1 Häusliche Gewalt in Deutschland – Daten und Fakten

Aktuelle Zahlen zur Partnerschafts- bzw. Familiengewalt in Australien können der Website des Australian Institute of Health and Welfare entnommen werden (vgl. Australian Institute of Health and Welfare 2019).

Der Gewalt gegen Frauen Einhalt zu bieten, wurde im Rahmen der zweiten Welle der Frauenbewegung in Deutschland, ebenso wie ungefähr zeitgleich in Australien, zum politischen Thema, das damit auch Einzug in die Öffentlichkeit hielt („das Private ist politisch“). Um das damit verbundene Tabu im Sinne politischer und sozialarbeiterischer Strategien (z. B. durch feministisch orientierte Sozialarbeit) aufzubrechen, wird häusliche Gewalt („domestic violence“) seitdem in der konkreten FrauenhausarbeitFootnote 2 sowie in Fachberatungs- und Interventionsstellen auch als strukturelles Element asymmetrischer Geschlechterverhältnisse und als Menschenrechtsverletzung analysiert. Carol Hagemann-White definiert diese Gewalt bereits 1992 folgendermaßen: „Gewalt im Geschlechterverhältnis [als] jede Verletzung der körperlichen oder seelischen Integrität einer Person, welche mit der Geschlechtlichkeit des Opfers und des Täters zusammenhängt und unter Ausnutzung eines Machtverhältnisses durch die strukturell stärkere Person zugefügt wird“ (Hagemann-White 1992, S. 23).

Trotz veränderter gesellschaftlich geprägter Geschlechterverhältnisse und einer Zunahme von Schutz- und Unterstützungseinrichtungen wie Frauenhäusern, Frauenberatungs- oder Interventionsstellen sowie rechtlicher Verbesserungsmöglichkeiten zum Schutz und zur Unterstützung der von Gewalt betroffenen Frauen und ihrer Kinder (u. a. durch das Recht auf gewaltfreie Erziehung nach § 1631 BGB seit 2000, das im Jahr 2012 in Kraft getretene Bundeskinderschutzgesetz oder auch die 2018 in der Bundesrepublik Deutschland ratifizierte Konvention zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, die sogenannte „Istanbul-Konvention“) kann nicht übersehen werden, dass gewaltförmige Geschlechterverhältnisse und konkrete Partnerschaftsgewalt bislang weltweit nicht beseitigt werden konnten. So wurden im Jahr 2021 in Deutschland folgende Hellfelddaten ermittelt: 143.604 Fälle von Gewalt in Beziehungen wurden registriert, davon waren 80,3 % der Opfer weiblich. Pro Tag werden durchschnittlich 316 Frauen Opfer von Gewalt in ihrer Partnerschaft (vgl. BKA 2022, S. 5) und 109 Frauen wurden im Jahr 2021 getötet oder ermordet (vgl. ebd., S. 6).

In der bisher einzigen deutschen repräsentativen Prävalenzstudie „Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland“ (BMFSFJ 2004, S. 277) gab über die Hälfte der von Partnerschaftsgewalt betroffenen Frauen an, dass Kinder in ihrem Haushalt lebten und dass ihre Kinder die Gewaltsituation gehört (57 %) oder gesehen (50 %) hätten. Die Kinder seien dabei selbst in die Auseinandersetzungen mit hineingeraten oder hätten versucht, die Befragten zu verteidigen (21–25 %), jedes zehnte Kind wurde dabei selbst körperlich angegriffen. Darüber hinaus konnte in Längsschnittstudien nachgewiesen werden, dass Personen, die bereits als Kind häusliche Gewalt erleben mussten, als Erwachsene häufiger von Partnerschaftsgewalt betroffen sind (vgl. Kindler 2013, S. 41).

Aufgrund der Partnerschaftsgewalt haben im Jahr 2020 mehr als 6600 Frauen sowie mehr als 7600 von häuslicher oder Partnerschaftsgewalt mitbetroffene Kinder Schutz und Hilfe in einem Frauenhaus in Deutschland erhalten. 9,8 % der Kinder waren älter als zwölf Jahre und 20,3 % der Frauen waren zwischen 18 und 25 Jahre alt. Da lediglich 182 der rund 350 Frauenhäuser in Deutschland an dieser Statistik teilgenommen haben, dürften die tatsächlichen Zahlen weitaus höher sein (vgl. FHK 2021). Durch die Corona-Pandemie lässt sich darüber hinaus ein Anstieg von häuslicher Gewalt verzeichnen, wie aktuelle Untersuchungen zeigen (vgl. Ebert und Steinert 2021).Footnote 3

2 Kinder und Jugendliche als Betroffene von häuslicher Gewalt

Deutlich wird damit, dass das Phänomen der häuslichen Gewalt/Partnerschaftsgewalt mit spezifischen, hierarchischen Geschlechterverhältnissen, also mit Machtasymmetrien und überwiegend männlicher Gewalt gegenüber Frauen korrespondiert. (Re‑)Produziert werden diese gesellschaftlichen Verhältnisse durch soziale Interaktionen, u. a. innerhalb der Familie als primäre Sozialisationsinstanz. Vermittelt durch den Prozess der aktiven Mitgestaltung der kulturellen, strukturellen, symbolischen und sozial geprägten Verhältnisse durch Männer und Frauen („doing gender“) beeinflussen sie somit auch den Sozialisationsprozess und die Entwicklung der Geschlechtsidentität von Kindern und Jugendlichen (vgl. Henschel 2020a).

Diese Gewaltverhältnisse können des Weiteren dazu beitragen, dass Kinder und Jugendliche als Zeug*innen dieser Konflikte zugleich auch zu Opfern der häuslichen Gewalt werden. Das Miterleben häuslicher Gewalt kann für Kinder und Jugendliche in den betroffenen Familien dazu führen, dass sie an dem Ort, an dem sie sich geborgen und geschützt fühlen sollten, eine Atmosphäre von Wut, Hass, Angst, Bedrohung und Verzweiflung spüren und sich infolgedessen oft hilflos, traurig, ohnmächtig oder sogar schuldig fühlen, weil sie der Gewalt nicht Einhalt gebieten können oder sich gar selbst als Auslöser für die Gewalt verstehen. Diese direkten oder indirekten Gewalterfahrungen bedeuten für viele Kinder und Jugendliche, dass sie sich nicht an den Vater oder die Mutter wenden können und sich mit ihren verwirrenden Gefühlen allein gelassen fühlen, dass sie der Abwertung der eigenen Mutter durch den Vater oder Partner und den mittelbar bzw. unmittelbar erlebten körperlichen, seelischen oder sexuellen Misshandlungen schutzlos ausgeliefert sind und deshalb Angst um die Mutter, die Geschwister und/oder um sich selbst haben. Auch stellt das Miterleben von häuslicher Gewalt einen starken Risikofaktor für späteres Gewalterleben in der eigenen Partnerschaft dar, und es kann in Folge zu massiven Entwicklungsbeeinträchtigungen bei den Mädchen und Jungen führen. Zusätzliche Belastungsfaktoren wie z. B. die Suchtmittelabhängigkeit eines Elternteils, Armut oder aber eigene Misshandlungserfahrungen (Kindesmisshandlung, Kindesvernachlässigung) vermögen darüber hinaus das Kindeswohl zusätzlich zu beeinträchtigen (vgl. Kindler 2013, S. 27–47)Footnote 4.

Häusliche Gewalt birgt meist eine erhebliche Belastung mit teils gravierenden Folgen für die kindliche Entwicklung, die abhängig ist von Alter und Geschlecht, der Anzahl, der Intensität, der Dauer und den Umständen der Gewalt sowie den persönlichen Ressourcen der Kinder. Dies kann bedeuten, dass es zu Störungen in der emotionalen, sozialen und kognitiven Entwicklung der Mädchen und Jungen kommen kann (z. B. körperliche und kognitive Entwicklungsverzögerungen, Angst- und Bindungsstörungen, Traumata). Partnerschaftsgewalt kann also in vielfältiger Weise Einfluss auf die gesamte Familiendynamik nehmen und zur elterlichen Erziehungsüberforderung mit inkonsistentem Erziehungsverhalten der Eltern, mangelnder Fürsorge und Bindungsunfähigkeit bis hin zur Kindesvernachlässigung oder Kindesmisshandlung führen. Sie kann Beeinträchtigungen der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen bewirken, mit denen diese in unterschiedlicher, geschlechtsspezifischer Weise umzugehen lernen (vgl. Enzmann 2002, S. 7–35). „Kinder sind deshalb nicht nur Zeugen häuslicher Gewalt, sondern immer auch Opfer. Das Miterleben von häuslicher Gewalt stellt in der Regel deshalb auch eine Gefahr für das Wohl und die Entwicklung der Kinder dar“ (BMFSFJ 2011, S. 7). Heward-Belle et al. (2018, S. 136) stellen deshalb fest: „Although contested [...], exposure to domestic violence is now recognised as a distinct form of child maltreatment in many English-speaking, westernised child welfare jurisdictions.“

Die Anerkennung des Gefährdungspotenzials für Kinder und Jugendliche, die in Familien mit Partnerschaftsgewalt aufwachsen, ist wichtig, um nicht nur das Risiko der intergenerationellen Weitergabe von Gewalt einzudämmen, sondern auch, um präventive oder intervenierende Maßnahmen zu ergreifen, die eine Kindeswohlgefährdung verhindern und die Sicherheit und den Schutz für Mütter und ihre Kinder gewährleisten. Sicherzustellen ist dabei, dass die Schutzbedürfnisse von Frauen und Kindern gleichermaßen berücksichtigt werden, ohne dass staatliche Institutionen und ihre Akteure geschlechtsspezifische Machtverhältnisse, durch die Partnerschaftsgewalt gekennzeichnet ist, erneut reproduzieren oder aufrechterhalten (vgl. ebd., S. 135 f.). Kinderschutz im Rahmen von Partnerschaftsgewalt gestaltet sich damit unter besonderen Voraussetzungen, weshalb sozialpädagogische Fachkräfte mit den Gewalt-Dynamiken innerhalb von Partnerschaften vertraut sein müssen. Sie bedürfen des Wissens um die Dimensionen von „power and control“ und „coercive control“, darüber hinaus sollten sie sich ihrer „gender blind practices“ bewusst sein, um zu verhindern, dass die von der Partnerschaftsgewalt betroffenen Mütter allein verantwortlich für den Schutz ihrer Kinder gemacht werden und zudem eine erneute Viktimisierung der Frauen und Mütter erfolgt (vgl. ebd., S. 137).

Die ausschließliche Fokussierung auf das Gefährdungspotenzial häuslicher Gewalt und die damit verbundenen Entwicklungsrisiken von Mädchen und Jungen können aber auch die Wahrnehmung vorhandener Ressourcen erschweren und dazu beitragen, dass kindliche psychische Widerstandsfähigkeit, wie sie sich aufgrund von Resilienz zeigen kann, nicht ausreichend wahrgenommen und unterstützt wird. Die vorliegende Studie „Frauenhauskinder und ihr Weg ins Leben. Das Frauenhaus als entwicklungsunterstützende Sozialisationsinstanz“ (Henschel 2019) setzt daher einen Fokus auf Ressourcen, Empowerment und auf Resilienz, die einen Beitrag dazu leisten können, Mädchen und Jungen, die in Familien mit Partnerschaftsgewalt aufwachsen müssen, zu unterstützen und Entwicklungsrisiken zu mildern.

3 Frauenhäuser als Schutz- und Unterstützungsorte für von Gewalt betroffene Frauen und ihre Kinder

Kinder und Jugendliche, die mit ihren Müttern in Frauenhäuser fliehen müssen, um dort vorübergehend Schutz, Unterstützung, Beratung und Betreuung zu erhalten, entkommen so häufig erstmals der familiären Gewalt und Isolation. Sie erhalten dort, je nach vorhandenen Ressourcen, die Möglichkeit, über ihre Erlebnisse zu berichten, sich mit den in der Familie gemachten Gewalterfahrungen und mit ihrer Beziehung zur Mutter, den Geschwistern und anderen Kindern, die sich in ähnlichen Situationen befinden, auseinanderzusetzen. Sie können zur Ruhe kommen und erfahren in der neuen, wenn auch fremden Umgebung, dass sie keine Angst mehr zu haben brauchen. Durch Gespräche und Spiel kann für die Kinder und Jugendlichen die Möglichkeit entstehen, sich mit den mit der Trennung vom Vater und von der gewohnten Umgebung verbundenen Verlusten und den Gefühlen von Ohnmacht und Hilflosigkeit auseinanderzusetzen und positive Empfindungen im Sinne von Selbstwirksamkeit auszubilden, sofern durch entsprechendes Fachpersonal die Nöte und spezifischen Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen wahrgenommen und anerkannt werden (vgl. AWO Bundesverband e. V. 2021; Henschel 2019). Der Schutzraum Frauenhaus, in dem die Kinder und Jugendlichen mit ihren Müttern vorübergehend leben und der neue Sozialisationserfahrungen ermöglicht und zugleich auch besondere Herausforderungen birgt (vgl. Henschel 2019, S. 59 f.; S. 151 ff.), erfordert von den Kindern und Jugendlichen individuelle Anpassungsleistungen sowie zusätzliche Unterstützung im Sinne „äußerer Schutzfaktoren“ bei der „produktiven Realitätsverarbeitung“ (Hurrelmann und Bauer 2015, S. 98 ff.).

Mit dem Konstrukt der produktiven Realitätsverarbeitung versuchen Hurrelmann und Bauer auf das Spannungsverhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft zu rekurrieren. Ihnen geht es hierbei um die „produktive Verarbeitung der inneren Realität von körperlichen und psychischen Dispositionen und der äußeren Realität aus sozialer und physisch räumlicher Umwelt“ (ebd., S. 99). Es geht ihnen also um die Betonung von produktiven Verarbeitungsprozessen im Rahmen der Realitätsaneignung, in denen individuelle Eigenschaften, Merkmale, spezifische Kompetenzen etc. ausgebildet werden. „Dieser Verarbeitungsprozess schließt die subjektiven Vorstellungen über die eigene Person, den Körper, aber auch die Wahrnehmungen, Bewertungen und Einstellungen zur sozialen Umwelt ein. Dies geschieht auf Basis vorangegangener Erfahrungen. Individuelle Interpretationen und Bewertungen, die auch in Tätigkeiten münden können, aber auch Selbstreflexivität und unverwechselbare eigene Ausdrucks- und Handlungsformen prägen dabei das Selbstkonzept und die Identitätsentwicklung. Menschen werden im Sozialisationsprozess somit zu Gestalterinnen und Gestaltern ihrer eigenen Biografie und zu Produzierenden ihrer eigenen Erzählungen und ihrer Geschichte“ (Henschel 2019, S. 43).

Kinder und Jugendliche, die in ihrer Familie durch Partnerschaftsgewalt spezifischen Entwicklungsrisiken ausgesetzt sind, bedürfen daher zur produktiven Verarbeitung dieser Erfahrungen besonderer Unterstützung durch ihre Umwelt. Korrigierende Erfahrungen, vertrauensvolle Bindungen und Beziehungen im Rahmen anderer sozialer Bezüge bilden im Sozialisationsprozess wichtige Faktoren, um die negativen Sozialisationserfahrungen und die erfahrene Gewalt in den Familien kompensieren zu können. Diesen äußeren Schutzfaktoren und -angeboten, die durch weitere Sozialisationsinstanzen wie z. B. Frauenhäuser erbracht werden können, kommt daher eine wichtige Rolle zu, um die Risikofaktoren, die mit den (beobachteten) Gewalterfahrungen innerhalb der Familie verbunden sind, zu mildern.

4 Resilienz – Ressourcenorientierung statt Psychopathologisierung

Resilienz spielt somit hinsichtlich der von den Kindern und Jugendlichen erfahrenen multifaktoriellen Problembelastungen (insbesondere Gewalt in unterschiedlicher Ausprägung, Armut, Flucht etc.) innerhalb des Aufwachsens in ihren Familien eine zentrale Rolle. Sie wird als ein Konstrukt verstanden und als „[…] multidimensionales, kontextabhängiges und prozessorientiertes Phänomen betrachtet, das auf einer Vielzahl interagierender Faktoren beruht und somit nur im Sinne eines multikausalen Entwicklungsmodells zu begreifen ist“ (Wustmann 2007, S. 131). Beschrieben wird damit die Fähigkeit einer Person, mit belastenden Lebensumständen und negativem Stresserleben erfolgreich umzugehen (vgl. ebd.), wobei Resilienz einen lebenslangen Lernprozess darstellt, in dem Anpassungsleistungen an schwierige, belastende Lebensumstände erbracht werden, die positive soziale Interaktionen und psychisches Wohlbefinden ermöglichen (vgl. ebd., S. 122 ff.). Es geht also um die psychische Widerstandsfähigkeit von Kindern gegenüber biologischen, psychologischen und psychosozialen Entwicklungsrisiken (vgl. ebd., S. 123)Footnote 5, die durch äußere Schutzfaktoren wie z. B. positive Rollenvorbilder, eine stimulierende Lernumgebung, aber vor allem durch vertrauensvolle Beziehungen zu festen Bezugspersonen die Möglichkeit zur Weiterentwicklung und zur Bildung neuer Perspektiven bietet.

5 Feldzugang und Forschungsdesign der Studie

Die Studie, die qualitativ angelegt ist, stellt die retrospektiven Betrachtungen von zwanzig ehemals in einem Frauenhaus lebenden Mädchen und Jungen in den Fokus. Die heutigen Erwachsenen wurden zu ihren früheren Gewalterfahrungen vor dem Frauenhaus, zu ihren Erfahrungen im Frauenhaus und ihren weiteren Erfahrungen bzw. zu ihrem Lebensweg befragt, um u. a. Resilienzstärkungserfahrungen durch einen Frauenhausaufenthalt nachvollziehen zu können (zur Methodik und Zielsetzung der Studie s. Henschel 2019, S. 66–83). Der Feldzugang wurde durch die Kooperation mit einem Frauenhaus ermöglicht, das bereits seit 1978 Frauen und Kinder im Rahmen der Frauenhausarbeit unterstützt. Eine Mitarbeiterin des kooperierenden Frauenhauses kontaktierte ehemalige Bewohner*innen anhand definierter Kriterien. Potenzielle Interviewpartner*innen mussten mindestens zwei Monate ihrer Kindheit oder Jugend in einem Frauenhaus verbracht haben, zudem wurde versucht, durch möglichst viel Diversität eine Repräsentativität innerhalb der Stichprobe herzustellen. Diese Diversität basierte auf folgenden Kriterien: Gründe der Mutter für den Einzug ins Frauenhaus, Herkunftsland bzw. Migrationshintergrund, Bildung, Einzelkinder oder Geschwister sowie Geschlecht und Altersgruppe. Es wurde Kontakt zu 79 Familien mit 99 Söhnen und 89 Töchtern gesucht, 26 Familien konnten erreicht werden, 20 Interviews wurden geführt.

Die Konstruktion von Leitlinien zur Durchführung von Interviews, insbesondere die Bildung von theorierelevanten Kategorien, basierte auf methodologischen Zugängen (vgl. Kuckartz 2014; Mayring 2010) sowie vorangegangenen Forschungen und handlungspraktischen Erfahrungen der Autorin mit Kindern im Kontext von Partnerschaftsgewalt (vgl. Henschel 1993, 2017, 2019, S. 71 ff.). Von Interesse waren die Erfahrungen der Befragten, ihre subjektiven Wahrnehmungen, Einschätzungen und Reflexionen. Die Interviews wurden im Zeitraum von Dezember 2015 bis März 2016 durchgeführt und dauerten zwischen 20 und 150 min (Durchschnitt: 70 min). Sie wurden aufgezeichnet und anhand differenzierter Transkriptionsregeln und mittels der Software „f4“ transkribiert (vgl. Henschel 2019, S. 79). Die Transkriptionen wurden systematisch und vollständig anonymisiert. Ethische Grundsätze der qualitativen Forschung wurden zum Schutz der Interviewten sichergestellt.

Als Auswertungsmethode diente die qualitative Inhaltsanalyse, die durch einzelne sequenzielle Vertiefungen (hermeneutisch-interpretativ) angereichert wurde (vgl. Kuckartz 2014). Für die Auswertung wurden Haupt- und Subkategorien deduktiv aus dem Interviewleitfaden herausgearbeitet, die der Materialextrahierung dienten. Sieben Hauptkategorien wurden identifiziert, für die eine Definition, ein Ankerbeispiel und ggf. auch Ausschlussregeln formuliert wurden (vgl. Henschel 2019, S. 80 ff.). Eine induktive Herangehensweise zur Aufbereitung des Datenmaterials schloss sich an, wobei sich am Ablaufmodell der induktiven Kategorienbildung nach Mayring (2003, S. 74 f.) orientiert wurde. Die gesamte Auswertung wurde mit der Software MAXQDA (VERBI Software. Consult. Sozialforschung GmbH, Berlin, Deutschland) durchgeführt. Neben der qualitativen Erfassung der subjektiven Wahrnehmung der eigenen Persönlichkeit wurde zusätzlich eine Messung von Persönlichkeitsmerkmalen mit dem standardisierten Fragebogen NEO-FFI (vgl. Borkenau und Ostendorf 2008) durchgeführt. Somit konnten die in den Einzelinterviews ermittelten subjektiven Daten in Relation zu objektivierbaren gestellt werden (Ergebnisse, Grafiken u. Interpretationen dieser Daten finden sich in Henschel 2019, S. 300 ff.).

6 Ergebnisse der Studie „Frauenhauskinder und ihr Weg ins Leben“

Die Studie untersuchte anhand von Interviews mit ehemaligen Frauenhausbewohnerinnen aus einer retrospektiven Erwachsenenperspektive die Frage, ob und inwieweit es den (ehemals) im Frauenhaus lebenden Mädchen und Jungen individuell gelingen konnte, unter den belastenden und widrigen Umständen (Armut, Gewalt, Trennung der Eltern, Frauenhausaufenthalt etc.) und trotz der multiplen risikoerhöhten Entwicklungen zu kompetenten, leistungsfähigen und stabilen Persönlichkeiten zu werden. Fragen nach den Gewalterfahrungen in der Familie, zum Frauenhausaufenthalt und den damit verbundenen Erlebnissen sowie zu den Verarbeitungen der Geschehnisse (vor, nach und im Frauenhaus), aber auch die Bezugnahme auf andere erwachsene Personen, wie z. B. Mitbewohnerinnen, Mitarbeiterinnen und ihre persönlichen Bindungen und Beziehungen zu anderen im Haus lebenden Kindern standen im Fokus der Studie.

Es konnte gezeigt werden, dass sich die Gewalt für die Befragten, die aus einer retrospektiven Perspektive über das Erlebte in ihren Familien berichteten, in vielfältigen Formen äußerte und so auch von den Befragten beschrieben werden konnte. So wurden neben körperlichen Übergriffen auch subtilere Formen der Gewalt innerhalb der Familie von ihnen erkannt, in denen sie die Dominanz und Herrschaft des Vaters oder Partners über die Mutter oder aber die eigene Person erfuhren. Neben der Zeugenschaft der Gewalt gegen die eigene Mutter wurde auch die Gewalt an Geschwistern thematisiert und zum Teil konkret geschildert, wie auch einzelne der Befragten vor dem Einzug ins Frauenhaus selbst von körperlicher Gewalt betroffen waren, die laut ihrer Aussage ausschließlich vom Vater oder Partner der Mutter ausgeübt wurde.

An den Äußerungen der Befragten wurde deutlich, dass mit den unterschiedlichen Gewalterlebnissen, je nach erlebter Häufigkeit, Dauer, Intensität und aufgrund des Alters und Geschlechts entsprechend individuell umgegangen wurde. Das Gefühl von Angst bestimmte dabei überwiegend den familiären Alltag vor dem Frauenhausaufenthalt: Angst um die eigene Person, aber auch die Angst um das Leben der Mutter oder der Geschwister. Gefühle der Ohnmacht, Bedrohung und Hilflosigkeit angesichts der Gewalt wurden daher vielfach von den Befragten geschildert. Auch der Einzug bzw. die Flucht ins Frauenhaus gestaltete sich unterschiedlich, wobei einzelne Befragte über die ausschlaggebende Situation für den Einzug in das Frauenhaus nichts wussten und wiederum andere Befragte sich selbst als treibende Kraft für den Umzug ins Frauenhaus beschrieben (Parentifizierung).

Den meisten Befragten schien es insgesamt gut gelungen zu sein, sich in die neue Situation und die Gemeinschaft im Frauenhaus einzuleben, wobei ihnen Freizeitzeitaktivitäten, die ihnen bis dato mitunter unbekannt waren, dabei halfen. Vor allem die Bedeutung der Peers, die ihnen einen Ausgleich zu den familialen Gewalterfahrungen ermöglichten und mit denen im Spiel und in der Gemeinschaft das persönliche Schicksal vorübergehend ausgeblendet werden konnte, bereicherten den Frauenhausaufenthalt und milderten die gemachten Gewalterfahrungen. Freiheits- und Aufbruchsgefühle, aber auch veränderte, mitunter konflikthafte Beziehungsveränderungen zu den Müttern und Vätern konnten im Rahmen des Frauenhausaufenthaltes erfahren werden und trugen zu veränderten Selbstkonzepten und zur Selbstständigkeit aus Sicht der Befragten bei. Die wertschätzenden und vertrauensvollen Beziehungen zu einzelnen Frauenhaus-Mitarbeiterinnen, deren Bereitschaft sich auf Gespräche und Konflikte einzulassen, aber auch die Gewährung von Schutz und das Gefühl von Sicherheit durch das Frauenhaus als Institution, ermöglichten den Befragten, sich angenommen und selbstsicher zu fühlen und sich zunehmend als selbstwirksam zu erleben. Die Sozialisationserfahrungen in dem Frauenhaus, in dem die Befragten vorübergehend lebten, so zeigten die Interviewäußerungen, ermöglichten ihnen, sich nicht nur als Opfer der häuslichen Gewalt zu verstehen, sondern sich neu zu orientieren, bisherige Einstellungen zu überdenken, andere Werte und Kulturen kennenzulernen und neue Verhaltensweisen zu erproben, die ihnen auch ermöglichten, Konflikte gewaltfrei zu bewältigen.Footnote 6

Die Studienergebnisse zeigen, dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass gewalttätiges Verhalten automatisch zur Norm für die nachwachsende Generation wird oder aber sich zwangsläufig im Rahmen der familialen Sozialisation und durch die damit verbundenen Lernprozesse als Verhaltensmuster ausbildet, sondern dass die intergenerationale Weitergabe von Gewalt durch äußere Schutzfaktoren, die die psychische Widerstandskraft stärken, erschwert bzw. durchbrochen werden kann. Darüber hinaus beschrieben die Interviewten, auch wenn dies mitunter mit Geschlechterstereotypisierungen bzw. traditionellen Bildern von Männern und Frauen korrespondierte, für sich persönlich veränderte Geschlechterbeziehungen, die durch mehr Geschlechtergerechtigkeit geprägt wären. Sie selbst wünschen sich diese veränderten Beziehungen zwischen den Geschlechtern bzw. versuchen diese z. T. bereits zu leben, erkannten aber auch, dass sie dabei durch ihre früheren Sozialisationserfahrungen, nämlich der Sozialisationsverhältnisse, die durch männliche Dominanz und weibliche Unterlegenheit gekennzeichnet waren, beeinflusst werden.

Ein Leben ohne Angst und Gewalt, das ist es, was sich die Befragten wünschten und was sie für sich auf ihrem weiteren Lebensweg auch überwiegend erreicht haben. Ihre gewaltgeprägten Sozialisationserfahrungen und die infolge sich mit vielfältigen Belastungen und Herausforderungen, aber auch neuen Chancen gestaltenden Lebensverläufe zeigten, dass es ihnen überwiegend gelungen ist, diese Erfahrungen im Sinne produktiver Realitätsverarbeitung zu bewältigen. Ihr Leben nach dem Frauenhaus zeichnet sich auch durch viele positive Aspekte aus, die es ihnen ermöglichen, wertvolle Beziehungen und Bindungen einzugehen, eine eigene Familie zu gründen und in dieser einen andersartigen Familienalltag zu gestalten, als sie selbst dies als Kinder oder Jugendliche erleben mussten. So nehmen sich die Befragten als handlungsfähig wahr, und sie sind in der Lage, ihr Leben eigenständig zu gestalten. Dadurch können sie sich auch als selbstbewusst und selbstwirksam erleben. Ihre Bewältigungsstrategien, die sie dabei entwickelt haben, helfen ihnen nicht nur hinsichtlich erfolgreicher Bildungs- und Erwerbsverläufe, sondern ermöglichen ihnen auch wertvolle soziale Interaktionen in anderen Sozialisationsinstanzen, wie z. B. in der Schule, in Vereinen oder in anderen Familien. Die sich hieraus für sie ergebenden Horizonterweiterungen, die Wahrnehmung anderer und neuer Werte und Verhaltensweisen können ihnen auf ihrem Weg aus der Gewalt helfen, sich selbst zu entdecken, die eigenen Stärken zu erkennen und unterschiedliche Belastungen zu bewältigen. Hierbei haben den Befragten, so zeigen die Studienergebnisse, nicht nur ihre inneren, sondern auch äußere Schutzfaktoren geholfen: Beziehungen zu Menschen, die ihnen mit Wertschätzung, Anerkennung begegneten und ihnen hierdurch auch ermöglichten, sich nicht nur als entwertete Opfer der Gewalt, sondern auch als geschätzte starke, widerstandsfähige Persönlichkeiten zu erleben.

Wie die Lebenswege und Entwicklungen der Befragten zeigten, ist es ihnen gelungen, die Gewalterfahrungen zu verarbeiten und sich als leistungsfähig, selbstwirksam, fürsorglich, zuverlässig sowie hoffnungsfroh zu erleben. Trotz der familiären Dissonanzen und der Gewalterfahrungen ist anzunehmen, dass sie ein grundlegendes Vertrauen in sich und das Leben ausgebildet haben, wobei ihnen der Frauenhausaufenthalt entsprechend ihrer Erzählungen nicht nur deshalb geholfen zu haben scheint, weil sie damit der Gewalt entkamen. Die durch das Frauenhaus angebotenen zahlreichen und unterschiedlichen Aktivitäten, die den damaligen Bewohnerinnen und Bewohnern Horizonterweiterungen, Gemeinschaftserfahrungen, Partizipationsmöglichkeiten, persönliche Anerkennung und Beziehungen zu anderen ermöglichten, können als äußere Schutzfaktoren identifiziert werden. Es zeigt sich also, dass Frauenhäuser entwicklungsunterstützende vorübergehende Sozialisationsinstanzen sein können, wenn sie sich ihrer Aufgabe und Verantwortung bewusst sind und über ausreichende Ressourcen verfügen, um diese Arbeit professionell erfüllen zu können, und damit nicht nur einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung von häuslicher Gewalt leisten, sondern auch durch einen wertschätzenden, vertrauensvollen Umgang mit den von Partnerschaftsgewalt betroffenen Kindern und Jugendlichen deren Resilienz-Entwicklung und Persönlichkeitsbildung zu unterstützen vermögen (vgl. SafeShelter 2021). Frauenhäusern sollte daher aufgrund ihrer Schutzfunktion als unterstützende und entwicklungsförderliche vorübergehende Sozialisationsinstanzen zukünftig mehr gesellschaftliche Anerkennung zuteilwerden, und sie sollten vor allem mit entsprechenden und angemessenen Ressourcen ausgestattet werden, da sie einen wichtigen gesellschaftlichen Beitrag leisten und Wege aus der Gewalt ermöglichen.

7 Grenzen der Studie

Kritisch muss angemerkt werden, dass sich aus den Studienergebnissen nicht ableiten lässt, dass Persönlichkeitsentwicklungen, Resilienzbildung, Selbstkonzepte und produktive Realitätsverarbeitungsprozesse von Mädchen und JungenFootnote 7, die häusliche Gewalterfahrungen gemacht haben, allein aus dem Frauenhausaufenthalt erklärt werden können. Auch ist zu vermuten, dass sich für die Studie nur diejenigen Interviewpartnerinnen und Interviewpartner finden ließen, die bereits über eine relative psychische Stabilität ihrer Persönlichkeit verfügten. Nicht zuletzt begrenzt der schwierige Feldzugang die Gültigkeit der Ergebnisse hinsichtlich eindeutiger Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge. Zudem konnte keine Kontrollgruppe befragt werden und die Befragten waren darüber hinaus selbst motiviert, an der Studie teilzunehmen, weil sie bis heute in einem mehr oder minder engen Kontakt zu dem Frauenhaus stehen, das den Zugang zu ihnen ermöglichte. Dennoch scheint es gelungen, mit der Studie auf ein Forschungsdesiderat hinzuweisen, denn bis heute finden sich im deutschsprachigen RaumFootnote 8 kaum Forschungen, die auf den Nachvollzug und das Verstehen der subjektiven Sicht auf die Gewalterfahrungen und einen Frauenhausaufenthalt abzielen, was auch auf die Herausforderungen in der Gewaltforschung generell zurückzuführen sein dürfte.

8 Ausblick

Wenn einer intergenerationellen Weitergabe von Gewalt, Verhaltensauffälligkeiten, Entwicklungsverzögerungen, Anpassungsstörungen, mangelnder Bindungs- und Beziehungsfähigkeit, spezifischem Risikoverhalten, Schulversagen, mangelnder Empathie- und Konfliktfähigkeit bis hin zu psychischen Traumata bei diesen von häuslicher Gewalt betroffenen Kindern und Jugendlichen entgegengewirkt werden soll, ist es unabdingbar, dass sich neben den Frauenhäusern weitere Sozialisationsinstanzen präventiv und intervenierend im Sinne des Kindeswohls engagieren (vgl. Henschel 1993, 2008, S. 267–279, 2012, 2019, S. 30 ff.) und ihren Beitrag zum Kinderschutz und zur Erhaltung bzw. Wiederherstellung des Kindeswohls leisten. Dabei muss jedoch berücksichtigt werden, dass es für die gewaltbetroffenen Mütter und ihre Kinder nicht zu „Retraumatisierungen“ durch die Arbeit der unterschiedlichen Akteure und Institutionen kommt. Hierfür ist wichtig, worauf Heward-Belle et al. (2018, S. 136) hinweisen, dass sich im Rahmen des Kinderschutzes nicht institutionelle Praktiken reproduzieren, die der Taktik und Strategie der gewalttätigen Partner im privaten Bereich entsprechen, denn sowohl Mütter, als auch ihre Kinder bedürfen des Schutzes vor der Gewalt der Partner. Zudem sollte vor allem auch bei allen zu ergreifenden intervenierenden Maßnahmen darauf geachtet werden, dass ebenfalls den Bedürfnissen und Interessen der Kinder und Jugendlichen Rechnung getragen wird, wie dies u. a. die Kinderrechtskonvention sowie die Istanbul-KonventionFootnote 9 vorsehen.

Frauenhausmitarbeiter*innen wissen als Expert*innen in der Anti-Gewalt-Arbeit in der Regel um die Nöte der Mütter sowie der von häuslicher Gewalt betroffenen Kinder und Jugendlichen. Sie können versuchen, sowohl den Müttern wie ihren Kindern Hilfe- und Unterstützungsangebote zu unterbreiten, um die mit den Gewalterfahrungen verbundenen Entwicklungsrisiken zu mindern und das Kindeswohl zu sichern. Wichtig ist es deshalb auch, dass einerseits bereits die Zeugenschaft von Partnerschaftsgewalt als Kindeswohlgefährdung erkannt und bewertet wird, der durch pädagogische Unterstützungsangebote versucht wird zu begegnen. Andererseits darf dabei nicht vergessen werden, dass es die Mütter sind, die die unmittelbare Partnerschaftsgewalt erleiden müssen und daher ebenfalls einen Anspruch auf Unterstützung, Schutz und Hilfe haben, dem ebenfalls entsprochen werden muss.

Deutlich wird, dass diese anspruchsvolle Aufgabe, die dem Kindeswohl dient und danach trachtet, Entwicklungsrisiken bei den von häuslicher Gewalt betroffenen Kindern und Jugendlichen frühzeitig zu erkennen, zu mildern, präventiv zu verhindern sowie Resilienzbildung (vgl. Henschel 2019, S. 49 ff.) zu unterstützen, nicht alleine durch die Fachkräfte in den Frauenhäusern geleistet werden kann, zumal hierfür vielerorts entsprechende Ressourcen fehlen. Auch im Sinne von Prävention in Bezug auf Kindeswohlgefährdung sind weitere sekundäre Sozialisationsinstanzen (vor allem Kindertagesstätten, Schulen und weitere Kinder- und Jugendhilfemaßnahmen) hier gefordert, in Kooperationsbeziehungen Unterstützung zu leisten und, sofern erforderlich, auch intervenierend einzugreifen. Deshalb ist es notwendig, die bereits seit Jahrzehnten vorhandene Expertise der Frauenhäuser zu nutzen und deren Kenntnisse und Wissen auch anderen Mitarbeitenden im System zu vermitteln, denn: „The need to improve the institutional responses to women and children experiencing domestic violence is well documented“, wie Heward-Belle et al. (2018, S. 137) zeigen.

Die bisherige Versäulung der unterschiedlichen Systeme, also der Frauenhäuser und der geschlechtsreflexiven Anti-Gewalt-Arbeit einerseits sowie der Schulen, Kinder- und Jugendhilfemaßnahmen und -einrichtungen (z. B. Kitas, Jugendsozialarbeit, Schulsozialarbeit, Mutter-Kind-Einrichtungen, Hilfen zur Erziehung) andererseits, erfordert daher rechtskreisübergreifende Maßnahmen und Kooperationen, wenn die Situation der von häuslicher Gewalt betroffenen Kinder und Jugendlichen verbessert werden soll (vgl. AWO Bundesverband e. V. 2022, S. 32 ff.)Footnote 10. Offene Fragen zu Leerstellen, Kooperationserfordernissen und Handlungsbedarfen in der arbeitsfeldübergreifenden Zusammenarbeit sollten daher in den Fokus genommen werden, um bestehende Potenziale, Hindernisse und Rahmenbedingungen identifizieren und miteinander ins Gespräch bringen zu könnenFootnote 11. Nur so kann es gelingen, die bestehenden Hilfesysteme bedarfsgerechter im Sinne der von häuslicher Gewalt betroffenen Kinder und Jugendlichen, im Sinne des Kindeswohls und Kinderschutzes und im Sinne des Schutzes ihrer Mütter vor Partnerschaftsgewalt auszugestalten. Die Gestaltung von verbesserten Sozialisationserfahrungen und Lebensverhältnissen für Kinder, Jugendliche und ihre Mütter kann dabei beispielsweise durch Maßnahmen unterstützt werden, mit denen Partizipationsmöglichkeiten in den sekundären und tertiären Sozialisationsinstanzen im Sinne einer Teilhabe an Macht institutionalisiert werden und die von der Bundesregierung unterzeichnete Istanbul-Konvention zur Umsetzung gelangt.