Von Beginn der Medizin an besteht zwischen Patient und Arzt ein besonderes Vertrauensverhältnis. Patienten nehmen Medikamente trotz der Kenntnis von z. T. schweren Nebenwirkungen ein oder erlauben es, ihren Körper im Rahmen von Operationen zu verletzen, um Heilung zu erfahren.

Das relativ junge Fach Anästhesie hat die Möglichkeit geschaffen, auch größere operative Eingriffe unter Schmerz- und Bewusstseinsausschaltung durchzuführen. In dieser überschaubaren, aber gleichzeitig intensiven Zeit der Patientenbehandlung durch die Anästhesistin/den Anästhesisten besteht ein ganz besonderes enges Vertrauensverhältnis: die Erwartung des Patienten, den operativen Eingriff „sicher“ hinter sich zu bringen. Die gewünschte Sicherheit bezieht sich v. a. auf die Gewährleistung einer kompletten Bewusstseinsausschaltung und Schmerzfreiheit in Allgemeinanästhesie (alternativ komplette Schmerzfreiheit bei Bewusstseinserhalt durch regionalanästhesiologische Verfahren) und die Sicherstellung der Vitalfunktionen, die der Patient im Fall einer Bewusstseinsausschaltung nicht mehr selbst kontrollieren kann.

Während Kontrolle und Wiederherstellung von Vitalfunktionen geradezu als eine Definition unseres Fachs empfunden werden, wird die sichere Bewusstseinsausschaltung in ihrer Bedeutung für den Patienten häufig unterschätzt.

Allein schon dieses besondere Vertrauensverhältnis bedingt, dass die Anästhesieführung stets eine rein ärztliche Aufgabe darstellen muss.

Der Leitthemenbeitrag von Bischoff et al. dieser Ausgabe von Der Anaesthesist adressiert die sehr seltene Komplikation eines unerwünschten Wachphänomens („Awareness“) während Allgemeinanästhesie. Die Autoren erörtern die derzeitige Evidenz einer „Narkosetiefenmessung“ mithilfe EEG-basierter Monitoring-Verfahren und die möglichen Vorteile einer balancierten Anästhesie im Vergleich zur totalen intravenösen Anästhesie hinsichtlich des Risikos einer „Awareness“ während des Eingriffs oder eines „Recalls“ (Erinnerns) nach stattgehabter Operation. Auch wenn der derzeitige Stand der Literatur keine eindeutigen Handlungsempfehlungen vorgibt, ist der Einschätzung der Autoren zuzustimmen, den Einsatz von Neuromonitoring bzw. einer balancierten Anästhesie bei jedem Patienten individuell abzuwägen, um vor dem Hintergrund des individuellen Eingriffs und Risikoprofils die Wahrscheinlichkeit einer „Awareness“ oder eines „Recalls“ so gering wie nur möglich zu halten.

Das aktuelle „5th National Audit Project“ (NAP5) aus Großbritannien/Irland suggeriert eine wesentlich geringere Prävalenz dieser schweren Anästhesiekomplikation im Vergleich zu den bisherigen Daten aus prospektiven kontrollierten Studien [1]. Wie in dem Beitrag von Bischoff et al. ausgeführt, liegt bei NAP5 sehr wahrscheinlich jedoch eine ganz erhebliche Unterschätzung der tatsächlichen Awareness-Rate vor. Die Patienten in dieser Untersuchung wurden nicht aktiv zu ihrem Erleben befragt, sondern lediglich spontane Rückmeldungen der Patienten wurden erfasst. An dieser Stelle ist kritisch anzumerken, dass aufgrund der zunehmend geringeren ärztlichen Präsenz, in erster Linie durch die europäische Arbeitszeitgesetzgebung bedingt, eine lückenlose postanästhesiologische Visite unserer Patientinnen und Patienten kaum noch möglich ist. Es ist also denkbar, dass wir diese wichtige Thematik im klinischen Alltag ebenfalls unterschätzen. Andererseits ist die Einschätzung der tatsächlichen Prävalenz einer „Awareness“ in einem durchschnittlichen Patientengut nach wie vor unklar: Die vorliegenden prospektiven randomisierten Patientenstudien wurden nicht an einem durchschnittlichen Patientengut, sondern an „Risikopatienten“ für eine Awareness durchgeführt.

Zuletzt regen die Autoren eine Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin zu dieser Thematik an. Gerade in einem Themenfeld, in dem die evidenzbasierte Forschung keinen klaren Handlungskorridor vorgeben kann, wäre eine Empfehlung einer nationalen Fachgesellschaft hilfreich, um die Handlungssicherheit für die klinisch tätigen Kolleginnen und Kollegen unseres Fachs zu erhöhen. Ein von der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesie, Reanimation und Intensivmedizin erstellter Anästhesieaufklärungsbogen beinhaltet diese Thematik in der Aufklärung der Patientinnen und Patienten als mögliches (typisches), wenn auch seltenes, Anästhesierisiko. Aus Großbritannien ist vom National Institute for Health and Clinical Excellence (NICE) eine Richtlinie publiziert worden, die die derzeitig verfügbaren EEG-basierten Monitoring-Verfahren vorstellt und entsprechende Handlungsempfehlungen formuliert. Diese könnte als Diskussionsgrundlage für eine entsprechende Empfehlung im deutschsprachigen Raum dienen [2].

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Klaus Markstaller

FormalPara Interessenkonflikt

K. Markstaller gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.