Zusammenfassung
In diesem Beitrag wird ein Überblick über die Bedeutung der Materialität der Dinge, des menschlichen Körpers und der pädagogischen Prozesse gegeben. Da sich der erziehungswissenschaftliche Bezug auf den menschlichen Körper durchaus separat – und lange vor dem sogenannten „material turn“ – entwickelt hat, wird in einem ersten Abschnitt zunächst diese Entwicklung dargestellt. Sodann werden in einem zweiten Abschnitt die Grundzüge des „material turn“ in den Kultur- und Sozialwissenschaften identifiziert und die erziehungswissenschaftliche Bedeutung der Dinge herausgearbeitet. Schließlich wird ein Überblick über die Artikel dieses Sonderhefts gegeben, aus dem die drei Schwerpunkte der hier vorgelegten Forschungen ersichtlich werden.
Abstract
This article gives an overview of the meaning of the materiality of things, the human body and educational processes. Since in educational science the reference to the human body developed separately—and long before the “material turn”, in the first section this development is described first. In the second section the main features of the “material turn” in the cultural and social sciences are identified and the significance of things in educational science is elaborated. The article finishes with an overview of the papers in this special issue in which the three main focuses of the research presented are delineated.
Notes
Dass Erkenntnis adäquat nicht als individueller, sondern nur als kollektiver Lernprozess beschrieben werden kann, in dem die einzelnen Akteure selbst nicht wissen, auf welches ‚Ziel‘ sie zusteuern, hat Peirce (1967, S. 356) luzide beschrieben. Mit Buck (1989, S. 47) muss an dieser Stelle allerdings betont werden, dass Lernen „nicht nur die bruchlose Folge einander bedingender Erwerbungen, sondern vorzüglich ein Umlernen“ ist. Lernen vollzieht sich mithin nicht alleine inkrementell, sondern auch als Transformation des zuvor Gewussten.
Dazu findet an der Universität Kreta (Michalis Kontopodis) und der Freien Universität Berlin (Christoph Wulf) zurzeit ein von der Europäischen Union finanziertes Forschungsprojekt statt, in dem untersucht wird, wie Kinder und Jugendliche in Deutschland, Griechenland, Großbritannien, Russland, Brasilien und Indien soziale Netzwerke nutzen.
Siehe auch den Beitrag dieses Autors zum vorliegenden Band.
In diesem Sonderheft gehen die Beiträge von Asbrand et al., Neumann, Nohl und Schäffer dezidiert auf Bruno Latours Arbeiten ein.
Siehe auch den Beitrag von Schäffer in diesem Band.
Siehe dazu auch den Beitrag von Nohl in diesem Band.
Stärker empirisch gehaltene Untersuchungen hierzu finden sich dann in dem von beiden herausgegebenen Sonderheft der Zeitschrift „Educational Philosophy and Theory“ (Vol. 43, No. S 1, 2011).
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Nohl, AM., Wulf, C. Die Materialität pädagogischer Prozesse zwischen Mensch und Ding. Z Erziehungswiss 16 (Suppl 2), 1–13 (2013). https://doi.org/10.1007/s11618-013-0406-0
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