Vor genau 200 Jahren beschrieb der Londoner Arzt und Paläontologe James Parkinson das typische klinische Bild der durch Jean-Marie Charcot nach ihm benannten Erkrankung in „An Essay on the Shaking Palsy“ [1]. Der genaue und umsichtige Wissenschaftler entschuldigt in einer „versöhnenden Erklärung“ („conciliatory explanation“) in der Einleitung, dass er sich bei der Beschreibung auf Vermutungen und nicht auf wissenschaftliche Experimente und auf Analogien statt auf anatomische Untersuchungen, die die für ihn einzig sichere Grundlage pathologischen Wissens bilden, stützen muss.

In der Tat waren es histologische Untersuchungen, die allerdings erst genau 100 Jahre später zur Entdeckung der für die Parkinson-Erkrankung typischen Lewy-Körperchen (Beschreibung durch Lewy 1917) führte. Die Entdeckung des Zellverlustes in der Substantia nigra als Ort der die Symptome wesentlich bedingenden Pathologie durch Tretjakow 1919 löste die durch James Parkinson geprägte Vorstellung, der grundlegende Erkrankungsprozess finde in der Medulla oblongata statt, ab.

Wie dezidierte Studien von H. Braak und Kollegen belegen, war J. Parkinson jedoch mit seiner Vermutung des Entstehungsortes genauso wie mit seiner Aussage, dass es sich um eine sehr langsam fortschreitende Erkrankung handelt, deren Beginn oft unbemerkt ist, sehr nahe an dem, was umfangreiche Studien erst in den letzten Jahren eindeutig belegten: Die Pathologie, deren Entstehungsort noch immer Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen ist, breitet sich bei der Mehrzahl der Betroffenen vom unteren Hirnstamm her aus [2] und beginnt lange (nach heutigem Wissen Jahre bis Jahrzehnte), bevor der Betroffene – mit Worten von J. Parkinson „Leidende“ („sufferer“) – erste Symptome wahrnimmt.

Wo stehen wir 200 Jahre später?

Intensive, ernsthafte Forschung von Generationen von Wissenschaftlern und ein immenser methodischer und technischer Fortschritt weisen heute auf eine multifaktorielle Genese der Parkinson-Erkrankung hin, wobei auch bei der den größten Anteil ausmachenden idiopathischen Form eine genetische Mitbeteiligung wahrscheinlich ist (siehe Artikel von Lill und Klein in diesem Heft). Weder für das Verständnis der Komplexität genetischer Zusammenhänge und des Einflusses von Umweltfaktoren noch für die Bestimmung von Biomarkern für eine sichere klinische Diagnose oder von Progredienzmarkern für den Verlauf der Erkrankung reichen die 6 Patienten, die J. Parkinson beispielhaft beschrieb. In großen Kohorten, Registern und Programmen wird daher national und international unermüdlich nach Ursachen, Bio- und Progredienzmarkern geforscht.

Die Parkinson-Erkrankung bleibt auch nach 200 Jahren eine klinische Diagnose

Und dennoch hat sich an den Kernkriterien für die Diagnose wenig geändert. Vielmehr bildet der Zugang von J. Parkinson zu den Menschen, die er beschrieb, nämlich genaue Anamnese und exakte (longitudinale) Beobachtung, die Basis für die neuen klinischen Kriterien, die 2015 von einer Task Force der Movement Disorders Society veröffentlich wurden [3]. Die neuen Kriterien (siehe Beitrag von Zach et al. in diesem Heft) sollen das Vorgehen eines Experten festschreiben und einem Nichtexperten zugänglich machen [3]. Somit bleibt die Parkinson-Erkrankung auch nach 200 Jahren eine klinische Diagnose, auch wenn hilfreiche diagnostische Zusatzuntersuchungen (siehe Beitrag von Walter et al. in diesem Heft) die Differenzialdiagnose erleichtern.

Von J. Parkinson sehnlich erhofft, aber noch undenkbar, war lange Zeit eine Therapie der Erkrankung, die, so J. Parkinson schon 1817 „if employed before the disease had been too long established“ sogar kurativ sein könnte.

Die mit dem Nobelpreis gekrönte Entdeckung von Dopamin und seinen Auswirkungen auf das Gehirn und damit die Parkinson-Erkrankung führte zur Entwicklung einer Vielzahl von v. a. dopaminergen, aber auch nichtdopaminergen medikamentösen Therapieansätzen, die neben den motorischen Symptomen in den letzten Jahren zunehmend auch die z. T. schon von J. Parkinson als den Patienten beeinträchtigend beschriebenen nichtmotorischen Symptome lindern (siehe Beitrag von Jost in diesem Heft bezüglich motorischer Symptome. Das umfangreiche Gebiet der Therapie nicht-motorischer Symptome wird in einer der folgenden Ausgaben des Nervenarztes in einer Übersichtsarbeit dargestellt werden). Der längere Erhalt der Alltagsaktivität der durch die individuellen, symptomorientierten Therapien ermöglicht wird, wird in den letzten Jahren zunehmend und erfolgreich durch nichtmedikamentöse Therapiestrategien konventioneller und interventioneller Art (siehe Beitrag von Witt et al., in diesem Heft) unterstützt.

Somit ist ein Leben mit dem von J. Parkinson beschriebenen Übel („evil“) mit weitgehend zufriedenstellender Symptomkontrolle über längere Phasen möglich.

Allerdings kann trotz intensiver Forschung das Fortschreiten der Erkrankung bis heute weder gestoppt noch die Krankheit vermieden oder geheilt werden.

Hier könnten neue Therapieansätze, die sich genetische und pathomechanismenspezifische Ursachenforschung zunutze machen, neue Perspektiven bieten (siehe Artikel von Brockmann und Berg in diesem Heft). Um diese effektiv einzusetzen, ist ein tieferes Verständnis der Subgruppen der Erkrankung ebenso wichtig (siehe Artikel von Lill und Klein in diesem Heft) wie ein Verständnis des individuellen Verlaufs und die Bestimmung sinnvoller Endpunkte (siehe Artikel von Walter et al., in diesem Heft), die den Erfolg klinischer Studien messen können.

Und wie zur Zeit von J. Parkinson gilt es, den „Leidenden“ nicht aus dem Blick zu verlieren. Patienten und wissenschaftliche Gremien fordern zu Recht zunehmend, Lebensqualität in den Vordergrund der Behandlung zu stellen (siehe Artikel von Brockmann und Berg in diesem Heft). Dies muss mehr denn je Ziel aller die Betroffenen Begleitenden sein.

Die in diesem Heft veröffentlichten Artikel machen klar, dass aufbauend auf der von J. Parkinson verfassten faszinierend genauen und nachhaltigen Beschreibung des Krankheitsbildes der nach ihm benannten Erkrankung die Wissenschaft das Feld trotz noch vieler offenen Fragen substanziell weitergebracht hat. Ich bin überzeugt dass sich die Literatur jedes einzelnen Artikels sowohl für den Spezialisten wie auch für den Interessierten lohnt. Die Autoren haben speziell darauf geachtet, komplexe Sachverhalte so darzustellen, dass sie auch im klinischen Alltag strukturiert angewendet werden können.

figure a

Prof. Dr. Daniela Berg