Die Rolle des Schlafes für Lernen und Gedächtnisbildung hat in den letzten zwei Jahrzehnten zunehmend an Interesse gewonnen. Erste Berichte über einen förderlichen Effekt des Schlafes für die Gedächtnisbildung wurden zwar bereits um das Jahr 1900 bekannt, jedoch haben erst neuere Methoden ermöglicht, dieses Phänomen umfassend zu beschreiben und mögliche neurophysiologische Mechanismen zu untersuchen.

Heute ist bekannt, dass die Bildung von Gedächtnis in drei Stufen erfolgt: Neue Informationen werden zunächst als labile Spuren aufgenommen (enkodiert), werden dann gefestigt und in das Langzeitgedächtnis übertragen (konsolidiert), sodass sie auch nach längerer Zeit noch erinnert (abgerufen) werden können. Schlaf spielt eine besonders zentrale Rolle für die zweite Stufe, die Konsolidierung von Gedächtnis [1]. Neue Lerninhalte werden im Schlaf nicht nur gefestigt und stabilisiert, sondern auch sortiert, selektiert und umorganisiert. Obwohl wir mittlerweile wissen, dass bestimmte Schlafstadien und Schlafparameter, wie z. B. Schlafspindeln, in diese Prozesse involviert sind, bleiben noch viele Fragen offen [2, 3]. Das vorliegende Heft umfasst eine Sammlung von Beiträgen, die sich mit einzelnen dieser Fragen beschäftigen.

Anekdotischen Berichten zufolge kamen vielen großen Erfindern und Entdeckern entscheidende Ideen im Schlaf. Marisch et al. gehen in ihrem Beitrag der Frage nach, inwiefern Schlaf die Entstehung von kreativen Ideen und Problemlösungen fördert. Sie kommen nach einem Review der einschlägigen Literatur zu der Annahme, dass die Umstrukturierung von Wissensstrukturen im Schlaf als besonders effektive Inkubationsphase zur Findung origineller Lösungen für bestehende Probleme angesehen werden kann. Die Zahl gezielter experimenteller Studien zu diesem Thema ist allerdings gering. Hier besteht noch großer Bedarf an zukünftiger Forschung.

Wie Störungen des Schlafes bei bestimmten neuropsychiatrischen Erkrankungen mit einer Beeinträchtigung der Gedächtnisbildung einhergehen, zeigt der Beitrag von Göder et al. In ihrem Überblicksartikel beschreiben die Autoren charakteristische Schlafstörungen und insbesondere Störungen spezifischer Schlafparameter, wie z. B. der Schlafspindeln, sowie deren Zusammenhang mit gestörter Gedächtnisbildung bei Patienten mit Schizophrenie, Insomnie und Alzheimer-Demenz. Gezielte Schlafinterventionen werden hier als vielversprechende Therapieoptionen bei diesen Krankheitsbildern diskutiert.

Junghanns et al. berichten in ihrem Beitrag aktuelle Daten zum Einfluss von Alkohol auf den Schlaf und die damit zusammenhängende Gedächtnisbildung. Mithilfe einer nächtlichen Infusion von Alkohol, im Vergleich zu Placebo, konnte die Fragestellung unter standardisierten, verblindeten Bedingungen untersucht werden. Trotz schlechterer Schlafqualität und veränderter Cortisolsekretion nach Alkoholgabe, hatte Alkohol keinen Effekt auf die Gedächtnisbildung. Diese Befunde werfen interessante Fragen nach möglichen kompensatorischen Mechanismen auf.

Geht man davon aus, dass Schlaf Lernprozesse und Plastizität im Allgemeinen fördert, eröffnet dies eine Reihe möglicher Anwendungen in therapeutischen Bereichen, in denen neues Lernen oder Umlernen eine Rolle spielt. Für Psychotherapie trifft dies in besonderem Maße zu, beruhen psychotherapeutische Maßnahmen doch zu einem großen Teil auf der Veränderung erlernter dysfunktionaler Emotionen, Kognitionen und Verhaltensweisen. In ihrem Beitrag diskutieren Landmann et al. Schlaf als vielversprechenden Ansatzpunkt zur Verbesserung psychotherapeutischer Maßnahmen. Nach Sichtung der verfügbaren Literatur kommen die Autoren zu dem Schluss, dass sowohl Schlaf an sich als auch gezielte Schlafmanipulationen die Wirksamkeit von Psychotherapie steigern können.

Schlafspindeln wurden bereits häufig mit der Gedächtnisbildung bei jungen gesunden Erwachsenen in Zusammenhang gebracht. So ist die Anzahl der Schlafspindeln in der Nacht nach einer Lernerfahrung typischerweise erhöht. Barner et al. berichten in ihrem Beitrag erste Hinweise darauf, dass auch bei älteren Patienten, die unter obstruktiver Schlafapnoe (OSA) leiden, eine vorangegangene Lernerfahrung zu einem verstärkten Auftreten von Schlafspindeln führt. Schlafspindeln scheinen also auch bei OSA-Patienten an der schlafabhängigen Gedächtnisbildung beteiligt zu sein.

Emotionale Lerninhalte werden generell besser behalten als neutrale Inhalte und die Konsolidierung emotionaler Inhalte profitiert verstärkt von Schlaf. Der Beitrag von Lehmann et al. beschäftigt sich mit der Frage, inwiefern neutrale Wörter, die mit einem emotional aufwühlenden Bild gepaart wurden, ebenfalls verstärkt über den Schlaf hinweg gespeichert werden. Interessanterweise berichten die Autoren trotz einer allgemein verbesserten Erinnerungsleistung nach Schlaf keinen besonderen Vorteil für die mit emotionalen Bildern gepaarten Wörter. Diese Befunde legen nahe, dass mit emotionalen Informationen gepaarte Inhalte im Schlaf anders verarbeitet werden als emotionale Inhalte an sich.

Schlaf und Gedächtnis ist ein äußerst spannendes und kontinuierlich wachsendes Forschungsfeld, aus dem die Beiträge dieses Heftes nur einige wenige Aspekte und zentrale Fragestellungen beleuchten. Wir hoffen, dass dieses Schwerpunktheft weitere Forschung zur Rolle von Schlaf für die Gedächtnisbildung sowie deren Anwendung im klinischen und pädagogischen Bereich stimulieren wird.

Susanne Diekelmann und Axel Steiger