Einleitung

Seit Beginn des Kinos wird auf der Leinwand gestorben [1, 2]. Suizidbeihilfe bei schwerer körperlicher Erkrankung und Tötung auf Verlangen sind dabei eine besondere Thematik, ein Unterthema, das anfangs nur vereinzelt vorkommt und erst in den späten 1980er-Jahren vermehrt aufgegriffen wird, dann jedoch mit schnell wachsendem Interesse. In ihrem filmografischen Dossier zählen der Filmwissenschaftler Hans J. Wulff und Ansgar Schlichter für die Jahre 1938 bis 2015 insgesamt 188 Filmbeiträge vorwiegend aus Europa und den USA zur Sterbehilfe-Thematik auf, darunter 125 Spielfilme (Kino und TV) sowie 47 Dokumentarfilme, die sich vor allem mit den gesellschaftlichen Diskussionen und rechtlichen Veränderungen in den Niederlanden, der Schweiz und im US-Bundesstaat Oregon beschäftigen (Abb. 1, [3]). Auch wenn die in dieser Filmografie vorgenommene thematische Abgrenzung unscharf ist und unter der Überschrift „Sterbehilfe“ viele medizinethische Konfliktfelder am Ende des Lebens aufgegriffen werden (Sterbebegleitung, Behandlungsbegrenzung, Tötung auf Verlangen, Beihilfe zur Selbsttötung; zur Terminologie [4]), so wird eine Tendenz deutlich: Die Zunahme der gesellschaftlichen Diskussion ethischer und rechtlicher Fragen am Ende des Lebens seit den 1980er-Jahren spiegelt sich in den ansteigenden Zahlen der filmischen Auseinandersetzung wider.

Abb. 1
figure 1

Das Thema „Sterbehilfe“ in Spielfilmen, TV-Serien und Dokumentationen (1938–2015) nach [3]

In der „Pallithek“ sind Medien zum Themenfeld „Sterben und Tod“ zusammengestellt [5]. In diesem Beitrag lassen wir TV-Reportagen und Dokumentationen unberücksichtigt, zumal diese andere Gestaltungsmerkmale aufweisen [6], und konzentrieren uns bei der Betrachtung von „Sterbehilfe-Filmen“ vor allem auf jene Spielfilme und TV-Serien, die die Beihilfe zum Suizid, den (ärztlich) assistierten Suizid und die Tötung auf Verlangen zum Thema haben [4]. Dabei ist zu bedenken, dass in den einzelnen Ländern zu unterschiedlichen Zeiten verschiedene strafrechtliche Regelungen bestanden und sich später geändert haben können. Mit der Konzentration auf die dramaturgischen Aspekte der Spielfilme und TV-Serien begeben wir uns zudem auf das Feld der „inszenierten Wirklichkeit“, der Fiktion.

Sterbehilfe als „Gefühlskino“

Spielfilme dokumentieren nicht die Realität, die Handlung ist inszeniert und die fachliche Darstellung von (medizinisch-pflegerischen) Handlungsabläufen nicht notwendigerweise korrekt. Vieles wird der Dramaturgie, der Spannung, der Erzeugung von Betroffenheit untergeordnet. So zeigt uns der Spielfilm zwar, wie jemand stirbt, „aber zugleich ist nichts unwirklicher wie der Kinotod“ [7]. Indem das Publikum Menschen bei ihrer Entscheidungsfindung am Ende des Lebens und bei ihrem Sterben zusieht, wird es im Kino zugleich „unterhalten“. Sterben im Film ist immer auch „Sterbetainment“ [8], und gerade die Filme, die sich mit Fragen der Suizidbeihilfe beschäftigen, sind in der Regel Melodramen, herzzerreißend und wehmütig. Das Kino will nicht Realität dokumentieren, sondern vor allem Gefühle erzeugen [9, 10]. Ins Kino gegangen: geweint, gelacht. Das Kino ist eine „Affektmaschine“ [8], und deshalb sind Spielfilme zum Thema Sterbehilfe vor allem eines: ergreifende Liebes- und Beziehungsfilme. Es geht um drohenden Verlust, verzweifeltes Mitleiden, Angst vor dem Alleinsein, Hoffnung auf Versöhnung und ein gutes Ende. Im Gegensatz zu einer akademisch-rational geführten Sterbehilfedebatte um Rechte und Pflichten stellt der Film die emotionalen Konflikte in den Vordergrund, die auf der Beziehungsebene zwischen Sterbewilligen und nächsten Bezugspersonen entstehen. Das dramaturgische Interesse liegt im Aufzeigen des Gefühlschaos, das die Beteiligten zu zerreißen droht. Kino ist „Geisterstunde, in der die lebendig Sterbenden auf der Leinwand den erstarrt Lebenden in den Kinosesseln etwas über die Möglichkeiten des Sterbens zuflüstern“ [8]. Kino ist nicht die Realität, aber es knüpft an reale Erfahrungen, Hoffnungen und Ängste an. Ihre konkreten Auswirkungen auf den Zuschauer sind dabei schwierig zu beurteilen.

Auswirkungen

„Die Wirkungen von Filmen sind keine naturwissenschaftlich beschreibbaren Kausalitäten mit Gesetzescharakter, sondern immer als Folge aktiver Rezeptionen zu verstehen.“ [11]. Der Film muss den Zuschauer „berühren“, um diese Beschäftigung in Gang zu setzen [12, 13]. Die Kunst des guten Films ist es, den Zuschauer nicht nur auf der Ebene der sichtbaren Erzählung zu erreichen, sondern einen Erfahrungshorizont zu eröffnen, eine Welt zu evozieren, die dem Zuschauer weitere Aspekte und neue Zusammenhänge erkennen lässt. So muss zunächst nach spontanen kognitiven und emotionalen Eindrücken gefragt werden, die einen Film spannend oder langweilig, interessant oder uninteressant erscheinen lassen. Dies entscheidet auf einer zweiten Stufe darüber, in welchem Maße der Film rezeptive Beteiligung der Zuschauer gestattet und auslöst. Filme entwickeln mehr oder weniger eine Sogwirkung, die den Rezipienten in die Geschichte hineinzieht. Dieses Konzept des „narrative engagement“ findet ebenso wie das „involvement“, bei dem der Rezipient zwischen sich und dem Film, zwischen der eigenen Alltagswelt und der Filmrealität Bezüge herstellt, vielfältige Anwendungen im Bereich der Medienrezeptionsforschung [11]. In diesem Beitrag wollen wir uns darauf konzentrieren aufzuzeigen, durch welche Elemente der Zuschauer in die Geschichte des Films hineingezogen wird, was ihm gezeigt und auch nicht gezeigt wird und welche unaufhebbare Spannung zwischen Fiktion und Realität bestehen bleibt.

Zuschauer als Betroffene

Filme greifen häufig auf medizinische Themen zurück [14, 15]. Dabei ist zu bedenken, dass im Kinosaal oder vor den Bildschirmen nicht nur Gesunde, sondern auch Kranke Platz nehmen sowie Menschen, die als Zugehörige und als Begleitpersonen mit Krankheit, Sterbewünschen und Trauer ihre eigenen Erfahrungen gemacht haben [16]. Gerade für sie steht die im Film konstruierte Wirklichkeit in einem besonderen Verhältnis zu ihrer eigenen Realität. So werden Sterbehilfefilme in Zeitschriften von Selbsthilfegruppen und Betroffenenverbänden aufgegriffen und von Patienten, die an denselben Krankheiten leiden wie die Filmfiguren, kommentiert. Das Spektrum reicht von Ablehnung über Kritik und Lob bis hin zum Bekenntnis, dass das gemeinsame Betrachten zu einer Intensivierung intrafamiliärer Gespräche führen kann. So kommentiert eine selbst an Zystischer Fibrose Erkrankte: „Ein sehenswerter und gefühlvoller Film, der uns – meinen Mann, meinen Sohn, meine Tochter und mich – gleichermaßen zum Weinen und Nachdenken über die eigene Situation gebracht hat. Und der uns jedoch als Familie in der Frage vereint, wie es für mich selbst und mit uns weitergeht“ [17].

Themenfelder

Im Spielfilm werden bestimmte Themenfelder aufgegriffen, einige vernachlässigt, andere bewusst ausgeblendet. Im Folgenden gehen wir in 15 Schritten diesen Themenfeldern gesondert nach.

1. Sterbehilfe als Liebesdienst

Im Kino wird das Thema Suizidbeihilfe und Tötung auf Verlangen vorwiegend als Beziehungsdrama inszeniert [18]. Der Schwerstkranke bittet nicht irgendwen, sondern eine ihm besonders nahestehende Person um Hilfe. Das kann die Geliebte sein (a), der Ehepartner (b), die Tochter (c, d), ein Freund (e) (Filmverzeichnis siehe Infobox). Häufig ist diese Person beruflich ein Arzt oder eine Krankenschwester (f, g), nicht zuletzt um dadurch das praktische Problem zu lösen, wie der Sterbehelfer überhaupt an das todbringende Mittel gelangen kann. Zugleich gelingt es dadurch aber auch, den Arzt bzw. die Krankenschwester in den dramatischen Konflikt zwischen Berufsethos und persönlicher Verpflichtung zum geliebten Menschen hineinzuzwingen. Die dramaturgische Zuspitzung, der sich im Kino letztlich kaum ein Zuschauer entziehen kann, gipfelt in dem paradoxen Schlüsselsatz des Sterbewilligen: „Wenn Du mich wirklich liebst, dann hilfst Du mir zu sterben!“ Kaum ein Film zur Sterbehilfe, der auf dieses emotionale Element verzichtet. Da das Kino nicht an einem emotionslosen Austausch rationaler Argumente interessiert ist, sondern vielmehr am Hervorrufen starker Gefühle, lässt diese drängende Anfrage an die persönliche Verbundenheit, an Liebe und Freundschaft, den Angesprochenen in einen verwirrenden Strudel geraten. Der ethische Konflikt ist für den Zuschauer nachvollziehbar, weil die Angefragten im Film sich an die moralische Haltung gebunden zeigen, grundsätzlich keine Sterbehilfe leisten zu wollen und deshalb intuitiv zurückschrecken. Zugleich fühlt sich der Angefragte dem Sterbewilligen gegenüber auf der Beziehungsebene besonders nahe und verpflichtet. Beide Pflichten können jedoch nicht zugleich erfüllt werden. Ein klassischer ethischer Konflikt. Und die Zuschauer bleiben mit der Frage zurück: Wozu verpflichtet uns die Liebe? Was sind die Grenzen eines Freundschaftsdienstes? [19, 20].

2. Ambivalenz und Entscheidung

Im französischen Spielfilm Klagt mich an! (h) aus dem Jahr 1950 fordert die krebskranke Bäuerin Blanche von ihrem gläubigen katholischen Ehemann Noël aktive Sterbehilfe als Zeichen seiner Liebe, da ihr die Schmerzen unerträglich sind – und wenig später bittet sie ihn um Vergebung für diese Zumutung. Auch wenn sich heute, mehr als 65 Jahre später, die schmerztherapeutischen Möglichkeiten deutlich verbessert haben und das körperliche Leiden der Filmfigur heute vermutlich entscheidend gelindert werden könnte, bleibt die zum Ausdruck gebrachte Ambivalenz und Sprunghaftigkeit, Sterbehilfe zu erbitten und zugleich weiterleben zu wollen, eindrücklich bestehen. Von palliativmedizinischer Seite wird diese Ambivalenz auch in der Praxis häufig beobachtet und dafür plädiert, dem Schwerstkranken einen geschützten Raum zur Verfügung zu stellen, um diese ambivalenten Gefühle zum Ausdruck bringen zu können [21]. Für den Film ist die Ambivalenz ein wichtiges dramaturgisches Element, gerade auch um die Spannung offenzuhalten, ob der Sterbewillige bei seinem Entschluss bleiben wird oder umgestimmt werden kann. Zudem zeigt sich bei den Bezugspersonen ebenfalls die Ambivalenz, die Entscheidung akzeptieren zu müssen oder noch erfolgreich dagegen angehen zu können.

3. Vom Schmerz zur Abhängigkeit

Vergleichen wir die Gründe, die die Filmfiguren anführen, weshalb sie nicht mehr weiterleben wollen, so lässt sich eine Verschiebung beobachten. Waren es in den 1950er-Jahren unerträgliche Schmerzen am Ende des Lebens, die die schwerkranke Bäuerin Blanche ihren Mann Noël um aktive Sterbehilfe bitten lässt (h), so sind es in den Filmen des 21. Jahrhunderts vorwiegend die Furcht vor körperlichem Verfall und Pflegebedürftigkeit sowie die Sorge um den individuell erlebten Verlust an Würde. Während unerträgliche Schmerzen durch qualvolle Schreie und entkräftete Körper dargestellt werden konnten (h) und Mitleid erweckten, muss die Furcht vor geistigem (d) und körperlichem Verfall verbalisiert werden. Dies geschieht im Film häufig in drastischer Sprache und wird dem Filmpartner entgegengeschleudert: „Ich will nicht, dass mir jemand den Arsch abwischen muss, weder mein Sohn noch Du – oder viel schlimmer, im Krankenhaus vor mich hinsieche …“ (Deutsche Synchronisation in (i)). Allerdings bleibt die Furcht vor unbehandelbaren körperlichen Schmerzen, Ersticken und Todesqualen auch in Filmen weiterhin ein Thema und ist seit langem in der medizinischen Literatur als Motiv für den Ruf nach ärztlich assistierter Sterbehilfe beschrieben [22]. In den Filmen fehlt ein ärztlicher Kommentar, ob dies in der jeweiligen Situation unabwendbar ist und was dagegen palliativmedizinisch getan werden könnte.

4. Krankheit – Alter – Ängste – Bildung

Neben den klassischen Krankheitsbildern wie terminale Krebserkrankung kommen in den neueren Sterbehilfefilmen neurodegenerative Erkrankungen (j) und körperliche Behinderungen wie hohe Querschnittslähmungen (a, k) hinzu. Auch sind es nicht mehr allein ältere Patienten, sondern vermehrt junge Erwachsene (j, k, l, m), was zugleich bedeutet, dass das Kino eine weitere Zielgruppe anspricht und das „Sterbetainment“ daran ausrichtet. Es gilt, in der Zeit vor dem assistierten Suizid noch etwas zu „erleben“. Geld spielt dabei häufig keine entscheidende Rolle, auch gehören die Protagonisten bevorzugt der oberen Mittelschicht bis Oberschicht an (k), was die interessante Frage aufwirft, welche Personenkreise bevorzugt im Film und welche in der Realität nach Sterbehilfe fragen [23].

5. Abwesenheit der Palliativmedizin

Die Patienten im Film sind häufig medizinische Laien, die in ihrer Krankheitssituation der ärztlichen und pflegerischen Beratung bedürften, um eine kompetente Entscheidung für ihre weitere Behandlung treffen zu können. Ärztliche Fürsorge kommt aus ethischer Sicht dann zum Ausdruck, wenn dem individuellen Patienten durch eine ihm verständliche Aufklärung eine selbstbestimmte Entscheidung ermöglicht wird. In einigen Filmen, die geradezu dokumentarisch einen Sterbeprozess begleiten, spielen Hospize und/oder palliative Versorgung eine Rolle. So wird in Halt auf freier Strecke (n) die Rolle der Palliativärztin von einer „echten“ Palliativärztin übernommen. Betrachten wir jedoch jene Filme, in denen die Frage der Selbsttötung oder der assistierten Sterbehilfe im Vordergrund steht, wird palliativmedizinische Versorgung kaum auf der Leinwand angesprochen [24]. So spricht in Freunde fürs Leben (i) der Arzt mit dem krebskranken Julián die Möglichkeiten der palliativen Versorgung nicht an, als dieser erklärt, eine weitere Chemotherapie nicht durchführen zu wollen, und sich vom Arzt verabschiedet. Nun könnte man kritisieren, dass den Filmpatienten (und zugleich auch den Zuschauern!) in diesen Filmen die Möglichkeit der informierten Entscheidung vorenthalten wird. Doch Spielfilme sind keine Lehrfilme! Eine derartige Kritik träfe auch auf andere filmische Darstellungen der medizinischen Versorgung zu: in TV-Krankenhausserien sind die durchgeführten Wiederbelebungsmaßnahmen wesentlich erfolgreicher als in der Realität und vermitteln dem Zuschauer ein falsches Bild des medizinischen Outcomes einer Reanimation [25]. Dies ist nicht unproblematisch, wenn man selbst bei dem fiktionalen Charakter davon ausgeht, dass sich Zuschauer über das Medium Spielfilm auch eine Meinung über Möglichkeiten und Grenzen der eigenen Behandlung bilden. Ähnliches lässt sich für das Themenfeld Organtransplantation sagen, da hier das Kino weniger an wissenschaftlichen Fakten interessiert ist als am Spielen mit tiefsitzenden Ängsten und Befürchtungen. Es geht im Kino nicht um Aufklärung über medizinische Sachverhalte, und deshalb erfahren wir kaum etwas über die neuesten Möglichkeiten der Krebstherapie, was auch nicht notwendig ist, da es im Drama darum gehen soll zu zeigen, wie ein Patient mit dem Wissen um seine begrenzte Lebenszeit umgeht. Deshalb trifft der Arzt im Film eine Aussage, die sich der Arzt in der Realität nicht erlauben würde: Er lässt den Patienten wissen, wieviel Zeit ihm konkret noch bleibt.

6. Entscheidungsfähigkeit des Sterbewilligen

Aus ethischer Sicht zählt nicht allein der geäußerte Wunsch des Patienten, sondern es muss sichergestellt sein, dass der Patient eine freie, informierte und kompetente Entscheidung treffen kann, also beispielsweise nicht an einer psychischen Erkrankung leidet. Um dem Vorwurf, die Entscheidung des Patienten sei nicht freiverantwortlich, zu entgehen, zeigen einige Filme, wie Patienten, die an Depressionen leiden und um Beihilfe zur Selbsttötung nachzusuchen, vom Arzt (o) oder der Krankenschwester weggeschickt werden (p), jedoch nicht ohne die Krankenschwester in einen düster-philosophischen Diskurs zu verwickeln, wieso seelisches Leiden nicht die gleiche „Erlösung“ verdiene, die sie körperlich Leidenden durch assistierten Suizid zugestehe. In Checking Out (q) rufen die Familienangehörigen einen Psychiater zu Hilfe, der die Urteilsfähigkeit des sterbewilligen Vaters überprüfen soll. In der medizinischen Fachliteratur wird dieser Aspekt häufig untersucht und eine enge Beziehung zwischen Depression und Sterbewunsch gesehen [26, 27].

Auf der dramaturgischen Ebene setzen die Sterbehilfefilme allerdings eine Tendenz fort, die in den Filmen mit krebskranken Hauptfiguren, den „Krebsfilmen“, in den 1990er-Jahre begonnen hatte: einen zunehmenden Verlust ärztlicher Autorität und eine Zunahme der Selbstbestimmung des Patienten [28]. Der Patient unterwirft sich nicht mehr fraglos einem Medizinsystem, er folgt immer weniger dem Rat des Arztes, sondern will in der Erkrankung selbst wieder über sein Leben bestimmen; er „nimmt sich das Leben“. Das Motiv „Krebs“ erscheint seit den 1990er-Jahren als eine Generalkritik an einer Medizin, die an ihre Grenzen gekommen scheint, die Grunderkrankung der Filmfigur nicht heilen kann und durch die Behandlungsverfahren selbst Leiden erzeugt. Die Passivität versucht der Filmpatient zu überwinden und wird aktiv. „Ich will doch bloß früher das Ende setzen und uns den schrecklichen Todeskampf ersparen“ (i).

7. Ablehnung und Überzeugungsarbeit

Übereinstimmend zeigen uns die Filme, dass die erstmals vorgetragene Bitte um Sterbehilfe beim Gegenüber in der Regel auf Irritation, Entsetzen und Ablehnung stößt. Dies kann als Beschreibung einer gesellschaftlichen Normalität verstanden werden, an der der Film anknüpft. Aus dramaturgischer Sicht ist diese Konstellation wichtig, um die Spannung zwischen den Akteuren aufzubauen. Denn wenn klar ist, dass die eine Person eine Handlung wünscht, die die andere ablehnt, dann werden wir im Folgenden Zeuge der Überzeugungsarbeit, die beide Seiten versuchen zu leisten. Gelingt es dem Sterbewilligen, sein Gegenüber zu überzeugen? Kann das Gegenüber den Sterbewilligen davon abhalten? Hier öffnet sich ein breites Feld der Inszenierung. Manche Filme geben dieser Auseinandersetzung über den Sinn des Lebens und des Leidens breiten Raum, es wird zum Kammerspiel auf engstem Raum (a, d, i, r). Andere Filme unterstreichen diese Überzeugungsarbeit, indem sie im doppeldeutigen Sinn den Sterbewilligen als Schauspieler die Bühne betreten lassen. In Checking Out (q) ist es der viel umjubelte Shakespeare-Darsteller Morris Applebaum, der im Alter von 90 Jahren seinen entsetzten Kindern mit theatralischen Gesten erläutert, warum er nun selbstbestimmt aus dem Leben scheiden will. Dem begnadeten Schauspieler sind bei seinem Auftritt und Monolog die eigenen Angehörigen (und auch die Zuschauer) hoffnungslos unterlegen. Seine Argumentation ist bühnenreif, schlüssig und bewegend. Zugleich verweist uns diese Art der Inszenierung auf ein Gerechtigkeitsproblem: Wenn die Gewährung des ärztlich assistierten Suizids von einer intellektuellen Leistung, einer Überzeugungsarbeit abhängt oder sogar von schauspielerischem Talent, dann liegt hier ein nicht zu unterschätzendes ethisches Problem, wenn der Sterbehilfewunsch nur dem gewährt wird, der diesen intellektuell überzeugend vortragen kann.

8. Das letzte Abendmahl

Für die Dramaturgie des Films ist es wichtig, dass die Entscheidung des Patienten nicht verborgen bleibt, sondern mitgeteilt wird, damit das Entsetzen des Umfelds und die nachfolgende Kontroverse dargestellt werden können. Dazu nutzen einige Filme ein Ritual mit überaus starken sozialen Funktionen und versuchen zugleich ein neues zu schaffen: das gemeinsame Essen. Der Sterbewillige lädt ein und verkündet seinen Entschluss (i, r). Auch dort, wo der Entschluss eigentlich verborgen bleiben sollte, wird er – etwa durch einen Zufall – entdeckt, denn aus dramaturgischer Sicht muss es zur Aussprache, zum Streitgespräch kommen (s).

Diese inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Pro und Contra, der Zerrissenheit zwischen Ablehnung und Zustimmung, durchzieht die Sterbehilfefilme wie ein roter Faden und bildet einen Schwerpunkt, der eine filmische Herausforderung darstellt, weil es um einen Austausch von Argumenten geht, bei dem die existenzielle Betroffenheit gefühlsmäßig erfahrbar werden muss. In Hallo Goodbye (d) nehmen wir durch Nahaufnahmen an dem Versuch der Tochter „hautnah“ teil, den krebskranken Vater von seinem Vorhaben abzubringen. Wo dieser Kampf nicht stattfindet, mündet es in einen gesellschaftlichen Skandal (t) [29], wo der Austausch vom Gegenüber unterbunden wird (z. B. von der Krankenschwester (u)), schwelt der Konflikt weiter und bricht sich an anderer Stelle im Film Bahn.

So zählt es zu den großen Stärken des Kinos, diese Streitgespräche und Diskussionen auf der Leinwand zuzulassen. Befragungen unter Palliativmedizinern zeigen, wie entlastend dies auch in der ärztlichen Realität erfahren wird [21]. Im Gegensatz zum Kino, in dem der geäußerte Wunsch nach Sterbehilfe häufig auch zur konkreten Umsetzung führt, stellt sich dies in der Realität so nicht dar. Das Gespräch darüber, über die damit verbundenen Sorgen und Ängste, über die Bedeutung der Beziehungen, trägt in besonderem Maße dazu bei, dass auch Angehörige sich mit der Endlichkeit der Situation und einem bevorstehenden Tod leichter abfinden können [30].

9. Sterbehilfe als Ende der Geschichte

Filme erzählen Geschichten. In der klassischen Narration sind die einzelnen Erzählstränge logisch miteinander verbunden und führen zu einem Ende, das selbst wiederum keine weitere Handlung anstößt. Dass nach dem Ende „nichts anderes mehr eintritt“, trifft für das biologische Lebensende und den Tod genauso zu wie für das Ende einer Geschichte [31]. Deshalb liegt es filmdramaturgisch nahe, dass der Patient am Ende der Geschichte stirbt, damit die gesamte Erzählung als abgeschlossen erfahren wird. Zahlreiche Filme zeigen Kranke, die sich auf die Reise begeben, um Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen. Dabei ist der Weg jedoch nicht das Ziel, sondern der assistierte Suizid wird als „alternativloses Happy End“ präsentiert [32], mit dem sich die Hinterbliebenen arrangieren. In Hin und weg (j) unternehmen sechs Freunde eine Radtour nach Belgien; in Der letzte Frühling (s) begleitet Alain, der kurz zuvor aus dem Gefängnis entlassen wurde, seine krebskranke Mutter in die Schweiz. In Und morgen Mittag bin ich tot (m) reist die 22-jährige, an Mukoviszidose erkrankte Lea in die Schweiz. Mit der Ankunft am Ziel der Reise ist das Ende der Geschichte erreicht.

Der Patient muss allerdings nicht zwingend durch den geplanten assistierten Suizid sterben, im Genre der Komödie ist dies auch kaum möglich. Hier kann der Kranke mit dem Gedanken spielen, diesen verwerfen oder umgestimmt werden und letztlich eines natürlichen Todes sterben, um die Erzählung zu beenden (l, v), doch es ist auffällig, dass in den Sterbehilfefilmen, die als Melodram inszeniert sind, der Patient in der Regel bei seiner Entscheidung bleibt und den „selbstbestimmten Tod“ wählt. Das Genre gibt das Ende der Geschichte vor.

10. Ästhetisierung des Todes

Bestimmte Krankheiten, etwa entstellende Krebsarten, kommen im Film seit jeher kaum vor. Auch hier bietet der Film keine breite Darstellung der Realität, und, dem Medium Film geschuldet, können wir nicht mit allen Sinnen die Situation des Sterbenskranken wahrnehmen [2]. Wir spüren weder die Temperatur im Zimmer des Kranken, noch nehmen wir unangenehme Gerüche wahr; dies muss uns indirekt – etwa durch die Reaktionen anderer Filmfiguren – vermittelt werden. Auch die zeitliche Beschränkung des Spielfilms auf etwa 90 min verlangt besondere dramaturgische Mittel, um Phasen zeitlicher Längen für den Zuschauer erfahrbar zu machen. Es zählt schon zu den Besonderheiten, wenn die an Mukoviszidose erkrankte Lea im Film Und morgen Mittag bin ich tot (m) eine Sauerstoffbrille trägt und im gesamten Film durchgängig die Geräusche des Sauerstoffgeräts und ihre erschwerte Atmung zu hören sind.

11. Das Leid der Hinterbliebenen

Im Film kommt zum Ausdruck, dass es nicht nur für den Patienten eine belastende Situation ist, sondern auch für die nahen Angehörigen. So ist Cousine Paula wütend über den Egoismus von Julián, der für sie in dessen „selbstbestimmter“ Entscheidung zum Ausdruck kommt. „Und warum stirbst Du nicht einfach und lässt uns alle in Ruhe? Feige bist Du!“ (i). Im Film erleben es Familienangehörige mitunter als extreme Belastung, über das (ihrer Meinung nach unmoralische) Vorhaben informiert worden zu sein, zumal sie unter falschem Vorwand eingeladen oder kontaktiert wurden (m, r). Der Sterbewillige übt Macht aus, manipuliert und verlangt, dass sich alle Wünsche der Zugehörigen seinem Willen unterordnen. Einige stimmen zu, bei anderen kommt es zu einer schmerzhaft-verzweifelten Akzeptanz, bei anderen bleibt Resignation, wieder andere bleiben ambivalent zurück, andere versuchen bis zum Schluss, den oder die Sterbewilligen umzustimmen. Durch die Möglichkeit, sich an eine Sterbehilfeorganisation zu wenden, geraten die Angehörigen und Freunde in eine passivere, zum Teil aber auch zeitweise hilflosere Rolle.

Die Auswirkungen des assistierten Suizids auf Familienangehörige sind seit vielen Jahren Gegenstand der Forschung [33]. Im Film erfahren wir dazu wenig, da mit dem Tod des Sterbewilligen häufig auch der Film endet. Zudem haben wir im Film keinen Vergleich zu der Situation, wie es Angehörigen ginge, wenn der Patient eines natürlichen Todes gestorben wäre. In einer Studie aus Oregon konnten Ganzini et al. [34] im Vergleich zu Patienten, die eines natürlichen Todes gestorben sind, keine negativen Auswirkungen auf die Angehörigen feststellen und vermuten, dass dies mit einer intensiveren Auseinandersetzung, Vorbereitung und Akzeptanz in Bezug auf den Tod zu tun hat. Es verläuft jedoch keineswegs problemlos und ohne Trauer. So verweist eine Schweizer Studie darauf, dass 20 % der Befragten, deren Angehörige durch assistierten Suizid aus dem Leben gegangen sind, die Merkmale einer posttraumatischen Stressbelastung (PTSD) aufweisen [35].

12. Täuschung und Verbrechen

In Eine Familiensache (w) ermittelt der Staatsanwalt wegen des Verdachts der aktiven Sterbehilfe. Ellen Gulden, die Tochter der verstorbenen krebskranken Patientin Kate, wird verhört, und der Film schildert in Rückblicken ihre Wahrnehmung der Leidensgeschichte ihrer Mutter. Der Zuschauer bekommt die Sicht der Tochter vor Augen geführt und erlebt mit, dass die bereits lange gestörte Kommunikation zwischen Tochter und Vater auch im Angesicht des bevorstehenden Todes belastet bleibt. Immer wieder kommt es zu Streitigkeiten aufgrund des Lebenswandels ihres Vaters, was letztlich bei der Tochter den Verdacht nährt, der eigene Vater habe bei ihrer Mutter aktive Sterbehilfe geleistet.

Das Filmdrama, das auf einen Roman von Anna Quindlen zurückgeht, zeigt die Schwierigkeiten auf, die auf Familienmitglieder zukommen, die sich eigentlich aus dem Weg gehen wollen, durch den Sterbenden aber aneinandergekettet sind. Zentripetale und zentrifugale Kräfte sind in einem ständigen Kampf. Der Film entromantisiert die Vorstellung, im Rahmen des Sterbeprozesses kämen sich Familienmitglieder zwangsläufig näher, überwänden bestehende Konflikte und würden zu moralisch besseren Menschen. Auch in Der letzte Frühling (s) streiten und ignorieren sich Alain und seine Mutter Yvette, bis Alain entdeckt, dass Yvette krebskrank ist und zur Sterbehilfe in die Schweiz fahren will. Ihre Beziehung wird zwar nicht mehr warmherzig, aber im Angesicht des Todes gehen sie zumindest respektvoll miteinander um [36].

Einige Filme legen nahe, dass sich unter dem Mantel „humaner Sterbehilfe“ auch Lüge und Verbrechen verbergen können. Patienten belügen ihre Ärzte bezüglich der Schwere ihrer Erkrankung, um ärztlich assistierten Suizid zu erhalten, und Angehörige schildern die Tat als Tötung aus Mitleid. In der Serie Boston Legal (x) müssen sich die beiden Staranwälte Danny Crane und Alan Shore nach einem erwirkten Freispruch im Gerichtsverfahren eingestehen, möglicherweise von einen Ehemann, der behauptet hatte, seine demenziell erkrankte Frau aus Mitleid getötet zu haben, auf raffinierte Art und Weise hinters Licht geführt worden zu sein. Die Motive der Sterbehilfe, so warnt uns der Film, sind nicht immer lauter.

13. Sterbehilfe als Geschäftsmodell

In der tiefschwarzen Satire Kill Me Please (o) unterhält Dr. Krueger in den Schweizer Wäldern eine noble Sterbehilfeklinik. Er hatte diese Klinik gegründet, um „barbarische Akte“ wie das Aufschlitzen von Pulsadern auf der Toilette zu verhindern. Für alle, die es sich leisten können (!), wird in dem schlossähnlichen Ambiente ein individuelles Programm zusammengestellt, damit der Klient seinen Wünschen entsprechend aus dem Leben scheiden kann, medizinisch assistiert, da die meisten es alleine nicht schaffen („Ich bin zu feige, mich vor einen Zug zu werfen“). Von Champagner über Prostituierte wird alles geboten, damit der Schritt aus dem Leben so leicht wie möglich fällt und zugleich ein letzter Höhepunkt wird. Allerdings müssen sich die Klienten bewerben und ihre Gründe offenlegen. Es wird nicht jeder genommen, und es gibt strenge Auswahlkriterien. Auch eröffnet Dr. Krueger seinen Klienten gleich bei der ersten Begegnung, dass die Klinik ihr Möglichstes versuchen wird, um die Klienten von ihrem Vorhaben abzubringen. Am Ende stellt sich in dieser – in schwarz/weiß gedrehten – Satire heraus, dass Dr. Kruegers Klinik vom Staat subventioniert wird, um die sozialen Kosten des Suizids, vor allem die finanziellen Einbußen, in den Griff zu bekommen.

14. Die Zukunft

„Suizid wird eines Tages ein Menschenrecht sein“, sagt Dr. Krueger, der ärztliche Leiter der Schweizer Sterbehilfeklinik (o). So bietet das Kino stets auch Visionen der Zukunft an, die jedoch nichts anderes sind als Reflexionen der Gegenwart: In der ersten Folge der Zeichentrickserie Futurama (y) wird der Held Philip J. Fry durch einen tragischen Unfall am Sylvesterabend des Jahres 1999 in einem Kryokonservierungsinstitut eingefroren und erwacht 1000 Jahre später wieder im New York der Zukunft. Bei seiner Stadterkundung stößt er auf eine Kabine, die er für eine Telefonzelle hält und an der mehrere Personen in Wartereihe anstehen. Da er auch telefonieren will, reiht er sich ein, und als er an der Reihe ist und die Zelle betritt, erklärt ihm eine Stimme, dass es sich um eine „Selbstmord-Box“ handelt (Suicide-Booth). Nach Einwurf von 25 Cent kann er zwischen zwei Todesarten wählen: „Schnell und schmerzlos“ oder „Langsam und grausam“. Damit macht die Comicserie Ernst mit dem Gedanken, dass einem Kunden möglichst viele Auswahlmöglichkeiten angeboten werden sollten. Eine Stimme aus der Maschine bedankt sich, dass Frey die Box dieser Firma („Stop and Drop“) gewählt hat, und erklärt, dass dies Amerikas Lieblingsselbstmordzelle seit dem Jahr 2008 sei. Da die Serie im Jahr 1999 entstanden ist, kann dies als pointierter Kommentar zur Entwicklungsgeschwindigkeit der Sterbehilfedebatte in den USA verstanden werden.

Letztlich geht es in Science-Fiction-Filmen nicht um die Zukunft, sondern um das Hier und Jetzt. Aktuelle Fragen und Probleme werden aufgegriffen und in einem Szenario der Zukunft durchgespielt. So geht es in Soylent Green um die globale Verschmutzung der Umwelt und die Bewahrung der Schöpfung. Der Film mit dem deutschen Titel: Jahr 2022 … die überleben wollen (z) spielt in einem New York der Zukunft. Wer vorzeitig in dem mit 40 Mio. Einwohnern total überbevölkerten Großstadtslum freiwillig aus dem Leben scheidet, bekommt eine aktive Sterbehilfe erster Klasse spendiert [37]: Der alte Sol Roth hat mit seinem Leben abgeschlossen und begibt sich in eines der vielen gut frequentierten „Einschläferungszentren“. Bevor das verabreichte tödliche Serum wirkt, darf er noch 20 min „heile Welt“ erleben. Aufgebahrt auf seinem Sterbebett kann er auf der Großbildleinwand zu den imposanten Klängen von Edvard Griegs Peer-Gynt-Suite Nr. 1 die (vergangenen) Schönheiten der Natur, das verlorene Paradies bewundern. „Gute Science Fiction Filme projizieren“, wie Arno Podack anmerkt [38], „unterbewußte Ängste auf die Zukunft.“ Wenn der Fortschritt die Umwelt zerstört, dann wird das Leben zur Qual, und der letzte verbleibende schöne Moment bietet nur eine perfekte, hochtechnisierte aktive Sterbehilfe. Eindrücklich in dieser Szene ist die Beziehungslosigkeit, die zwischen Sterbewilligem und Sterbehelfern bzw. Sterbehelferorganisation besteht. Die freundliche Zuwendung des Personals erweist sich als gespielt, der Sterbewillige ist „Kunde“, der eine Leistung erhält; das ganze beglückende Szenario erweist sich nach dem Tod als kalte Fassade.

15. Schluss

Während im Jahr 2015 gesellschaftspolitisch über eine Veränderung der bestehenden Rechtslage kontrovers diskutiert wurde, war diese Frage im Kino längst entschieden [32] und folgt einer Entwicklung: Seit den 1990er-Jahren ist es in den „Krebsfilmen“ zu einer ständigen Zunahme selbstbestimmter Entscheidungen des Patienten gekommen, der aus seiner dargestellten Opferrolle als Patient ausbricht und bestehende Behandlungen gegen ärztlichen Rat beendet, um anschließend selbst über den Zeitpunkt des unvermeidbaren Todes zu entscheiden.

Filme können Einfluss auf die Entscheidungsfindung von Zuschauern nehmen. Grenzen der eigenen medizinischen Behandlung werden festgelegt, weil eine bestimmte Erkrankungs- oder Sterbesituation im Film gesehen und für das eigene Wertebild als unakzeptabel empfunden wurde. Ethische Werturteile über Suizidbeihilfe werden gefestigt oder geraten durch emotional bewegende Spielfilme ins Wanken. Manche Filme wollen zur Diskussion anregen, andere wiederum wollen beeinflussen oder die Stimmung in der Gesellschaft ergründen, andere eröffnen Räume für viel grundsätzlichere Fragen: War ich ein guter Ehemann, ein guter Vater, ein guter Sohn? Was bedeutet es, loszulassen?

Auch wenn das Thema im Film vordergründig „Sterbehilfe“ lautet, verweisen gute Filme auf weitere Aspekte, etwa allgemeinere und gesellschaftspolitisch brisante Fragen: das Verhältnis von Individualität und Verbindlichkeit von Beziehungen. Der Wunsch nach Sterbehilfe wird im Film häufig als Aufforderung an Politik und Gesellschaft inszeniert, die höchst individuelle Entscheidung einer Person zu respektieren. Aktuell erscheinen nun Filme, die sich damit beschäftigen, wie auf der zwischenmenschlichen Ebene der Überschuss an Individualität, Liberalität und freier Entscheidung mit Formen der Verbindlichkeit gegenüber anderen versöhnt werden kann, ohne damit hinter das bisher erreichte Niveau der Freiheit zurückzufallen [39].

Filmverzeichnis

  1. a.

    Das Meer in mir (OT: Mar Adentro, SP 2004), R: Alejandro Amenábar

  2. b.

    Mein Leben gehört mir (D 2000), R: Christiane Balthasar

  3. c.

    Die Invasion der Barbaren (OT: Les Invasion Barbares, Kanada 2003) R: Denys Arcand

  4. d.

    Hallo Goodbye (CH 2007), R: Stefan Jäger

  5. e.

    Ein Herz im Winter (OT: Un Coeur en Hiver, F 1992), R: Claude Sautet

  6. f.

    Der englische Patient, (OT: The English Patient, USA 1996), R: Anthony Minghella

  7. g.

    Nurse Jackie (USA 2009–2015), Staffel 1, Episode 6: Prost und vorbei (OT: Tiny Bubbles)

  8. h.

    Klagt mich an! (OT: Meurtres, F 1950), R: Richard Pottier

  9. i.

    Freunde fürs Leben (OT: Truman, Spanien 2015), R: Cesc Gay

  10. j.

    Hin und weg (D 2014), R: Christian Zübert

  11. k.

    Ein ganzes halbes Jahr (OT: Me Before You, USA 2016) R: Thea Sharrock

  12. l.

    Der geilste Tag (D 2016), R: Florian David Fitz

  13. m.

    Und morgen Mittag bin ich tot (D 2013), R: Frederik Steiner

  14. n.

    Halt auf freier Strecke (D 2011), R: Andreas Dresen

  15. o.

    Kill Me Please (F/Belgien 2010), R: Olias Barco

  16. p.

    Rendez-vous avec un ange (F 2011) R: Yves Thomas

  17. q.

    Checking Out (USA 2005), R: Jeff Hare

  18. r.

    Lamorte (Ö/D 1997) R: Xaver Schwarzenberger

  19. s.

    Der letzte Frühling (OT: Quelques heures de printemps, F 2012), R: Stéphane Brizé

  20. t.

    Die Sünderin (D 1951), R: Willi Forst

  21. u.

    Im Auge des Sturms (OT: The Eye of the Storm, AUS 2011), R: Fred Schepisi

  22. v.

    The Big C (USA 2010–2013) Sony Pictures

  23. w.

    Eine Familiensache (OT: One True Thing, USA 1998), R: Carl Franklin

  24. x.

    Boston Legal (USA 2004–2008) Staffel 2, Episode 16: Pakt mit dem Tod (OT: Live Big)

  25. y.

    Futurama (USA 1999–2013), Idee: Matt Groening, David X. Cohen. Staffel 1, Folge 1 (1999): Raum und Zeit 3000

  26. z.

    Jahr 2022 … die überleben wollen (OT: Soylent Green, USA 1973), R: Richard Fleischer

Fazit

Der Spielfilm zeigt uns eine Dimension, die in den rational geführten „akademischen“ Debatten um das Pro und Contra der Sterbehilfe kaum berücksichtigt wird: die emotionale Dimension, die gefühlsmäßige Betroffenheit, in die Sterbewillige und ihr Umfeld geraten können. Das Kino als „Affektmaschine“ [8] ist prädestiniert dafür, diese Dimension besonders hervorzuheben, ohne dabei die argumentative Auseinandersetzung vernachlässigen zu müssen. Als Zuschauer werden wir in einen ethischen Konflikt hineingezogen und erleben, wie unentrinnbar wir bei diesem Thema mit Herz und Verstand ergriffen werden können. Es wird ein realer zwischenmenschlicher Konflikt inszeniert, ohne in der Darstellung stets realistisch sein zu müssen. Auf dokumentarische Härte wird verzichtet, auch um den Spannungsbogen nicht zu zerbrechen. Und je nach filmischem Genre, von Melodram über Komödie bis hin zur Satire, werden wir auf unterschiedliche Art und Weise unterhalten. Das Ende des Lebens ist im Kino stets auch „Sterbetainment“ [8].