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Zur Verbraucherforschung im deutschsprachigen Raum: Eine empirische Analyse

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Journal für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit Aims and scope Submit manuscript

Zusammenfassung

Verbraucherforschung in Deutschland und im deutschsprachigen Raum (A, CH) scheint in der aktuell abgelaufenen Dekade (2001–2010) auf den ersten Blick weder deutlich an zentralen Forschungssträngen zu arbeiten, noch in Forschungsnetzwerken organisiert zu sein. Nicht zuletzt vom steigenden Bedarf an empirischer Evidenz geleitet hat der Deutsche Bundestag mittlerweile die Relevanz der Verbraucherforschung erkannt und im Januar 2011 eine Anhörung durchgeführt – allerdings ohne konkrete Ergebnisse. Die Verbraucherzentrale NRW sowie auf Bundesebene das BMELV sind jüngst dabei, Netzwerke zur Verbraucherforschung zu initiieren. Gute Gründe, etwas genauer nachzuschauen, worum es in diesem Bereich geht und wer hier auf welcher Grundlage arbeitet. Gegenstand unserer empirischen Bestandsaufnahme ist es daher, erstmalig für die Dekade 2001 bis 2010 die im deutschsprachigen Raum vorherrschenden Forschungsschwerpunkte in diesem Gebiet zu identifizieren und zu kategorisieren. Zusätzlich soll ermittelt werden, aus welchen Quellen verbraucherbezogene Forschungsvorhaben finanziert werden und wer die wichtigsten Mittelgeber sind. Themenbezogen liegt die Forschung zu „Verbraucherverhalten, insbesondere Information, Wahrnehmung, Auswahl, Entscheidungsfindung, Beschwerden, Wechselverhalten“ (56 %) an der Spitze der Nennungen knapp vor „Nachhaltigkeit/Ressourcenschonung/nachhaltiger, ökologisch-sozialer Konsum“ (53 %). Die Einschätzung der befragten Forscher zum als dringend wahrgenommenen Forschungsbedarf (aktuell und in der Zukunft) führt mit großem Abstand der Themenbereich „Nachhaltigkeit/Ressourcenschonung/nachhaltiger, ökologisch-sozialer Konsum“ an (62 %). Insbesondere bei „Finanzdienstleistungen“, den „Märkten der sozialen Sicherung“ und dem „Datenschutz“ geben deutlich mehr Forscher eine Dringlichkeit an als jeweils eine existierende Aktivität; eine deutliche Lücke, die es zu schließen gilt (Wachstumsfelder der Verbraucherforschung). Zur Finanzierung der Verbraucherforschung ergibt sich der deutliche Befund, dass mit weitem Abstand die „Bordmittel“ der jeweiligen Professur bzw. des jeweiligen Lehrstuhls als Finanzierungsquelle dienen (59 %). Klar dahinter liegen Mittelgeber wie die EU (29 %) sowie die Verbraucherorganisationen (22 %), und für Forscher aus Deutschland einzelne Bundesministerien oder (deutsche) Bundesländer (je 27 %). Diese Ergebnisse einer mangelnden systematischen Finanzierung bereiten noch immer Sorgen, insbesondere die noch als bescheiden zu bezeichnende öffentliche Förderung. Allerdings keimt Hoffnung insofern, als inzwischen verschiedene Aktivitäten wie die Anhörung im Deutschen Bundestag, die verschiedenen Konferenz- und Workshop-Aktivitäten im politiknahen Bereich oder die Vernetzungsüberlegungen in NRW oder des BMELV darauf hindeuten, dass die Verbraucherforschung zunehmend als wichtiges Element oder gar als Voraussetzung für eine fundierte moderne Verbraucherpolitik gesehen wird.

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Notes

  1. Öffentliche Anhörung am 19.01.2011 im Deutschen Bundestag (Ausschuss ELV) zum Thema „Moderne verbraucherbezogene Forschung ausbauen – Tatsächliche Auswirkungen gesetzlicher Regelungen auf Verbraucher prüfen“ (BT-Drs. 17/2343; Antrag der SPD-Fraktion).

  2. Zur Begriffsbildung „verbraucherpolitischer und verbraucherbezogener Forschung“ vgl. z.B. Reisch (2003a), Leonhäuser et al. (2004), Reisch (2004), Micklitz und Oehler (2007), Oehler und Reisch (2008), Micklitz und Oehler et al. (2010), Reisch (2011a).

  3. Ein erster Bericht, der den anfänglichen Rücklauf verarbeitet hat, wurde veröffentlicht unter Hagen, Oehler und Reisch 2011.

  4. Selbstverständlich wird damit kein Anspruch auf Vollständigkeit oder eine Vollerhebung verbunden. Aufgrund der prinzipiell möglichen personenbezogenen Forschung konnten auch Postdoktoranden, promovierte Mitarbeiter und Vergleichbare antworten. In Einzelfällen wurden auch Einzelaussagen von promovierenden Mitarbeitern zusätzlich zur Instituts- oder Lehrstuhlleitung akzeptiert. Die Erhebung startete im Mai 2011 und wurde um eine Nachfass- und Nacherhebungsphase bis Juli 2011 ergänzt.

  5. Es ist nicht überraschend, dass in einem – so die Wahrnehmung der Autoren – bislang fragmentiert vorliegenden, noch nicht durch verfestigte (herrschende) Meinung abschließend definierten Forschungsfeld wie der Verbraucherforschung keine „fertige“ Grundgesamtheit vorliegen kann. Das Ziel der Studie ist es ja gerade, empirisch Strukturen zu eruieren, die sich in der abgelaufenen Dekade gebildet haben (könnten). In diesem Kontext erscheint es den Autoren wichtig, gerade nicht durch sehr einengende Vorabfestlegungen eine Art Eigen-definition der Verbraucherforschung zu initiieren, sondern im explorativen Sinne der empirischen Grundlagenforschung Leitlinien für die empirische Erhebung zu geben und dann mit den gewonnenen Ergebnissen in den akademischen Diskurs zu treten. Im Sinne dieses Vorgehens fällt die im Fragebogen (und in der Publikation in Abschnitt 1) als Arbeitsdefinition gegebene Beschreibung eher „weich“ aus. Das Instrument der Mehrfachnennungen erlaubt dabei gerade, von den Befragten mehr Informationen zu erhalten.

  6. Diese Vorgehensweise hat im Sinne einer Bestandsaufnahme den Vorteil, dass die Forschungsaktivitäten relativ trennscharf angegeben werden können; der Informationsgewinn ist wesentlich höher. Damit sind natürlich möglicherweise in höherem Umfang Mehrfachnennungen verbunden, als bei stark aggregierten Themenfeldern. Zusätzlich konnten auch weitere Bereiche selbst angegeben werden (offene Frage).

  7. Bereinigt um Datenfehler, Fehladressen, Falsch- oder Mehrfacherfassungen der Adressen etc.

  8. Im engeren Sinne: Unter „verbraucherpolitischer und verbraucherbezogener Forschung“ verstehen wir empirische, experimentelle oder (modell)theoretische Forschung, deren Untersuchungsschwerpunkt auf der Rolle von Verbrauchern in Märkten liegt. Dies umfasst alle Fragen, die sich auf die Marktaktivitäten und Marktbeziehungen beziehen, in die Nachfrager involviert sind (z. B. Auswahl und Entscheidungsfindung, Informationseinholung, Anbieterübersicht, Qualitätsbeurteilung, Regress, Haftung, Beschwerden). Im weiteren Sinne zählen für uns dazu auch Themen, die für die Verbraucherforschung Struktur-/Systemwissen und Hintergrundinformationen, z.B. aus Sozial-, Gesundheits-, Bildungs-, Umwelt- oder Energieforschung, zur Verfügung stellen. Die Gebiete der verbraucherpolitischen und verbraucherbezogenen Forschung umfassen daher u.a. die Mikro- und Makroökonomik, die Betriebswirtschaftslehre (insbesondere Marketing, Finanzierung), die Psychologie, die Soziologie und die Politikwissenschaften sowie die Rechtswissenschaften.

  9. Angesichts der Informationsflut und mancher Krisensymptome sind solche Arbeitsschwerpunkte eher zu erwarten. Zudem scheint dies auch in den Kontext der schon länger anhaltenden Diskussion z.B. einer „Ampelkennzeichnung“ im Lebensmittel-Bereich, aber auch der Vielfalt und Glaubwürdigkeit von „Gütesiegeln“ zu passen.

  10. Zur Brisanz siehe aktuell Brönneke und Oehler (2011) in einer Stellungnahme der Verbraucherkommission Baden-Württemberg.

  11. Aufgrund der durchweg gegebenen Klartextangaben mit Formulierungen entsprechend den in den vorherigen Fragen genannten Themenfeldern (vgl. Tab. 1 und 2) reichte eine einfache händische Zuordnung der Antworten zu ebendiesen Themenfeldern aus.

  12. 9 der 69 einbezogenen Befragten arbeiten nach eigenen Angaben derzeit in Österreich, in der Schweiz oder in Italien. Auch wenn das Antwortverhalten sich grds. nicht von den in Deutschland beheimateten Forschern unterscheidet, haben nur die letztgenannten Angaben zu den deutschen Bundesministerien, Bundesländern und Bundesbehörden gemacht.

  13. Aufgrund der durchweg gegebenen Klartextangaben mit Formulierungen entsprechend den in den vorherigen Fragen genannten Financiers (vgl. Tab. 4) reichte eine einfache händische Zuordnung der Antworten zu ebendiesen Financiers aus.

  14. SPD-Bundestagsfraktion, Konferenz Verbraucherpolitik, 6. Juni 2011, Berlin. Friedrich-Ebert-Stiftung und DIW Berlin: Workshop „Wissenschaft und Politik im Gespräch: Perspektiven forschungsgeleiteter Verbraucherpolitik“ 22. Oktober 2010, Berlin und Workshop „Verbraucherpolitik und Verbraucherforschung – Wissenschaft und Politik im Gespräch“, 3. September 2010, Bonn. Vgl. auch Billen 2011.

  15. Parlamentarischer Abend des vzbv, Berlin, 19. September 2011: Oehler 2011b.

Literatur

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Herrn Andreas Höfer, M.Sc., wird für die tatkräftige Unterstützung bei der Datenerfassung gedankt.

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Oehler, A., Reisch, L.A. Sie lebt!. J. Verbr. Lebensm. 7, 105–115 (2012). https://doi.org/10.1007/s00003-012-0764-1

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