Die Anerkennung von psychosozialen und körperlichen Folgen komplexer Traumatisierungen hat in der Psychotherapie eine lange und wechselvolle Geschichte. Wie die Auseinandersetzungen um die „traumatische Neurose“ und die „Kriegsneurose“ seit 1890 und die breite Diskussion um die gesundheitlichen Folgen von Konzentrationslagerhaft zeigen, wurden die ätiologische und die pathogenetische Bedeutung von Realtraumatisierungen lange bezweifelt. Noch 1963 sah sich der Psychoanalytiker Kurt R. Eissler (1908–1999) dazu veranlasst, in der Zeitschrift Psyche – Zeitschrift für Psychoanalyse und ihre Anwendungen einen Aufsatz mit dem ironischen Titel „Die Ermordung von wie vielen seiner Kinder muss ein Mensch symptomfrei ertragen können, um eine normale Konstitution zu haben?“ zu veröffentlichen (Eissler 1963). Hintergrund war, dass nicht nur zahlreiche nationale und internationale „Nachkriegspsychiater“, sondern auch viele Psychoanalytiker von dem Paradigma ausgingen, dass die psychischen Veränderungen nach Konzentrationslagerhaft nur durch eine frühe entwicklungspsychologisch verankerte neurotische Störung oder Disposition erklärbar seien und deshalb traumabezogene Behandlungen ablehnten bzw. in Begutachtungen im Rahmen von „Wiedergutmachungsverfahren“ Entschädigungsleistungen verweigerten (Freyberger und Freyberger 2007; Freyberger und Widder 2010). Erst mit der Veröffentlichung des DSM-III wurde das Konzept der posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) breiter akzeptiert, und es kam in der Folge zu einem nahezu exponentiellen Anstieg auch der psychotherapeutischen Forschungsarbeiten in diesem Bereich. Die nach wie vor steigende Attraktivität des dahinterstehenden Konzepts hat mehrere Gründe. Das Konstrukt folgt einem vergleichsweise einfach untersuchbaren Ursache-Wirkung-Paradigma mit psychosozialen und neurobiologischen Prädiktorvariablen und Mediatoren und bietet sich so hervorragend für Forschungsarbeiten und die Neuentwicklung von psychotherapeutischen Techniken und Methoden an. Für Patienten und für Psychotherapeuten bietet das Konzept darüber hinaus sehr einfache Kausalitätsattributionen an, was nicht zuletzt dazu geführt hat, dass der ursprünglich an Ereignisse und Prozesse katastrophalen Ausmaßes gekoppelte Begriff des Traumas eine erhebliche Erosion erfuhr. Die Diskussion um „Low-magnitude“-Stressoren ist allerdings auch Teil eines gesellschaftlichen Diskurses, in dem der Traumabegriff über eine breite Berichterstattung dazugehöriger Ereignisse in den Medien eine zunehmende Popularisierung erfuhr und zu einer Medikalisierungstendenz mit einer immer breiteren Ausweitung von Störungsbegriffen beigetragen hat (Schneider 2013).

Obgleich in der Forschung zahlreiche Befunde zusammengetragen wurden, die die Validität einer über eine einfache PTBS hinausgehende komplexe Traumafolgestörung belegen und in der ICD-11 mit hoher Wahrscheinlichkeit eine solche diagnostische Kategorie mitaufgenommen wird (Hecker und Maercker 2015), wurde sie im DSM‑5 nicht berücksichtigt. Freyberger und Terock geben vor diesem Hintergrund eine Übersicht zu den diagnostischen Implikationen des Konstrukts der komplexen PTBS und fassen eine Reihe von Ergebnissen aus der Psychotherapieforschung zusammen. Dabei wird deutlich, dass die Definition der Erkrankung im Wesentlichen auf deskriptiv fassbaren psychischen Merkmalen beruht und die damit verbundenen neurobiologischen Veränderungen bisher nicht berücksichtigt werden. Dies berührt ein in der Forschung, aber insbesondere auch in der Therapie lange unterschätztes Phänomen, nämlich die mit einer komplexen Traumafolgestörung verbundenen erheblichen Risiken für die körperliche Gesundheit. Hierzu nehmen in einer Übersichtsarbeit Spitzer et al. Stellung. Am Beispiel der koronaren Herzerkrankung (KHK) und der zugehörigen subklinischen Marker zeigen die Autoren die komplexen Zusammenhänge auf, die von verschiedenen Arbeitsgruppen in unterschiedlichen Populationen gezeigt werden konnten. Obgleich die retrospektive Erfassung von komplexen Kindheitstraumatisierungen erhebliche methodische Fragen aufwirft, zeigen die meisten Studien eine dosisabhängige Beziehung: Je mehr Kindheitstraumata berichtet wurden, desto höher war das Risiko für die Entwicklung einer KHK.

Die schwerwiegenden psychischen und körperlichen Folgen komplexer Traumatisierungen zeigen, wie wichtig möglichst frühzeitige therapeutische Interventionen sind. Rassenhofer et al. greifen diese Frage auf, in dem sie ein Modellprojekt zur Evaluation einiger in den letzten Jahren eingerichteter Traumaambulanzen nach dem Opferentschädigungsgesetz vorstellen. In einem parallelisierten und kontrollierten Design werden Personen, die in Traumaambulanzen behandelt wurden, mit Personen nach Realtraumatisierung verglichen, für die keine Traumaambulanz verfügbar war. Nach der Frühintervention zeigt sich eine signifikante, klinisch bedeutsame Reduktion der Traumasymptomatik in der Interventionsgruppe, die sich in der Kontrollgruppe nicht findet.

Der Beitrag von March et al. betrachtet die stationären psychotherapeutischen Behandlungsverläufe bei 191 Patienten in Abhängigkeit von frühen Traumatisierungen in Form von Vernachlässigung, physischer Misshandlung und sexuellem Missbrauch. Wie in anderen Studien dieser Art auch, waren weibliche Patienten sexuellem Missbrauch, aber auch Vernachlässigung in höherem Maß ausgesetzt als männliche. Traumatisierte Patienten wiesen im Vergleich zu nichttraumatisierten höhere allgemeine Symptombelastungen und ein geringeres Funktionsniveau auf, erzielten aber einen vergleichbaren relativen Therapiegewinn.