Liebe Leser, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

die Idee zu einem Themenheft Präimplantationsdiagnostik war gut, auch deshalb, weil diese wichtige Thematik unseres Faches seit vielen Jahren Gegenstand zum Teil sehr heftiger Diskussionen war und weiterhin ist. Da der Zeitplan für dieses Heft ambitioniert war, freuen wir uns, dass unser Themenheft jetzt sieben Beiträge einschließt, hierfür danken wir den Autoren.

Die juristische Perspektive wird von Thomas Wostry dargestellt. Der Titel seines Beitrages „Fünf Jahre PID-Gesetz“ macht stutzig. Der langwierige äußerst komplexe Vorgang der Umsetzung der 2011 beschlossenen Gesetzesänderung mit der Etablierung von Zentren und Ethikkommissionen weckt gewisse Zweifel, ob das von vielen betroffenen Paaren lange erwartete Gesetz wirklich seine Erwartungen erfüllen wird.

Erfahrungen mit der PID und ihre unterschiedlichen Regelungen in Norddeutschland (Zühlke et al.), den Niederlanden (Geraedts et al.), Europa (Geffroy und Zerres) werden in weiteren Beiträgen dargestellt. Eine Zusammenfassung der Datenerhebung des PID Consortium der European Society of Human Reproduction and Embryology (ESHRE) wurde unter Mitarbeit von Joep Geraedts aus Maastricht, der viele Jahre maßgeblich an dieser Datensammlung beteiligt war, für diese Ausgabe speziell verfasst (Coonen et al.), sie dokumentiert die weltweiten Erfahrungen und ergänzt andere Beiträge dieses Themenheftes in idealer Weise. Der Leser erhält einen qualifizierten aktuellen Überblick über die Praxis der PID und deren zaghafte Anfänge in Deutschland, aber auch über die Unterschiedlichkeit von Regelungen und Praxis in einem Europa, in dem Freizügigkeit besteht.

An dieser Stelle sei unabhängig von diesem Themenheft auf die in der Zwischenzeit erschienene Arbeit des PID-Zentrums Freiburg zum Thema PID bei monogenen Erkrankungen aufmerksam gemacht, die die deutschen Erfahrungen ergänzt [1]. Die Arbeit enthält vielleicht sogar eher am Rande einen Aspekt, der bisher wenig thematisiert wird. Dem Zentrum obliegt eine besondere Verantwortung in der Beurteilung, ob bei einer mütterlichen Erkrankung eine Schwangerschaft ein gesundheitliches Risiko für die Antragstellerin selbst darstellen könnte. Dieser Aspekt hat vor allem deshalb Bedeutung, weil die spätere Betreuung der Schwangerschaft in vielen Fällen allein aufgrund der räumlichen Distanz zwischen Wohnort der Ratsuchenden und zugelassenem in-vitro-Fertilisations (IVF)-Zentrum oft in der Verantwortung eines anderen wohnortnäheren Frauenarztes liegen wird.

In dem Beitrag von Hehr et al. werden die methodischen Aspekte der PID umfassend dargestellt. Sie machen deutlich, wie komplex die Analytik ist. Mosaikproblematik und das damit verbundene Aneuploidiescreening werden bewusst nur am Rande erwähnt, diese komplexe Fragestellung hätte den verfügbaren Rahmen gesprengt. Wir haben ebenfalls auf die Darstellung der Polkörperchendiagnostik in diesem Heft bewusst ganz verzichtet. Die Autoren verweisen mit Recht darauf, dass sich die methodischen Möglichkeiten weiterentwickeln werden, sodass wir uns auch in der Zukunft in breitem Maße der Diskussion zu medizinischen, sozialen und ethischen Aspekten stellen müssen. Die eigene Arbeit (Zerres und Scholz) sollte einen etwas anderen Beitrag zur politischen, sozialen und ethischen Debatte über die PID in Deutschland liefern. Auf eine umfassende systematische Darstellung der grundlegend ethischen Dimensionen der PID haben wir bewusst verzichtet, das haben andere bereits umfassend getan. Die kurze, sehr subjektive Auswahl von Verlautbarungen und Stellungnahmen reflektiert die Breite der Argumentation. Wir haben uns entschlossen, die Stellungnahme der Ethikkommission der Giordano-Bruno-Stiftung „Für eine Zulassung der Präimplantationsdiagnostik in erweiterten Grenzen“ wiederzugegeben, weil sie u. E. sehr nachdenkenswerte Überlegungen zusammenfasst, die von der „klassischen“ Argumentation, wie sie von vielfältigen gesellschaftlichen Gruppierungen vorgetragenen wird, deutlich abweicht.

Die rechtlich als Ergebnis einer langwierigen, oft sehr emotionalen Diskussion in Deutschland möglich gewordene Präimplantationsdiagnostik ist an sehr klar definierte Voraussetzungen gebunden, die wir als Humangenetiker grundsätzlich begrüßen. Dies gilt ebenso für den bereits früh von der GfH geforderten Ausschluss der Möglichkeit der PID als Routinescreeningverfahren etwa vor einer IVF sowie für die grundsätzliche Beschränkung auf Paare mit hohen Risiken für eine schwere Erkrankung oder eine mit dem Leben nicht vereinbare Störung. Ernüchternd ist jedoch, dass die in Deutschland jetzt rechtlich prinzipiell möglich gewordene PID für viele Familien in der Praxis nicht zuletzt wegen der hohen Kosten und des vielfach als kompliziert empfundenen bürokratischen Verfahrens keine realistische Option darstellen wird. Für viele Paare wird deshalb die „klassische“, von der Solidargemeinschaft der Versicherten finanzierte Pränataldiagnostik mit der Option eines Schwangerschaftsabbruches bzw. die Durchführung einer PID im Ausland einen Ausweg darstellen. Beides dürfte der Gesetzgeber nicht beabsichtigt haben. Unsere Verpflichtung wird auch weiterhin darin bestehen, uns aktiv auch öffentlich für die PID unter klaren Bedingungen und klar definierten Voraussetzungen einzusetzen. Die Erfahrung in der genetischen Beratung lehrt doch, dass es nicht selten gerade diejenigen leidgeprüften Paare sind, die nach der Möglichkeit einer PID fragen und darin eine Lösung für ihre Konfliktsituation sehen, die an ihr Handeln hohe moralische Maßstäbe anlegen.

Mit kollegialen Grüßen

Ihr

Klaus Zerres