1 Von der Silver Society zur Platinum Society

1.1 Die Platinum Society

Das Thema „Zivilgesellschaftliches Engagement und Inklusion“ dieser Sektion aufgreifend soll an dieser Stelle ein neues Konzept für eine alternde Gesellschaft – nämlich das einer „Platinum Society“ – vorgestellt werden. Die „Platinum Society“ steht für eine nachhaltige Entwicklung einer Gesellschaft, die durch Alterung nicht an „Glanz“ verliert. Sie ist für alle gesellschaftlichen Gruppen – Zivilgesellschaft, öffentliche Verwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft – gewinnbringend. Sie beschreibt ein „Rundum-Win–Win-Modell“.

Der Anteil der Menschen ab 65 Jahren beträgt in Japan aktuell 28 %. Damit rangiert das Land im weltweiten Vergleich auf Platz 1. In Deutschland liegt der Anteil bei 22 %. Beide Länder sind in dieser Hinsicht also „führende Nationen“ im Hinblick auf die Alterung von Gesellschaften. In Japan – ebenso wie in Deutschland – geht der demografische Wandel mit einer steigenden Anzahl alleinlebender Senior:innen einher, die oftmals vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen sind. Die Isolation alter Menschen, ihr einsames Sterben und steigende Ausgaben für die medizinische Versorgung und Pflege stellen ernste Herausforderungen dar und machen Japan auch in dieser Hinsicht zu einer „führenden demografischen Problemnation“.

Ändert man jedoch den Blickwinkel, dann birgt eine alternde Gesellschaft neben Risiken und Bedrohungen auch Chancen. De facto sind 80 % aller Senioren in Japan gesund. Auch wenn die Anzahl der Menschen, die Leistungen der Pflegeversicherung in Anspruch nehmen, stetig steigt, so liegt deren Anteil derzeit noch bei lediglich 20 % (MHLW, 2019). Gefragt ist jetzt ein Bewusstseinswandel, so dass ältere Menschen nicht mehr nur als Last gesehen, sondern als wertvolle Bereicherung für das gesellschaftliche Leben geschätzt werden. Wichtig ist es, die Jahre, die im Alter noch bei guter Gesundheit verbracht werden können, durch gesellschaftliche Teilhabe und gegenseitige Hilfe zu verlängern und so Menschen davor zu bewahren, zum Pflegefall zu werden. Ebenso notwendig ist eine enge Kooperation zwischen Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft, um die stetig zunehmenden Ausgaben im Gesundheits- und Pflegebereich einzudämmen. Japan und Deutschland als Vorreiter alternder Gesellschaften, können sich so von Problemnationen zu weltweit führenden „Problemlösungsnationen“ entwickeln.

Es braucht dazu zunächst die gemeinsame Einsicht, dass eine alternde Gesellschaft nicht etwas Negatives, sondern etwas Positives darstellt. Diese Einsicht zum Prinzip machend schuf das Mitsubishi Research InstituteFootnote 1 2010 den Ausdruck „Platinum Society“ (MRI, 2010). Bislang wurde in Japan zur Beschreibung einer alternden Gesellschaft in Anlehnung an das Image silberhaariger Senior:innen der Begriff „Silver Society“ verwendet. Doch Silber oxidiert bekanntlich, und zudem suggeriert der Begriff, wie etwa der Name „Silver Seats“ als Bezeichnung für speziell ausgewiesene Sitzplätze für Ältere in Bahnen Hilfsbedürftigkeit. Platin hingegen ist hochwertiger als Silber, rostet nicht und verliert auch nicht an Strahlkraft. Hinzu kommt der Mehrgenerationen-Aspekt. Eine alternde Gesellschaft, in der Teilhabe und Inklusion ausreichend verwirklicht sind, dient nicht nur den Senior:innen selbst, sondern ist so konstituiert, dass auch junge Menschen, junge Eltern und Personen mittleren Alters „glänzen“ können (Abb. 1).

Abb. 1
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Quelle: Eigene Darstellung

Von der Silver Society zur Platinum Society.

1.2 Japans demografische Herausforderungen

Zunächst sollen einige gesellschaftliche demografische Herausforderungen Japans erörtert werden. In einer Studie mit 300 Teilnehmenden ab 75 Jahren (International Longevity Center Japan, 2008) wurden die Befragten nach ihrer jeweiligen Wohnsituation kategorisiert und fünf Jahre in Folge bezüglich eines möglichen Abbaus ihrer körperlichen und geistigen Funktionen untersucht. Die Untersuchungskategorien lauteten „männlich, alleinlebend“, „männlich, mit Ehepartnerin lebend“, „weiblich, alleinlebend“ und „weiblich, mit Ehepartner lebend“. In der Gruppe „männlich, alleinlebend“ fiel der Funktionsabbau mit 29,4 % und die Sterberate mit 17,6 % innerhalb des Untersuchungszeitraums am höchsten aus. Bei alleinlebenden Frauen hingegen lag der Funktionsverfall bei 12,2 % und die Sterblichkeit bei 0 %. Der Unterschied zwischen den Geschlechtern ist also erheblich. Das Alleinleben stellt für Männer eine besondere Herausforderung dar. Für diese Gruppe erscheinen gesellschaftliche Teilhabe und Inklusion besonders dringlich (Abb. 2).

Abb. 2
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Quelle: International Longevity Center Japan, 2008

Ergebnisse einer Fünfjahresstudie unter 300 Senior:innen ab 75 Jahren.

In einer anderen Studie gaben 1.559 Frauen zwischen 60 und 69 Jahren Antwort auf die Frage nach den für sie bedeutendsten Stressfaktoren im Alltagsleben (MRI, 2012). Die Antworten ergaben folgende Rangfolge: Platz 5 „Krankheit“, Platz 4 „Erdbeben“, Platz 3 „Kinder“ und Platz 2 „Finanzen“. Und was war Stressfaktor Nummer 1? Der Ehemann. Als Begründung wurde angeführt, dass der Mann nach seiner Pensionierung nur noch zu Hause sei und sich ohne jegliche Hobbies sozial isoliere, während die Frau sich weiterhin um seine Mahlzeiten kümmern müsse. Dadurch sei er zu einer „Belastung“ für sie geworden. Ein Problem ist dabei auch, dass sich viele ältere japanische Männer gar nicht darüber im Klaren zu sein scheinen, dass sie ihren Frauen „auf die Nerven gehen“. Offensichtlich ist es dringend notwendig, Probleme zu lösen, die eine Vereinsamung von Männern und eine Verschlechterung ihres Gesundheitszustands mit sich bringen sowie Stress bei den Partnerinnen verursachen. „Zivilgesellschaftliches Engagement und Inklusion“, das Thema dieser Sektion, bieten hierzu vielversprechende Lösungsmöglichkeiten.

2 Wegweisende Beispiele der Platinum Society

Im Folgenden werden nun einige wegweisende Beispiele aus Japan vorgestellt, die gesellschaftliche Teilhabe und Inklusion älterer Menschen befördern. Sie stehen exemplarisch dafür, wie nicht nur in Japan, sondern auch weltweit Probleme der gesellschaftlichen Alterung angegangen werden können.

2.1 Exadon – Gesellschaftliche Teilhabe von Senioren sowie Vorbeugung von Pflegebedürftigkeit und Demenz mithilfe japanischer Trommeln

Die Stadt Sado in der Präfektur Niigata liegt auf einer abgelegenen Insel im Japanischen Meer, die vom Hafen Niigata in etwa einer Stunde mit dem Tragflügelboot erreichbar ist. Ursprünglich diente die Insel als Ort, an den im 13. Jahrhundert der abgedankte Kaiser Juntoku, der buddhistische Priester Nichiren sowie im 15. Jahrhundert der Nô-Künstler Zeami und weitere Adelige, Künstler oder Gelehrte verbannt wurden. Während der Edo-Zeit (1603–1868) florierte die Insel aufgrund der dort vorhandenen von Gold- und Silbervorkommen. Auch nach der Öffnung Japans und der Meiji-Restauration (1868) stand Sado für industriellen Aufschwung. Während ihrer Blütezeit 1980 lebten auf der Insel 85.000 Menschen. Die Zahl sank danach drastisch und lag im Jahr 2020 bei nur noch 50.000. 40 % der Bewohner sind heute 65 Jahre oder älter (Stadtverwaltung Sado, 2019). Bei einem Bevölkerungsrückgang von jährlich 1000 Menschen und einer entsprechenden Alterung der Gesellschaft wird es zunehmend schwierig, die Inselgemeinschaft zu erhalten. Japans Probleme zeigen sich in einem Mikrokosmos.

Das Projekt Exadon setzt hier an. Der Begriff setzt sich aus „Exercise (Bewegung)“ & „Sado“ (der Ort) & „don (das Geräusch beim Schlagen einer Trommel)“ zusammen. Das Projekt wurde im Februar 2014 als gemeinsames Projekt der Kodo Cultural Foundation, der Stadt Sado und der Shiosai-Klinik als Fitness-Programm zur Pflegeprävention initiiert. Die Teilnehmer sollen Freude am Trommeln und an der Ausübung traditioneller Künste verspüren und gleichzeitig durch körperliche Aktivitäten an der Verbesserung der eigenen Gesundheit arbeiten. Die so erreichte aktive Einbindung von Senior:innen in das gesellschaftliche Leben leistet einen Beitrag zur Gesundheitsförderung, Demenzprävention und zur Stärkung der lokalen Gemeinschaft.

Konkret soll Exadon zum einen „seelische Leiden“ wie Angstzustände, Depressionen oder Demenzerkrankungen und zum anderen „körperliche Leiden“ wie das sog. locomotive syndrome (Funktionseinschränkungen des Bewegungsapparats) und das metabolische Syndrom (Fettleibigkeit mit Folgen für Diabetes, Schilddrüsenerkrankungen und Bluthochdruck) sowie dadurch verursachte Knochenbrüche, Gehbehinderungen, Schlaganfälle oder Herzinfarkte vermeiden. Wenn dies auch nicht gänzlich gelingt, so können doch die körperlichen Schmerzen und Beeinträchtigungen gemindert werden. Bewegungs- und Ernährungsgewohnheiten, die ausgewogen sind und Spaß machen, können zudem seelischen und körperlichen Krankheiten vorbeugen. Bei Exadon werden durch „Trommeln und traditionelle Künste“ spielerisch Bewegungsabläufe antrainiert, eine nahrhafte und ausgewogene „Exadon“ gegessen und somit auch etwas über bessere Ernährungsgewohnheiten gelerntFootnote 2. Die Teilnehmenden tauschen sich aus, entwickeln gegenseitiges Verständnis und wünschen einander Glück. So wird auch für seelische Ausgeglichenheit gesorgt. Regelmäßige Bewegung, ungezwungene geistige Beschäftigung und gesellschaftliche Aktivität beugen nicht nur Demenzerkrankungen, sondern auch diversen anderen Krankheiten vor und wirken insgesamt positiv auf die Psyche. Viele traditionelle Künste zielen genau auf diese Aspekte. Trommeln verfügen über ein universelles Design. Sie können generationenübergreifend von Alt und Jung und auch von Menschen mit Behinderung gespielt werden. Die Koordinator:innen der Exadon-Klassen sorgen dabei für eine angenehm harmonische und fröhliche Atmosphäre (Abb. 3).

Abb. 3
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Die Probleme des Alterns und die Vorzüge von Exadon

Trommeln spielen in der japanischen Kultur, etwa in Schreinen, seit jeher eine wichtige Rolle. Bei den in erster Linie mit Senior:innen durchgeführten Exadon-Experimenten werden vor und nach dem Trommeln Körperkraft, Vitalität sowie kognitive Fähigkeiten gemessen und Untersuchungen zu Depressionen und zum subjektiven Wohlbefinden durchgeführt. Statistische Analysen zeigen in Bezug auf Depressionen und ähnliche Erkrankungen teilweise signifikante Ergebnisse und klare positive Auswirkungen auf den Gemütszustand. Man kann Exadon also als wegweisendes Modell bezeichnen, das zum subjektiven körperlichen und seelischen Wohlbefinden beiträgt (Kobayashi, 2019). Gleichzeitig werden dabei traditionelle und ursprüngliche japanische Kunstformen gepflegt und die örtliche Gemeinschaft belebt.

Foto 1: Senior:innen beim Trommeln

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Quelle: https://www.exadon.com.

2.2 Das Iwaki Projekt zur Gesundheitsförderung

Die Präfektur Aomori landet regelmäßig auf den letzten Plätzen der landesweiten Rangliste zur durchschnittlichen Lebenserwartung, was auf eine hohe Raucherquote und einen hohen Salzverbrauch in der Ernährung zurückzuführen ist. Als Gegenreaktion werden seit 2005 unter dem Titel „Iwaki Projekt zur Gesundheitsförderung“ regionale Aktivitäten der Bewohner:innen des Bezirks Iwaki in der Stadt Hirosaki durchgeführt, die durch Prof. Shigeyuki Nakaji sowie Prof. Koichi Murashita von der örtlichen Universität initiiert wurden (Murashita, 2019). In jährlichen, großangelegten Gesundheitschecks wurden Daten von über 20.000 Erwachsenen und Kindern ab dem Grundschulalter erhoben. Dabei wurden 16 Jahre lang Gesundheitsdaten zu 2000 bis 3000 Themen abgefragt. Big Data ist in den vergangenen Jahren zu einem viel beachteten Thema geworden, doch bislang ausgewertete medizinische Daten stammen oft von erkrankten Personen. „Gesunden“ Menschen wurden hingegen meist nur 20 bis 30 Fragen gestellt.

Die umfangreichen Datensätze zur Gesundheit decken alle Themen – vom Genom über physiologische und biochemische Daten, Daten zum individuellen Lebensalltag sowie zum sozioökonomischen Umfeld – ab und sind auch international gesehen einzigartig. Aus diesem Grund wurde die Universität Hirosaki im Jahre 2013 in das Center of Innovation Programm (COI) des japanischen Ministeriums für Gesundheit, Arbeit und SozialesFootnote 3 aufgenommen und widmet sich seither in einem Konsortium von über 40 Unternehmen und etwa 50 wissenschaftlichen Einrichtungen der Forschung und Entwicklung auf dem Gebiet der Prävention von Zivilisations- und Demenzerkrankungen.

Als Beispiel für eine Unternehmenskooperation sei auf das Konzept der Firma Kao „Smart Washoku“ (intelligentes japanisches Essen) verwiesen, das Folgeuntersuchungen bezüglich positiver Auswirkungen auf die Gesundheit enthält. Das private Bildungsunternehmen Benesse konzipierte ein „Programm zur Gesundheitsbildung“ und AEON Mall, berühmt für ihre großen Einkaufszentren, führt ein Projekt namens „Mall Walking“ durch, bei dem man Bonuspunkte für die von AEON herausgegebene Geldkarte „Waon“ sammeln kann (MRI, 2017). Dieser Ansatz aus Bürgerbeteiligung, der Nutzung von Big Data und der Schaffung eines Gesundheitsbewusstseins (Health Literacy) wurde als fortschrittlich gewürdigt und erhielt 2018 beim ersten Open Innovation Preis des Kabinettsbüros den Preis des Premierministers und somit die höchste Auszeichnung.

Bei der medizinischen Versorgung der Zukunft sollte weniger der Aspekt der Problembewältigung, also nicht die Heilung erkrankter Menschen, im Vordergrund stehen, sondern vielmehr dem präventiven Ansatz stärkeres Gewicht beigemessen werden. Einer der Gründe für steigende medizinische Ausgaben ist das geringe Gesundheitsbewusstsein in Teilen der älteren japanischen Bevölkerung. Um dieses positiv zu beeinflussen, führt die Universität Hirosaki mittels einer medizinischen Quality of Life-Untersuchung ein innovatives Programm zur Verhaltensänderung durch. Das Projekt fokussiert auf folgende vier Bereiche: „metabolisches Syndrom“, „locomotive Syndrome“, „Mundhygiene“ und „Depression/Demenz“. Diesbezügliche Untersuchungen sowie die Erläuterung der Ergebnisse und präventive Gesundheitsberatung finden in nur zwei Stunden statt. Bisherige Evaluationsstudien zeigen, dass dadurch indikative Werte für Risiken von Diabetes, wie der HbA1c-Wert oder der Viszeralfettanteil, signifikant gesenkt werden konnten, d. h. die positiven Auswirkungen eines gestiegenen Gesundheitsbewusstseins können mittlerweile als bestätigt gelten.

Auch hinsichtlich Demenzerkrankungen, die in Japan als großes gesellschaftliches Problem des Alters gelten, wurden Untersuchungen durchgeführt. So wurden rund 2400 Gehirne von Senior:innen per Magnetresonanztomographie (MRT) untersucht, wobei im Rahmen von gleichzeitig vorgenommenen MMST (Mini-Mental-Status-Test zur Überprüfung der kognitiven Funktionen) festgestellt wurde, dass der MMST-Wert bei Menschen ab etwa 60 Jahren geringer ausfiel. Des Weiteren wurde belegt, dass Menschen, die an Schlafmangel litten, einen langsamen Gang aufwiesen und hinsichtlich ihrer Lebensqualität eher unzufrieden und unglücklich waren, im MMST wesentlich schlechter abschnitten. Durch die Analyse derartiger Daten mittels Künstlicher Intelligenz (KI) soll der Ausbruch von Demenzerkrankungen prognostiziert und somit vorbeugend eingegriffen werden (MRI, 2017).

Das Iwaki Programm trägt zur Verbesserung der Lebensqualität durch bürgerschaftliches Engagement bei, befördert gesundheitspolitische Maßnahmen, schafft neue Geschäftsfelder für Unternehmen und unterstützt neue Forschung an Universitäten. Es ist somit ein positives Beispiel, bei dem alle Beteiligten zivile, öffentliche, wirtschaftliche und universitäre Akteure profitieren. Die Erkenntnisse können zukünftig auch einen Beitrag zur weltweiten Gesundheitsförderung leisten, etwa im Rahmen der von den Vereinten Nationen propagierten Sustainable Development GoalsFootnote 4.

Foto 2: Teilnehmer:innen am Iwaki Gesundheitsförderungsprojekt

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2.3 „Share Kanazawa“ - Eine altersgemischte Community

„Share Kanazawa” ist ein Mehrgenerationen-Wohnprojekt, das sich etwa 15 Autominuten vom Stadtkern Kanazawas in der Präfektur Ishikawa auf einer großzügigen Fläche von ca. 33.000 m2 befindet. Hier stehen nicht nur die Seniorenwohnungen, das Herzstück der Community, sondern auch eine Sozialeinrichtung für Kinder mit Behinderung, Wohnungen für Studierende, ein japanisches Thermalbad für Bürger:innen aus der Umgebung, ein Restaurant, ein Café, Sportstätten und sogar eine Hundewiese zur Verfügung (Matsuda, 2017). Das Besondere an Share Kanazawa ist das „Mehrgenerationen“- Konzept. Dadurch, dass hier nicht nur alte Menschen, sondern auch Kinder mit Behinderung leben, Kinder aus der Nachbarschaft zum Kinderhort kommen und Wohnungen für Studierende zur Verfügung stehen, kommen viele unterschiedliche Generationen zusammen, was die Gemeinschaft besonders belebt. Eine über 90-jährige Bewohnerin einer Seniorenwohnung sagt: „Ich wohne jetzt gegenüber dem Hort und höre die lebhaften Stimmen der Kinder. Manche mögen das vielleicht als Lärm empfinden, aber mir bereitet das immer große Freude.“

Eine weitere Besonderheit ist die Trägerschaft. Im gemeinschaftlichen Einkaufsladen sind die Bewohner:innen der Seniorenunterkünfte für sämtliche Abläufe vom Einkauf bis hin zum Verkauf der Waren selbst verantwortlich. Sie arbeiten in Teilzeitschichten von zwei Stunden pro Tag und bekommen die Verkaufserlöse ausgezahlt, was ihnen zusätzliche Motivation verschafft. Ebenso können sie sich auch bei der Gestaltung der Warenauslage oder beim Service einbringen, und der Austausch mit den Kunden gibt ihnen einen wichtigen zusätzlichen Antrieb im Leben. Träger dieses Gemeinschaftskonzepts ist die Soziale Wohlfahrtskörperschaft Busshien. In einer anderen Region, in der die Körperschaft aktiv ist und wo sich ältere Menschen regelmäßig um behinderte Kinder kümmern, zeigte sich, dass sich der Pflegegrad von Senior:innen verbesserte. Das neue Verantwortungsgefühl steigerte offensichtlich ihre Lebenskraft. Eine Aufgabe innerhalb der Gemeinschaft zu haben und selbst zu einer tragenden Kraft zu werden, erhält und verbessert den Gesundheitszustand älterer Menschen. „Wir müssen uns von der bisherigen bipolaren Auffassung von ‚Unterstützern‘ und ‚zu Unterstützenden‘ verabschieden. Sobald man sich selbst als hilfsbedürftig wahrnimmt, verliert man seine Energie. Doch wenn man spürt, dass man selbst jemanden unterstützen kann, baut das auf“, erklärt Ryôsei Ôya, Vorstand des Busshien.

Eine dritte Besonderheit von „Share Kanazawa“ bilden die Wohnangebote für Studierende aus der Umgebung, die mit 30.000 Yen (ca. 250 EUR) inklusive Ateliernutzung äußerst günstig sind. Grund für diese geringe Miete ist, dass es Bedingung ist, dafür im Share Kanazawa ehrenamtlich tätig zu sein. Studierende der Kunsthochschulen helfen beim Design der Inneneinrichtung mit, beschäftigen sich mit den Senior:innen und Kindern oder arbeiten an der Restaurantkasse. Äußerungen von Studierenden wie „Ich selbst habe aus dieser ehrenamtlichen Arbeit unglaublich viel Energie geschöpft“ zeigen, welche Tragweite die gegenseitige Hilfe unterschiedlicher Generationen hat. Klagt ein Pächter eines Restaurants der Community über das anstrengende Rasenmähen, so schließen sich andere Mieter:innen zusammen und veranstalten ein fröhliches „Rasenmäh-Event“. Das Konzept ist hier, dass sich die Mitarbeiter:innen der Körperschaft bei der Planung und Ausgestaltung von Veranstaltungen eher im Hintergrund halten.

Viertens ist das Prinzip der „Offenheit“ zu nennen. Gewöhnlich neigen Gemeinschaften dazu, exklusiv und in sich geschlossen zu bleiben. Doch bei „Share Kanazawa“ ist z. B. die Nutzung der japanischen Thermalquelle für Bewohner:innen der Region kostenlos. Cafés und Kneipen, die die Besucher:innen nach dem Baden aufsuchen, sind zu beliebten und einladenden Treffpunkten geworden (Gesellschaft zur CRCC-Förderung, 2020). Da es zudem noch eine Galerie für Kunstwerke und sogar Alpakas gibt, kommen sogar Tourist:innen aus anderen Präfekturen hierher. Diese Offenheit gegenüber der Region und der  Mix an Angeboten sind äußerst attraktiv. Dadurch kann das Share Kanazawa als gutes Beispiel einer Platinum Society bezeichnet werden, in der alte Menschen die Dinge selbst in die Hand nehmen und jede Generation zu einem stärkeren Zusammenhalt in der Gemeinschaft beiträgt.

Foto 3: Share Kanazawa, Treffpunkt aller Generationen

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Quelle: Share Kanazawa.

2.4 Internet of Seniors (IoS)

Das „Internet of Things (IoT)“, das „alle Dinge“ über das Internet verbindet, gilt als Wegbereiter für den gesellschaftlichen Wandel im digitalen Zeitalter. Auf der anderen Seite wird die Kluft zwischen älteren Menschen, die Informationstechnologie nutzen können, und solchen, die dazu nicht in der Lage sind, weltweit in vielen Nationen als Problem angesehen. In Japan leben mittlerweile sieben Millionen alte Menschen allein (Kabinettsbüro, 2020). Durch ihr Abgeschnittensein von der Gesellschaft steigt das Risiko von Demenzerkrankungen und es entstehen zunehmende Kosten im Bereich der Gesundheit und Pflege. Um die Isolierung der Älteren und die „digitale Kluft“ zu vermeiden, müssen sie selbst dazu befähigt werden, das Internet zu nutzen. Aufgrund der Auswirkungen der Corona-Pandemie sind besondere Maßnahmen nötig, damit betroffene Ältere, die derzeit weniger Gelegenheiten zum Ausgehen und zu sozialem Austausch haben, am gesellschaftlichen Leben teilhaben können.

Mit dem Ziel „Alle Senioren mit dem Internet verbinden“ und dem darauf gerichteten Konzept des „Internet of Seniors: IoS“ wurde 2017 der Verein IoS Japan gegründet (IoS, 2020). Takeshi Maki, Gründer und Vorstandsvorsitzender von IoS Japan, erklärt: „Durch die Vernetzung von Senioren mit dem Internet möchte ich eine lebendige und neuartige alternde Gesellschaft aufbauen, über Generationen, Regionen und Branchen hinweg.“ Der Verein gab 2020 ein „Zoom-Handbuch von Senioren für Senioren“ heraus und setzt sich dafür ein, dass auch Anfänger:innen sich über Smartphones oder Computer austauschen können. Bemerkenswert ist, dass Senior:innen sich dies gegenseitig beibringen. Von ihren Familienangehörigen bekommen sie oft die Antwort: „Ich habe es Dir doch gerade erst erklärt, warum fragst Du schon wieder?“, sodass sie sich häufig scheuen, Familienangehörige zu fragen, wie man die Endgeräte nutzt. Es ist wichtig, die Probleme, mit denen sich Senior:innen oftmals schwertun, mehrmals langsam und sorgfältig zu erklären. Daher wird Wert daraufgelegt, nicht den Stolz der Senior:innen durch Aussagen wie „Du bist aber vergesslich“ oder „Frag doch nicht ständig“ zu verletzen, sondern ihnen die Dinge sorgfältig zu erklären und ihnen dabei Selbstbewusstsein zu geben.

Einmal pro Woche findet außerdem ein Online-Meeting statt, an dem Senior:innen zwischen 50 und 89 Jahren aus ganz Japan teilnehmen. Früher wurden auch gemeinsame Treffen und Reisen organisiert, doch als aufgrund von Corona keine persönlichen Begegnungen mehr möglich waren, begann man im April 2020 mit Online-Meetings. Ein Großteil der Teilnehmenden hatte keinerlei Erfahrung, doch jedes Mal, wenn ein Problem auftrat, half man sich gegenseitig und brachte sich das Notwendige bei, sodass mittlerweile ein reibungsloser Austausch stattfindet.

Einige sind sogar so fit im Umgang mit der Technik, dass sie ihre Bildschirme teilen, um ihre selbst geschossenen Fotos zu präsentieren. „Ehrlich gesagt, hatte ich anfangs Angst davor, das Internet zu nutzen, doch als ich einmal damit anfing, konnte ich das nächste Meeting kaum erwarten. Die Gespräche mit den anderen Teilnehmern stimmen mich fröhlich und inspirieren mich.“ … „Durch das Coronavirus hatte ich weniger Gelegenheiten auszugehen und eher das Gefühl, von der Gesellschaft zurückgelassen worden zu sein. Doch nun, wo mir etwas Neues beigebracht wurde, hat sich mein Horizont erweitert.“ So die Stimmen einiger Teilnehmer.

Eine über 80-Jährige erzählte, sie pflege ihren Mann seit drei Jahren intensiv zu Hause, sodass sie keine Zeit mehr zum Ausgehen oder zum Treffen mit anderen gehabt habe. Auf eine Empfehlung hin habe sie an einem der Online-Meetings teilgenommen, und die anderen Teilnehmenden hätten ihr geholfen, die schweren Belastungen durch die Pflege besser zu bewältigen. Dadurch habe sie sich viel befreiter gefühlt, sodass sie ihren Mann jetzt noch besser pflegen könne.

„Wenn ich selbst glücklich bin, dann denke ich, dass ich meinem Mann dieses Glück ebenso wünsche und kann netter zu ihm sein“. … „Schon vor Corona war mir die Vereinsamung alter Menschen ein Anliegen. Die Nutzung des Internets wirkt auch vorbeugend auf Demenzerkrankungen, daher möchte ich auf diese Art meine Kommunikationsmöglichkeiten vorantreiben“.

Auch mit einfacher Videotelefonie via Smartphone kann dem Wunsch, die Enkel zu sehen und ihre Stimmen zu hören, entsprochen werden. Smartphones sind nicht nur leichter zu bedienen als Computer, sondern in einem von Naturkatastrophen wie Taifunen oder Erdbeben häufig betroffenem Land wie Japan auch im Notfall ein effektives Kommunikationsmittel.

Foto 4: Das Internet trägt zu einer breiteren gesellschaftlichen Teilhabe von Senior:innen bei

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Quelle: IoS Japan

2.5 Rikkyo Second Stage College – Die Universität als Ort für Austausch, Bildung und Begegnung

In einer Platinum Society werden Universitäten eine wichtige Rolle für die gesellschaftliche Teilhabe und zur Selbstverwirklichung von älteren Menschen spielen. In Japan gibt es derzeit etwa 780 Universitäten, davon sind ca. 20 % staatlich und 80 % privat. Aufgrund des Geburtenrückgangs haben viele von ihnen damit zu kämpfen, ausreichend Studierende zu rekrutieren. Auf der anderen Seite suchen mehr und mehr ältere Menschen nach Chancen, sich weiter zu bilden. Ältere Menschen mit viel Lebenserfahrung und Fachwissen können sich im Austausch mit Professor:innen und jungen Kommiliton:innen gegenseitig inspirieren. Dies kann die universitäre Lehre und Forschung sehr wohl bereichern.

Das Rikkyo Second Stage College (RSSC) der Universität Rikkyo wurde 2008 gegründet und richtet sich an Personen ab 50 Jahren beschränkt. Das Konzept setzt Ideen wie „noch einmal lernen“, „neue Herausforderungen“ und „generationenübergreifendes gemeinsames Lernen“ um. Das College unterstützt Senioren:innen, die sich auf eine neue Lebensphase einlassen. Die Teilnehmer:innen immatrikulieren sich ein Jahr für den regulären Studiengang und können auf Wunsch noch ein weiteres Spezialisierungsjahr absolvieren. Einen akademischen Titel kann man hier zwar nicht erlangen, doch sowohl im regulären Studium als auch im Spezialisierungsfach erhält man ein Abschlusszertifikat und ein Zeugnis gemäß Schulbildungsgesetz. Jedes Jahr werden ca. 100 Studierende im regulären Studiengang aufgenommen, nachdem sie einen Aufsatz eingereicht und erfolgreich an einem Auswahlgespräch teilgenommen haben. Das Geschlechterverhältnis hält sich in etwa die Waage, das Durchschnittsalter beträgt ca. 63 Jahre, und es kommen ganz unterschiedliche Menschen zwischen 50 und 89 Jahren mit verschiedenen Bildungsgraden und diversem beruflichen Hintergrund zusammen.

Die College-Teilnehmenden sind hoch motiviert und genießen das Campusleben in allen Belangen. Fragt man sie nach den Gründen, weshalb sie sich für das Studium entschieden haben, so heißt es:

„In meiner Studienzeit war die Studentenbewegung auf einem Höhepunkt, sodass ich ins Berufsleben kam, ohne an der Uni viel gelernt zu haben. Das möchte ich jetzt noch einmal nachholen“.„Ich war bislang ausschließlich Hausfrau. Jetzt, wo ich mich nicht mehr um die Erziehung der Kinder kümmern muss, möchte ich meinen Horizont erweitern und neue Freunde finden“ (MRI, 2010).

Um durch Lernen den Senior:innen eine neue Form der gesellschaftlichen Teilhabe am Leben näher zu bringen, besteht der Lehrplan aus den drei Bereichen: „Allgemeinbildung in einer alternden Gesellschaft“, “Community Design und Business” sowie “Gestaltung des zweiten Lebensabschnitts” mit insgesamt 45 Einzelfächern wie Wirtschaft, Gesellschaft, Philosophie, Religion, Literatur, Kommunikation u. a. (RSCC, 2020). Attraktiv ist auch, dass in der ersten sowie zweiten Hälfte des Seniorenstudiums pro Semester je zwei Fächer aus den regulären Bachelorstudiengängen belegt werden können. Das „generationenübergreifende Bildungsangebot“, bei dem ältere und zwanzigjährige Studierende zusammenkommen, führt bei den jungen Studierenden im Austausch mit erfahrenen Senioren zu zahlreichen Entdeckungen und lehrreichen Eindrücken. Das ist auch für die Universität im Hinblick auf innovative pädagogische Konzepte und Forschungsansätze und damit auch für ihr Branding von Vorteil.

Ein weiteres Charakteristikum des RSSC besteht darin, dass hier kein einseitiger, primär theoretischer Frontalunterricht stattfindet, sondern viel Wert auf Interaktion gelegt wird. Es gibt häufig Gelegenheiten zu Diskussionen im Workshop-Format und zu Referaten. Zudem finden auch Besichtigungen von Pflegeeinrichtungen und andere extracurriculare Aktivitäten statt. Seminare sind sowohl im regulären Studium als auch in der Spezialisierung Pflicht, wobei eine aktive und selbständige Teilnahme an der Planung und Durchführung als Seminarleiter:in, Newsletter-Beauftragte:r oder Seminarfahrts-Organisator:in vorausgesetzt wird.

Mit der Zeit lösen sich die Studierenden von ihren ehemaligen Funktionen und Titeln und schließen Freundschaften, die über reine Arbeitsbekanntschaften hinausgehen und vielmehr Lernpartnerschaften darstellen, in denen man sich gegenseitig bereichert. Die Aussage: „Ich hätte nicht gedacht, dass ich in meinem Alter neue Freunde finden würde“, steht beispielhaft für diese Erkenntnis. Ein anderer Teilnehmer sagt: „Wenn man immer nur gearbeitet hat, weiß man später gar nicht, was man tun soll. Deshalb brauche ich eine Art Bewährungszeit, in der ich am RSSC lernen kann und mir über das bewusst werde, was ich wirklich tun möchte und tun kann.“

Die überwiegende Zahl der Absolvent:innen des RSSC nennen als Ziele für die Zeit nach dem Abschluss Dinge wie: „Ich möchte eine NPO gründen und mich für die Kinderbetreuung in meiner Region einsetzen“„Ich möchte Smartphone-Kurse für Ältere anbieten.“ Oder: „Ich möchte meine Sprachfähigkeiten dafür einsetzen, ausländischen Touristen die japanische Kultur näher zu bringen“; also mehrheitlich Vorhaben, die „in irgendeiner Form einen Beitrag für die Gesellschaft leisten sollen“. Zur Betreuung nach dem Abschluss wurde zudem 2009 ein „Support Center für soziales Engagement“ errichtet. 500 ehemalige Studierende, d. h. etwa 50 % der Absolventen, engagieren sich mittlerweile gesellschaftlich. Am RSSC bildet in diesem Sinne also auch Führungskräfte und Koordinator:innen für die lokale Gemeinschaft aus.

Foto 5: Seniorenstudierende und der Autor

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Quelle: Autor

3 Zusammenfassung – Das „Rundum-Win–Win-Modell“

Die hier vorgestellten Vorreitermodelle einer Platinum Society bringen nicht nur Vorteile für einen einzelnen Sektor, sondern es profitieren diverse Akteure wie Bürger, Gemeinwesen, Industrie und Universitäten. Exadon ist gesellschaftliche Teilhabe mithilfe japanischer Trommeln. Das Iwaki Projekt fördert das Gesundheitsbewusstseins mittels Gesundheitsuntersuchungen und -beratung. „Share Kanazawa“ ist ein Beispiel für generationenübergreifende gegenseitige Hilfe, bei der Synergien zwischen unterschiedlichen Einrichtungen entstehen. IoS trägt zur gesellschaftlichen Teilhabe älterer Menschen durch das Internet und zur Überwindung der digitalen Kluft bei. Das Rikkyo Second Stage College schließlich sorgt durch lebenslanges Lernen für mehr Vitalität sowohl unter Senioren als auch an den Universitäten. Zusammenfassend lassen sich vier Vorteile konstatieren.

Erstens können Bürger:innen, darunter auch Senior:innen, mithilfe von Exadon oder dem Iwaki Projekt durch aktive gesellschaftliche Teilhabe und Gesundheitsförderungsprogramme gesünder und länger leben. Zudem eröffnen sich durch die gegenseitige und generationenübergreifende Hilfe in den regionalen Gemeinschaften neue Lebensinhalte für alte Menschen und ein stärkeres Solidaritätsgefühl der Bürger:innen untereinander.

Zweitens führt eine gesteigerte gesellschaftliche Teilhabe von Senior:innen, wie etwa im Falle von „Share Kanazawa“, im öffentlichen Bereich zu mehr Leben in der örtlichen Gesellschaft. Durch den Fortschritt in der Präventionsmedizin und eine Verlängerung der gesunden Lebenserwartung ist zu hoffen, dass Ausgaben im Gesundheits- und Pflegebereich reduziert werden können. Es sollte nicht darum gehen, wie man Pflegebedürftige „besser“ behandelt, sondern vielmehr sollten Ansätze wie das Iwaki Projekt vorangetrieben werden, bei denen es darum geht, Pflegebedürftigkeit durch Prävention möglichst zu vermeiden. Dadurch könnten auch diverse Arbeitsplätze im Bereich der Präventionsmedizin geschaffen werden. Wenn neue Arbeitsplätze entstehen und die lokale Wirtschaft wächst, steigert das auch die Steuereinnahmen, was den Kommunen wiederum mehr finanzielle Reserven für Gesundheits-, Pflege- und Sozialausgaben eröffnet.

Drittens entstehen für die Wirtschaft neue Geschäftsfelder rund um die Schaffung einer Platinum Society. Beispielhaft sind etwa regionale soziale Gestaltungskonzepte wie „Share Kanazawa“ oder Förderprogramme für Ernährung, Verpflegung, Bewegung und Gesundheit wie Exadon, Internetprojekte für Ältere wie IoS und darüber hinaus vielversprechende Geschäftszweige wie Transport- und Fahrhilfen für Senior:innen oder Dienstleistungen zur fürsorglichen Kontrolle.

Viertens sehen sich die Universitäten angesichts des fortschreitenden Geburtenrückgangs und dem damit einhergehenden Rückgang der Studierendenzahlen mit zunehmend schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen konfrontiert. Universitäten sind mittlerweile keine Orte mehr, an denen nur 18- bis 22jährige studieren. Universitäten sollten ihre Pforten künftig verstärkt auch für Senior:innen öffnen, so wie es das Rikkyo Second Stage College bereits tut. Aussichtsreich sind zudem Kooperationen von Wirtschaft und Wissenschaft und die Nutzung von Big Data, wie es die Universität Hirosaki mit dem weltweit einzigartigen Iwaki Gesundheitsprojekt vormacht. Auf diese Weise wird die Platinum Society zu einem „Rundum-Win–Win-Modell“, von dem Bürger:innen, das Gemeinwesen, Wirtschaft und Wissenschaft profitieren, und durch das ein positiver Kreislauf zur Verbesserung individueller und gesellschaftlicher Lebensverhältnisse in Gang gesetzt werden kann (siehe Abb. 4).

Abb. 4
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Quelle: Eigene Darstellung

Rundum-Win–Win-Modell.

Die genannten Vorteile für die verschiedenen Akteure werden in der folgenden Tabelle noch einmal zusammengefasst dargestellt (Tab. 1).

Tab. 1 Zusammenfassende Übersicht der durch die fünf Initiativen erzeugten Vorteile

Zivilgesellschaftliches Engagement und Inklusion befreien Senior:innen von dreierlei Sorgen. Erstens verbessern sie die körperliche Verfassung, also Freiheit von der Sorge in Bezug auf den Körper. Sie dehnen die gesunde Lebensphase im Alter aus und sorgen dafür, dass man auch im Pflegefall auf Hilfe in der lokalen Gemeinschaft zählen kann. Zweitens schaffen sie mehr wirtschaftliche Sicherheit, also Freiheit von Geldsorgen, indem man sich weniger Sorgen um Gesundheits- und Pflegekosten und damit verbundenen zusätzlichen Lebenshaltungskosten machen muss. Drittens sorgen sie für eine größere mentale Zufriedenheit, also für Freiheit von seelischen Sorgen. Alte Menschen haben eine Aufgabe, werden selbst zu Akteur:innen der (lokalen) Gesellschaft und unterstützen sich gegenseitig. Das befriedigt auch das Bedürfnis nach Bestätigung und danach, sich einzubringen und von anderen ein „Dankeschön“ zu hören. Diese Maßnahmen können nicht durch einen Akteur oder eine Kommune allein vorangetrieben werden. Vielmehr ist es wichtig, ein integriertes System zu konzipieren, welches das Zusammenspiel von Wirtschaft, Verwaltung und Wissenschaft gezielt fördert und unterstützt.