Komplexe Verletzungen gibt es seit es Verletzungen gibt. Obwohl die Komplexizität erheblichen Einfluss auf das Ergebnis hat, war der Begriff lange Zeit nicht oder allenfalls unscharf definiert. Die Benutzung eines klar umschriebenen anatomiebezogenen Begriffs „Komplextrauma“ war von Harald Tscherne in den 1990er Jahren angeregt worden und von verschiedenen Autoren der Hannoveraner Schule für unterschiedliche Körperregionen differenziert definiert worden.

Am Kniegelenk wurde als „Komplextrauma des Kniegelenks“ die Knieglenkluxation mit Weichteilschaden, die Kombination supradiakondyläre Femurfraktur mit proximaler Tibiafraktur und die supradiakondyläre Femurfraktur oder proximale Tibiafraktur mit zweit- oder drittgradigem Weichteilschaden definiert [1]. Damit sind Übergänge in komplexe ligamentäre Instabilitäten [2] und in die Fülle der Luxationsverletzungen [4] und Luxationsfrakturen [3] fließend. Diagnostik und Therapie des Komplextraumas sind anspruchsvoll und erfordern ein abgestuftes oftmals interdiziplinäres Vorgehen.

Spätzustände nach einem Komplextrauma des Kniegelenks hinterlassen häufig Mischbilder aus fixierter Instabilität, Bewegungseinschränkung, Bandinsuffizienz und Gelenkknorpelschäden, knöchernen Fehlstellungen, Pseudarthrosen oder gar nicht gelenkerhaltend rekonstruierbaren Situationen.

Die präoperative Analyse ist entscheidend: Neben der unverzichtbaren, subtilen klinischen Untersuchung ist eine differenzierte Analyse der Beinachsen, des Instabilitäts- und Meniskus/Knorpelstatus, des biologische Potentials des Knochens oder der Heilungsstörung und der Gelenkkongruenz erforderlich.

Bewegungshemmungen nach einem Komplextrauma des Kniegelenks sind eher die Regel als die Ausnahme. Die knöcherne Heilung ist Voraussetzung für einen nachhaltigen Behandlungserfolg und ein Bewegungsverlust wird häufig zumindest in der Frühphase akzeptiert. Aufgrund der komplexen Verletzungsmuster stellt die Wiederherstellung der Beweglichkeit eine schwierige Aufgabe dar.

Wenn der Gelenkerhalt nicht mehr möglich oder sinnvoll ist, steht eine große Palette an gelenkersetzenden Maßnahmen zur Verfügung. Der Gelenkersatz bei posttraumatischer Gonarthrose weist aber wichtige Besonderheiten auf. Bandinsuffizienzen, Fehlstellungen, Knochendefekte, Pseudarthrosen, Kontrakturen, problematische Weichteilverhältnisse, sowie Pathologien des Patellofemoralgelenks müssen präoperativ erkannt und bei der Operation adressiert werden. Entsprechend sind Zugang, Weichteil- und Knochenmanagement und Art der Prothese (Kopplungsgrad, Stielverankerung, Augmente) zu wählen. Einliegende Implantate und fragliche Infekte sind zu berücksichtigen und können ein zweizeitiges Vorgehen erfordern. Bei kontrakten Gelenkverhältnissen kommen erweiterte Zugänge zur Anwendung („quadriceps snip“, Tuberositasosteotomie).

Heute, knapp 15 Jahre nach der ersten Publikation zur Definition Komplextrauma, hat sich einiges verändert. Durch neue Möglichkeiten in der Bildanalyse und Eingriffsplanung mit hochauflösenden 3D-Rekonstruktionsmöglichkeiten in CT, MRT und PET, durch die neuen regenerativen Möglichkeiten mit Knorpelzüchtung und Wachstumsfaktoren, aber gerade auch durch neue Hardwareentwicklungen wie Computernavigation, intramedulläre Verlängerungsmarknägel und Neuentwicklungen in der Endoprothetik haben sich die Werkzeuge Behandlung posttraumatischer Folgezustände nach Komplextrauma am Knie erheblich verbessert.

Die zahlreichen bestehenden und neuen diagnostischen und therapeutischen Facetten beim „Komplextrauma Kniegelenk“ machen die Entscheidungsfindung schwierig und erfordern ein differenziertes, an den Ursachen orientiertes Behandlungskonzept, das mit dem Anforderungsprofil des Patienten und seiner Erwartungshaltung abgeglichen werden muss.

Wir hoffen, vielen Lesern mit den nachfolgenden Beiträgen einen kompakten aktuellen Überblick über diese schwierige Thematik zu geben. Von einem Leser wissen wir, dass er die Thematik mit ganz besonderem Interesse verfolgen wird. Harald Tscherne, der in diesen Tagen 80 Jahre wird. Ad multos annos.

C. Krettek

M. Jagodzinski

P. Lobenhoffer