Die gegengeschlechtliche Hormontherapie stellt einen wesentlichen Teil der Betreuung von Trans*Menschen dar. Gemeinsam mit den geschlechtsangleichenden Operationen wird mit der Hormontherapie das Ziel verfolgt, die sekundären Geschlechtsmerkmale des biologischen Geschlechts zu unterdrücken und jene des Wunschgeschlechts zu induzieren und aufrechtzuerhalten. Wichtig dabei ist, möglichst physiologische Konzentrationen der Sexualsteroide des Wunschgeschlechts zu erzielen, um Risiken und Nebenwirkungen der Therapie zu minimieren.

Die Betreuung von Trans*Menschen sollte im Optimalfall interdisziplinär erfolgen. So muss der gegengeschlechtlichen Hormontherapie immer eine psychosoziale Einschätzung vorausgehen. Die World Professional Association for Transgender Health (WPATH) empfiehlt, dass Patienten vor Therapiebeginn folgende Kriterien erfüllen sollen:

  • Anhaltende und gut dokumentierte Geschlechtsdysphorie

  • Fähigkeit, nach einer umfassenden Aufklärung eine Entscheidung zu treffen und der Therapie zuzustimmen

  • Ausreichende Kontrolle signifikanter medizinischer oder psychischer Probleme

Zudem gibt es eine Reihe von Erkrankungen (Infobox 1), die unter gegengeschlechtlicher Hormontherapie exazerbieren könnten und daher vor Therapiebeginn unbedingt diagnostiziert bzw. kontrolliert und gut eingestellt werden müssen. So sollte zur Evaluierung des individuellen Risikoprofils aller Patienten vor Therapiebeginn eine gynäkologische bzw. urologische, internistische und humangenetische Abklärung erfolgen sowie eine Osteodensitometrie und Mammasonographie bzw. Mammographie durchgeführt werden.

FormalPara Infobox 1 Erkrankungen, die unter gegengeschlechtlicher Hormontherapie exazerbieren können. (Mod. nach Hembree et al. [1])
  • Koronare Herzkrankheiten

  • Venöse Thrombembolien

  • Schwere Leberinsuffizienz

  • Zerebrovaskuläre Erkrankungen

  • Hormonsensitive Tumoren

  • Polyglobulie

  • Osteoporose

  • Schwere Migräne

Mann-zu-Frau-Transsexualität

Die gegengeschlechtliche Hormontherapie bei Mann-zu-Frau-Transsexualität („male to female“ [MTF]) besteht in der Applikation von Östrogenen und einer Androgendeprivation. Aufgrund des dadurch deutlich erhöhten thrombembolischen Risikos ist eine Gabe von Ethinylöstradiol nur noch für die Initialbehandlung jüngerer Patientinnen in Betracht zu ziehen, nicht jedoch für die Dauerbehandlung älterer Patientinnen [2]. Es sollte primär Östradiol oral (z.b. Estrofem®) oder transdermal (z.B. Estrogel®) appliziert werden; letzterer Applikationsweg wird insbesondere bei bereits bestehenden kardiovaskulären Risiken gewählt. Als antiandrogene Komponente wird in Europa vorwiegend Cyproteronacetat (CPA, z.B. Androcur®) angewandt, das in den USA nicht zugelassen ist, sodass hier primär Spironolacton (z.B. Aldactone®) zum Einsatz kommt. Die Gabe von Gonadotropin-Releasing-Hormon(GnRH)-Agonisten im Sinne einer reversiblen hormonellen Kastration vor der Gonadektomie ist eine nebenwirkungsarme Alternative zur Androgenrezeptorblockade [6]. Sie kann auch gemeinsam mit CPA oder Spironolacton angewandt werden, um eine optimale Androgendeprivation zu erzielen (Tab. 1).

Tab. 1 Therapieschema der gegengeschlechtlichen Hormontherapie an der Universitätsklinik für Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin Innsbruck

Frau-zu-Mann-Transsexualität

Zur gegengeschlechtlichen Hormontherapie bei Frau-zu-Mann-Transsexualität („female to male“ [FTM]) kann Testosteron transdermal als Gel (z.B. Testogel®) oder i. m. als Testosteronenantat (z.B. Testoviron®) bzw. Testosteronundecanoat (z.B. Nebido®) appliziert werden. Der Vorteil der Injektion von Testosteronundecanoat liegt in den langen Applikationsintervallen, initial nach 6 Wochen, dann etwa alle 12 Wochen. Die transdermale Anwendung von Testosteron eignet sich vor allem für Patienten, die auf Konzentrationsschwankungen empfindsam reagieren; diese treten unter der i. m.-Injektion auf, speziell gegen Ende des Applikationsintervalls. Allerdings muss darauf hingewiesen werden, dass es zu einer längeren Persistenz der Menstruationsblutungen kommen kann und dass durch engen Körperkontakt bis zu 6 h nach Gelanwendung eine Testosteronübertragung auf andere möglich ist.

Auch bei FTM-Transsexualität können GnRH-Agonisten zur Suppression der endogenen Hormonproduktion vor der Gonadektomie eingesetzt werden. Sie sind insbesondere bei persistierender Menstruationsblutung effektiv.

Gewünschte Effekte

Im Hinblick auf Ausmaß und zeitlichen Verlauf der Angleichung an das Wunschgeschlecht bestehen nicht selten überhöhte Erwartungen an die gegengeschlechtliche Hormontherapie. Daher müssen mit den Patienten die ungefähren zeitlichen Verläufe der feminisierenden bzw. virilisierenden Therapie diskutiert werden, auch deren Grenzen sind zu verdeutlichen. Im Optimalfall werden diese Aspekte nicht nur von endokrinologischer, sondern auch von psychologisch-psychiatrischer und chirurgischer Seite erläutert. Tab. 2 und 3 zeigen die Auswirkungen und den zeitlichen Verlauf der gegengeschlechtlichen Hormontherapie entsprechend den Therapiestandards der Endocrine Society und der WPATH [1, 3].

Tab. 2 Auswirkungen und zeitlicher Verlauf der feminisierenden Hormontherapie. (Nach Hembree et al. [1], Coleman et al. [3], Mueller et al. [5])
Tab. 3 Auswirkungen und zeitlicher Verlauf der virilisierenden Hormontherapie. (Nach Hembree et al. [1], Coleman et al. [3], Mueller et al. [5])

Verlaufskontrollen

Im ersten Jahr der gegengeschlechtlichen Hormontherapie sollte alle 3 Monate eine Kontrolluntersuchung erfolgen [1]. Neben der klinischen Untersuchung zur Überprüfung des Therapieerfolgs und der Kontrolle von Blutdruck und Gewicht sollten auch immer der Hormonstatus, die Leberfunktionsparameter, das Blutbild und der Lipidstatus ermittelt werden. Je nach individuellen Risikofaktoren muss das Spektrum der Verlaufskontrollen dementsprechend erweitert werden. Bei Anwendung von Spironolacton sollten auch die Serumelektrolyte überprüft werden, insbesondere Kalium. Nach dem ersten Jahr können die Kontrollintervalle auf 6 Monate ausgedehnt werden [1].

Je nach individuellen Risikofaktoren muss das Spektrum der Verlaufskontrollen erweitert werden

Es ist immer darauf zu achten, dass sich die Spiegel der gegengeschlechtlichen Sexualsteroide im physiologischen Bereich des Wunschgeschlechts befinden. Nicht vergessen werden sollten auch die entsprechenden gynäkologischen bzw. urologischen Vorsorgeuntersuchungen.

Langzeitrisiken

Nach Gonadektomie sind Trans*Menschen auf eine dauerhafte Substitution von Sexualsteroiden angewiesen. Allerdings existieren bislang nur wenige Daten zu den Langzeitfolgen der gegengeschlechtlichen Hormontherapie. Wierckx et al. [4] untersuchten das Auftreten schwerwiegender Nebenwirkungen wie kardiovaskulärer Ereignisse, hormonabhängiger Tumoren und Osteoporose [5] in einer Querschnittsstudie an 100 Trans*Menschen (50 FTM- und 50 MTF-Trans*Menschen). Der durchschnittliche Beobachtungszeitraum betrug 10 Jahre. Während in der Gruppe der FTM-Trans*Menschen keine der oben genannten Nebenwirkungen auftraten, erlitten 6 der MTF-Trans*Menschen ein thrombotisches oder ein anderes kardiovaskuläres Ereignis (zerebrale Thrombose n = 2, tiefe Beinvenenthrombose n = 1; transiente ischämische Attacke n = 1, Myokardinfarkt n = 2, venöses Ulkus n = 1). Fünf der 6 Patientinnen waren Raucherinnen, eine der Patientinnen erlitt sowohl eine transiente ischämische Attacke im Zuge der geschlechtsangleichenden Operation 2 Jahre nach Beginn der gegengeschlechtlichen Hormontherapie als auch eine tiefe Beinvenenthrombose 21 Jahre nach Beginn der gegengeschlechtlichen Hormontherapie. Zudem zeigte ein Viertel der MTF-Trans*Menschen eine Osteoporose. Weder bei MTF- noch bei FTM-Trans*Menschen wurde das Auftreten eines hormonabhängigen Tumors beobachtet.

Die feminisierende Hormontherapie scheint mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko einherzugehen

Eine Kohortenstudie von Asscheman et al. [2] an 966 MTF- und 365 FTM-Trans*Menschen, die sich für mindesten ein Jahr (im Median 18,5 Jahre) unter einer gegengeschlechtlichen Hormontherapie befanden, zeigte, dass die standardisierte Mortalitätsrate im Vergleich mit der Gesamtbevölkerung bei FTM-Trans*Menschen nicht erhöht ist. Demgegenüber steht eine Erhöhung der Mortalität bei MTF-Trans*Menschen. Auch diese Studie zeigte ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko bei MTF-Trans*Menschen. Die deutlich erhöhte Mortalität jüngerer MTF-Trans*Menschen (Alter 25–39 Jahre) im Vergleich zur Normalbevölkerung war in dieser Studie jedoch primär auf Suizide, „acquired immune deficiency syndrome“ (AIDS) und Drogenabusus zurückzuführen. Die laufende Einnahme von Ethinylöstradiol war mit einem 3‑fach erhöhten Risiko assoziiert, bedingt durch ein kardiovaskuläres Ereignis zu versterben. Bezüglich der Gesamtkrebsmortalität zeigte sich kein Unterschied zur Normalbevölkerung, die Mortalität durch Lungenkrebs und maligne hämatologische Erkrankungen war erhöht.

Fazit für die Praxis

  • Einer gegengeschlechtlichen Hormontherapie sollte immer eine ausführliche interdisziplinäre Evaluierung vorausgehen. So lassen sich die individuellen Risiken der Patienten vor Therapiebeginn erkennen und die nötigen präventiven bzw. therapeutischen Schritte einleiten.

  • Die durch die gegengeschlechtliche Hormontherapie erzielten Hormonspiegel sollten immer im physiologischen Bereich des Wunschgeschlechts liegen.

  • Die Patienten müssen darauf hingewiesen werden, dass es sich bei der gegengeschlechtlichen Hormontherapie nach Gonadektomie um eine Dauertherapie handelt.

  • Mann-zu-Frau-Trans*Menschen scheinen ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse und Osteoporose zu haben.

  • Das erhöhte kardiovaskuläre Risiko bei der feminisierenden Hormontherapie ist wahrscheinlich mit der Einnahme von Ethinylöstradiol assoziiert, weshalb die Einnahme von Ethinylöstradiol bei Mann-zu-Frau-Transsexualität nicht mehr als Langzeittherapie empfohlen werden sollte.