Zusammenfassung
Die Vermutung, dass es angesichts eines in den letzten Jahrzehnten explosionsartig angewachsenen musikanalytischen Schrifttums zu Mozart eigentlich nichts mehr Wesentliches über die Werke dieses wesentlichen Künstlers zu sagen gäbe, begleitet die je aktuellen Forschungsbemühungen in der verwalteten Welt des Wissenschaftsbetriebs als eine nachgerade symbiotische Erscheinung. Ob sie als solche einer resignativen Geschichtsverdrossenheit zu schulden ist oder nur mit elitärem Fortschrittsennui kokettieren möchte: Die vermeintlich mit ihr transportierte Kritik an der eigenen „Wut des Verstehens“1 treibt bei näherem Hinsehen nur Antworten auf Fragen hervor, mit denen sich auseinanderzusetzen müßig dünkt. Gilt es doch ohnedies als Gemeinplatz musikgeschichtlicher Propädeutik, dass etwa eine Analyse nichts anderes als bereits etablierte Positionen durch aktuelle Sichtweisen ergänzen, umschichten und bestenfalls auf eine für das gegenwärtige Verständnis gewinnbringende Art darstellbar machen kann — und dies nicht nur, weil die interpretative Unerschöpflichkeit gelungener Kunstwerke bereits ein Konstituens der ästhetischen Erfahrung selbst ist.2 Die Klage über den Umstand, dass nur mehr Kommentare über frühere Kommentare zur Kunst produziert würden, ist ein treuer Begleiter des Wissenschaftsdiskurses schon seit einigen Jahrhunderten und sollte die Historiographie weder dazu veranlassen, sich in die Nobilitierung eines (angeblich) wieder entdeckenswerten künstlerischen Mittelmaßes zu flüchten noch den Starrkrämpfen kulturpessimistischer Innerlichkeit zu verfallen.
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Notizen
J. Hörisch, Die Wut des Verstehens. Zur Kritik der Hermeneutik, Frankfurt a. M. 1998.
A. Wellmer, Das musikalische Kunstwerk, in: Falsche Gegensätze, hrsg. von A. Kern und R. Sonderegger, Frankfurt a. M. 2002, S. 163.
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G. Gruber, Defizite in unserem Mozart-Bild, in: Österreichische Musikzeitschrift 46, 1991, S. 45.
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Vergleiche hierzu J. Kocka, Angemessenheitskriterien historischer Argumente, in: Objektivität und Parteilichkeit. Beiträge zur Historik, Bd. 1, hrsg. von W. J. Mommsen und J. Rüsen, München 1977, S. 469–473.
T. Luckmann, Gelebte Zeiten, in: Epochenschwelle und Epochenbewußtsein, hrsg. von R. Herzog und R. Koselleck, München 1987, S. 287.
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R. Koselleck, Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt a. M. 21992, S. 369.
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C. Dahlhaus, Die Musiktheorie im 18. und 19. Jahrhundert. Erster Teil, Darmstadt 1984 (= Geschichte der Musiktheorie, Bd. 10), S. 227.
J. Wertheimer, Goethes Glück und Ende: Vom verhängnisvollen Schicksal, Klassiker zu sein, in: Über das Klassische, hrsg. von R. Bockholdt, Frankfurt a. M. 1987, S. 102.
Vergleiche dazu etwa die Dokumente bei: E. R. Sisman, Mozart: The „Jupiter“ Symphonie Nr. 41 in C major, K 551, Cambridge 1993, S. 28 ff.
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Schmidt, M. (2003). Gelesene Gegenwart. In: Wagner, G. (eds) Jahrbuch des Staatlichen Instituts für Musikforschung Preußischer Kulturbesitz. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-02885-3_6
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