1 Einleitung

In Zeiten eines technologiegetriebenen, aber noch auszugestaltenden Wandels in der Arbeitswelt (Spencer et al. 2021; Nedelkoska und Quintini 2018) braucht es veränderte Qualifikation und Kompetenzen aber auch neue Formen des Lernens (Autor et al. 2020; Fischer et al. 2020) – insbesondere solche, die in die Arbeitsprozesse integriert sind (Elsholz 2019; Bolte und Neumer 2021). Mit Blick auf kollaborative Robotersysteme in der Montage muss also danach gefragt werden, wie sowohl die direkte Interaktion mit der robotischen Hardware als auch die dahinter liegende Software (z. B. die semantische Wissensbasis) einschließlich der Benutzerschnittstelle so gestaltet werden können, dass Lernen in der Nutzung gefördert wird.

Nach einem kurzen Einblick in den Forschungsstand (Sektion 2) wird im Folgenden zunächst das empirische Fallbeispiel vorgestellt (Sektion 3), entlang dessen das Konzept für ein neuartiges Assistenzsystem entwickelt wird. Es wurde über einen Zeitraum von ca. zwei Jahren ein großes mittelständisches Unternehmen dabei begleitet, wie es ein kollaboratives Robotersystem entwickelt und plant einzuführen. Mit dem System soll die komplexe und derzeit manuell durchgeführte Aufgabe der Schaltschrankverdrahtung teilautomatisiert werden. Diese bislang nicht lernförderlich gestaltete Umsetzung dient als Inspiration und Vergleichsfall für die Entwicklung des hier vorgestellten Assistenzsystems, das den gesamten soziotechnischen Arbeitszusammenhang in den Blick nehmen soll. Anschließend folgt in Sektion 4 eine Systematik des zugrunde gelegten Ansatzes eines lernförderlichen Assistenzsystems, dessen Anforderungen und Ziele in Sektion 4.1 definiert werden. In Sektion 4.2 wird beschrieben, wie relevante Aspekte für die (stets individuell beeinflussbare) Arbeitszuteilung zwischen Menschen und dem Robotersystem in ontologiebasierten, semantischen Modellen formalisiert werden können. Dies basiert auf einer Mixed-Skill-Konzeption, die unter Einbeziehung des arbeitsimmanenten Lernens eine fähigkeitsorientierte Zuweisung von Arbeitsaufgaben an menschliche und robotische Akteure ermöglicht (Sektion 4.3). In einer intuitiven Benutzerschnittstelle kann dies situativ individuell beeinflusst werden (Sektion 4.4). Aufbauend darauf wird aktuell ein technischer Konzeptdemonstrator entwickelt, der die verschiedenen Komponenten des Assistenzsystems integrieren und veranschaulichen soll. Abschließend folgt eine Zusammenfassung und ein Ausblick auf das weitere Vorgehen und weiterführende Forschungsfragen (Sektion 5).

2 Forschungsstand

Kollaborationsfähige Robotersysteme sind eine Schlüsseltechnologie der flexiblen intelligenten Fertigung (Hermann et al. 2016), die im Sinne einer „komplementären Automatisierung“ (Huchler 2022; Grote et al. 2000) zu einer eng verzahnten und potentialorientierten Zusammenarbeit zwischen Menschen und Robotersystemen führen kann, aber auch zur Substitution von Arbeit bzw. Vollautomatisierung genutzt wird. Auch wenn die Notwendigkeit von Arbeit und Erfahrung vor Ort bei der Einführung kollaborativer Robotik im Sinne einer Rationalisierung durch die Produktivitätssteigerung vorhandener Arbeit (Huchler 2022) mit bedacht wird, handelt es sich dennoch um eine Teilautomatisierung und damit auch um eine Neuorganisation der Tätigkeitszuschneidungen zwischen Mensch und Maschine. Dies geht mit einem beschleunigten Tätigkeitswandel einher. In der Praxis laufen neuere Assistenzsysteme für die Montage Gefahr, gerade die kognitiv anspruchsvolleren, planerischen Tätigkeiten zu übernehmen und auch den Handlungsraum für die manuellen Arbeitsprozesse einzuengen (Taylorisierung). In der Folge droht die Teilautomatisierung nicht nur den gesamten Automatisierungsgrad zu erhöhen, sondern auch Beschäftigte systematisch zu dequalifizieren. Auf der anderen Seite wird dabei das betriebliche soziotechnische Gesamtarrangement rund um den Technikeinsatz oftmals komplexer, wie das nachfolgende Beispiel zeigt. Das heißt, dass sich der Tätigkeitswandel auf einer breiteren Stufe fortsetzt, die es neu zu gestalten gilt. Entsprechend befähigte Beschäftigte könnten hier neue Aufgaben übernehmen, die dann oftmals höher qualifiziert, komplexer und abstrakter sind, wie z. B. zu überwachen, zu koordinieren, zu steuern und flexibel auf unvorhergesehene und unplanbare Situationen zu reagieren. Denn gerade hier ist entsprechend ermächtigte und mit Handlungsautonomie ausgestattete menschliche Arbeit gefordert (Wall et al. 2002; Böhle und Busch 2012; Heinlein und Huchler 2021). Dies stellt jedoch enorme Anforderungen an Qualifizierung, Weiterbildung und Lernen. Zugleich zeigt sich auch, dass konkrete Umsetzungen von Assistenzsystemen in der Montage die Arbeit zwar verändern, jedoch nicht grundsätzlich transformieren und viele Arbeitsanteile bestehen bleiben (Kuhlmann et al. 2018). Insbesondere auf das gegenstandsorientierte Erfahrungswissen (Böhle 2017) vor Ort kann oft trotz neuer Technologien nicht verzichtet werden (Seegers und Ehmann 2021; Pfeiffer 2007).

Eine zentrale Herausforderung und oftmals auch Grenze digitaler Lösungen ist die Abbildbarkeit einer komplexen sozialen Praxis in abstrakten Modellierungen bzw. die Übersetzung in die Welt der Zahlen und Daten (Schmiede 2006). Gerade dies legt für komplexe Prozesse hybride, soziotechnische Lösungen nahe, die Daten, Informationen und menschliches (Erfahrungs‑)Wissen (ebd.) zusammenbringen. Für das hier vorgestellte Assistenzsystem für die technisch unterstützte Aufgabenzuteilung zwischen Mensch und Roboter bedeutet das, zum einen, die Grenzen der Modellierung schon bei der Entwicklung mitzudenken, und zum andern, die Unterschiede zwischen Mensch und Roboter in ein möglichst produktives Verhältnis zu setzen. Dennoch muss zunächst überlegt werden, wie die relevanten Kriterien für die technische Lösung operationalisiert werden können. Insgesamt befassen sich Ansätze für (kollaborative) Robotersysteme in der Regel noch nicht mit der Modellierung einer humanorientierten Arbeitszuteilung, wie ein Blick in den entsprechenden Forschungsstand zeigt: In (Perzylo et al. 2020) wird ein wissensbasierter Engineering-Ansatz vorgestellt, der Fertigkeitsmodelle für die Erstellung und Ausführung von Roboterprogrammen in der Kleinserienfertigung verwendet, aber dabei keine menschlichen Akteure berücksichtigt. In (Perzylo et al. 2016) werden semantische Prozessmodelle mit intuitiven Benutzeroberflächen kombiniert, um die Roboterprogrammierung ohne umfangreiche Schulungen zu erleichtern. Eine weitere intuitive Nutzerschnittstelle zur Roboterinstruktion auf Aufgabenebene wurde in (Steinmetz et al. 2018) und (Steinmetz et al. 2019) vorgestellt und empirisch validiert, wobei jedoch bislang weder Humanisierungsaspekte noch Lernförderlichkeit berücksichtigt werden. In (Höcherl et al. 2017) werden zwar verschiedene technische und humanisierende Kriterien zur Aufgabenzuteilung beschrieben, jedoch nicht messbar definiert. Umgekehrt stellen (Dubey und Gunasekaran 2015) auf Basis einer Literaturrecherche ein Rahmenwerk für die agile Fertigung vor, welches das Empowerment der Arbeitskräfte im Allgemeinen umfasst und dabei zwar Roboter-Arbeiter-Plattformen erwähnt, aber nicht mit Aspekten des Empowerments in Verbindung bringt. In (Tsarouchi et al. 2017) werden die Ressourceneignung und -verfügbarkeit, d. h. ob ein Mensch oder Roboter eine Aufgabe ausführen kann bzw. freie Kapazitäten hat, sowie die Ausführungszeiten zur Aufgabenzuteilung herangezogen. In (Michalos et al. 2018) wird die Aufgabenzuteilung zusammen mit dem Arbeitszellendesign auf Basis von Ergonomiekriterien betrachtet. Ergonomiekriterien spielen auch in (Dianatfar et al. 2019) eine Rolle zusammen mit der Aufgabenkomplexität, der Nutzlast und der Wiederholbarkeit von Aufgaben. Charalambous et al. (2017) empfehlen die Erstellung von Plänen zum Empowerment der Nutzenden für die Implementierung industrieller Mensch-Roboter-Kollaboration, die den Grad der Kontrolle des bedienenden Personals über das Robotersystem angeben. Dies soll ihnen dabei helfen, das System besser zu verstehen und im Umgang mit komplexen automatisierten Systemen bei Fehlern oder anderen Abweichungen Entscheidungen zu treffen. Hierauf kann zwar aufgebaut werden, jedoch fehlen insgesamt übertragbare Operationalisierungen hinsichtlich sowohl der betrieblichen Ziel- bzw. Leistungsdaten als auch der Kriterien von Lernförderlichkeit. Der hier vorgestellte Lösungsansatz baut auf den Ergebnissen in (Huchler et al. 2021) auf und kombiniert wissensbasierte Robotersysteme, intuitive Benutzeroberflächen sowie Aspekte der Humanisierung und Lernförderlichkeit für die flexible Fertigung.

3 Empirie: Fallbeispiel Schaltschrankbau

Um das Vorhaben, ein Konzept für ein lernförderliches Assistenzsystem in der robotergestützten Montage zu entwickeln und zu erproben und empirisch zu unterfüttern, wird seit 2020 ein mittelständisches Unternehmen im deutschsprachigen Raum bei der Entwicklung eines kollaborativen Robotersystems begleitet. Bei der Beforschung des Falls wurden partizipative und qualitative Forschungsmethoden verwendet, Interviews mit Ingenieuren geführt und der kollaborative Roboter im Labor beobachtet. Demnächst wird auch der Einführungsprozess bei einem intensiv eingebundenen Kundenunternehmen begleitet, um die Erwartungen an den kollaborativen Roboter nicht nur mit der entwicklungstechnischen Realisierung, sondern auch mit dem Praxiseinsatz abgleichen zu können.

Konkret geht es bei der Entwicklung des kollaborativen Robotersystems bei dem Beispielunternehmen darum, dass der Prozess der Verdrahtung einer Montageplatte im Schaltschrankbau, der derzeit manuell erfolgt, automatisiert werden soll. Schaltschränke können eine Steuer- und Schaltfunktion einnehmen sowie in Energie- und Verteilungsanlagen verwendet werden. Sie werden auch in absehbarer Zukunft weiterhin überall dort eingesetzt werden, wo Ströme fließen, die zielgerichtet zu- oder abgeschaltet werden müssen. Die Entwicklung des kollaborativen Robotersystems zur Unterstützung des Verdrahtungsprozesses wird mehrfach begründet: als Kompetenzaneignung für neue Technologien und als Erhöhung der Attraktivität für Kunden und Kundinnen und Arbeitskräfte, aber auch als Reaktion auf den Fachkräftemangel, Preisdruck in Hochlohnländern sowie als Schritt zur flexiblen Vollautomatisierung. Bislang ist das Unternehmen auf technisch ausgebildete Beschäftigte angewiesen, z. B. da der Stromlaufplan als aktuell einzige Fertigungsunterlage nicht ohne Weiteres von angelernten Kräften gelesen werden kann.

Der Verdrahtungsprozess ist komplex und der Umgang mit biegeschlaffen Teilen, wie etwa Kabeln und Drähten, stellt eine Automatisierungshürde dar (siehe Abb. 1). Die Verdrahtung kann aufgrund der benötigten Feinfühligkeit bei der Handhabung der beweglichen Kabel und den Problemen bei der visuellen Perzeption der Montageszene derzeit nicht oder nur schwierig operationalisiert und technisch gelöst werden. Hinzu kommt die hohe Varianz bzw. die geringe Losgröße der Montageplatte – oftmals Stückzahl 1. Deshalb ist eine vollständige Automatisierung der Verdrahtung – trotz diverser Versuche verschiedener Unternehmen – derzeit nicht möglich. Der Mensch bleibt aufgrund seiner besonderen Fähigkeiten und Fertigkeiten, seines Fingerspitzengefühls und seines Erfahrungswissens erforderlich. Nach zahlreichen Versuchen der Vollautomatisierung wird bei der Entwicklung zunehmend der konkrete Arbeitsprozess mit den beteiligten Beschäftigten zusammengedacht, um ein neues Arbeitsarrangement zwischen Mensch und Roboter zu erarbeiten und zugleich den Automatisierungsanteil des Prozesses zu erhöhen. Der Mensch soll beispielsweise ungehindert und ohne Schutzzaun in den Verdrahtungsprozess eingreifen können, um etwa Fehler zu beheben und Ordnung auf der Montageplatte zu schaffen. Die Arbeitstätigkeit soll sich für den Menschen verändern, ihm aber nicht weggenommen werden. So wird ihm beispielsweise auch eine Koordinationsverantwortung für mehrere parallellaufende kollaborative Roboter zugesprochen. Dabei sollen jedoch eine Mehrbelastung und Überforderung vermieden werden. Der kollaborative Roboter kann nur in Teilen eigenständig arbeiten. Er ist auf den Menschen angewiesen. Ein besonderer Schwerpunkt wird auf die Sicherheit der Beschäftigten gelegt, die sich teilweise, aber nicht ausschließlich durch Normierungen und Gesetze begründet: So ist beispielsweise ein besonderer Fokus die Spitze des kollaborativen Roboters, die Kabel fassen und führen kann. Schlussendlich soll der kollaborative Roboter sowohl den Beschäftigten, die die Anlage bedienen, als auch dem Unternehmen einen Mehrwert bieten: Zum einen soll die Tätigkeit der Verdrahtung durch (1) Monotonieabbau, (2) eine geringere Lärm- und Schmutzbelastung, (3) die Möglichkeit mit moderner Technologie zu arbeiten und (4) den potenziellen Erwerb neuer Kompetenzen an Attraktivität gewinnen. Zum anderen soll die Technikakzeptanz mit Hilfe einer intuitiven Bedienung gefördert werden. Unternehmen sollen mit dem kollaborativen Robotersystem in die Lage versetzt werden, größere Aufträge annehmen und im globalen Wettbewerb bestehen zu können.

Abb. 1
figure 1

Anwendungsbeispiel aus dem Schaltschrankbau: Relevante Tätigkeiten beinhalten unter anderem die Bestückung und Verdrahtung von Systemkomponenten auf einer Montageplatte (hier bereits in einem Gehäuse verbaut)

Die bisher meist klare Trennung zwischen den Aufgabenbereichen von Robotern (einfache, sich oft wiederholende Aufgaben) und Menschen (komplexe und filigrane Tätigkeiten) verschwimmt mit dem Einsatz des kollaborativen Robotersystems, das eine nahe Zusammenarbeit mit Menschen ermöglicht. Das Robotersystem übernimmt auch kognitiv anspruchsvollere Aufgaben, da die Fertigungspläne auf Basis überarbeiteter CAD-Zeichnungen nun in digitaler Form vorliegen und hieraus der komplette Verdrahtungsprozess schrittweise abgebildet werden kann. Auf der anderen Seite entstehen neue Unwägbarkeiten (z. B. Hängenbleiben des Roboters) und auch vermeintlich einfache Prozessschritte wie das Arrangieren vieler Kabel in einem Kabelschacht bleiben technisch ungelöst. Aber es ist nicht nur eine Frage, wie das, was der Roboter besonders gut kann, optimal mit dem zusammengebracht wird, was (bislang) nur die Beschäftigten können. Auch im Bereich der Überschneidung der jeweiligen Fähigkeiten entsteht eine neue Aushandlungs- bzw. Gestaltungszone (siehe Erläuterung zu Mixed-Skill-Zone in Sektion 4.3). Denn sowohl der Fertigungsprozess als auch die Beschäftigten könnten davon profitieren, dass Menschen und Roboter in der Lage sind, die gleichen Teilaufgaben zu übernehmen. Diese Überschneidung eröffnet auch ein Potenzial für eine humanorientierte Arbeitsgestaltung – z. B. für die Lernförderlichkeit. Wie kann also die Arbeit mit einem kollaborativen Robotersystem so gestaltet werden, dass ein Lernen im Arbeitsprozess gezielt gefördert wird?

4 Konzept eines soziotechnischen Assistenzsystems

Das Fallbeispiel des kollaborativen Robotersystems zur teilautomatisierten Verdrahtung von Montageplatten im Schaltschrankbau (Sektion 3) dient als Vergleichsfolie für die praxisnahe Entwicklung des Assistenzsystems zur hybriden Organisation von Montageprozessen (siehe Abb. 2 und 3) mit Fokus auf die Lernförderlichkeit. Dabei orientiert sich die Gestaltung an empirischen Erkenntnissen der Arbeitswissenschaften zur lernförderlichen Arbeitsgestaltung, die (Elsholz 2019) für die Berufspädagogik zusammengeführt hat. Dabei kommt es auf die konkrete Ausgestaltung der Mensch-Maschine-Interaktion und des neuen Gesamtarrangements am konkreten Arbeitsplatz an – mit ständig angepassten neuen Lösungen. Denn „[b]ei der Gestaltung lernförderlicher Arbeit handelt es sich nicht um eine punktuelle Maßnahme, sondern um einen andauernden Prozess. Die […] Dimensionen dienen dabei der Orientierung beim Streben nach diesem nie vollständig zu erreichenden Ideal“ (Elsholz 2019, S. 378). Die Prozesshaftigkeit einer lernförderlichen Arbeitsgestaltung zeigt sich auch in dem hier präsentierten Lösungsansatz: Es geht nicht nur darum, einmalig ein Assistenzsystem zu entwickeln und zu implementieren. Vielmehr sollen Stellschrauben und Ansätze identifiziert und beispielhaft umgesetzt werden, die ein niedrigschwelliges Lernen im Arbeitsprozess ermöglichen – also ohne diesen zu unterbrechen, ohne merkliche zusätzliche Belastung etc. Dies stellt hohe Anforderungen an eine entsprechende Arbeits- und Technikgestaltung und zielt vor allem auf den Kompetenzerwerb über das Erfahrungsmachen am Gegenstand (Huchler et al. 2022). Zugespitzt kann dies damit auf den Punkt gebracht werden, dass der lernförderliche Arbeitsprozess oder gar der Lernprozess selbst als Flow wahrgenommen wird, den Folgendes ausmacht: „The conditions for entering flow include: perceived challenges, or opportunities for action, that stretch but do not overmatch existing skills; clear proximal goals and immediate feedback about the progress being made“ (Nakamura und Csikszentmihalyi 2012).

Abb. 2
figure 2

Von den Kriterien einer lern- und kompetenzförderlichen Arbeitsgestaltung (angelehnt an Elsholz 2019) hin zur Entwicklung eines lernförderlichen soziotechnischen Assistenzsystems

Abb. 3
figure 3

Konzeptdemonstrator des soziotechnischen Assistenzsystems. Er besteht aus (1) einem kollaborativen Roboter, (2) einer ontologiebasierten Zuweisungsautomatisierung und (3) einer grafischen Mensch-Maschine-Schnittstelle, die es erlaubt, Zuweisungen individuell anzupassen

Eine Voraussetzung ist es, dass das Assistenzsystem in der Praxis angenommen wird. Hierfür muss es sowohl für den Betrieb als auch für die Beschäftigten einen Mehrwert bieten. Weiterhin kann das Lernen durch eine entsprechende Unternehmens- und Führungskultur unterstützt werden; z. B. in Bezug auf die Förderung von Innovationen auf dem Shopfloor und eine vertrauenswürdige Management- und Fehlerkultur. Nicht zuletzt bedarf es auch einer individuellen Haltung, Herausforderungen anzunehmen und mögliche Fehler als Lerngelegenheiten zu verstehen (Brown et al. 2014). Hierfür braucht es auch den Raum für individuell ausgestaltete Aneignungsprozesse von neuen Technologien, die im Arbeitsalltag auch anders ausfallen könnten, als im Vorfeld erwartet wurde (Stevens und Pipek 2018).

Nachfolgend werden Kriterien für eine lernförderliche Gestaltung des roboterbasierten Assistenzsystems zusammengeführt und systematisiert, um diese anschließend für die technische Modellierung zugänglich zu machen. Dies setzt eine notwendige Reduktion und Abstrahierung voraus.

4.1 Anforderungen an ein lernförderliches Assistenzsystem

In Tab. 1 werden geeignete Kriterien einer lern- und kompetenzförderlichen Arbeitsgestaltung (Elsholz 2019) auf den Anwendungsgegenstand übertragen. Anschließend werden diese in das Konzept des Mixed-Skill-Values (Sektion 4.3) für die Bewertung von möglichen Arbeitszuweisungen integriert.

Tab. 1 Umsetzungsansätze für verschiedene Dimensionen der lern- und kompetenzförderlichen Arbeit in Anlehnung an (Elsholz 2019)

4.2 Formale Modellierung von Wissen

Der hier vorgestellte Lösungsansatz beinhaltet die semantische Beschreibung und Vernetzung der in Sektion 4.1 genannten Umsetzungsansätze für die verschiedenen Dimensionen einer lern- und kompetenzförderlichen Arbeit in einem menschen- und maschinenlesbaren Format, das dem Assistenzsystem als Informationsgrundlage dienen soll. Dazu gehört eine einheitliche Modellierung der Kompetenzen von Menschen und Robotern sowie relevanter Kontextinformationen zu Produkt, Herstellungsprozess und involvierten Ressourcen. So können Informationen aus heterogenen Datenquellen entlang der Wertschöpfungskette integriert und interpretiert werden, um beispielsweise eine Zuweisung von einzelnen Montage- und Verdrahtungstätigkeiten im Schaltschrankbau und einen nahtlosen Wechsel zwischen menschlichen und robotischen Akteuren zu ermöglichen. Die formale Modellierung soll dem kollaborativen Robotersystem so einerseits das notwendige Wissen liefern, z. B. für die Kommunikation mit Menschen (Sektion 4.4), und ihm andererseits ermöglichen, sich an den aktuellen Produktionsablauf anpassen und auf Menschen reagieren zu können.

Für die technische Umsetzung wird der wissensbasierte Digital-Engineering-Ansatz aus (Perzylo et al. 2020) verwendet und erweitert, der auf Technologien und Standards des Semantic Webs beruht. Ziel des Semantic Webs ist es, Daten und Informationen im Internet, die nahezu ausschließlich in natürlichsprachiger Form vorliegen, maschinenlesbar und für technische Systeme eindeutig verständlich zu machen. Hierbei kann für die Repräsentation von Wissen auf die Web Ontology LanguageFootnote 1 (OWL) zurückgegriffen werden, die unter anderem logische Schlussfolgerungen zur Konsistenzüberprüfung und zur Inferenz von aggregiertem Wissen aus den explizit modellierten Fakten ermöglicht. Die Abfrage und Veränderung des modellierten Wissens kann über Abfragesprachen, wie z. B. die SPARQL Protocol and RDF Query LanguageFootnote 2 (SPARQL), realisiert werden. Die Modellierung relevanter Konzepte erfolgt in OWL in Form von Ontologien, welche in der Informatik als „formal, explicit specification of a shared conceptualization that is characterized by high semantic expressiveness required for increased complexity“ (Feilmayr und Wöß 2016) verstanden werden. Sie zeichnen sich unter anderem durch Taxonomien von Klassen und Beziehungstypen aus, die für konkrete Modelle instanziiert werden.

Basierend auf der formalen Modellierung in den OWL-Ontologien kann das Assistenzsystem die Fähigkeiten von menschlichen und robotischen Akteuren mit den Anforderungen der Aufgaben in einem Herstellungsprozess abgleichen (Weser et al. 2020) und diese dann den jeweiligen Akteuren zuweisen. Falls für eine Aufgabe mehrere Akteure möglich sind, kann die Zuweisung nach unterschiedlichen Kriterien priorisiert werden. Hierbei kann der Mixed-Skill-Value (Sektion 4.3) ein Einflussfaktor sein. In der Mensch-Maschine-Schnittstelle (Sektion 4.4) können Zuweisungen bei Bedarf überprüft und geändert werden. Während bei der Aufgabenzuweisung die Fähigkeiten eines Roboters feingranular und technisch beschrieben werden müssen, können die Fähigkeiten eines Menschen auf einer abstrakteren Ebene erfasst werden, z. B. im Hinblick auf ergonomische Best Practices oder erworbene Kompetenzen, welche z. B. in der semantischen ESCO-KlassifikationFootnote 3 zu finden sind. Bei den European Skills, Competences, Qualifications and Occupations (ESCO) handelt es sich um eine mehrsprachige europäische Klassifikation für Fähigkeiten, Kompetenzen, Qualifikationen und Berufe, welche unter anderem im Europass-Lebenslauf verwendet wird. Im Sinne des Semantic Webs wurde ihre Struktur als Ontologie modelliert und veröffentlichtFootnote 4, was eine Verknüpfung von ESCO-Konzepten mit anderen Wissensquellen ermöglicht.

Die in Abb. 4 gezeigte semantische Prozessbeschreibung (SpecificProcess-1) besteht aus einer Abfolge von Arbeitsaufgaben, die damit beginnt, dass der Roboter sich in eine sichere Ausgangsposition bewegt. Danach wechselt er zum aktuell benötigten Werkzeug (einem Parallelgreifer), platziert zwei Reihenklemmen auf einer Hutschiene auf der Montageplatte eines Schaltschranks, legt das Werkzeug wieder ab und fährt schließlich in die Ausgangsposition zurück.

Abb. 4
figure 4

Visualisierung eines vereinfachten Beispiels für eine hierarchisch aufgebaute semantische Prozessbeschreibung. Kästchen mit lila Rauten und die verbindenden Pfeile stellen Instanzen von OWL-Klassen bzw. ihrer Beziehungen dar

Abb. 5 veranschaulicht, dass Aufgabenbeschreibungen von Menschen und Robotern dieselben Parameter beinhalten bzw. auf dieselben Objektrepräsentationen in den Ontologien verweisen können, wie z. B. das aufzuhebende Objekt (eine bestimmte Reihenklemme), das Zielobjekt (eine bestimmte Hutschiene) und die relative Zielposition (auf der Hutschiene). Bei der Zuteilung kann die Prozessbeschreibung auch automatisch an die jeweiligen Bedürfnisse der Akteure angepasst werden (Huchler et al. 2021). So können erfahrene Beschäftigte kurz und knapp instruiert werden, dass eine Reihenklemme aufgehoben und an einer bestimmten Position platziert werden soll, wohingegen ein Roboter sehr detailliert angeleitet werden muss, welche Bewegungen zu welchen Koordinaten auszuführen sind. Daher fügt das System für den Roboter automatisch die in Abb. 4 gezeigte Sequenz aus rot umrandeten Unteraufgaben (Armbewegungen, Greifer öffnen, Greifer schließen etc.) mit der entsprechenden Parametrisierung für die aktuelle Produktvariante hinzu. Menschliche Akteure hingegen benötigen wesentlich weniger kleinteilige Aufgabenbeschreibungen, weshalb das System eine abstraktere Aufgabenspezifikation verwenden sowie die in Abb. 4 grün umrandeten Aufgaben (Arm in Ausgangsposition bewegen, Werkzeug aufheben etc.) überspringen kann.

Abb. 5
figure 5

Visualisierung eines Beispiels für die Parametrisierung einer semantischen Aufgabenbeschreibung (Huchler et al. 2021). Aufgaben können menschlichen oder robotischen Akteuren zugeordnet werden, wobei dieselben Parameter Verwendung finden. Kästchen mit gelben Kreisen stehen für Klassen und Kästchen mit lila Rauten für Instanzen von Klassen

4.3 Mixed-Skill-Value

Wie im empirischen Fallbeispiel aufgeführt (Sektion 3), ist der Verdrahtungsprozess von Schaltschränken komplex und lässt sich nicht vollständig automatisieren. Teile des Prozesses, wie z. B. das Aufstecken von Reihenklemmen auf einer Hutschiene, können jedoch ohne Probleme von einem Roboter durchgeführt werden. Bei der Betrachtung des gesamten Prozesses lassen sich die einzelnen Aufgaben mit Hilfe der formalen Beschreibungen der Fähigkeiten des entsprechenden Robotersystems und der bei der Montage beteiligten Menschen in zwei Kategorien einteilen: Zum einen gibt es Aufgaben, die aufgrund ihrer Komplexität und der benötigten Fingerfertigkeit nur von Menschen bewältigt werden können. Zum anderen gibt es Aufgaben, die sowohl von Menschen als auch vom Robotersystem durchgeführt werden können. Letztere Kategorie kann als Mixed-Skill-Zone beschrieben werden.

Um innerhalb dieser Zone Handlungsspielräume und Entwicklungsmöglichkeiten für den Menschen (siehe Sektion 4.1) zu schaffen, ist es notwendig, dass das roboterbasierte Assistenzsystem nicht nur automatisiert bewerten kann, welcher Akteur für eine Arbeitsaufgabe grundsätzlich in Frage kommt, sondern auch dahingehend ausgerichtet wird, weitergehende Kriterien zu berücksichtigen, wie z. B. die Lernförderlichkeit. Zudem muss es in der Nutzung durch die Beschäftigten interaktiv und individuell beeinflussbar sein, was im Abschn. 4.4 näher beschrieben wird. Bezogen auf den Anwendungsfall des Schaltschrankbaus sind Beispiele für solche Zuweisungen „Wer verlegt Kabel X?“ oder „Wer verschraubt/klemmt Kabel Y?“. Die solch einer Zuweisung zugrundeliegende Bewertung wird durch den Mixed-Skill-Value (MSV) ausgedrückt.

Die Herausforderung besteht hier unter anderem darin, die verschiedenen möglichen Kriterien für den Mixed-Skill-Value als sogenannte Mixed-Skill-Kriterien zu operationalisieren. Beispiele hierfür sind die Ausführungsdauer („Wie lange wird für das Verdrahten benötigt?“), die Fehlerquote („Wie häufig wird ein Kabel falsch verdrahtet?“) und die Ergonomie. Während etwa die Dauer einer Aufgabe häufig gut geschätzt werden kann und auch eine Fehlerquote über die Zeit ermittelt werden kann, ist die Ergonomie schwieriger zu bestimmen, jedoch auch über Simulationen ermittelbar (Fritzsche 2010). Ziel soll es jedoch auch sein, operationalisierbare Humanisierungs- und Lernförderlichkeitskriterien bereits in den Mixed-Skill-Value zu integrieren. Um z. B. eine regelmäßige Problem- und Komplexitätserfahrung (siehe Sektion 4.1) zu ermöglichen, könnten etwa für den Aufbau und Erhalt von Erfahrungswissen wichtige Tätigkeiten identifiziert und in einer gewissen Regelmäßigkeit von menschlichen Akteuren durchgeführt werden.

Im Folgenden wird eine prototypische Umsetzung eines solchen Mixed-Skill-Value-Konzepts vorgestellt. Wichtige Komponenten sind dabei eine Erweiterung der Ontologien (siehe Sektion 4.2), um die Mixed-Skill-Kriterien zu modellieren, und der Entscheidungsalgorithmus, der für eine gegebene Aufgabe diese Kriterien auswertet.

Die Mixed-Skill-Ontologie erweitert die bestehenden Ontologien um Konzepte und Eigenschaften, um mit ihnen Prozesse, Aufgaben und Fertigkeiten auf verschiedenen Ebenen der Granularität mit auswertbaren Größen anreichern zu können. Ein Kriterium setzt dabei immer eine Aufgabe und einen Akteur in Beziehung. Für ein solches Paar lässt sich dann eine Größe hinterlegen. So könnte beispielsweise für eine erfahrene Person und einen Kabelsteckvorgang eine konkrete Ausführungszeit angegeben werden. Kriterien, die z. B. auf Problem- und Komplexitätserfahrung im Sinne der Lernförderlichkeit abzielen, lassen sich dabei ebenfalls in die Ontologie aufnehmen. Dafür können beispielsweise die Fehlerquote mit der Häufigkeit, wie oft eine Aufgabe ausgeführt wurde, kombiniert werden, um komplexere Aufgaben nach einer gewissen Anzahl von Ausführungen abzuwechseln.

Diese Informationen können von einem Entscheidungsalgorithmus ausgewertet werden, welcher in die Mensch-Maschine-Schnittstelle integriert wird (siehe Sektion 4.4). Typischerweise wird eine Aufgabenzuweisung in der Benutzerschnittstelle ausgelöst. Wenn ein Mensch eine Aufgabe über diese Schnittstelle zur Bearbeitung gibt, wertet der Entscheidungsalgorithmus aus, wie die Aufgabe unterteilt und welche Teile unter Berücksichtigung des Mixed-Skill-Values an welchen Akteur vergeben werden könnten. Dies wird als Vorschlag an den Menschen gemeldet, der dann Anpassungen vornehmen kann (siehe Abb. 7). Abb. 6 stellt das Zusammenspiel von Mensch-Maschine-Schnittstelle, Entscheidungsalgorithmus und Ontologie schematisch dar.

Abb. 6
figure 6

Darstellung einer Aufgabenzuteilung in der Mensch-Maschine-Schnittstelle basierend auf dem Entscheidungsalgorithmus, der die enthaltenen Unteraufgaben eines Herstellungsprozesses, das in Ontologien formalisierte Kontextwissen und den Mixed Skill Value berücksichtigt

Abb. 7
figure 7

Darstellung einer Mensch-Maschine-Schnittstelle, in welcher der Mixed-Skill-Value anhand gegebener Kriterien über Schieberegler gewichtet werden kann, um so die passende Arbeitszellenkonfiguration zu finden

4.4 Mensch-Maschine-Schnittstelle (MMS)

Die Mensch-Maschine-Kommunikation benötigt Schnittstellen zwischen den Akteuren, um z. B. Informationen untereinander auszutauschen oder anzupassen. Solche Schnittstellen sind in der Regel grafische Benutzeroberflächen für die Ein- und Ausgabe. Je nach Präferenz der Nutzer und Nutzerinnen können aber auch andere Eingabemodalitäten verwendet werden, wie z. B. natürliche Sprache oder Hand- und Körpergesten. Auch alternative Ausgabemodalitäten wie Augmented Reality oder akustische Signale können von Vorteil sein.

In dem hier vorgestellten Lösungsansatz für ein soziotechnisches Assistenzsystem wird eine grafische Benutzeroberfläche implementiert, die Aspekte des arbeitsimmanenten Lernens berücksichtigen soll (siehe Sektion 4.1). Da die Benutzeroberfläche ein zentraler Baustein der Mensch-Maschine-Interaktion ist, wird bei ihrer Ausgestaltung großer Wert auf die Benutzerfreundlichkeit (International Organization for Standardization 2018) gelegt. Darüber hinaus fließen Erkenntnisse zur Ergonomie von Interaktionsprinzipien (International Organization for Standardization 2020) und visuellen Präsentation von Informationen (International Organization for Standardization 2017) ein.

Aufbauend auf den Kriterien, die bereits im Mixed-Skill-Value berücksichtigt werden (siehe Sektion 4.3), gehören hierzu z. B. die gezielte Anzeige von Kontextinformationen im Sinne der Vermittlung eines ganzheitlichen Verständnisses der Arbeitsaufgaben oder Interaktions- und Anpassungsmöglichkeiten, die die Handlungsspielräume erweitern. Diese beinhalten ein gewisses Maß an zeitlicher (Geschwindigkeit, Pausen etc.) und inhaltlicher Selbstbestimmung (Reihenfolge von Arbeitsaufträgen, finale Zuweisung von Tätigkeiten).

Um den Aspekt der Ganzheitlichkeit abzubilden, sollen den Benutzern und Benutzerinnen Informationen über Aufgaben und deren Kontext, vor- und nachgelagerte Prozesse, Ziele und Bewertungskriterien sowie Ressourcen und Produktionsumgebung angezeigt werden. Hinzu kommen aggregierte Betriebswerte des kollaborativen Arbeitens von Mensch und Roboter, um selbst Strategien eines besseren Zusammenwirkens entwickeln zu können. Auf diese Weise wird relevantes Wissen bereitgestellt, um Aufgaben je nach Bedarf Akteuren mittels „Drag-and-Drop“-Operationen in der MMS zuweisen zu können. Die als Teil des vorgestellten Konzepts entwickelten Ontologien (Sektion 4.2) ermöglichen die dafür benötigte situative Flexibilität. Um eine Grundlage für informierte Entscheidungen zu schaffen könnten über Gewichtungen die individuellen Prioritäten für einzelne Kriterien angepasst werden, um so eine personalisierte Zuweisungsempfehlung zu erhalten. Abb. 7 zeigt, wie eine entsprechende Mensch-Maschine-Schnittstelle (MMS) aussehen kann.

Die entwickelten MMS-Designs, die auf Basis der zuvor eingeführten Prinzipien erstellt wurden, können in ein Human Factory Interface (Mensch-Fabrik-Schnittstelle) eingebettet werden, das die Bedienung mehrerer Arbeitsstationen innerhalb einer Fabrik ermöglichen soll (Schäfer et al. 2021).

5 Ausblick

In diesem Beitrag wurde auf die zunehmende Relevanz hingewiesen, Lernförderlichkeit bereits bei der Arbeits- und Technikgestaltung zu berücksichtigen. Beschäftigte und Unternehmen sollen so mit dem beschleunigten technikinduzierten Wandel schritthalten können. Ausgehend von einer Fallstudie zur Schaltschrankverdrahtung (Sektion 3) haben wir die Kriterien lernförderlicher Arbeit (Sektion 4.1) genutzt, um ein soziotechnisches Assistenzsystem zu entwerfen, das ein Mixed-Skill-Konzept, ontologische Formalisierungen und eine intuitive Benutzeroberfläche miteinander verbindet (Sektion 4.2 bis 4.4). Das Assistenzsystem zielt darauf ab, Lernen in der Mensch-Technik-Interaktion zu unterstützen: „Lernförderlichkeit by Design“.

Hintergrund ist nicht (vordringlich) eine normative Forderung, sondern eine empirisch fundierte, funktionale (ökonomisch-rationale) Begründung: Bei beschleunigten Transformationsprozessen, z. B. durch den Einsatz vernetzter Produktionssysteme und kollaborativer Robotik, wird es – insbesondere vor dem Hintergrund eines sich verschärfenden Fachkräftemangels – zunehmend notwendiger, den stetigen Tätigkeitswandel durch einen stetigen Lernprozess zu begleiten. Die Beschäftigten müssen befähigt werden, diesen Wandel durch die permanente Weiterentwicklung ihrer Kompetenzen zu meistern und mitzugestalten. Hier spielt die Lernförderlichkeit in der Mensch-Maschine-Interaktion eine zentrale Rolle (Huchler 2020).

Im untersuchten Anwendungsfall bringen die Beschäftigten, die bislang Schaltschränke komplett manuell verdrahtet haben, hohe Fachkompetenzen mit, z. B. für das Lesen der bislang sehr anspruchsvollen und abstrakten Fertigungsunterlagen (Pläne der Soll-Verdrahtung). Es gilt, diese Kompetenzen, die durch digitale Fertigungsunterlagen und detaillierte Prozessbeschreibungen potenziell unnötig werden, nicht verkümmern zu lassen, sondern aufzugreifen und zu transformieren. Die Interaktion mit dem robotischen Assistenzsystem muss so gestaltet werden, dass es bestehende fachliche und überfachliche Kompetenzen aufgreift und schrittweise mit neuen Aspekten, z. B. der Kollaborationsfähigkeit mit flexiblen, „intelligenten“ Fertigungssystemen, anreichert: Grundfunktionsweisen von Robotersystemen verstehen, mit diesen interagieren, ein Verständnis für das Zusammenwirken von Digitalem und Analogem entwickeln, sich schnell in Probleme eindenken und digitale wie manuelle Lösungen finden, relevante Informationen suchen, finden und anwenden, Überblicks- und Kontextwissen aufbauen, zunehmend koordinierend wirken etc. Kompetenzen im Umgang mit komplexen soziotechnischen Systemen sind zunehmend gefragt.

Durch eine entsprechende Arbeits- und Technikgestaltung kann deren Entwicklung bereits im Arbeitsprozess (zusätzlich zu beispielsweise Qualifizierungen, Weiterbildungen und Schulungen) gefördert werden. Nicht zuletzt dient dies der Aufrechterhaltung und dem Aufbau der betrieblichen Wissens- und Erfahrungsbasis auch auf dem Shopfloor, um Flexibilität sowie Innovations- und Transformationsfähigkeit als zentrale Wettbewerbskriterien zu fördern. Dem Assistenzsystem liegt zudem die Annahme zu Grunde, dass vor allem in komplexen, sich stetig wandelnden Umwelten Menschen und Roboter hoch flexible Kollaborationseinheiten bilden können, auch wenn sich Arbeit mit zunehmender Automatisierung stetig wandelt. Gerade hybride Arbeitssysteme, die systematisch an einem komplementären Zusammenspiel der divergenten Fähigkeiten von Mensch und Technik ausgerichtet sind (Huchler 2022), spielen für die Herausforderungen der Wertschöpfung der Zukunft (Wandlungsfähigkeit, Flexibilität, Resilienz, Innovation, Kompetenzentwicklung etc.) eine zentrale Rolle. Insofern kommt es darauf an, neue technische und methodische Hilfsmittel zu entwickeln, um diese ständig neue Tätigkeitszuschneidung zwischen Mensch und Roboter entlang von Kriterien innovativer und nachhaltiger Wertschöpfung zu organisieren. Das hier vorgestellte Konzept (inklusive Demonstrator) kann einen Beitrag zu einem lern- und entwicklungsförderlichen sowie komplementären, produktiven Zusammenspiel von Mensch und Technik leisten.

Jedoch müssen auch die Grenzen und Problematiken dieses Ansatzes systematisch in den Blick genommen werden: Das arbeitsimmanente Lernen kann und soll nicht andere Lernformen ersetzen. Zu bedenken ist auch, dass ein solches System nicht missbräuchlich implementiert und verwendet werden darf, z. B. zur kleinteiligen Tätigkeitszuweisung und Zerstückelung von Arbeit und in der Folge zur Dequalifizierung oder auch zur Leistungsüberwachung, sei es durch Vorgesetze, andere Beschäftigte oder auch durch einen subjektivierten Arbeitsdruck auf Basis eines permanenten Leistungsfeedbacks. Ebenso muss berücksichtigt werden, dass ein solches System immer auch die interaktive Konfiguration durch die Beschäftigten vor Ort zulassen muss, da ein Algorithmus nie die Komplexität der realen Arbeitspraxis vollumfänglich erfassen kann. Es gilt, nicht in die „Objektivierungsfalle“ (Huchler 2022) zu tappen, also anzunehmen, dass sich eine komplexe soziotechnische Praxis eins zu eins abbilden ließe. Zudem stellen sich viele weitere Herausforderungen, von der schrittweisen Übertragung auf immer umfänglichere und kompliziertere Arbeitszusammenhänge der tatsächlichen Arbeitspraxis bis hin zur Pflege und Aktualisierung der Datenbasis des Systems. Entsprechend bilden die hier vorgestellten Forschungsergebnisse und Umsetzungen nur einen ersten Schritt hin zu einer algorithmisch organisierten, lernförderlichen Zusammenarbeit von Mensch und Roboter.

Auch der hier vorgestellte empirische Fall der Schaltschrankverdrahtung, der als Grundlage für die Entwicklung des Konzepts eines lernförderlichen Assistenzsystems diente, wird noch weiter forschend begleitet. Auch die bei dem Unternehmen entwickelte Lösung konkretisiert sich zunehmend und tritt in die Phase der Einführung ein. In dieser Phase werden verstärkt die Erwartungen des Managements, der Ingenieure und der Beschäftigten in der Montage sowie die Anforderungen aus Gesetzen (z. B. DSGVO), Verträgen und Normen eine Rolle spielen (Luhmann 1972; Lindemann 2006). Dabei wird es auch möglich sein, die bisherigen Erwartungen, Überzeugungen und Leitbilder mit der tatsächlichen Nutzung des kollaborativen Robotersystems zu vergleichen. Mit Blick auf die konkreten Veränderungen der technisch vermittelten menschlichen Praktiken (Latour 1994) wird dabei die Implementierung der Maschine in einer Fabrik (Suchman 2007; Latour 1987) und ihre Auswirkungen auf die Lern- und Entwicklungschancen sowie Risiken der Beschäftigten noch weiter untersucht. Inwiefern wird neues Wissen erworben und inwiefern geht Wissen verloren? Wo entstehen neue Erfahrungsgelegenheiten, wo werden Erfahrungsräume geschlossen? Damit geht es letztlich auch darum, wie eine Technikimplementierung im Interesse aller Beteiligten gestaltet werden kann, um Akzeptanz und Passung bzw. Gebrauchstauglichkeit zu fördern. In dem hier als Vergleichsfolie herangezogenen Fall zeigt sich ein großes Defizit: Die eigentlichen Expertinnen und Experten und zugleich Betroffenen der Veränderung wurden nicht frühzeitig in den Entwicklungsprozess eingebunden. Auch hier soll im nächsten Schritt durch Interviews und moderierte Workshops angesetzt werden. Dabei soll auf das hier entwickelte Konzept eines lernförderlichen soziotechnischen Assistenzsystems als Ziel und Umsetzungsbeispiel zurückgegriffen werden, was auch eine erste Evaluation der Praxistauglichkeit des Konzepts darstellt.