Neben der Unfallanzeige ist der Durchgangsarztbericht (D-Arzt-Bericht, F1000) nach Arbeitsunfällen eine zentrale Informationsquelle für die Unfallversicherungsträger (UVT). Der D‑Arzt-Bericht gibt die wesentlichen Angaben der verletzten Person zum Unfall wieder und enthält die zuerst nach dem Unfall erhobenen ärztlichen Befunde. Anhand dieser Informationen prüfen Berufsgenossenschaften und Unfallkassen, ob ein Arbeitsunfall vorliegt. Darüber hinaus nehmen sie eine erste Bewertung der Art und Schwere der Verletzung vor.

Der D‑Arzt entscheidet mit dem Bericht über die Heilbehandlung zulasten eines UVT und über die weiteren Maßnahmen im Heilverfahren. Die Berichte haben deshalb eine Schlüsselfunktion für die Leistungspflichten der UVT und für die Steuerung des Heilverfahrens. Gerade bei schweren Verletzungen ist es wichtig, dass schon zu Beginn des Heilverfahrens die richtigen Entscheidungen getroffen werden. Sind die Angaben in den D‑Arzt-Berichten nicht schlüssig oder vollständig, müssen die UVT rückfragen und weitere Informationen einholen. Damit entstehen zusätzliche Aufwände für die Verwaltungen und für den Arzt. Zudem vergeht weitere Zeit, bis – auf der Grundlage der späteren Antwort – über die Heilverfahrenssteuerung und mögliche Leistungsansprüche der verletzten Person entschieden werden kann.

Wissenschaftliche Vorarbeiten (Forschungsprojekt)

Aufgrund der Bedeutung des D‑Arzt-Berichts für die Verwaltungen und der Neuausrichtung der stationären Heilverfahren beschloss die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV), einen Schwerpunkt der Qualitätssicherung auf die Überprüfung der Prozessqualität im D‑Arzt-Verfahren zu legen.

Unterstützt von einem Expertenteam aus D‑Ärzten sowie Vertretern der UVT und der DGUV-Landesverbände wurde im Rahmen eines Forschungsprojektes hierfür in mehreren Entwicklungsschritten eine Checkliste mit standardisierten Qualitätskriterien zur Prüfung der D‑Arzt-Berichte entwickelt. Erprobt wurde die Checkliste in der Region des Landesverbandes Nordost. Es prüften 16 Peers aus der medizinischen Praxis und der Verwaltung 474 anonymisierte D‑Arzt-Berichte und bewerteten diese anhand der Checkliste auf Vollständigkeit und Schlüssigkeit bezüglich der einzelnen Angaben. Das Forschungsprojekt wurde 2015 abgeschlossen [1].

Das Forschungsprojekt hat gezeigt, dass das Prüfverfahren aufgrund der entwickelten Checkliste praktikabel ist. Im Vergleich der Dokumentationsqualität der geprüften Berichte zeichneten sich hinsichtlich der Kriterien der Checkliste Qualitätsunterschiede ab. In der zusätzlich durchgeführten Reliabilitätstestung wurde eine Beurteilungsübereinstimmung zwischen 60 % und 90 % erreicht [2].

Qualitätssicherungsverfahren

Erste bundesweite Umsetzung

Aufgrund der Ergebnisse aus dem Forschungsprojekt hat die DGUV beschlossen, dieses Verfahren zur Qualitätssicherung der D‑Arzt-Berichte (Formular F1000) bundesweit zu implementieren. Die Fachgremien und die Vorstandsebene befürworteten im ersten Schritt die Umsetzung für alle D‑Ärzte in den Kliniken, die zum Schwerstverletzungsartenverfahren (SAV) zugelassen sind, sowie für rund 1000 niedergelassene D‑Ärzte. Dafür wurden über 30.000 D‑Arztberichte anonymisiert durch ärztliche Peers bewertet. Die Datenerhebung startete im Frühjahr 2017. Im Herbst 2018 werden die Ergebnisse vorliegen.

Folgende Rahmenbedingungen sind für das Qualitätssicherungsverfahren umgesetzt worden:

  • In die Bewertung wurde nur D-Arztberichte zur „besonderen Heilverfahren“ eingeschlossen, um die Berichte zu schweren Verletzungen zu prüfen.

  • Für die D-Arztpraxis bzw. jeden D-Arzt werden 25-30 Berichte durch ärztliche Peers bewertet.

  • Die D-Arztberichte liegen elektronisch und anonymisiert für das Verfahren vor. Nur so ist die sichere und datengeschützte sowie computergestützte Verteilung an die Peers möglich. Die beteiligten Peers erhalten weder Informationen über die Verfasser der Berichte noch personenidentifizierende Angaben über die Patienten. Sie bewerteten nur ausgewählte Informationen aus dem F1000 (Infobox 1: Bewertungsfragen). Mit Zustimmung der UVT wurden D‑Arzt-Berichte geprüft, die aus dem Kalenderjahr 2017 stammten und über die zentrale Datenannahmestelle geliefert wurden.

Infobox 1 Aufbau der Checkliste des Qualitätssicherungsverfahrens „Evaluation D‑Arzt-Berichte/Peer Review“

  • Vollständigkeit der Angaben (Unfallhergang, -ort)

  • Vollständige Dokumentation relevanter diagnostischer Maßnahmen und deren Ergebnisse

  • Schlüssigkeit der Röntgenentscheidung

  • Ausreichende und schlüssige Beschreibung des Röntgenergebnisses

  • Schlüssigkeit der Erstdiagnose

  • Schlüssigkeit der beschriebenen Maßnahmen zur Erstversorgung

  • Exakte Beschreibung der Vorschäden

  • Schlüssigkeit der Annahme eines Arbeitsunfalls

  • Schlüssigkeit der Art der eingeleiteten Heilbehandlung

  • Korrekte Klassifikation der Verletzung nach dem Verletzungsartenverfahren

Quelle: DGUV

Peers

Erfahrene D‑Ärzte, die die D‑Arzt-Berichte bewerten (sog. Peers), konnte insbesondere mithilfe der orthopädisch-unfallchirurgischen Berufsverbände gewonnen werden. Im Projektverlauf wurden 90 Peers eingebunden, und bis zum Projektende waren 82 Peers tätig.

Ärzte, die sich als Peers am QS-Projekt beteiligten, haben sich mit ihrer Mitwirkungserklärung ausdrücklich verpflichtet, alle im Rahmen dieses Projekts direkt oder indirekt erlangten Informationen geheim zu halten. Gleichzeitig wurde sichergestellt, dass sie gegenüber den zu begutachtenden Ärzten anonym bleiben.

Vor Beteiligung an dem Verfahren erhielten die Peers ein ausführliches Manual, das die einzelnen Fragen entsprechend der Checkliste und die standardisierten Antwortmöglichkeiten genau erläutert. Im nächsten Schritt erhielten sie zu Übungszwecken drei fiktive D‑Arzt-Berichte, für die Informationen zur richtigen Bewertung hinterlegt waren. Falsche Bewertungen erhielten unmittelbar eine Rückmeldung. Erst nach der Bearbeitung dieser Testfälle wurden dem jeweiligen Peer auf seinem Account regelmäßig echte D‑Arzt-Berichte für eine Bewertung eingestellt. Die Peers erhielten durchschnittlich 10 bis 20 Berichte pro Woche.

Technische Umsetzung

Die technische Umsetzung und die wissenschaftliche Begleitung der ersten bundesweiten Umsetzung des QS-Verfahrens übernahm das Institut für Community Medicine (ICM) der Universitätsmedizin Greifswald unter der Leitung von Prof. Dr. Kohlmann. Dort war bereits im Vorprojekt die webbasierte EDV-Plattform „C-DAB“ entwickelt worden, die als technische Plattform des Verfahrens dient.

Jeder Peer erhält einen passwortgeschützten Account, auf dem die anonymisierten Daten aus den D‑Arzt-Berichten zur Bewertung eingesehen werden können. Daneben werden die Bewertungsfragen entsprechend der Checkliste (Infobox 1) eingespielt.

Über die Web-Anwendung „C-DAB“ können die anonymisierten D‑Arzt-Berichte nach dem Zufallsprinzip an die Accounts der Peers verteilt werden. Sofern zu einem D‑Arzt-Bericht ein Ergänzungsbericht F 1002 (Kopfverletzung), F 1004 (Knieverletzung) oder F 1008 (schwere Verbrennungen) erstellt wurde, ist dieser in „C-DAB“ ebenfalls abrufbar, um dem Peer alle verfügbaren Hintergrundinformationen zu einem Fall für die Bewertung des D‑Arzt-Berichtes zugänglich zu machen. Nachdem der Peer einen D‑Arzt-Bericht anhand der Checklistenfragen geprüft hat, können über „C-DAB“ die Bewertungen exportiert und in der Datenbank gespeichert werden.

Jeder Arzt erhält bei der Beteiligung am elektronischen Datenaustauschverfahren ein Institutionskennzeichen (IK) für die Abrechnung. Im Projekt wird das IK für die Verteilung und die spätere Zusammenführung der Bewertungen verwendet, ohne dass dies für die Peers sichtbar ist. Im Projekt wird anhand des IK auch sicherstellt, dass kein Peer seine eigenen Berichte bewertet.

Eine systematische Befragung zu den Erfahrungen der Peers mit dem Verfahren wird zum Abschluss des Projekts durchgeführt werden.

Ergebnisse

Individuelle Qualitätsberichte als Ziel des Qualitätssicherungsverfahrens

Neben einer Gesamtbetrachtung der Qualität der analysierten D‑Arzt-Berichte erhält jeder einzelne der am Projekt teilnehmenden D‑Ärzte eine individuelle Rückmeldung (Beispiel zur Ergebnisdarstellung: Abb. 1). Dabei werden die Bewertungen der Peers zusammengefasst dargestellt und die individuellen Bewertungsergebnisse in Relation zu den Ergebnissen aller geprüften D‑Ärzte gesetzt. Der einzelne Arzt kann so ggf. vorhandenes Verbesserungspotenzial erkennen und in den Qualitätsmanagementprozess für sein Arbeitsfeld aufnehmen.

Abb. 1
figure 1

Auswertungsbeispiel für die individuellen Ergebnisberichte (fiktive Daten): Individuelle Werte des Durchgangs(D)-Arztes versus Gesamtwerte aller evaluierten D‑Ärzte. (Quelle: DGUV)

Die Auswertung aller vorliegenden Daten wird im zweiten Quartal 2018 vorgenommen. Bis Herbst 2018 ist der Versand der individuellen Qualitätsberichte an die über 800 D‑Arzt-Praxen und an alle D‑Ärzte in SAV-Kliniken vorgesehen. Die Landesverbände der DGUV, die für die Zulassung und Schulung zuständig sind, werden mit den D‑Ärzten, die auffällig schlechte Ergebnisse erzielt haben, individuelle Beratungsgespräche führen, um Verbesserungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Die Ergebnisse werden auch bezüglich regionaler Besonderheiten analysiert. Sollten sich in den Auswertungen übergreifende Probleme abzeichnen, können diese bei den regelmäßigen Schulungsveranstaltungen der Landesverbände besonders thematisiert werden.

Resümee

Das neue QS-Verfahren der DGUV prüft die Dokumentationsqualität von D‑Arzt-Berichten durch den Einsatz eines Peer-Review-Verfahrens. Circa 33.000 Berichte der „besonderen Heilbehandlung“ werden durch ärztliche Peers anhand einer Checkliste bewertet. Mit diesem Verfahren wird die – für die Steuerung des Heilverfahrens notwendige – Dokumentation überprüft und nicht die Behandlungsqualität. Ziel ist die Bewertung der Vollständigkeit und Schlüssigkeit der Dokumentation für die Verwaltungen. Den am Projekt teilnehmenden D‑Ärzten wird die Einordnung ihrer eigenen Dokumentationsqualität anhand der Vergleichsgruppe ermöglicht, indem sie eine transparente und übersichtliche Einschätzung der eigenen Berichtsqualität erhalten.

Fazit für die Praxis

  • Die webbasierte Plattform für die Übermittlung von anonymisierten D‑Arzt-Berichten und deren Bewertung hat sich auch für den bundesweiten Einsatz mit umfangreicher Stichprobengröße bewährt. Es wurde ein vollständig papierloses QS-Verfahren realisiert, um den D‑Arzt-Bericht als ein zentrales Dokument für die Heilverfahrenssteuerung zu evaluieren.

  • Mit den Ergebnissen dieses Qualitätssicherungsverfahrens werden datenbasierte Angaben zu Schwachstellen in der Dokumentation in D‑Arzt-Berichten vorliegen. Die DGUV kommt ihrer Aufgabe nach, die Prozessqualität im D‑Arztverfahren zu analysieren und Verbesserungsmöglichkeiten vorzuschlagen.

  • Die Gesamtergebnisse aus dem ersten bundesweiten Einsatz des Verfahrens werden ab Herbst 2018 auch in Fachtagungen und Expertengesprächen zur Diskussion gestellt.