Bis Mitte des letzten Jahrhunderts, als Steroide in die Therapie chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen eingeführt wurden, waren diese Erkrankungen mit einem nicht unerheblichen Letalitätsrisiko assoziiert [40]. Die Forschung der letzten Jahrzehnte hat ganz wesentlich zu einem besseren Verständnis der Ätiopathogenese und damit auch zur Entwicklung neuer Therapieansätze beigetragen. In der vorliegenden Übersicht soll auf die Rolle des erworbenen und angeborenen Immunsystems, der Barriere sowie der Mikrobiota eingegangen werden.

Epidemiologische Überlegungen

Etwa ein Viertel der auftretenden chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen ist mit genetischen Risikolozi assoziiert, die in genomweiten Assoziationsstudien (GWAS) identifiziert wurden [9]. Also werden etwa drei Viertel durch andere Faktoren verursacht. Parallel müssen die aktuellen epidemiologischen Daten beachtet werden, die aufzeigen, dass die Inzidenz seit Mitte des letzten Jahrhunderts zunimmt. Dies kann nicht durch genetische Risikokonstellationen erklärt werden. Vielmehr muss über Veränderungen von Umweltfaktoren nachgedacht werden, die in diesem Zeitraum relevant waren [29]. Mögliche Umweltfaktoren sind Veränderungen der Ernährung, der Rückgang an Infektionen, die Einführung des Kühlschranks und der Einsatz von Antibiotika, die mutmaßlich die Regulation des intestinalen Gleichgewichts dahingehend verändern, dass ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung besteht.

Zur Strukturierung der aktuellen Überlegungen soll zunächst auf die Bedeutung der Mikrobiota für das intestinale Gleichgewicht eingegangen werden, um im Anschluss die Bedeutung der Barriere und der Immunzellen der Lamina propria darzustellen.

Umwelteinflüsse und intestinale Mikrobiota

Um die Bedeutung der intestinalen Mikrobiota und ihrer Interaktion mit dem mukosalen Immunsystem darstellen zu können, sollen die wesentlichen Befunde kurz zusammengefasst werden. Für ausführliche Erläuterungen sei auf den Beitrag „Mikrobiom und Ernährung“ in dieser Ausgabe verwiesen.

Der Darm hat eine Oberfläche von etwa 250 m2. Er wird von etwa 100 Trillionen Bakterien besiedelt [26]. Wir leben in einem exzellent abgestimmten Gleichgewicht mit unserer Mikrobiota. Dafür ist es erforderlich, dass das Immunsystem des Darms erkennen kann, welche Bakterien die Barriere durchbrechen und ob eine Entzündungsreaktion ausgelöst werden muss. Neben epidemiologischen Daten [27] zeigen auch elegante Tierexperimente, dass insbesondere die frühe Lebensphase für die Entwicklung des mukosalen Immunsystems entscheidend ist.

Die frühe Antigenexposition durch die Mikrobiota induziert eine orale Toleranz

So konnte in Experimenten an keimfreien Mäusen gezeigt werden, dass die früh nach der Geburt erfolgende Besiedlung durch konventionelle Mikrobiota die Tiere vor einer späteren experimentellen Kolitis schützt. Bleibt die Besiedlung aus, kommt es zu einer Akkumulation der in diesem Modell proinflammatorischen invarianten natürlichen Killer-T-Zellen. Eine frühe Antigenexposition induziert also eine orale Toleranz.

Vorstellbar wäre nun, dass eine gezielte Modifikation der Mikrobiota intestinale Entzündungen, z. B. chronisch-entzündliche Darmerkrankungen, beeinflussen kann. Einen ersten Ansatz stellt die Therapie mit Escherichia coli Nissle 1917 bei der Colitis ulcerosa dar. Dass dies grundsätzlich funktionieren kann, zeigen auch Daten zur therapierefraktären Clostridium-difficile-Infektion, die durch Transplantation der Mikrobiota eines gesunden Spenders geheilt werden kann [44]. Trotzdem muss bedacht werden, dass die Mikrobiotatransplantation den eigentlichen und mutmaßlich entscheidenden „Lernprozess“ in der frühen Lebensphase nicht ersetzen kann. Es überrascht daher nicht, dass bislang keine überzeugenden Daten für die erfolgreiche Stuhltransplantation bei Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen vorliegen. Zu beantworten bleibt die Frage, wie und wann sich das mukosale Immunsystem mit welcher Mikrobiota ausbilden muss, um die Entstehung chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen, und vermutlich auch anderer Erkrankungen, zu verhindern.

Barriere

Das intestinale Epithel, genau genommen die Muzinschicht auf dem Epithel, stellt die erste Barriere zwischen der Mikrobiota und dem mukosalen Immunsystem dar. Das intestinale Epithel besteht aus vielen verschiedenen Zellen, z. B. enteroabsorptiven Zellen, Goblet-Zellen, neuroendokrinen Zellen, Paneth-Zellen und M-Zellen, die alle von intestinalen Stammzellen aus den Krypten abstammen [43].

Goblet-Zellen

Den Goblet-Zellen kommt eine wesentliche Funktion zu, da sie für die Muzinproduktion verantwortlich sind. Diese Muzinmatrix, auch Biofilm genannt, liegt dem Epithel auf und stellt damit eine zusätzliche Barriere apikal des Epithels dar [19]. Charakteristisch für die Colitis ulcerosa sind die Abnahme der Goblet-Zellen sowie eine Reduktion der Muzinschicht [5, 18].

Paneth-Zellen

Eine zweite wesentliche Zellpopulation sind die Paneth-Zellen, die sich in den Krypten der Dünndarmschleimhaut befinden und antimikrobielle Peptide freisetzen. Für mehrere Risikomutationen in Bezug auf chronisch-entzündliche Darmerkrankungen konnte ein Paneth-Zell-Defekt nachgewiesen werden. Ein Beispiel hierfür ist eine homozygote Mutation in NOD2, einem Gen, das einen intrazellulären Rezeptor des angeborenen Immunsystems codiert. Die Mutation ist mit einem 20- bis 40-fach erhöhten Risiko assoziiert, einen Morbus Crohn zu entwickeln, und resultiert in einer verminderten Produktion der von den Paneth-Zellen gebildeten antimikrobiellen Peptide α-Defensin 5 und 6 [47]. Zugleich konnte gezeigt werden, dass Risikomutationen in Autophagiegenen ebenfalls zu strukturellen Veränderungen in den Paneth-Zellen führen [4]. Autophagie ist ein Prozess, der für den Abbau beschädigter Organellen in der Zelle und die Vernichtung intrazellulärer Bakterien verantwortlich ist. Bei einer defekten Autophagie konnte darüber hinaus vermehrter zellulärer Stress beobachtet werden, auch als endoplasmatischer Retikulum Stress bezeichnet. Er geht mit einer inflammatorischen Hyperreagibilität des intestinalen Epithels einher und kann letztlich zu einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung führen [21, 22]. Eine Verbindung zur Ernährung belegen kürzlich publizierte Daten aus der Ace2 −/−-Maus. Sie zeigen, dass Tryptophan in der Nahrung für die Produktion antimikrobieller Peptide durch das Epithel eine entscheidende Rolle einnimmt; bei Mangel besteht eine deutlich erhöhte Suszeptibilität für eine experimentelle Kolitis [14].

Mesenteriales Fettgewebe

Die zweite Barriere, das mesenteriale Fettgewebe, liegt auf der anderen Seite der Darmwand. Sie wird wenig beachtet und ist nicht komplett verstanden. Für den Morbus Crohn ist eine Hypertrophie des mesenterialen Fettgewebes charakteristisch [7]. Klassischerweise umschließt das Fettgewebe bei Morbus Crohn die entzündeten Segmente des Darms. Es existieren zwei Hypothesen. Die eine besagt, dass das Fettgewebe primär für die Entstehung des Morbus Crohn verantwortlich ist. Als Begründung wird die Überexpression proinflammatorischer Marker wie Tumor-Nekrose-Faktor(TNF)-α angeführt [7]. Es muss jedoch kritisch angemerkt werden, dass auch antiinflammatorische Mediatoren wie Interleukin(IL)-10, in diesem Kompartiment hochreguliert sind [49]. Basierend auf den verfügbaren Daten erscheint es daher viel wahrscheinlicher, dass Bakterien durch die transmurale Entzündung des Morbus Crohn in das Fettgewebe translozieren [32, 35]. Dort induzieren sie über Rezeptoren des angeborenen Immunsystems auf den Adipozyten und ihren Vorläufern eine Infiltration durch Immunzellen, im Wesentlichen von Makrophagen, die sich eher durch einen regulierenden Phänotyp auszeichnen und damit eine systemische Entzündungsreaktion abschwächen können. Hinzu kommt, dass Präadipozyten selbst in der Lage sind, zu phagozytieren [2].

Antigenpräsentierende Zellen

Makrophagen und dendritische Zellen bilden subepithelial eine weitere Barriere. Mithilfe von Oberflächenmarkern ist eine Unterscheidung verschiedener Subtypen beider Zellpopulationen möglich, wobei die exakte Unterteilung kontrovers bleibt [11, 12]. Experimentelle Daten zeigen, dass Makrophagen und dendritische Zellen für die Homöostase der Mukosa eine kritische Komponente darstellen.

Makrophagen und dendritische Zellen sind wichtig für die Homöostase der Mukosa

Charakterisiert man Makrophagen in der Mukosa Gesunder, so sind diese durch einen antiinflammatorischen Phänotyp gekennzeichnet, auch wenn sie weiterhin phagozytieren können und bakterizide Eigenschaften haben. Diese Zellpopulation ist refraktär gegenüber der Stimulation durch mikrobielle Antigene [6, 36, 37]. Damit weist sie eine für das mukosale Gleichgewicht entscheidende Funktion auf, ist in der Lage eindringende Bakterien(-bestandteile) zu vernichten, verhindert jedoch eine überschießende proinflammatorische Reaktion und damit das potenzielle Entstehen einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung.

Betrachtet man hingegen die Makrophagen in der Lamina propria bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen, so haben sie die antiinflammatorischen, regulierenden Eigenschaften verloren und sind durch die Freisetzung proinflammatorischer Zytokine wie IL-23, TNF-α und IL-6 charakterisiert [20].

Aktuelle therapeutische Strategien, wie die Gabe von Anti-TNF-α-Antikörpern, sind entsprechend gegen Makrophagen- und T-Zell-produziertes TNF-α gerichtet und induzieren eine Zellapoptose [24, 42, 45]. Vielversprechende Daten liefern auch klinische Studien zu Anti-IL-23- und Anti-IL-6-Rezeptor-Strategien [17, 34].

„Innate lymphoid cells“

„Innate lymphoid cells“ (ILC) sind eine kürzlich identifizierte Zellpopulation, die von einer gemeinsamen Vorläuferzelle abstammt und sich dann in mehrere Subpopulationen aufteilt. Bisherige Daten zeigen, dass ILC für die mukosale Barrierefunktion von wesentlicher Bedeutung sind [13, 38]. Die Bedeutung dieser Zellpopulation für die chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen ist Gegenstand aktueller Untersuchungen. Beispielhaft sei daher nur die ILC2-Subpopulation genannt. ILC2 produzieren die für die Colitis ulcerosa charakteristischen Zytokine IL-13 und IL-5 und werden durch das epitheliale Zytokin IL-25 aktiviert [15, 31].

Erworbenes Immunsystem

Wie bereits erwähnt, spielt der Verlust der oralen Toleranz eine wesentliche Rolle in der Entstehung chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen. Ohne Zweifel können ihm unterschiedliche Ursachen zugrunde liegen. Sowohl der Morbus Crohn als auch die Colitis ulcerosa wurden in der Vergangenheit mit einer überschießenden T-Zell-Antwort in Verbindung gebracht [10, 15].

Klassisches Beispiel in Bezug auf den Morbus Crohn ist IL-12. IL-12 ist ein sog. heterodimeres Zytokin, das aus den zwei Untereinheiten p40 und p35 besteht und kritisch für die Polarisation der Th1-Zellen ist. Daten aus den 1990er-Jahren zeigten bereits, dass eine Neutralisation mit einer Verbesserung der experimentellen Kolitis assoziiert ist. Damit übereinstimmend konnte in klinischen Studien unter Gabe der Anti-p40-Antikörper Ustekinumab und Briakinumab eine Verbesserung beobachtet werden [28, 34].

Die Zusammenhänge sind allerdings etwas komplizierter, da Anti-p40-Antikörper nicht nur IL-12, sondern auch IL-23 neutralisieren, das mit IL-12 die p40-Untereinheit gemeinsam hat. IL-23 wird von antigenpräsentierenden Zellen im terminalen Ileum, aber auch im Kolon freigesetzt [3, 20], induziert durch mikrobielle Signale, also primär vermittelt über Rezeptoren des angeborenen Immunsystems. IL-23 aktiviert sowohl Th17-Zellen als auch das angeborene Immunsystem. Th17-Zellen, die durch die Produktion von IL-17A und Interferon-γ charakterisiert sind, akkumulieren in der entzündeten Mukosa [1, 23]. Sie dienen der Abwehr bakterieller und Pilzinfektionen, was erklären mag, dass ihre Anwesenheit in der intestinalen Mukosa auch bei Gesunden für die Homöostase wichtig ist. Im Gegensatz dazu wird diese Zellpopulation bei Entzündungen an anderen Stellen wie Gehirn, Gelenk oder Haut nur in der eigentlichen Entzündungssituation gefunden [46]. Damit ist nicht überraschend, dass in Bezug auf die Neutralisation der Effektorzytokine der Th17-Zellen gleichermaßen protektive wie auch entzündungsfördernde Auswirkungen beobachtet wurden. So führte die Neutralisation von IL-17A mit Secukinumab in einer klinischen Studie zu einer Verschlechterung des Morbus Crohn [16], wohingegen bei anderen entzündlichen Erkrankungen eine klinische Verbesserung beobachtet wurde [25].

Anti-p40-Antikörper neutralisieren neben IL-12 auch IL-23

Als eine weitere T-Zell-Population sind die sog. regulatorischen T-Zellen für die mukosale Homöostase essenziell. Besteht ein genetischer Defekt im zentralen Transkriptionsfaktor FOXP3, kommt es im Menschen zum „immune dysregulation, polyendocrinopathy, enteropathy X-linked (IPEX) syndrome“, das eine autoinflammatorische Erkrankung ist, die mehrere Organe inklusive des Gastrointestinaltrakts betrifft [48].

Eine Voraussetzung für die inflammatorische Wirkung der Effektorzellen ist die Infiltration des entzündeten Gewebes. So exprimieren T-Zellen den Rezeptor α4β7, der spezifisch die Infiltration des Darmgewebes erlaubt [30]. Die Blockade der Infiltration durch gezielte Blockade der α4-Kette (Natalizumab) oder des Heterodimers α4β7 (Vedolizumab) führt zu einer klinischen Verbesserung bei Morbus Crohn und der Colitis ulcerosa [8, 33, 39]. Die alleinige Blockade der α4-Kette ist eher unspezifisch und verhindert auch die Infiltration des Gehirns, daher auch die Zulassung von Natalizumab für die Therapie der multiplen Sklerose. Dies birgt aber auch ein Risiko, nämlich die Entwicklung einer progressiven multifokalen Leukenzephalopathie, einer JC-Virus-vermittelten Erkrankung, die bei Immunkompetenten ohne Relevanz ist, in dieser besonderen Situation aber meist tödlich endet [41]. Bei der darmspezifischen Blockade durch Vedolizumab wurde diese Nebenwirkung, wie zu erwarten, bislang nicht beobachtet.

In Abb. 1 ist die Darmwand bei Gesunden wie auch bei chronisch-entzündlicher Darmerkrankung schematisch dargestellt. Verdeutlicht werden soll die enge Vernetzung der verschiedenen Kompartimente, also der intestinalen Mikrobiota, der epithelialen Barriere mit Immunzellen der Lamina propria und des Fettgewebes auf der mesenterialen Seite. In Tab. 1 sind aktuelle medikamentöse Therapien sowie ausgewählte Ansätze, die in Zukunft eine Rolle spielen werden, mit ihrem jeweiligen Wirkmechanismus zusammenfassend dargestellt.

Tab. 1 Aktuelle und zukünftige Therapiestrategien mit Wirkmechanismus
Abb. 1
figure 1

Schematische Darstellung der Darmwand und ihrer Immunzellen. Links Zustand im Gesunden mit einer ausgeprägten Muzinschicht, einer intakten epithelialen Barriere und antiinflammatorischen Makrophagen in der Lamina propria. Rechts Entzündungssituation, in der proinflammatorische Zellen in die Lamina propria infiltrieren. Die epitheliale Barriere weist Defekte auf, das mesenteriale Fettgewebe ist hypertroph (Morbus Crohn). CED Chronisch-entzündliche Darmerkrankung

Fazit für die Praxis

  • Die Inzidenz chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen nimmt weltweit zu. Angesichts dieser Beobachtung müssen neben den identifizierten genetischen Risikolozi auch Umweltfaktoren und Lebensstilveränderungen und ihre potenziellen Auswirkungen auf das mukosale Immunsystem genauer betrachtet werden.

  • Die Zusammensetzung der intestinalen Mikrobiota scheint von wesentlicher Bedeutung zu sein. In Bezug auf die komplexe Interaktion zwischen mukosalem Immunsystem und der Mikrobiota sind momentan aber noch viele Fragen offen.

  • Auch wenn chronisch-entzündliche Darmerkrankungen auf absehbare Zeit nicht geheilt werden können, stehen doch immer mehr Therapieoptionen zur Verfügung.