Lernziele

Nach Lektüre dieses Beitrags zu Hüftdysplasie, Screening und Therapie

  • kennen Sie die wesentlichen diagnostischen Schritte zur Klassifikation pathologischer Hüftgelenke,

  • verstehen Sie die grundlegenden anatomischen und biomechanischen Prinzipien,

  • sind Ihnen die Behandlungsindikationen und -optionen bekannt,

  • wissen Sie um die möglichen Komplikationen.

Einleitung

Die kongenitale Hüftgelenkdysplasie ist eine relativ häufige Erkrankung, deren Inzidenz in der Literatur mit 2,5–4,7 % angegeben wird [1, 2, 3, 4]. Das eigentliche Krankheitsbild der kongenitalen Hüftgelenkdysplasie und -luxation ist jedoch durch die moderne Diagnostik und Therapie in unserem beruflichen Alltag seit den 1980er-Jahren deutlich zurückgedrängt worden. Gerade aus diesem Grund ist es wichtig, die Bedeutung des sonographischen Screenings und der ggf. indizierten frühzeitigen, konsequenten Therapie zu beachten.

Das sonographische Hüftscreening wurde in Österreich 1992, in Deutschland 1996 und in der Schweiz 1997 eingeführt. In Österreich wird das sonographische Hüftscreening in der 1. Lebenswoche sowie in der 4. bis 6. Lebenswoche im Rahmen des Mutter-Kind-Pass-Vorsorgeprogramms durchgeführt. In Deutschland erfolgt das sonographische Hüftscreening in der 4. bis 6. Lebenswoche im Rahmen der Kindervorsorgeuntersuchung U3. Bereits davor werden die Hüftgelenke im Rahmen der U2-Kindervorsorgeuntersuchung risikoorientiert untersucht [5].

Das auf der klinischen Untersuchung basierende Screening der Hüftgelenkdysplasie oder -luxation hat seit der Einführung des sonographischen Screenings an Bedeutung verloren.

Für das generalisierte sonographische Hüftscreening konnte ein mehrfacher positiver Effekt in der Behandlung der kongenitalen Hüftdysplasie nachgewiesen werden: Der Nachweis, dass das sonographische Screening durch die frühzeitige konservative Therapie die Rate der residuellen, azetabulären Dysplasie senken kann, wurde erbracht [6, 7]. Dies führt in weiterer Folge auch zu einer Reduktion der operativen Korrekturen bei azetabulären Dysplasien [8, 9]. Zusätzlich sinkt auch die Rate der offenen Repositionen durch die frühzeitige sonographische Diagnostik [10].

Grundlagen

Die klinische Untersuchung kann erste Hinweise auf eine Pathologie des Hüftgelenkes liefern. Hierbei wird auf Differenzen der Bein- und Oberschenkellänge, auf Asymmetrien der Hautfalten sowie auf die freie Beweglichkeit der Hüften bzw. eine Abspreizhemmung geachtet. Zur Prüfung der Stabilität werden die Zeichen nach Ortolani und Barlow überprüft [11, 12]. Die Aussagekraft der klinischen Untersuchung sollte jedoch nicht überbewertet werden, da die Sensitivität und v. a. die Spezifität im Vergleich zur Hüftsonographie gering sind [1].

Das Hüftgelenk praktikabel und reproduzierbar zu vermessen, ist für die Diagnostik der kongenitalen Hüftgelenkluxation und -dysplasie wichtig. Zahlreiche Autoren haben sich mit diesem Thema auf innovative Weise beschäftigt, wobei sich die Hüftsonographie nach Graf international am weitesten durchgesetzt hat und als Goldstandard bezeichnet werden kann [4].

Empfohlen wird ein Ultraschallgerät mit einem Linearschallkopf mit einer Frequenz von 7,5 MHz, um Verzerrungen, die bei Verwendung eines Sektorschallkopfes auftreten, zu vermeiden [13]. Zusätzlich soll für die Lagerung des Kindes eine spezielle Lagerungsschale verwendet werden.

Die grundsätzliche Problemstellung besteht darin, ein vereinfachtes, aber repräsentatives Abbild der komplexen Realität anzufertigen: Es wird also ein 2-dimensionales Bild einer 3-dimensionalen (zusätzlich dynamischen) Struktur angefertigt. Es ist daher essenziell, die Ebene des 2-dimensionalen Bildes in den für die Dysplasie oder Luxation wichtigen Bereich zu legen. Dieser Bereich ist ein definierter Teil des Pfannendaches, der einem Sektor des kraniolateralen Pfannendaches entspricht [14]. Diese Bildebene muss aus Gründen der Reproduzierbarkeit standardisiert sein. Um dies zu erreichen, sind nach Graf folgende Voraussetzungen wichtig [13]:

  • eine möglichst standardisierte Lagerung des Kindes,

  • ein standardisierter Untersuchungsvorgang und

  • eine Überprüfung des Ergebnisses nach definierten Kriterien.

Zu diesen Kriterien zählen folgende 3 auch als Landmarks bezeichnete Bilddetails („Labrum“ – „Schnitt“ – „Unterrand“):

  • Um zu gewährleisten, dass die Bildebene in der Mitte des Azetabulums liegt, muss der Unterrand des Os ilium in der Y-Fuge abgebildet sein.

  • Die Bildebene muss auch im kraniolateralen, später lasttragenden Anteil des Pfannendaches liegen. Dies ist an einem gestreckten Os-ilium-Verlauf zwischen Erker und Caput reflexum erkennbar.

  • Um eine koronare Bildebene zu gewährleisten, muss das Labrum acetabulare klar abgebildet sein. Die klare Darstellung dieser Struktur ist gegeben, wenn diese von den Schallwellen senkrecht getroffen wird.

Sonogramme (Abb. 1), die diese Landmarks nicht vollständig abbilden, erfüllen die notwendige Standardisierung nicht und sind daher nicht aussagekräftig bzw. vermessbar. Die einzige Ausnahme stellt die Situation des dezentrierten Hüftgelenkes dar, bei der sich die Bildebene an der dezentrierten Stellung des Hüftkopfes und nicht an der standardisierten Bildebene orientiert. Die Befundung der Sonogramme erfolgt nach beschreibenden Kriterien sowie anhand der Vermessung des α- und β-Winkels (Tab. 1).

Abb. 1
figure 1

Sonogramm mit Vermessung des α- und β-Winkels

Tab. 1 Einteilung der Hüfttypen nach Graf

Um die Qualität des sonographischen Screenings zu gewährleisten, wird eine spezielle Ausbildung der Untersucher gefordert [14].

Behandlungsschemata

Im Zentrum einer Therapieentscheidung steht die Differenzierung der verschiedenen Schweregrade der Pathologie, insbesondere die Unterscheidung zwischen Pfannendeformation und zusätzlicher Dislokation des Hüftkopfes.

Die Therapie durchläuft im Falle des luxierten Hüftgelenkes 3 Phasen, wobei in den verschiedenen Phasen verschiedene Behandlungstechniken Anwendung finden. In Tab. 2 sind die relevanten Phasen in Abhängigkeit vom sonographischen Befund dargestellt.

Tab. 2 Indizierte Behandlungsphasen entsprechend dem sonographischen Typ nach Graf

Die Gelenkinstabilität ist im breiten Konsens als zentraler Faktor bekannt, der in 3 Phasen behandelt werden muss:

Das dezentrierte Gelenk muss im ersten Schritt reponiert, also im Azetabulum zentriert werden. Zur Reposition können verschiedene Techniken zur Anwendung kommen: Die 1957 entwickelte Pavlik-Bandage ist eine verbreitete Therapieform zur Reposition dislozierter Hüftgelenke. Mit dieser Bandage wurden Erfolgsraten bis 90 % berichtet [15]. Die iatrogene Hüftkopfnekrose nach einem Repositionsmanöver stellt eine seltene, jedoch folgenschwere Komplikation in der Behandlung der Hüftgelenkluxation dar. Für die Reposition im Säuglingsalter wurde in der Literatur eine Inzidenz für Hüftkopfnekrosen mit 0–8 % angegeben [16, 17].

Eine Traktionsbehandlung zur Hüftgelenkreposition wurde 1984 erstmals von Pravaz [18] beschrieben. Die anfangs reine Längsextension wurde von M. Lange durch eine Abduktions- und Innenrotationskomponente modifiziert und gilt als verbreitetes, bewährtes Behandlungskonzept.

Die Overheadextension wurde ursprünglich von Craig [19] und Mau [20] beschrieben und von Krämer [21] im Sinne einer Standardisierung weiterentwickelt. Mit dieser Technik werden Repositionsraten von 90 % beschrieben.

Nach der erfolgreichen Reposition des Hüftgelenkes findet sich der Hüftkopf zentrisch in der Hüftpfanne. Eine Gelenkinstabilität bedingt durch die Deformität der Pfanne in Verbindung mit der gelockerten Gelenkkapsel besteht jedoch weiterhin.

In der folgenden Phase muss eine wiederkehrende Reluxation oder Subluxation verhindert werden (Retentionsphase). Nur so kann der zentrierte Hüftkopf als Wachstumsreiz auf das Azetabulum wirken, um eine anatomische Remodellierung der Pfanne zu erreichen. Nach Tönnis ist in dieser Phase eine sichere, zentrierte Stellung des Hüftgelenkes essenziell, um eine Verschlechterung der Pfannenstruktur, d. h. eine präarthrotische Deformation im weiteren Verlauf zu verhindern [22]. Darüber hinaus sorgt die geschaffene Gelenkstabilität in der Retentionsphase für die Rückbildung der Kapselelongation.

Um die geforderte Hüftgelenkstellung in der Retentionsphase zu halten, sind verschiedene Orthesen und Gipsversorgungen vorgeschlagen worden: Fettweis-Gips (Abb. 2), Pavlik-Bandage, Hoffmann-Daimler-Schiene, Düsseldorfer-Schiene. Bei der Retention im Gips wird die Sitz-Hock-Stellung mit einer Flexion von 45° und einer Abduktion von 40–45° („human position“ nach Salter) angestrebt. Allerdings muss das nötige Ausmaß der Flexion und Abduktion, bei dem das Hüftgelenk stabil ist, klinisch bestimmt und im Bildwandler überprüft werden. Die Anlage des Gipses erfolgt in einer kurzen Narkose.

Abb. 2
figure 2

Anlage des Fettweis-Gipses in Narkose zur Retention eines reponierten Hüftgelenkes

Nach der erfolgreichen Retention muss eine Nachreifungsphase folgen: Am Ende der Retentionsphase ist das Gelenk ausreichend stabil, allerdings besteht die Situation einer Restdysplasie . Das bedeutet, dass das Pfannendach nicht ausreichend ossifiziert ist und dadurch eine biomechanische Belastung zu einer wiederum zunehmenden Deformierung führen kann. Zur Behandlung dieser Restdysplasie ist in der Nachreifungsphase eine Entlastung im Pfannendachbereich notwendig, sodass es zu einer zunehmenden Ossifikation im hyalin präformierten Pfannendach kommen kann. In dieser Behandlungsphase muss daher die Belastung durch eine Orthese vermindert werden, damit das Hüftgelenk nachreifen kann. Es gibt zahlreiche Orthesen (z. B. Graf-Mittelmeier-Spreizhose, Tübinger-Schiene, Pavlik-Bandage etc.), die in dieser Phase geeignet sind: Die Hüftgelenke werden in Flexion und mittelgradige Abduktion gebracht, wobei Strampelbewegungen möglich sein sollen.

Diese Phase endet, sobald das Gelenk sonographisch die Kriterien eines Graf Typ I erfüllt, also einen α-Winkel von mindestens 60° aufweist. Die Abspreizbehandlung sollte möglichst vor der Vertikalisierung beendet werden.

Sollte eine Ausheilung nicht erreichbar sein, so muss das Gelenk im weiteren Verlauf beobachtet und ggf. eine Azetabuloplastik indiziert werden [23].

Nachbeobachtung

Nach Abschluss der Behandlung einer Hüftgelenkluxation oder -dysplasie, muss die weitere Entwicklung des Hüftgelenkes beobachtet werden. Der Hintergrund dafür ist, dass auch ein erfolgreich ausbehandeltes Hüftgelenk im Rahmen des Wachstums eine neuerliche Dysplasie entwickeln kann [24]. Diese Form der Dysplasie wird auch als „residual acetabular dysplasia“ bezeichnet.

Es werden sog. Meilenstein-Röntgenkontrollen durchgeführt: Eine erste radiologische Verlaufskontrolle sollte mit etwa 15 Monaten oder nach der Vertikalisierung (Gehbeginn) stattfinden. Wenn sich zu diesem Zeitpunkt ein regelrechter Befund zeigt, planen wir die nächste Kontrolle im Alter von 5 bis 6 Jahren.

Aufgrund der möglichen Entwicklung einer Restdysplasie sollten primär dysplastische oder luxierte Hüftgelenke bis zum Wachstumsabschluss observiert werden. Daher sollte eine radiologische Kontrolle bei all diesen Hüftgelenken zu Beginn der Pubertät erfolgen [25].

Komplettierende Untersuchungsmodalitäten

Bei Anwendung eines Fettweis-Gipses nach Reposition überprüfen wir die Hüftkopf-Pfannen-Relation in der Retentionsstellung in der Magnetresonanztomographie , die ohne Sedierung durchgeführt werden kann (Abb. 3). Diese Kontrolle erhöht die Sicherheit, dass das Gelenk in der Retentionsstellung korrekt zentriert gehalten werden kann, um das Risiko für das Entstehen einer Hüftkopfnekrose zu minimieren [26, 27, 28].

Abb. 3
figure 3

Magnetresonanztomographie im Fettweis-Gips nach Reposition der rechten Hüfte

Das Röntgen hat durch die sonographische Hüftuntersuchung im ersten Lebensjahr an Bedeutung verloren, stellt jedoch das Standardverfahren zur Verlaufskontrolle im weiteren Wachstum dar. Die radiologische Bestimmung der Restdysplasie erfolgt anhand des AC-Winkels nach Tönnis und des Zentrum-Erker-Ecken-Winkels nach Wiberg (CE-Winkel).

Die Indikation zur Arthrographie wird teilweise kontrovers diskutiert. Die Indikation besteht v. a. bei Schwierigkeiten bei der Hüftgelenkreposition, um eine exakte Einstellung während des Repositionsmanövers zu dokumentieren (Abb. 4). Dies dient in erster Linie der Vermeidung von Hüftkopfnekrosen [22].

Abb. 4
figure 4

Hüftgelenkarthrographie a vor und b nach Repositionsmanöver

Offene Hüftgelenkreposition

Wenn die geschlossene Hüftgelenkreposition trotz Traktionsbehandlung nicht erreicht werden kann, muss die Indikation zur offenen Reposition gestellt werden. In diesem Fall gibt es verschiedene Strategien, wobei neben der angestrebten Reposition v. a. das Risiko einer nachfolgenden Hüftkopfnekrose minimiert werden soll.

Als chirurgische Zugangswege sind der mediale Zugang nach Ludloff und der vordere Zugang verbreitet. Aufgrund der Gefahr der Verletzung der A. circumflexa femoris wurde für den medialen Zugang ein erhöhtes Risiko von Hüftkopfnekrosen berichtet [23]. Rezent konnte in einer systematischen Literaturanalyse gezeigt werden, dass das Risiko einer Hüftkopfnekrose bei jüngeren Patienten, bei erhöhter Abduktion über 60° sowie bei der Notwendigkeit von Folgeoperationen erhöht ist [29].

Die Indikation kann entweder nur nach erfolglosem geschlossenem Repositionsversuch gestellt werden oder aufgrund einer Altersgrenze. Zusätzlich muss der arthrographische Gelenkbefund bei Nachweis eines Repositionshindernisses berücksichtigt werden.

An unserer Klinik wird bis zum Alter von 12 Monaten eine geschlossene Reposition angestrebt. Ab dem 2. Lebensjahr stellen wir die Indikation zur offenen Reposition nach Traktionsbehandlung. Im Alter zwischen 12 und 24 Monaten muss je nach arthrographischem Befund für eine geschlossene oder offene Reposition nach Traktionsbehandlung entschieden werden.

Eingriffe am Pfannendach

Bei Auftreten einer azetabulären Restdysplasie im Rahmen der Nachkontrollen wird die Indikation zur operativen Behandlung unter Berücksichtigung des Hilgenreiner AC-Winkels bzw. des CE-Winkels gestellt. Es gilt als weitreichend anerkannt, dass solche Patienten chirurgisch behandelt werden sollten und nicht zugewartet werden sollte, bis sich Symptome einstellen oder verschlimmern [25, 30]. Im Wesentlichen gilt eine Abweichung vom altersentsprechenden Normwert um die 2-fache Standardabweichung als pathologisch, jedoch muss vor der Planung einer Korrektur eine detaillierte Analyse erfolgen [31].

Entsprechend dem Alter des Patienten kommen ab dem Kleinkindalter verschiedene Korrekturverfahren zur Anwendung, die in einer Übersicht in Tab. 3 aufgeführt sind.

Tab. 3 Übersicht über Beckenosteotomien und Indikationsrichtlinien nach dem Lebensalter. (Mod. nach M. Jäger [32] und [33] Congenital and developmental anomalies of hip and pelvis. In: Campbells’s Operative Orthopaedics, Part IX. Mosby & Elsevier, Philadelphia, pp 1098)

Fazit für die Praxis

  • Das sonographische Hüftscreening ist essenzieller Bestandteil in der Diagnostik pathologischer Hüftgelenke im Säuglingsalter.

  • Die standardisierte Durchführung und Auswertung der Sonographie nach entsprechender Schulung bietet die notwendige Sicherheit für die davon abhängige Therapieentscheidung.

  • Die frühzeitige Diagnose und sonographiegesteuerte Therapie der Hüftgelenkdysplasie und Luxation ermöglicht in der großen Mehrzahl exzellente klinische Ergebnisse.

  • Bei Kindern mit ausbehandelten Hüftdysplasien ist die Observanz der weiteren Entwicklung im Rahmen des weiteren Wachstums wichtig.