Zusammenfassung
Die Studie kombiniert Daten des ALLBUS und des Sozio-oekonomischen Panels, um den Beitrag sozialer Herkunftseffekte zur Erklärung des langfristigen historischen Trends der zunehmenden Bildungsbeteiligung von Frauen in Deutschland empirisch abzuschätzen. Für westdeutsche Geburtskohorten können zwei historische Phasen klar unterschieden werden: die Geburtskohorten bis etwa Mitte der 1960er Jahre, in denen sich Bildungschancen von Töchtern weitgehend quer durch alle Schichten erhöht haben und die anschließenden Geburtsjahrgänge, deren steigende Bildungsbeteiligung allein mit der Zunahme elterlicher Ressourcen als sozialstruktureller Kompositionseffekt erklärbar ist. Die steigende Bildungsbeteiligung von Frauen in Ostdeutschland folgt dagegen einem komplexeren Muster, bei dem es in der Gründungsphase der DDR zunächst zu einer allgemeinen Ausweitung der Bildungschancen und einer deutlichen sozialen Öffnung des Bildungssystems kam. In der Spätphase der DDR bewirkte die staatliche Bildungspolitik dagegen eine Stagnation des allgemeinen Bildungsniveaus und einen deutlichen Rückgang der schichtspezifischen Bildungsbeteiligung, der erst durch die Wiedervereinigung beendet wurde. Ähnlich wie in Westdeutschland ist der deutliche Anstieg der weiblichen Bildungsbeteiligung nach der Wiedervereinigung auch in Ostdeutschland weniger eine kollektive, sondern eine stark durch elterliche Ressourcen geprägte Erfahrung. In beiden Teilen Deutschlands spielen insbesondere die gestiegenen Bildungsressourcen von Müttern eine zentrale Rolle für die Zunahme der Bildungsbeteiligung ihrer Töchter.
Abstract
The study combines survey data from the German General Social Survey (ALLBUS) and the German Socio-Economic Panel (GSOEP) to address the role of changing parental resources in explaining the long-run historical trend of women’s rising educational attainment in Germany. For West German cohorts, the analysis suggests a distinction between two historical periods: a first one for birth cohorts up until the mid-1960s, when daughters’ educational attainment increased uniformly across all social strata, and a second period among women from younger birth cohorts, for whom all observable change in educational attainment can be explained as a pure compositional effect due to rising levels of parental resources. Rising educational attainment among East German cohorts has followed a more complex historical pattern, however, as women first benefitted from rapid educational expansion and the equalization of educational opportunity during the first two decades of the GDR. With educational policies reversed since the 1970s, East German women saw their educational progress stalled, and class-specific educational attainment actually in decline up until the point of German reunification. With reunification, women’s educational attainment increased sharply, but, as among Western cohorts, mostly as a reflection of the growth of parents’ private resources. In both parts of Germany, parental education rather than class has been the key factor at the family level, and increasingly so the rising education of mothers.
Notes
Die Frageformulierung umfasst neben der beruflichen Stellung im engeren Sinn u. a. auch Antwortalternativen für Eltern, die in der Jugend der Befragten nicht erwerbstätig waren, sodass insbesondere auch nicht erwerbstätige Mütter gültige Werte auf dieser Variablen aufweisen.
Die Trennung der Stichprobenregionen sollte idealerweise nach der Herkunftsregion erfolgen, in welcher die Befragten als Jugendliche gelebt haben, um den Bildungskontext korrekt zu erfassen. Die entsprechende Messung ist allerdings nur in den SOEP-Daten ohne weiteres möglich, während die notwendige Abfrage im ALLBUS nur in einzelnen Befragungsjahren enthalten ist. Um die beiden Datenquellen jeweils intern konsistent zu behandeln, wurde im ALLBUS unter Inkaufnahme des offensichtlichen Messfehlers aufgrund von (sozial selektiver) Mobilität zwischen Ost- und Westdeutschland in allen Jahren die aktuelle Wohnregion herangezogen. In methodischer Hinsicht kann der Vergleich zwischen SOEP- und ALLBUS-basierten Ergebnissen Hinweise darauf geben, inwiefern diese Messfehler die hier vorgestellten Ergebnisse beeinflussen könnten. Nach meiner Analyse ergeben sich einige kleinere Divergenzen in deskriptiver Hinsicht, auf die weiter unten eingegangen wird, während die Ergebnisse der multivariaten Analysen inhaltlich in beiden Datenquellen robust sind.
Da die Rückwärtsregression hier nur als vereinfachende Interpretationshilfe zur Identifikation der relevanten Interaktionsterme eingesetzt wird, sind die vielfältigen Probleme des Verfahrens (vgl. Fox 2008) im konkreten Fall nicht relevant. In Bezug auf die hier interessierenden Kohorteneffekte unterscheiden sich die empirischen Ergebnisse nur unwesentlich vom alternativen Modell mit vollständigen Interaktionstermen.
Wenn allein die SOEP-Daten herangezogen werden, in denen die tatsächliche Herkunftsregion der Befragten ermittelt werden kann, dann fällt der Vergleich etwas weniger klar zugunsten der alten Bundesrepublik aus. Dieses Ergebnis werte ich als empirische Bestätigung einer gewissen Verzerrung der Herkunftsmessung im ALLBUS aufgrund selektiver Migration insbesondere von hochqualifizierten Befragten aus Ostdeutschland; im Gesamteffekt werden die empirischen Ergebnisse jedoch nicht entscheidend beeinflusst.
Die Tatsache, dass die deskriptiven Analysen der zunehmenden Bildungsbeteiligung der Befragten (Abb. 1) und ihrer Eltern (Abb. 2) auch für die ältesten Kohorten einen stetigen Verlauf zeigen, kann auch als Beleg verstanden werden, dass die hier vorgestellten Ergebnisse nicht entscheidend durch den sogenannten survivor bias beeinflusst sind. Wenn aus den ältesten Kohorten aufgrund der empirischen Korrelation von Bildungsniveau und Lebenserwartung überproportional hoch gebildete Personen an den Befragungen teilgenommen hätten, dann müsste gerade für die ältesten Kohorten in den Befragungsdaten (der Kinder- oder Elterngeneration) eine unerwartet hohe Bildungsbeteiligung sichtbar sein. Die stattdessen in Abb. 1 und 2 empirisch beobachtete stetige Zunahme der Bildungsbeteiligung spricht dagegen dafür, dass allenfalls eine gewisse Unterschätzung des historischen Trends vorliegen dürfte, d. h. dass ohne survivor bias die Zunahme der Bildungsbeteiligung auch in den ältesten Kohorten eher noch schneller stattgefunden haben dürfte als in Abb. 1 und 2 dargestellt. Zum selben inhaltlichen Schluss führt im Übrigen auch die multivariate Analyse, da der ermittelte Zeittrend in einer Sensitivitätsanalyse auf Basis einer kleineren Stichprobe der erst ab den 2000er Jahren Befragten mit der Hauptanalyse identisch ist (vgl. Online-Anhang 1 und 3, v. a. Modell 1).
Alternativ zu Abb. 3 und Online-Anhang 1 sei auch auf die Dokumentation inhaltlich entsprechender KHB-Dekompositionen aus Online-Anhang 2 verwiesen, die zu weitgehend identischen empirischen Ergebnissen führen. Die wichtigsten Ergebnisse der KHB-Dekomposition werden im Text ebenfalls berichtet.
Die quantitativen Ergebnisse der Dekomposition sind in gewissem Umfang von der Reihenfolge abhängig, in welcher die Kovariaten in die Regressionsmodelle aufgenommen werden. Die hier getroffenen Aussagen zur quantitativen Bedeutung des Einflusses der zunehmenden Bildung von Müttern stellt daher eine konservative Abschätzung dar, da diese unabhängige Variable hier erst im Anschluss an die Ressourcen des Vaters in das Regressionsmodell aufgenommen wurde. Genauer könnte deshalb formuliert werden, dass die hier vorgestellten Analysen jeweils den minimalen Anteil abschätzen, zu dem Merkmale der Mütter unabhängig von weiteren Merkmalen der Väter für den Anstieg der Bildungsbeteiligung verantwortlich gemacht werden können.
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Danksagung
Ich bedanke mich bei den Gutachtern und Herausgebern der KZfSS für ihre wertvollen Hinweise zu einer früheren Fassung des Beitrags.
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Die in der Studie verwendeten Daten des Sozio-oekonomischen Panels und der Allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften wurden freundlicherweise von der SOEP-Projektgruppe am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) bzw. durch GESIS zur Verfügung gestellt. Natürlich liegt die Verantwortung für die hier durchgeführten Analysen ausschließlich bei der Autorin. Die vorliegende Studie wurde im Rahmen des Projekts „Familiäre Herkunft und der Wandel weiblicher Lebensverläufe“ (ZI 1495/1-1) durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft gefördert.
Online-Anhänge 1‑3: http://kzfss.uni-koeln.de/download/materialien/anhaenge/ks-69-1-ziefle.pdf
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Ziefle, A. Der lange Arm der Bildungsexpansion: Die Bedeutung zunehmender elterlicher Bildungsressourcen für die Bildungsbeteiligung von Frauen in Deutschland. Köln Z Soziol 69, 51–77 (2017). https://doi.org/10.1007/s11577-016-0402-5
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DOI: https://doi.org/10.1007/s11577-016-0402-5
Schlüsselwörter
- Bildungsbeteiligung
- Soziale Herkunft
- Bildungsexpansion
- Sozialer Wandel
- Chancengleichheit
- Kohortenvergleich