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„Alles war gut berechnet“. Zum versteckten poetologischen Selbstkommentar in Theodor Fontanes Roman Effi Briest

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Abstract

In many of his texts, Theodor Fontane ‘reveals’ his poetics of novel in a hidden manner. When reading his works, readers can receive implicit hints and references about their narrative methods, and get hints about the author’s wish about how his texts should be interpreted. Take Fontane’s Effi Briest for example. In this novel, following a traditional way, the author metaphorizes the text into a braided fabric. In view of this, we can decode the self-commentaries of the novelist about his own work. In order to convey his own poetics, Fontane also employs very different metaphorical references such as architectures, landscapes, gardens and geographical localities. By analyzing the exemplary scenarios in the novel Effi Briest, this paper tries to disclose Fontane’s hidden poetic self-commentaries which is largely ignored in the recent Fontane researches.

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Notes

  1. Zitate aus Effi Briest nach Fontane (1998). Seitenzahlen in Klammern.

  2. Zur intentional fallacy vgl. Spoerhase (2007, 57ff).

  3. Katrin Scheidling beobachtet zwar die Offenheit und Wildheit in Effis Charakter, übersieht aber den Kontrast zwischen „Schatten“ und Offenheit und damit auch völlig die poetologische Signifikanz der Raumbeschreibung (vgl. dazu Scheiding 2012, 109f.).

  4. „Text“ kommt von lateinisch texere, was weben, flechten bedeutet (vgl. Staub 1990).

  5. Als Effi zwei Jahre später nach der Heirat mit Innstetten mit Kind wieder in Hohen-Cremmen war und sich überlegte, den Akt vom „Krieg im Frieden“ (147), also den Ehebruch mit Crampas, aufzugeben, läßt der Romanautor sie sich im Zimmer mit dem Thema der Offenlegung und Verschleierung des Geheimnisses des „Kriegerischen“ konfrontieren: Effi geht im Zimmer „auf und ab; die unteren Fensterflügel waren geöffnet, und die kleinen weißen Gardinen bauschten sich in dem Zuge, der ging, und fielen dann langsam über die Stuhllehne, bis ein neuer Zugwind kam und sie wieder frei machte. Dabei war es so hell, daß man die Unterschriften unter den über dem Sofa hängenden und in schmale Goldleisten eingerahmten Bildern deutlich lesen konnte: ‚Der Sturm auf Düppel, Schanze V‘, und daneben: ‚König Wilhelm und Graf Bismarck auf der Höhe von Lipa‘. Effi schüttelte den Kopf und lächelte. ‚Wenn ich wieder hier bin, bitt’ ich mir andere Bilder aus; ich kann so’ was Kriegerisches nicht leiden.‘Und nun schloß sie das eine Fenster und setzte sich an das andere, dessen Flügel sie offen ließ. Wie that ihr das alles so wohl. Neben dem Kirchturm stand der Mond und warf sein Licht auch auf den Rasenplatz mit der Sonnenuhr und den Heliotropbeeten.“ (257).

  6. In der preußischen Ständegesellschaft war dieser Straf- und Kontrollmechanismus ubiquitär. Mirambo, Gieshüblers Kutscher, wird „beim Anspannen vor das Schienbein“ vom „linke[n] Pferd“ „geschlagen“ : „Er liegt im Stall und schreit.“ (182) Roswitha, die ein uneheliches Kind geboren hat, wurde vom Vater mit einem „glühenden Eisenstange“ (267) verfolgt.

  7. Vgl. Stichwort „Feigenblatt“ (Duden 1989, 396).

  8. Vgl. Stichwort „Rhabarber“ (Duden 1989, 1034).

  9. Der alte Briest sieht zwischen „Hochzeit“ und „Jagdpartie“ „keinen so großen Unterschied“ (39). Die Ehe zwischen Effi und Innstetten wird als eine „Jagdpartie“ charakterisiert, zu der der Autor eine negative Stellungnahme hat, wenn es im Text heißt: Rolle, der seiner Herrin Effi immer treu bleibt, behandelt den „Jagdhund“ „wohlwollend, aber doch als ein Wesen auf niederer Stufe“ (343).

  10. Mutter und Tochter machen im „Demuth’schen Laden“ (25) Einkäufe, um die Vorbereitungen auf die Hochzeitreise nach Italien zu treffen. Auch Vetter Dagobert von Briest erscheint als „Demuth’scher Kommis“ (39) zur Hochzeit Effis. Man denke an die Degradierung Effis als „Backfisch“ in der Heiratsstrategie der Mutter und Effis Anklage gegen sie in der codierten Kleiderszene am Romananfang: „‚Mitunter denk’ ich, ich komme noch wieder in kurze Kleider. Und wenn ich die erst wieder habe, dann knix’ ich auch wieder wie ein Backfisch […]. Du bist schuld. Warum kriege ich keine Staatskleider? Warum machst Du keine Dame aus mir?‘/‚Möchtest Du’s?‘/‚Nein.‘“ (7. Herv. im Original).

  11. In der Ehe mangelt es Innstetten gerade an „Wärme“ . Er ist ein Landrat mit der „Eismaschine“ (203), „frostig wie ein Schneemann“ (77) (vgl. Masanetz 2001, 50f.).

  12. Das Konzept des unehelichen Kindes, das vom alten Rummschüttel gegen die Unfruchtbarkeit Effis verordnet wird, scheint aller Wahrscheinlichkeit nach eine heikle Lösung, wenn der Frauenarzt bemerkt: „Bei der Emser Kur kann aber der Geheimrat zugegen sein.“ Es soll hier in diesem Fall wieder um eine „Vertretung“ gehen. Ironischerweise wird es darauf angespielt, wenn es im Text heißt: „Innstetten, der wieder viel mit Vertretung zu thun hatte, beklagte, daß er, von Schwalbach gar nicht zu reden, wahrscheinlich auch auf gemeinschaftliche Tage in Ems werde verzichten müssen.“ (264, Herv. vom Verf.) Unmittelbar danach wird im Text von der Diskussion zwischen Effi und Roswitha über deren uneheliches Kind gesprochen. Am Anfang des darauffolgenden Kapitels wird noch einmal auf das prekäre „Männer“-Konzept angespielt: „Effi war nun schon in die fünfte Woche fort und schrieb glückliche, beinahe übermütige Briefe, namentlich seit ihrem Eintreffen in Ems, wo man doch unter Menschen sei, das heißt unter Männern, vor denen sich in Schwalbach nur ausnahmsweise was gezeigt habe. Geheimrätin Zwicker, ihre Reisegfährtin, habe freilich die Frage nach dem Kurgemäßen dieser Zutat aufgeworfen und sich aufs entschiedenste dagegen ausgesprochen, alles natürlich mit einem Gesichtsausdrucke, der so ziemlich das Gegenteil versichert habe […].“ (264f.).

  13. „und Effi war selig, am Strande hinjagen zu können, jetzt wo ‚Damenbad‘ und ‚Herrenbad‘ keine scheidenden Schreckensworte waren.“ (149).

  14. Als Effi und Innstetten eines Morgens auf der Veranda frühstücken und sich über das Verführerischsein des Menschen unterhalten, stößt Crampas hinzu. Effi sagt: „Aber kommt da nicht Crampas? Und vom Strand her. Er wird doch nicht gebadet haben? Am 27. September…“ „Er macht öfter solche Sachen. Reine Renommisterei.“ (144).

  15. Bereits in der Eingangsszene wird Effi von der Mutter als „Kunstreiterin“ prophezeit, wenn sie sagt: „‚Effi, eigentlich hättest Du doch wohl Kunstreiterin werden müssen. Immer am Trapez, immer Tochter der Luft. Ich glaube beinah, daß du so was möchtest.‘/‚Vielleicht, Mama. Aber wenn es so wäre, wer wäre schuld? Von wem hab’ ich es? Doch nur von dir. […].‘“ (7).

  16. Zitiert nach Ehrhardt (2008), 164. Im Deutschen Rechtsalterthümern von Jacob Grimm heißt es: „kasten mit einem loch, worin leichtfertige weibspersonen ins waßer getaucht wurden“.

  17. Fontane spricht sich gegen eine photographische Wiedergabe der Realität aus, wenn er an Emilie Fontane am 24. Juni 1881 schreibt: „[…] aber eigentlich langweilt es mich, weil es […] so grenzlos prosaisch, so ganz unverklärt die Dinge wiedergibt.“ (Fontane 1981, 42).

  18. Luise von Briest bilanziert am Schluss des Romans ihre Schuld: „Ob wir sie nicht anders in Zucht hätten nehmen müssen. Gerade wir. […] und zuletzt, womit ich mich selbst anklage, denn ich will nicht schuldlos ausgehen in dieser Sache, ob sie nicht doch vielleicht zu jung war?“ (350).

  19. Vgl. dazu Neumann (2011). Gerhard Neumann sieht zutreffend in Effis Geschichte „die Geschichte einer Auslöschung“ und die Geschichte der „Verschleierung“: „Es ist die Geschichte einer Wahrnehmung von Welt, die, in ihrem Schein von Natürlichkeit, ganz ohne Indizes von Authentizität auskommt und Schritt um Schritt zur Auslöschung von Individualität führt.“ (Neumann 2011, 187).

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Correspondence to Xiaoqiao Wu.

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Der vorliegende Beitrag ist im Rahmen der humanities and social sciences research projects of Ministry of Education of China (2013 年中国教育部人文社会科学研究规划基金项目“ 特奥多尔·冯塔纳小说隐匿诗学研究”) (Projekt nummer 13YJA752024) entstanden. Ich bedanke mich ganz herzlich bei Prof. Dr. Andrea Albrecht (Stuttgart) für ihre kritischen Hinweise und Anregungen zur theoretischen Vorüberlegung und bei Dr. Peter Büttner (Zürich) für seine ersten Korrekturvorschläge.

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Wu, X. „Alles war gut berechnet“. Zum versteckten poetologischen Selbstkommentar in Theodor Fontanes Roman Effi Briest . Neophilologus 100, 105–119 (2016). https://doi.org/10.1007/s11061-015-9459-z

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