wird in Kombination von ‚strategischer Autonomie‘ und ‚europäischer Souveränität‘ der Begriff der ‚strategischen Souveränität‘ verwendet, der vor allem in der Think-Tank-Landschaft weite Verbreitung gefunden hat, aber auch in der deutsch-französischen Initiative zur wirtschaftlichen Erholung nach der Corona-Krise vom Mai 2020 oder im ‚Ampel‘-Koalitionsvertrag der aktuellen deutschen Bundesregierung verwendet wurde.
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So das Thema des EWIS-Workshops der European International Studies Association (EISA) von Karolina Pomorska and Daniel Thomas im Juli 2022.
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Dies spielt an auf die Kategorisierung von Theorieansätzen der Internationalen Beziehungen in „pessimistische“ und „optimistische“ Ansätze (Gu 2000). Letztere gehen davon aus, dass Kooperation den einzelnen Staaten im internationalen Gefüge einen Mehrwert bringt.
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Rüger, C. (2023). Potenziale der europäischen Integration im 21. Jahrhundert: Eine Annäherung. In: Gieg, P., Lowinger, T., Pietzko, M., Rüger, C., Scheuermann, M., Zürn, A. (eds) Jenseits der Krisen: Potenziale der europäischen Integration im 21. Jahrhundert. Forschungen zur Europäischen Integration. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-41608-9_1
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