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Springer meets Google – Oligopolisierte Medienunternehmen treffen auf konzentrierte Digitalunternehmen

Wir danken Andrea Grisold, Frank Schaum und Livia Regen für hilfreiche Kommentare und Anmerkungen.

“What I hope I can capture is that Google is in many ways a great thing for publishers.

At least it’s not a purely negative picture. It’s a bit like being assimilated by the Borg.

You get cool new powers. But having been assimilated, if your implants are ever removed,

you’ll certainly die. If you’re a Star Trek fan, you’ll understand the analogy.

That basically captures our relationship to Google.”

Josh Marshall (2021, S. 84),

Redakteur und Herausgeber der digitalen Nachrichtenorganisation Talking Points

Über die Jahre haben eine Reihe von Wissenschaftler:innen die steigende Medien- und Pressekonzentration in Deutschland dokumentiert und vor ihren Folgen gewarnt (siehe besonders Röper 2016, 2018). Kürzlich legten Hachmeister, Wagener und Wäscher (2022) eine Neuauflage ihres Buches Wer beherrscht die Medien? vor. Daraus geht unter anderem hervor: Die Entwicklungen in der deutschen Medienlandschaft müssen als Teil globaler kapitalistischer Konzentrationsprozesse verstanden werden. Je nach Medienmarkt (TV, Print, Radio und online) und Berechnungsart der Medienkonzentration teilen sich vier bis fünf große Unternehmen die relevanten Marktanteile untereinander auf (Ferschli et al. 2019). Die bereits existierende Medienkonzentration und deren für Demokratien problematische Auswirkungen, wie zum Beispiel der Verlust der Meinungsvielfalt, werden im Zuge der Digitalisierung teilweise verstärkt, teilweise kommen neue Prozesse hinzu (Winseck 2011).

Neue Akteur:innen im deutschen (und globalen) Medien- und Journalismussektor sind US-basierte Internet- und Technologiekonzerne (im Folgenden: Technologiekonzerne), wie Google (Alphabet) und Facebook (Meta), welche zunehmend eine Schlüsselposition für immer größere Teile der globalen Wirtschaft einnehmen. Sie gehören neben Apple, Amazon und Microsoft – zusammen die sogenannten GAFAM-Unternehmen – aktuell zu den sechs wertvollsten Unternehmen der Welt nach Marktkapitalisierung (zusammen mit dem saudischen Ölkonzern Saudi Aramco). Den meisten Umsatz, mehr als 61 Milliarden Dollar, erlöste die Internetsparte von Alphabet, Google, mit Werbeanzeigen über die Suchmaschine oder die Videoplattform Youtube (Tröger 2021).

Der Kern dieser konvergenten Technologiekonzerne, bei aller möglichen Spezialisierung und Differenzierung zwischen ihnen, besteht im Folgenden: Sie verfügen über die Fähigkeiten zum Aufbau großtechnischer Systeme, die aus enormen, energieintensiven, einfach zu skalierenden und verteilten Server-Infrastrukturen bestehen, inklusive der Datentransportverbindungen zwischen ihnen. Diese Hardware stellt die materielle Voraussetzung zum Betrieb von Softwareapplikationen dar, die nicht verkauft, sondern in der „Cloud“ genutzt werden können.

Parallel werden von den Unternehmen Softwarewerkzeuge der Extraktion und Auswertung von Nutzungsdaten entwickelt, die es erlauben, das Verhalten der Nutzer:innen zu klassifizieren, zu sortieren und – so das Marketingversprechen – zu prognostizieren. Diese Daten werden genutzt, um bestehende Angebote zu verbessern, neue Dienste zu entwickeln oder gänzlich neue Geschäftsfelder zu erschließen. Dabei ist es im Sinne einer Vergrößerung und Verbesserung von verfügbaren Datenbeständen unternehmerisch oftmals sinnvoll, einige Dienste unentgeltlich anzubieten, um bei anderen monetarisierbaren Diensten entscheidende Konkurrenzvorteile oder gar Monopolstellungen am Markt zu erzielen. So kostet etwa die Nutzung Sozialer Medien in der Regel nichts, deren große Nutzer:innen-Zahlen begründen jedoch Oligopolstellungen in den Märkten für digitale Werbung.

Am Beispiel der journalistischen Presse in Deutschland zeigt dieser Beitrag im Folgenden, wie sich die Marktmacht von Technologiekonzernen mit ihrem Einfluss auch auf allen Ebenen der Informationsproduktion und -distribution manifestiert, die für den Journalismus zentral sind. Um dies zu verdeutlichen, knüpfen wir zunächst an konzeptuelle Überlegungen zum sogenannten media capture an – damit ist die Einflussnahmen auf den Journalismus mit dem Ziel der Beeinflussung des politischen Diskurses gemeint – und erweitern dieses Konzept anschließend, um die vielfältigen Einfassungen des Journalismus von Seiten der Technologiekonzerne zu beschreiben.

Von Media Capture zu Media Environment Capture

Der Begriff media capture im Sinne eines „Kaperns“ der Medien geht zurück auf die Arbeit von Besley und Prat (2006), die insbesondere die Abhängigkeit(en) der Medien von Regierungen auch unter demokratischen Bedingungen und formaler Pressefreiheit problematisierten. Wie weitere Arbeiten im Anschluss zeigten, geht eine Einflussnahme allerdings ebenso häufig von privaten Interessen aus (Mungiu-Pippidi 2008; Gross und Jakubowicz 2013), die zum Beispiel dazu führt, dass soziale Ungleichheit nur unzureichend problematisiert wird (Corneo 2006).

Zwei klassische media capture-Strategien sind der Kauf von Medienunternehmen sowie die indirekte Einflussnahme durch die Finanzierung der Medien (insbesondere durch das Schalten von Werbung und Medienförderung).Footnote 1 Im Zuge der sich aktuell vollziehenden starken Veränderung der Mediensysteme muss das media capture-Konzept weiterentwickelt werden (Schiffrin 2021). Zwei zusammenhängende Entwicklungen stehen dabei besonders im Vordergrund:

  • Zum einen hat sich die wirtschaftliche Situation vieler Medienunternehmen wegen des zunehmenden Wettbewerbs um Werbung und Kleinanzeigen entscheidend verschlechtert (vgl. Waisbord 2019). In dieser Situation finanzieller Einbußen steigen die Einflussmöglichkeiten und die Macht ihrer Geldgeber:innen (Nielsen 2017).

  • Zum anderen entstanden neue große digitale Technologiekonzerne. Diese setzen ihre ökonomische Macht ein, um nicht nur die Medienorganisationen, sondern die ganze Informationslandschaft in ihrem Sinne zu beeinflussen.

Um letztere Entwicklung näher zu beleuchten und konzeptionell zu fassen, entwickeln wir den Begriff des media environment capture. Darunter fassen wir den zunehmenden direkten, mittelbaren und indirekten Einfluss von Technologiekonzernen auf journalistische Medienunternehmen, die in den folgenden Abschnitten beispielhaft erläutert werden sollen:

  • Direkter Einfluss bezieht sich auf den Kauf oder die finanzielle Unterstützung von Medienunternehmen. Insbesondere in den USA gibt es hierfür Beispiele; in Deutschland lässt sich dies bisher noch nicht beobachten.

  • Mittelbares „Kapern“ bezieht sich auf den Einfluss der Technologiekonzerne auf alle vor- und nachgelagerte Stufen der Wertschöpfung im Medienbereich und lässt sich in Deutschland bereits beobachten.

  • Indirekte Beeinflussung bezieht sich schließlich auf die sozialen, kulturellen, rechtlichen und politischen Hintergrundbedingungen und Informationslandschaften, die Journalist:innen brauchen, um arbeiten zu können. Auch diese Beeinflussung lässt sich für Deutschland nachweisen.

Mit dieser Perspektive erweitern wir das klassische Konzept vom „Kapern“ hin zum Abhängigmachen der Medien von Infrastrukturen und von Wissen, Informationen und Daten, die der Journalismus benötigt (siehe Abb. 1 und vgl. Nechushtai 2018). Der Journalismus, so lässt sich festhalten, wird eingefasst, wenn einzelne Akteure unverzichtbare Beiträge leisten, ohne die relevante Bereiche nicht mehr funktionieren können – und dies passiert gegenwärtig von „innen“ (entlang der Wertschöpfungsstufen von Medien) und von „außen“ (über die für Medien relevanten Umwelten).

Abb. 1
figure 1

Einfassen der Medienumwelt und der medialen Wertschöpfung. (Quelle: Eigene Darstellung unter Verwendung von Wirtz 2006, S. 54)

Warum haben die Technologiekonzerne ein Interesse, den Journalismus einzufassen? Ihr primäres Ziel ist es, ihr Kerngeschäft abzusichern. Derzeit besteht dieses vor allem im Verkauf von Werbung, was den traditionellen Medienkonzernen, die sich darüber ebenfalls finanzieren wollen, die meisten Kopfschmerzen bereitet. Immer größere Anteile der gesamten Werbeausgaben wandern in die Taschen der Technologiekonzerne und nicht zu den klassischen Medienunternehmen, die Finanzierung des Journalismus wird dadurch zunehmend prekär.

Zwar lag das Fernsehen (trotz Abwärtstrend seit 2014) mit knapp 170 Milliarden US-Dollar im Jahr 2020 weiterhin auf Platz 1 der globalen Werbeausgaben. Allerdings folgten darauf bereits Suchmaschinen (125 Milliarden US-Dollar) und Social Media (knapp 100 Milliarden US-Dollar), gefolgt von E-Commerce und Online Video, die seit 2018 die Zeitungen überholt haben. Die Werbeausgaben für Zeitungen sinken seit 2007 rapide und lagen 2020 weltweit nur noch bei rund 30 Milliarden US-Dollar (Birkhäuser 2021). Allein die Anzeigenerlöse rund um die Google-Suchmaschine stiegen im Jahr 2021 im Jahresvergleich um fast 36 Prozent auf 43,3 Milliarden US-Dollar, auch die Videoplattform Youtube holte mit 8,6 Milliarden US-Dollar rund ein Viertel mehr Werbeeinnahmen rein als ein Jahr zuvor (Tröger 2021).

Die expansiven Technologiekonzerne positionieren sich heute zusätzlich mit dem Ziel, zukünftig vielleicht noch entstehende Märkte zu erobern. Gegenwärtig noch öffentliche Ressourcen und Mittel, auf die der Journalismus und ganz allgemein demokratische Prozesse angewiesen sind, zum Beispiel spezielle Suchmaschinen, Online-Archive oder auch Technologien zur Beobachtung des öffentlichen Meinungsklimas, könnten zukünftig nur noch entgeltlich zugänglich sein.

Zudem beeinflussen Technologiekonzerne über die Einfassung des Journalismus die ideologischen und kulturellen Rahmenbedingen von Gesellschaften. So bekommen sie mittelbar das, was die privatwirtschaftliche Medienproduktion immer schon für machthungrige Interessen relevant machte, nämlich Einfluss auf Wissen, Kultur und Öffentlichkeit (vgl. bspw. die Beiträge von Herman und Chomsky sowie Hall in Durham und Kellner 2006; neuerdings z. B. Sevignani 2021). Sie bringen nicht nur die journalistischen Medien – und damit die klassischen Ideologieproduzent:innen moderner, demokratischer Gesellschaften – in eine Abhängigkeit von ihren Produkten und Dienstleistungen, sondern wirken auch vorgelagert in die kommunikativen Tätigkeiten der Gesellschaft hinein.

Media environment capture ist daher letztlich ein zirkulärer Prozess (siehe Abb. 1). Nicht nur strukturiert der Journalismus den „lebensweltlichen Hintergrund zwischenmenschlicher Kommunikation und hält ihn verfügbar“ (Brosda 2007, S. 222); er greift auch auf Wissen zu, organisiert es (um) und stellt es für Anschlusskommunikationen zur Verfügung (Kiefer 2011). Ein gekaperter, eingefasster Journalismus beeinflusst die Erfahrungen der Bürger:innen und die öffentliche Meinung und wirkt so zurück auf die sozialen, kulturellen, rechtlichen und politischen Weichenstellungen in Gesellschaften – und somit auch auf die Gestaltung von Medienumwelten.

Im Folgenden beschreiben wir beispielhaft die vielfältigen Prozesse des media environment capture, um unsere konzeptionellen Überlegungen zu verdeutlichen. Wir spitzen dabei bewusst zu, um Verschiebungen in der Architektonik der Medienmacht herauszuarbeiten. Denn der kumulierte Einfluss der Technologiekonzerne ist heute bereits beträchtlich. Auch wenn beispielsweise Meta oder Alphabet alleine nicht den Journalismus beherrschen, so liegt es in der plattform-ökonomischen Logik der einzelnen Technologiekonzerne, möglichst viele Akteur:innen in die von ihnen geschaffenen Ökosysteme einzubinden, darin möglichst viel aus- und verwertbares Engagement zu erzeugen und infrastrukturelle Abhängigkeiten zu schaffen.

Von der Einfassung der Medienumwelten …

Der Journalismus ist für die Produktion und Verbreitung seiner Produkte auf Medientechnologie und -innovation angewiesen. Technologische Produkte, Dienstleistungen und Entwicklungen sind das Kerngeschäft der GAFAM-Unternehmen, die mit ihren Plattformen die wesentlichen technischen Infrastrukturen und Dienste des Webs entwickeln und betreiben (Dolata 2019). Auf diese sind mittlerweile nicht nur der Großteil der privaten Nutzer:innen, sondern auch Unternehmen und öffentliche Einrichtungen angewiesen – beispielsweise Stadtverwaltungen und Universitäten, die mit Microsoft arbeiten. Diese Technologien prägen nicht nur soziale, politische und wirtschaftliche Interaktionen im Internet, indem sie vieles einfach und bequem machen. Für Medien bedeuten sie auch, dass Suchmaschinen, Email-, Kontakt- und Kalenderverwaltungsprogramme, soziale Medien und andere Technologie, bereitgestellt von GAFAM-Unternehmen, Teil des (oft kostenlosen) Internets sind. Die Entwickler:innen dieser Technologien haben selbst aber eigene (Gewinn-)Interessen, die in das Design ihrer Produkte und Dienstleistungen einfließen (Nielsen und Ganter 2018).

Im Bereich des Medienrechts und der Medienpolitik fallen insbesondere die enormen Lobby-Aktivitäten der Technologiekonzerne auf. Im Januar 2021 wurden Daten veröffentlicht, die zeigen, dass Facebook und Amazon mehr Geld für Lobbyarbeit aufwenden als jemals zuvor. Mehr als 61 Millionen US-Dollar gaben die GAFAM-Unternehmen insgesamt aus, um die US-amerikanische Gesetzgebung und Politik zu lobbyieren – davon entfielen rund 20 Millionen US-Dollar auf Facebook und knapp 18 Millionen US-Dollar auf Amazon (Duffy 2021). Für die IT-Konzerne ist Lobbyarbeit so wichtig, dass sie 2012 ihre eigene Lobbyorganisation Internet Association gründeten. In der EU ist die Technologiebranche derzeit, noch vor der mächtigen Auto-, Pharma- oder Finanz-Lobby, der Sektor mit den höchsten Lobby-Ausgaben. Jährlich werden fast 100 Millionen Euro zur Einflussnahme auf europäischer Ebene ausgegeben – unter anderem, da in der EU mit dem Digital Markets Act und dem Digital Services Act strengere Regeln für digitale Plattformen erarbeitet werden. Dagegen wehren sich die Technologiekonzerne mit vereinten Kräften. Zudem unterstützen sie zahlreiche Verbände und Denkfabriken finanziell, wobei sie diese Verbindungen nicht vollständig offen legen (und dies in der EU auch nicht müssen, vgl. Bank et al. 2021).

Neben der regierungsbezogenen Lobbyarbeit gibt es weitere Methoden der Einflussnahme auf medienpolitische Entscheidungen. So stehen medienrelevante Wissenschaft und Forschung vermehrt im Fokus der GAFAM-Unternehmen. Facebook sponserte beispielsweise die Forschung über Künstliche Intelligenz an der Technischen Universität München mit rund 6,5 Millionen Euro; Google unterstützte das Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft finanziell (HIIG).Footnote 2 Schon seit Jahren setzen Technologiekonzerne auf Wissenschaftslobbyismus, um ihre politische Position zu stärken (Kreiß 2015). Im Fokus steht hierbei oft die Ausgestaltung des Datenschutzes, der potenziell eine Bedrohung des auf Datensammelei ausgerichteten Geschäftsmodells der Konzerne darstellt. Medienförderung ist ein weiteres Betätigungsfeld von GAFAM-Unternehmen. Hier geht es um Gelder der Konzerne für Medien, Journalist:innen und den Journalismus allgemein, die meistens im Rahmen zweckgebundener Projekte fließen. Diese Förderungen müssen unter anderem als Besänftigungsstrategie gegenüber den großen Medienverlagen verstanden werden, die mit mehreren drohenden Kartellverfahren ihre Geschäftsgrundlage gegen die Technologiekonzerne verteidigen woll(t)en. In Europa hat Google nach eigenen Angaben beispielsweise bislang ca. 210 Millionen Euro für Medienförderung ausgegeben, wovon ein Großteil für Projekte in Deutschland anfiel. Neben inhaltlichen und technischen Projekten bezahlte Google dabei auch Fellowships in Redaktionen oder förderte Branchenkonferenzen (Dachwitz und Fanta 2020). Ziel der Medienförderung ist zudem die Finanzierung von Innovationen und Weiterbildungen für den Digital- und Datenjournalismus (Nechushtai 2018).

Technologiekonzerne stellen schließlich attraktive (teils unentgeltlich nutzbare) Plattformen zur Verfügung, auf denen sich unterschiedliche Kommunikator:innen und ihr Publikum begegnen und austauschen können. Ihr Zugang zu den Kommunikator:innen wie dem Publikum ist ein „informierter“, da alle Interaktionen auf den Plattformen überwacht und ausgewertet werden. Die Konzerne haben dadurch nicht nur einen privilegierten Zugang zu den Interessen und Präferenzen des Publikums und somit zu potenziellen Kund:innen, die es mit Werbung zu erreichen gilt, sondern bieten einen von ihnen kuratierten Informationsraum an (Dolata 2019; Boes et al. 2020), in dem alle sozialen Handlungen vorbereitet und durchgeführt werden können – die Konzerne organisieren Öffentlichkeit.

Relevante Quellen der journalistischen Berichterstattung lassen sich mit Hilfe ihrer Infrastrukturen entdecken, beobachten und kontaktieren. Twitter bietet zum Beispiel leichten Zugang für Journalist:innen zu Augenzeugen bestimmter Ereignisse oder zu Expert:innen für bestimmte Themen und Entwicklungen. Solche Ereignisse und Events lassen sich zudem im Hinblick auf ihren Nachrichten- und Zustimmungswert einschätzen. Auf Twitter werden für bestimmte Regionen oder Themenbereiche ‚Trends‘ veröffentlicht, die in einem spezifischen Zeitraum besonders viel Aufmerksamkeit erhielten; Journalist:innen können diese Trends beobachten und gegebenenfalls zu Objekten der Recherche und Berichterstattung machen.

… zur Einfassung der medialen Wertschöpfung

Wird der Journalismus durch die Beeinflussung seiner Umwelten quasi von außen ‚umzingelt‘, so reicht der Einfluss der Technologiekonzerne auch weit in das Innere seiner ökonomischen Organisation hinein. In der Medienindustrie ist die Nutzung externer Dienstleistungen für einzelne Stufen der Wertschöpfung kein neues Phänomen. Telefon- und Telegrafie-Dienstleistungen für die Kommunikation mit externen Quellen oder innerhalb der Organisation, Computer mit Softwarelizenzen für die Nachrichtenproduktion oder Postdienste für die Verbreitung gedruckter Medieninhalte gab es lange vor der digitalen Transformation (Nechushtai 2018). Neu ist heute die Vielzahl der Angebote aus einer Hand: (Einzelne) Digitalunternehmen erbringen für den Journalismus notwendige Leistungen nicht nur an einer oder zwei Stellen der Wertschöpfungskette, sondern auf ganzer Linie.

Obwohl für die Beschaffung von Informationen, die Produktion und Zusammenstellung von Inhalten sowie die technische Produktion auch nicht-kommerzielle, häufig auch untereinander kompatible Alternativen grundsätzlich zur Verfügung stünden (siehe zum Beispiel Welchering 2022), wird in der journalistischen Arbeit zu großen Teilen auf die teilweise kostenfreien, weit verbreiteten und intuitiv leichter zugänglichen Dienste der Technologiekonzerne zurückgegriffen. Journalist:innen recherchieren zum Beispiel mit Googles Suchdiensten, Facebook oder Twitter und nutzen Metas Messenger-Dienste (WhatsApp) oder Microsofts Videokonferenzsysteme (wie Skype und Teams) zur Kommunikation. Zudem werden Dienste der GAFAM-Unternehmen für die Produktion von interaktiven und auf Mobilgeräten nutzbarem Content (z. B. Facebook 360 und Facebook Instant Articles) und die Zusammenstellung von Inhalten (einer oder verschiedener Medienorganisationen) gemäß Nutzer:innen-Präferenzen verwendet.

Die für den traditionellen Journalismus aber wohl entscheidenden Einfassungen finden sich in den Wertschöpfungsstufen der Distribution und des Marketings der Kuppelprodukte aus Medieninhalten und Werbung sowie damit verbunden der Akquisition und Platzierung von Werbung. Die Datenkonzerne bieten Technologien zur Markt- und Rezipient:innenanalyse und machen die Nachfrage und das Interesse von Nutzer:innen messbar. Google Analytics ist beispielsweise ein einflussreicher Dienst für Besucher:innendaten, Seitenaufrufe und die geografische Verteilung des Publikums (Marshall 2021). Zu ähnlichen Zwecken hat Facebook den Dienst Insights entwickelt, mit welchem Nachrichtenorganisationen analysieren können, wie ihre Inhalte auf Facebook abschneiden und dadurch lernen, wie sie diese für Facebook optimieren können (Nechushtai 2018).

Über die Analyse der Nutzungs- und Performancedaten hinaus, versuchen digitale Technologiekonzerne den Zugang zu Rezipient:innen grundlegend zu monopolisieren (Lobigs 2018). Mediennutzung findet zunehmend online statt und der Kontakt mit einem professionell hergestellten journalistischen Produkt entsteht dann oftmals auf einer privaten Plattform-Infrastruktur, wie einer Suchmaschine oder einem sozialen Medium. Die Zusammenstellung einzelner journalistischer Nachrichten zu einem nicht länger professionell-redaktionell kuratierten Angebot erfolgt automatisiert durch Algorithmen und beruht auf den überwachten Präferenzen und Interaktionen der Rezipient:innen. Um dem Versiegen ihrer (Werbe- und Abo-) Einnahmen aus dem einst privilegierten Zugang zur Aufmerksamkeit der Rezipient:innen entgegenzuwirken, werden klassische Medienunternehmen nicht nur zu Investitionsanstrengungen und Kooperationen untereinander sondern auch zur Zusammenarbeit mit den ‚kapernden‘ Technologiekonzernen gezwungen. Sie passen so beispielsweise die Verbreitung ihrer journalistischen Inhalte an die Marketing-Strategien in den Ökosystemen von Google, Facebook und YouTube an (Lobigs 2018), was aber gleichzeitig zu einem weiteren Kontrollverlust über den Zugang zum Publikum führt. Stellenweise rutschen die Medien in die Rolle journalistischer Dienstleister für die neuen Gatekeeper, zum Beispiel, wenn die Deutsche Presseagentur (dpa) für Facebook redaktionelle Kuratierungs- und Qualitätskontrollen übernimmt (Fanta 2022).

Fazit

Der in der kritischen Medienkonzentrationsforschung herausgearbeitete grundlegende Widerspruch zwischen „der idealisierten Rolle der Presse als demokratische Institution und ihrer ökonomischen Fundierung im Privateigentum“ (Ferschli et al. 2019, S. 3) bleibt auch im digitalen Medien-Kapitalismus virulent. Gleichzeitig muss sich der Analysefokus gegenüber früheren Untersuchungen über die potenzielle Beeinflussung von Medien und Journalismus mittels Eigentümerschaft und Finanzierung hinaus weiten. Technologiekonzerne sind heute die entscheidenden Treiber einer überwachungsbasierten Kultur- und Medienproduktion (Turow und Couldry 2018) und die Gewinner der damit einhergehenden Verschiebungen in der Macht-Architektonik von Mediensystemen. Mit dem Blick auf den Einfluss der Technologiekonzerne auf alle Stufen der Wertschöpfung im Medienbereich sowie auf die diesen Bereich umgebenden Informationslandschaften wurde deutlich, dass nicht länger nur einzelne Orte und einflussreiche Akteure in der Öffentlichkeit privaten Interessen unterworfen sind; vielmehr wird zusätzlich der Kommunikationsraum zwischen allen an der öffentlichen Debatte partizipierenden Akteur:innen und um sie herum kommerzialisiert: Öffentlichkeit als solche wird privatisiert und entfernt sich dadurch (noch stärker als zuvor) vom Idealbild als Arena demokratischer Aushandlungen.