Einleitung

Simulationen mit standardisierten Patient*innen bzw. Simulationspersonen (SPs), also praktische Ausbildungsübungen, in denen die Rolle von Patient*innen durch (Laien)-Schauspieler*innen übernommen wird, gehören in der Medizin-Lehre seit Jahren zum Ausbildungsstandard (Motola et al. 2013; Peters et al. 2019). Der Medizinethikunterricht in der curricularen Lehre sowie in der Fort- und Weiterbildung bedient sich zwar heute eines breiten methodischen und didaktischen Repertoires, das die Effektivität des Lernens in Bezug auf das Abrufen, Verstehen, kontextuelle Anwenden und Weiterentwickeln von Lerninhalten auf vielfältige Weise unterstützt. Allerdings gehören strukturierte Simulationen mit SPs (SP-Simulationen) aktuell nicht zum Ausbildungsstandard in der medizinethischen Lehre in Deutschland (Schildmann et al. 2017). Sie können aber gerade für praktische Bereiche der medizinethischen Lehre eine wirksame Unterstützung oder Ergänzung zur Erreichung der Lernziele sein. Dies lässt sich bereits gut aus den Überlegungen zur Etablierung von SP-Simulationen im medizinischen Bildungskontext herleiten. Dieser folgt zwei Impulsen: Einerseits einem Impuls aus der klinischen Praxis, critical SkillsFootnote 1 aus der direkten Patient*innenversorgung bereits im (relativ) sicheren Umfeld der Ausbildung zu trainieren. Andererseits einem Impuls aus der Bildungsforschung selbst, welche in ihren Konzepten konkrete Erfahrungen, resp. realitätsnahe Übungen im geschützten Lern-, resp. Lehrsetting als wichtiges pädagogisches Element beschreibt (Cranton 2011; Kolb 1984; Breuer 2018) Die Bedeutung und der Mehrwert strukturierter Simulationen für Lernprozesse, die Wissen, Können und Haltungen umfassen, sind heute hinreichend belegt (z. B. Taylor und Hamdy 2013). Den Erkenntnissen aus der Aviatik und Raumschifffahrt folgend, geht der Einsatz von Simulationen in der Lehre generell von der Erkenntnis aus, dass die erfolgreiche Ausführung technischer Skills ohne die gleichzeitige Übung, Festigung und konkrete Alltagsanwendung nicht-technischer Skills unmöglich ist (Bean 2019). Gerade weil die Medizinethik-Lehre nicht nur Faktenwissen vermitteln, sondern auch der Situation angemessenes moralisches Urteilsvermögen sowie die Entwicklung und Stärkung bestimmter Haltungen fördern soll (Biller-Andorno et al. 2003; Buyx et al. 2008), treffen diese grundsätzlichen Überlegungen auch für wichtige Bereiche der Medizinethik-Lehre zu, insbesondere für den praktischen Bereich, die klinische Ethik. Simulationen mit Simulationspersonen bieten die Gelegenheit, in einem „kontrollierten“ Lern- und Lehrsetting konkrete Erfahrungen zu sammeln. Sie stärken Fähigkeiten der Selbstreflexion und der reflexiven Beobachtung in einer „sicheren“ Umgebung, sind wiederholbar, ermöglichen repetitives, aktives Ausprobieren und durch die Setzung definierter Lernziele und entsprechender Beurteilungskriterien, ein messbares Outcome (Schnabel 2018). Insbesondere die konkrete Erfahrung im Simulationssetting als essentiellem Bestandteil, verbunden mit der Möglichkeit eines strukturierten Feedbacks, bildet einen idealtypischen Lernprozess ab. Simulationen in der (Medizinethik‑)Lehre können daher den Transfer von (faktischem) Wissen aus dem Bereich der Medizinethik in die praktische Anwendung und die Modellierung von Fertigkeiten und Haltungen, im Sinne eines ethischen Könnens unter möglichst realistischen Alltagsbedingungen, insbesondere für den Bereich der klinischen Ethik, unterstützen.

Zu den critical Skills, die im oben genannten ersten Sinne eines Trainings zugänglich sind, können in der klinischen Medizinethik insbesondere nicht-technische Skills, wie beispielsweise die adressatengerechte Kommunikation beim Überbringen schlechter Nachrichten oder im Kontext der partizipativen Entscheidungsfindung, der Umgang mit Interessenkonflikten oder medizinischen Fehlern, die Ausgestaltung von patient*innenzentrierten Patientenverfügungen, die interprofessionelle Kooperation oder das „Speak up“ bei beobachteter Gefährdung der Patient*innensicherheit zählen.

Das Training findet bei Simulationen in einem Lernumfeld statt, das einerseits den Lernenden Sicherheit und Revidierbarkeit in der Umsetzung des Gelernten bietet. Andererseits erhalten Lehrende, Schauspielende bzw. Simulationspersonen und Peers nach der Simulation die Möglichkeit eines personalisierten Feedbacks, das sowohl die Qualität der Ausführung der Fertigkeit aufgreifen kann, als auch – im Falle der SPs als Feedback-Gebende – das Erleben aus der Patient*innen-Perspektive umfasst. Dabei bedeutet „Sicherheit“ im Kontext von Simulation, dass – im Vergleich zum nicht-simulierten Setting – Korrekturen jederzeit möglich sind und allfällige Fehler keine direkten Zukunftsfolgen für die Betroffenen haben (Greenawalt et al. 2017; Buxton et al. 2014; zur Bedeutung des Feedbacks vgl. Hatala et al. 2014).

Für den Einsatz von Simulationspersonen in der medizinischen Ausbildung gibt es im amerikanischen und deutschen Raum Anleitungen und Standards (Cleland et al. 2009; Motola et al. 2013; Peters und Thrien 2018), deren Grundkonzepte und Qualitätskriterien für SP-Simulationen in der Medizinethik-Lehre ebenso zutreffen. Ihr Einsatz in der Medizinethik-Lehre ist aber sowohl in praktischer wie auch in normativer Hinsicht darüber hinaus voraussetzungsreich. Zu bedenken ist nicht zuletzt, dass Ethik in allen Lebensbereichen verbreitet ist und jeder Unterricht von einem gewissen gemeinsamen ethischen Verständnis und vertrauten Konzepten ausgehen muss. Gerade im Simulationssetting sollten eigene moralische Intuitionen nicht, unter der Vorstellung „intellektueller Seriosität“ eines Skripts, oder dessen vermeintlicher Hintergrundüberlegung, zum Opfer einer „falschen Technokratie“ werden, resp. einer solchen untergeordnet werden (Cowley 2005). Diesem Anspruch und der Herausforderung, dass dennoch die Vermittlung eines gewissen „ethischen Könnens“ erfolgen sollte, muss in der Entwicklung und Konzeption von Simulationen für den Unterricht im Bereich praktischer Medizinethik Rechnung getragen werden.

Der Beitrag widmet sich dem Einsatz von Simulationen mit Schauspieler*innen (Simulationspersonen) im Teilbereich klinischer Ethik der Medizinethik-Lehre und möchte Hinweise für die Entwicklung und Konzeption von Drehbüchern bzw. Rollen-Skripts für Simulationen anhand eines konkreten Beispiels geben. Es wird dabei auf die besonderen Voraussetzungen und Herausforderungen für diese Simulations-Fälle eingegangen. Abschließend reflektiert er die Vor- und Nachteile des Einsatzes von Simulationen in der Medizinethik-Lehre.

Rahmenbedingungen für Simulationen in der klinischen Ethik Lehre

Während Simulationen mit Simulationspersonen in der medizinischen Ausbildung nicht mehr weg zu denken sind, werden Simulationen in der Medizinethik-Lehre noch nicht regelhaft eingesetzt (Schildmann et al. 2017; Souza und Vaswani 2020). Es gibt ein breites Spektrum an Strategien für den Ethikunterricht in der medizinischen Ausbildung. Dazu gehören Vorlesungen, Kleingruppen-Seminare, Fallbesprechungen, der Einsatz von Filmen/Videos und Rollenspiele. Problembasiertes Lernen (PBL) und Fallbesprechungen (in Kleingruppen) sind sehr effektiv (Heidari et al. 2013; Tysinger et al. 1997). Gerade für die Lehre in klinischer Ethik kann die Kombination mit einer Simulationskomponente jedoch sehr unterstützend sein (Tritrakarn et al. 2014).

Klinische Ethik kann als eine praktische Disziplin innerhalb der Medizinethik betrachtet werden, die einen strukturierten Ansatz anbietet, um Angehörige der Gesundheitsberufe bei der Identifizierung, Analyse und Lösung von ethischen Fragen, die in der Praxis auftreten, zu unterstützen (Pellegrino 1989). Sie betrifft also den gesamten Bereich der Medizinethik, die für die Praxis des klinischen Alltags wichtig ist. Dieser klinisch-praktische Bereich der Ethikausbildung sollte darin bestehen, neben theoretischen Grundlagen eine Reihe von Fähigkeiten zur ethischen Analyse und Entscheidungsfindung zu vermitteln (Eckles et al. 2005). Zudem sollte die ethische Sensibilität der Lernenden gefördert werden, sie sollten den Unterschied zwischen technischen, resp. replizierbaren Fakten, persönlicher Meinung, sozialen Normen und beruflichen Werten kennen lernen und ethisch kritische Situationen in ihrer Komplexität und Kontingenz wahrnehmen und mit ihnen professionell und menschlich zugleich umgehen lernen (Myser et al. 1995; Eckles et al. 2005). Zu diesem Zweck lassen sich Simulationen mit Simulationspersonen sehr gewinnbringend einsetzen.

Simulationspersonen, welche in der Regel die Rolle von Patient*innen einnehmen, sind ausgebildete Schauspieler*innen oder auch Laien, die zuvor in einem umfänglichen Training auf ihre Rolle als Patient*in vorbereitet werden, d. h. sie lernen alle relevanten Aspekte ihrer Krankengeschichte (Beschwerden, Verlauf, Medikamente, soziale Faktoren etc.), um diese in unterschiedlichen Szenarien auf gleichbleibende Weise, d. h. standardisiert, wiedergeben zu können.

Zudem erfolgt in der Regel ein auf die Situation und den Zeitpunkt im Curriculum abgestimmtes Feedbacktraining, so dass die SPs am Ende den Gesprächsführenden eine Rückmeldung zu ihrem Auftreten geben können: Wie wurde die Situation aus Patient*innensicht erlebt? Wie wurden die Interaktionen erlebt, resp. wie sind die Reaktionen der Fachpersonen angekommen? Hat sich die SP verstanden gefühlt? Wurde adäquat auf emotionale Reaktionen (z. B. Weinen, Staunen, Wut, Schweigen, etc.) eingegangen? Anpassungen der medizinischen Fakten, bzw. der ethisch relevanten Inhalte, obliegen der das Szenario begleitenden Fachperson/Tutor*in. Gerade auch dieses Feedback der Fachperson ist es, welches nach Peters und Thrien die realitätsnahen Trainingsszenarien in der Simulation besonders effektiv machen (Peters und Thrien 2018). Basierend auf der sozialkognitiven Lerntheorie von Albert Bandura kann Lernen sowohl aktiv (enactive) oder stellvertretend (vicarious) erfolgen, was den Mehrwert strukturierter Feedbacks für den Lernprozess aller am Simulationsgeschehen Beteiligten erhöht, also der direkt an der Simulation beteiligten, wie auch beobachtenden Personen. Somit kann nicht nur die Effektivität, sondern auch die Effizienz von Simulation im Rahmen der medizinethischen Lehre gefördert werden.

In diesem Sinne werden SPs darauf trainiert, dass Gespräche angehalten werden können, um sich währenddessen Input bei anwesenden Lehrpersonen oder Zuschauenden zu holen, oder aber, um das Gespräch, an einem von den Beteiligten gemeinsam zu bestimmenden Punkt, anders fortzusetzen, beispielsweise mit anderen Fragen oder einer anderen Wortwahl. Diese gesteuerten Episoden sozialen Lernens machen sichtbar, wie unterschiedliche Fragen oder Antworten sowohl den Gesprächsverlauf wie auch das Gesprächsergebnis beeinflussen können. Mithilfe solcher gezielter didaktischer Interventionen wird stellvertretendes Lernen für die anwesende Gruppe verstärkt. Ebenso kann der Umgang mit in der realen Praxis schwer auszuhaltenden Situationen, wie beispielsweise Gesprächspausen, emotionalen Reaktionen des Gegenübers oder der Erfahrung eigener Hilflosigkeit trainiert werden. Durch ein „Zurückspulen“ der Situation kann ein und derselbe Inhalt mehrfach wiederholt werden und das Austauschen der gesprächsführenden Person kann entscheidende andere Impulse setzen, welche auf den Erkenntnissen aus dem bisherigen Gesprächsverlauf aufbauen, was die (ethische) Selbstwirksamkeit der Studierenden erhöhen und für die Gruppe Lernprozesse sichtbar machen kann. Dadurch werden Entscheidungen im Simulationssetting – im Gegensatz zum klinischen Alltag – prinzipiell revidierbar und aus Studierendensicht in ihrer normativen Tragweite für Betroffene besser differenzierbar, was die moralische Vorstellungskraft fördert (Fesmire 2003).

Praktische Konzeption einer Simulation für die klinische Ethiklehre

Für die Entwicklung und Konzeption eines entsprechenden Trainings-Falles mit medizinethischen Inhalten müssen neben generellen, für alle Simulationen geltenden Aspekten zusätzliche Inhalte berücksichtigt werden. Diese sind in Tab. 1 zusammengefasst. Im Folgenden soll an einem konkreten Simulations-Fallbeispiel gezeigt werden, welche Rahmenbedingungen und Faktoren für die Entwicklung eines Simulations-Falles berücksichtigt werden müssen, wie das Drehbuch konzipiert werden kann und welche Unterlagen erstellt werden sollten.

Tab. 1 Wichtige Aspekte für Planung/Entwicklung eines SP-Falles für die medizinethische Lehre. (Generelle Regeln aus dem Englischen übersetzt und adaptiert von Lewis et al. (2017), ursprünglich publiziert unter der Creative Commons Attribution 4.0 International Lizenz (http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/))

Simulations-Fallbeispiel: Zusammenfassung

Titel: Magengeschwür: Ermittlung des mutmaßlichen Willens bei komplikativem Verlauf

Zusammenfassung: Bei dem jetzt einwilligungsunfähigen, 76-jährigen Patienten S., ist es nach einer großen Operation, die aufgrund einer Magenperforation bei Magengeschwür durchgeführt wurde, zu einem langwierigen, komplikationsreichen Verlauf (Pneumonie, akutes Nierenversagen) gekommen. Im Zuge des (unerwarteten) komplikativen Geschehens, hat sich die Gesamtprognose des Patienten zunehmend verschlechtert. Herr S. hatte vor der Operation schon signalisiert, dass er langandauernden intensivmedizinischen Maßnahmen gegenüber kritisch eingestellt ist. Er hatte der Operation nur zögerlich und überwiegend unter dem Eindruck starker Schmerzen zugestimmt. Es soll daher mit der Tochter/dem Sohn besprochen werden, in welchem Ausmaß der Patient unter dem jetzt komplikativen Verlauf einer Fortführung der intensivmedizinischen Therapie zugestimmt hätte.

Die Konzeption von Simulations-Fällen sollte sich prinzipiell zunächst an vier Fragen ausrichten: Welchem Zweck dient der Fall? Welcher (berufliche) Kontext soll geschult werden? In welchem Setting (Curriculum, Modul, Fort- und Weiterbildung) wird die Simulation angeboten? Was sind dafür festgelegte curriculare Ziele (Wissen, Fertigkeiten, Haltungen) und wie sind entsprechende Abschlusskompetenzen der Absolvierenden am Ende des Trainings festgelegt? Darauf beruhend leitet sich die eigentliche Problemstellung bzw. Fertigkeit ab, die im Fokus des Falls steht.

Der generelle Unterschied zwischen Simulationen, die auf klinische, medizinische, und jenen, die auf medizinethische Inhalte ausgerichtet sind, ist, dass Letztere nicht ausschließlich auf empirisch-wissenschaftlichen Befunden basieren, sondern (darauf aufbauend) die situationsadäquate klinische Entscheidungsfindung in einen größeren Kontext stellen, der den Wertebezug medizinischen Denkens und Handelns aufzeigt. Dazu gehören nebst spezifisch ethischen, berufsethischen und persönlichen (moralischen) Werten, die im gegebenen Kontext relevant sind, auch soziale, juristische, kulturelle und religiöse Aspekte. Dieser Umstand führt dazu, dass die Entwicklung von Simulationen, die auf medizinethische Inhalte zielen, mitunter komplexer und schwieriger ist. Die konzeptionellen Inhalte und Lernziele können dabei sehr variabel und vielfältig sein. Diese Komplexität sollte bei der Konzeption einer Simulation berücksichtigt werden, ebenso wie der Aspekt, dass Studierende und Lernende durch Simulationen auf mögliche konflikthafte Situationen im beruflichen Alltag vorbereitet werden sollen und kognitive, affektive und psychomotorische Lernziele adressiert werden können (Honkavuo 2021). Es muss festgelegt werden, welche messbaren (Faktenwissen) und welche „nicht operationalisierbaren“ Ziele (moralisches Urteilsvermögen/Haltungen) adressiert werden sollen, resp. welches der konkrete Erwartungshorizont in den Domänen Wissen, Können und Haltungen in der Situation ist. Wenn das obige Fallbeispiel für die curriculare Lehre Medizinethik im Medizinstudium konzipiert wird, könnten die Lernziele beispielhaft folgendermaßen formuliert werden:

Simulations-Fallbeispiel: Lernziele

Übergreifende Lernziele

Ermittlung des mutmaßlichen Willens eines bewusstlosen Patienten mit den Angehörigen; Erkennen, dass die Gesprächsführung so gestaltet sein muss, dass es um den Willen des/der Patient/in und nicht um die Wünsche der Angehörigen geht; Erkennen, dass der mutmaßliche Wille aus konkreten Äußerungen oder Gegebenheiten ermittelt werden sollte; Finden und Einüben entsprechender Formulierungen für den Gesprächsverlauf; Erkennen, dass die/der Stellvertreter/in in das Gespräch einbezogen werden muss; angehörigenzentrierte-/adressatengerechte unterstützende und empathische Kommunikation.

Konkrete Lernziele

Wissensziele: Vertretungsrecht, mutmaßlicher Wille, ethische Bedeutung der vorausverfügten Willensbekundung, Kenntnis von Vertretungsdokumenten, Wissen darüber, dass der mutmaßliche Wille aus konkreten Äußerungen/Gegebenheiten ermittelt werden sollte, etc.

Könnensziele: Empathische, zugewandte Gesprächsführung, Prinzipien des Überbringens schlechter Nachrichten, bzw. Kommunikation bei schweren Erkrankungen (einfache, klare Kommunikation, Einbezug des Gegenübers, Toleranz von Gesprächspausen, ggf. Anstoßen eines Perspektivwechsels etc.).

Haltungsziele: Empathie, Ergebnisoffenheit, Akzeptanz des Gegenübers in der besonders vulnerablen Situation, Kongruenz (klare Kommunikation darüber, worum es geht), Allparteilichkeit etc.

Es muss festgelegt werden, welche messbaren Ziele (z. B. Erkennen, dass die/der Stellvertreter/in in das Gespräch einbezogen werden muss; Erkennen, dass der mutmaßliche Wille aus konkreten Äußerungen oder Gegebenheiten ermittelt werden sollte) und welche „nicht operationalisierbaren“ Ziele (angehörigenzentrierte-/adressatengerechte unterstützende und empathische Kommunikation, Ergebnisoffenheit etc.) adressiert werden sollen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass insbesondere nicht-technische Skills weniger leicht messbar sind und eine weite Spannbreite an möglichen Verhaltensvarianten umfassen können, auch wenn bestimmte grundlegende Aspekte festgelegt werden könnenFootnote 2. Beispielsweise im vorliegende Simulationsfall zur Kommunikationsstrategie:

Simulations-Fallbeispiel: Ziele

Die Ärztin/der Arzt sollte respektvoll sein und eine transparente Kommunikationsstrategie haben. Der Ärztin/dem Arzt sollte es gelingen, dass die Tochter/der Sohn (oder beide) ihre jeweiligen Beobachtungen, Positionen und Perspektiven einbringen und eine daraus folgende Einschätzung des mutmaßlichen Willens des Vaters abgeben können. Die Ärztin/der Arzt sollte, wenn erforderlich, einen Perspektivwechsel anzustoßen können.

Je nach Zweck, Kontext und konkretem Lernziel können die Simulationen jeweils inhaltlich und strukturell anders aufgebaut sein. So kann die Anzahl der SPs in der Simulation variieren, von einer bis hin zu mehreren Personen, beispielsweise bei Simulationen mit Eltern oder Familien. Bei interprofessionellen Fällen können auch mehrere Lernende an der Simulation teilnehmen. Zum anderen kann die Aufgabenstellung von einer (einfachen) Einzel-Simulation, über komplexe Einzelfall-Simulationen bis hin zu sequenziellen und interdisziplinären Simulationen reichen. In einer interprofessionellen Simulation ist ein Fall üblicherweise so konzipiert, dass die Lernenden in ihren interprofessionellen Rollen an der Simulation teilnehmen und eine Aufgabe lösenFootnote 3. Eine Übersicht gibt Tab. 2.

Tab. 2 Mögliche Rahmenkonzeptionen für die Konzeption von Simulations-Fällen

Der obige Simulationsfall könnte als Einzelfallsimulation mit nur einem Kind (Sohn oder Tochter), bei komplexeren Simulationen mit zwei Geschwistern, als schwierigere Variante mit divergierenden Einstellungen und/oder im interprofessionellen/interdisziplinären Setting, beispielsweise mit zwei Lernenden (Ärztin/Arzt, Pflegende), simuliert werden. Als sequentielle Fallsimulation könnte das obige Szenario so gestaltet sein, dass das initiale Gespräch mit einem Geschwister simuliert wird, das nicht vorsorgebevollmächtigt ist (1. Sequenz) und die Aufgabe der Lernenden (auch) darin besteht, zu erkennen, dass die/der Bevollmächtigte (beispielsweise das andere Geschwister) hinzugezogen werden muss. In der zweiten Sequenz wird dann entsprechend das Gespräch mit beiden Geschwistern fortgesetzt. Bei einem sequentiellen Fall ist es möglich, dass unterschiedliche Lernende derselben Beobachtungsgruppe die einzelnen Sequenzen spielen.

Im Drehbuch können auch ethisch relevante Wendungen/Gesprächsvarianten vorweggenommen werden, beispielsweise wenn der Bruder auf Therapiefortsetzung insistiert oder (sich) die Schwester wünscht, dass der Vater vom Leiden erlöst wird. Es sollte im Drehbuch die ethische Komplexität der Situation abgebildet und als Steuerungselement eingeführt sein, so dass sozial, resp. ethisch, erwünschte Antworten des Gegenübers ausgelöst werden können.

Sind die Ziele für die Simulation festgelegt, müssen die genauen Aufgaben, die zu bewältigen sind, konkretisiert werden. Danach können die Rahmenbedingungen bestimmt, eine typische klinische Situation ersonnen (s. oben), sowie ein Patient*innen-Charakter entwickelt werden. Zudem wird den Studierenden/Lernenden ihre Rolle zugeteilt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Simulation davon beeinflusst werden kann, mit welcher Rolle sich die Lernenden identifizieren sollen (Honkavuo 2021). Im nächsten Schritt wird ein Drehbuch verfasst und verschiedene Unterlagen erstellt. Zur Übungs-, respektive Prüfungsanlage von Simulation gehört, dass SPs anhand des Drehbuchs auf vergleichbare Impulse des Gegenübers auch vergleichbar reagieren. Durch diese Standardisierung der Reaktionen der Schauspielenden ist gewährleistet, dass curricular deklarierte Lerninhalte und Lernziele in den Domänen Wissen, Können und Haltungen in möglichst mehreren Verläufen und Wendungen, die die simulierte Handlung nehmen kann, im Vordergrund bleiben.

Zu den Dokumenten, die erstellt werden müssen, gehört üblicherweise a) eine informative Einführung und Zusammenfassung für die Dozent*innen (s. oben), b) ein (Rollen‑)Drehbuch für die SPs und c) eine Auftragsklärung für die Studierenden bzw. Kursteilnehmer*innen. Zusätzlich kann es einen (Aus-/)Bewertungsbogen für den Fall geben. Eine Übersicht gibt Tab. 3.

  1. a)

    Zweck der informativen Einführung für die Lehrpersonen ist es, einerseits einen Überblick über den Fall zu geben, andererseits auch die Möglichkeit zu eröffnen, dass beteiligte Dozent*innen möglichst vergleichbar mit den Fällen umgehen. Neben einer Übersicht über den Fall, in Form einer Zusammenfassung der wichtigsten Informationen, erläutert die informative Einführung den Fokus des Falles, beschreibt die Lernziele und weist gegebenenfalls auf Besonderheiten oder Fallstricke hin.

  2. b)

    Das Drehbuch enthält alle für die Schauspieler*innen wichtigen Informationen: Die biographischen Daten (Name, Alter, Charakter, Beruf, familiäre und soziale Einbindung etc.), die Rahmenbedingungen der Situation (Hausarztpraxis, Krankenhaus, Ambulanz etc.), und wichtige Informationen zur Krankengeschichte bzw. zum persönlichen Hintergrund. Für den obigen Simulationsfall beginnt die Rollenbeschreibung der Tochter folgendermaßen:

Tab. 3 Erforderliche Bestandteile und deren inhaltliche Ausrichtung für die Konstruktion einer Simulation

Simulations-Fallbeispiel: Rollenbeschreibung Tochter

Allgemeine Charakteristika:

a. Fiktiver Patientenname: Frau Müller

b. Alter: 48 +/−

c. Geschlecht: weiblich

d. Gewicht: normalgewichtig

e. Status/Ausbildung: Friseur-Meisterin

f. Persönlichkeitsmerkmale: insgesamt aktive und offene Person, die es aber gewohnt ist, Dinge (auch kritisch) zu hinterfragen

g. Ort der Konsultation/Setting: Arzt/Stations-Besprechungszimmer

Sie sind 48 Jahre alt und von Beruf Friseurin. Sie leiten einen eigenen kleinen Frisiersalon, der recht gut läuft. Sie haben zudem noch 2 Kinder, die zwar schon 17 und 21 Jahre alt sind, aber noch zu Hause leben und von Ihnen versorgt werden. Sie wohnen mit ihrer Familie etwa 5 km von der Wohnung Ihres Vaters entfernt in einem kleinen Haus. Ihre Ehe funktioniert überwiegend gut, aber Ihr Leben ist nicht immer einfach, weil Geschäft und Familie viel Zeit fordern […].

Ihr Vater hat mit Ihrer Mutter bis vor 4 Jahren gemeinsam in einem Haus gelebt, in das dann nach dem Tod der Mutter Ihr Bruder mit seiner Frau gezogen ist. Der Vater hat im unteren Stockwerk eine kleine Wohnung eingerichtet bekommen. Ihr Vater war immer die dominante Persönlichkeit bei Ihnen im Haus. Sie haben aber den Eindruck, das war ihm aber nur durch die Beziehung zu Ihrer Mutter möglich. Seit ihrem Tod hat sich Ihr Vater mehr und mehr zurückgezogen und ist aus seiner ehemals sehr aktiven Rolle in eine zunehmend passive verfallen. Sie wissen, dass der Tod Ihrer Mutter Ihren Vater nachhaltig beeinflusst hat. Manchmal hatten Sie schon die Befürchtung, dass er sich selbst aufgegeben hat.

Darüber hinaus enthält ein Drehbuch – je nach Anforderung – mehr oder weniger spezifische Schauspielanweisungen, die die SPs in die Lage versetzen, ihre Rolle dem Gesprächsfluss bzw. dem Verlauf der Simulation anzupassen. In einigen Fällen kann es erforderlich sein, sehr genaue Angaben zu machen, um einen Lerneffekt zu erzielen oder zu überprüfen. Dabei können auch konkrete Reaktionen vorgegeben werden.

Simulations-Fallbeispiel: Schauspielanweisungen

Wenn die Ärztin/der Arzt sich ausreichend bemüht, gelingt es ihr/ihm, Ihnen klar zu machen, dass es eigentlich um die Frage geht, ob Ihr Vater unter diesen Umständen weiter behandelt werden wollte. Sie sind zunächst verwirrt, weil Sie nicht ausblenden können, was eine Beendigung der Intensivtherapie für Sie selbst bedeuten würde, nämlich, dass Ihr Vater vermutlich stirbt und Sie nicht mehr mit ihm sprechen können. Geht die Ärztin/der Arzt aber behutsam vor, gelingt es ihr/ihm Sie zu dem Punkt zu bringen, dass es hier gar nicht um Ihre Belange sondern die Ihres Vaters geht.

Wenn die Ärztin/der Arzt sie allerdings direkt fragt, ob Sie denken, dass die Therapie auf ein palliatives Therapiekonzept umgestellt werden soll, ohne dabei vorher klar zu machen, dass es darum geht, den Willen Ihres Vaters umzusetzen, werden Sie verstimmt und antworten „Woher soll ich denn wissen, was sie tun sollen?“

Das Drehbuch sollte so ausführlich geschrieben sein, dass die Schauspielerin oder der Schauspieler sich gut in die Rolle hineinversetzen und die Rolle situativ ausgestalten kann. Falls das Geschlecht für die Fallsituation nicht relevant ist, gestaltet man aus pragmatischen Gründen die Rolle geschlechtsneutral und – falls möglich – mit weiten Altersvorgaben, damit möglichst viele Schauspielerinnen und Schauspieler die Rolle spielen können.

Bezüglich der Gestaltung von Drehbüchern zur Simulation im Rahmen der Ethiklehre, welche standardisierte Rollen und Interaktionen festhalten, kann ein formativer von einem summativen Kontext unterschieden werden: Im formativen Kontext („Übung“, sog. Skillstraining) sollten Interaktionen so gestaltet sein, dass sie zu Transferprozessen zwischen Theorie und Praxis anregen und erwünschte ethische Haltungen hervorrufen. Dies gilt grundsätzlich auch für den summativen Kontext („Prüfung“ in OSCEs). Hier aber sollten Interaktionen zusätzlich so gestaltet sein, dass der Erwartungshorizont für die zu Prüfenden deutlich wird und die Antworten beurteilbar werden, dies sowohl bezüglich eines spezifischen Kriteriums (z. B. Eingehen auf die Erfahrung der Person), als auch dessen Grad der Erfüllung (z. B. vollumfänglich, zum Teil, nichtzutreffend) mit entsprechender Gewichtung (einfach, doppelt, etc.).

Zu beachten ist, dass die Voraussetzungen für die Konzeption bei bereits erfahrenen Gesundheitsfachpersonen anders sind, als bei weniger erfahrenen, beispielsweise bei Medizinstudierenden. Im Ersteren Fall werden SPs eher als „Care Actors“ eingesetzt, die weniger starr konkret nach Drehbuch, als mehr nach Lernzielen agieren und ihre Rolle ausgestalten können. Sie können beispielsweise die Anweisung bekommen, mit dem Geschwister in Streit zu geraten und dadurch die Lernende/den Lernenden in die Situation bringen, das Gespräch auf den eigentlichen Anlass zurückführen zu müssen. Mit dem Einsatz von „Care Actors“ beispielsweise in einer Weiterbildung können sehr lebensnahe, sich spontan entwickelnde Situationen gespielt werden. „Care Actors“ können dann ein Feedback geben, welches mehr an den Erfahrungen der Teilnehmenden ansetzt. Diese Unterschiede, die Hardee und Kasper (2005) systematisch beschrieben haben, sind in Tab. 4 aufgeführt.

  1. c)

    Die Auftragsklärung für die Studierenden bzw. Kursteilnehmer*innen enthält die Situationsklärung, die konkrete Aufgabenstellung, falls erforderlich medizinische Fakten, und weitere wichtige Informationen zum Fall. Der Auftragsklärung muss klar zu entnehmen sein, in welcher Situation die Simulation stattfindet (Praxis, Station, Notfallbereich etc.) und was konkret die Aufgabenstellung für die Simulation ist. Wichtig ist dabei, dass alle Informationen enthalten sind, die die Studierenden bzw. Kursteilnehmer*innen in die Lage versetzen, die Simulation zielgerichtet durchzuführen.

Tab. 4 Unterschiede zwischen standardisierten SPs und „Care Actors“. (Aus dem Englischen übersetzt aus Hardee und Kasper (2005), Tab. 4, mit Genehmigung © The Permanente Federation, www.thepermanentejournal.org)

In dem obigen Simulationsfall, heißt es beispielsweise nach einer ausführlichen Situationsbeschreibung, wie es zu der Operation kam und welche Komplikationen konkret aufgetreten sind:

Simulations-Fallbeispiel: Situationsbeschreibung für Studierenden bzw. Kursteilnehmer*innen

Sie, als Stationsärztin oder Stationsarzt, bitten die Tochter/den Sohn/die Kinder (Sohn und Tochter) zu einem Gespräch. Sie wissen, dass Ihr Patient (Herr S.) vor der Operation gesagt hatte: „Ich möchte eigentlich in Ruhe gelassen werden und nicht mehr in ein Krankenhaus. Wenn das bedeutet, dass ich früher gehen muss, ist mir das auch recht.“ Allerdings waren seine Schmerzen so stark und schwer auszuhalten, dass er einer Operation letztlich zugestimmt hatte. Jetzt ist es leider zu mehreren, unerwarteten Komplikationen im Verlauf gekommen, die die Prognose von Herrn S. deutlich verschlechtert haben. Sie möchten daher darüber sprechen, ob die Intensivtherapie weiter durchgeführt werden soll. Was soll geschehen, wenn sich der Zustand des Vaters nochmals verschlechtert? Soll er in einer neuerlichen Krise wiederbelebt werden? Soll eine Hämofiltration durchgeführt werden? Oder soll ggf. bei dem doch jetzt komplikationsreichen Verlauf ein palliativmedizinisches Konzept verfolgt werden?

Aktuell ist die Situation so, dass Sie aufgrund des schlechten Verlaufs Herrn S. bestenfalls 10 % Chancen geben, einigermaßen akzeptabel (mit Einschränkungen) aus der Situation heraus zu kommen. In jedem Fall schlösse sich aber der akuten Behandlung eine längere Reha-Phase an. Dabei wäre seine Mitarbeit erforderlich. Klar ist, dass sich im Falle einer notwendigen Reanimation, die Prognose nochmal erheblich verschlechtern würde. Welche Einschränkungen er haben wird, ist noch nicht genau absehbar. Eine längere Pflegephase wird definitiv nötig sein. Ob er sich selbstständig wieder versorgen kann, ist sehr fraglich, aber eher unwahrscheinlich. Zuvor wird aber in jedem Fall eine längere Phase Intensivmedizin nötig sein. Je länger diese Phase dauert, umso mehr verschlechtert sich Prognose. (Jeder Tag Intensivtherapie wird später mindestens 3–4 Tage Reha-Phase erfordern.)

Durch die Festlegung der medizinethischen curricularen Lernziele in der Simulationsanlage (in den Domänen Wissen, Können und Haltungen), die Entfaltung der medizinethischen Komplexität des Falls und möglicher Wendungen im Drehbuch und die Ausarbeitung der spezifischen Dokumentation für SPs und Studierende gelingt es, der vorgängig erwähnten besonderen Komplexität der Simulation in der Ethiklehre gerecht zu werden (Tritrakarn et al. 2014).

Ein besonderes Augenmerk bei Simulationen gilt einem strukturierten, d. h. nach einem erkennbaren Muster angeordnetem Feedback, welches Studierende beim Transfer von Wissen, Können und Haltungen in die Praxis unterstützen soll. Feedback ist Bestandteil aller Simulationstrainings und sollte idealerweise nach dem Schema „I see, I think, I wonder“ (Beobachten, Klären, gezieltes Nachfragen) erfolgen, sowie verbale, non- und paraverbale Aspekte mit einschließen. Die generelle Ausgestaltung des Feedbacks und die dazugehörigen Regeln, sind aufgrund des dafür erforderlichen Umfanges nicht Bestandteil dieses Beitrages. Es soll aber an dieser Stelle angemerkt werden, dass auch das Feedback in der Ethiklehre Besonderheiten aufweist. Diese betreffen die Bewertung von Haltungsaspekten, die auf persönliche Einstellungen der Studierenden zurückzuführen sind oder auf das Unwissen darüber, welche emotionalen Assoziationen die SP bei der Person auslösen, die in der Trainingssituation nicht „ausweichen“ kann. Das strukturierte Feedback durch die Lehrperson, die SP und die Gruppe sollte als sicherer Raum festgelegt und wahrgenommen werden, in dem auch „Korrekturen“ moralisch schwieriger Positionen möglich sind und Simulationen möglichst realitätsnah bleiben können, weil sich Studierende nicht ausschließlich auf Positionen festlegen, die als moralisch erwünscht gelten können, sondern auch auf andere, für die sie gute Gründe vorbringen können.

Der oben genannten Entwicklung und Konzeption des SP-Skriptes/Drehbuchs schliesst sich die Einübung des Falls mit den SPs an, welche im SP-Training angeleitet werden, in den Interaktionen mit Studierenden während des Simulationstrainings die vom Drehbuch erwünschten Reaktionen hervorzurufen. Nach einer Probephase, die dazu dient, mögliche Schwierigkeiten, Ungereimtheiten oder Unklarheiten zu erkennen, kann die Simulation praktisch in der Lehre umgesetzt werden.

Kritische Würdigung und Ausblick

Einige Autoren sehen Simulationen mit Simulationspersonen gerade als zentrale Strategie an, die Lehre in der Medizinethik weiterzuentwickeln und die klinische Ethik nachhaltig zu implementieren (Tritrakarn et al. 2014; Souza und Vaswani 2020). Auf den ersten Blick scheinen Simulationen mit SPs für den Einsatz in der Lehre der Medizinethik, wenn diese sich nicht allein als analytisch-reflexive, sondern auch als klinisch-ethisch praktische Disziplin versteht, geradezu ideal, weil sich so Wissen, Fertigkeiten und Haltungen komplex verbinden lassen. Für den Einsatz und die Konzeption von medizinethischen Simulationen muss jedoch kritisch reflektiert werden, dass medizinethische Fragestellungen und Aufgaben gerade aufgrund ihrer Komplexität kontextsensitiv gelöst werden müssen. Daher ist die Verhandlung von Wertfragen, die auch eine individuelle biographische Komponente haben können, einer Simulation möglicherweise nicht oder allenfalls begrenzt zugänglich und nur schwer standardisierbar. Dieser Einwand trifft jedoch auch auf die, in einer konkreten klinischen Situation, technisch notwendigen Schritte zu, die realiter auch individuell (aufgrund der individuellen Anatomie und Physiologie) angepasst werden müssen. Die für die Lösung einer medizinethischen Aufgabe notwendigen grundlegenden Basis-Fertigkeiten, wie beispielsweise eine wertschätzende patient*innenzentrierte Kommunikation oder eine allparteiliche Haltung, sind sehr gut in Simulationen zu trainieren. Dies löst aber direkt die nächste Frage aus: Welche dieser Fertigkeiten oder auch Haltungen sind dem psychosozialen Bereich und Grundverständnis einer guten professionellen Kommunikation zuzuordnen, und welche sind tatsächlich genuine klinisch-ethische Fertigkeiten? Selbstverständlich, und das trifft auch auf das Wesen ethischer Fragestellungen generell zu, gibt es hier zahlreiche Überschneidungen. Dennoch gibt es einige Skills, die sich relativ spezifisch dem Bereich der Ethik zuordnen lassen, wie Sensitivität für ethische Fragestellungen, Reflexivität, Umgang mit Diversität, Bereitschaft zur Aushandlung eines Dilemmas, normative Urteilskraft bei Verletzungen ethischer Standards („speak up“), das Erkennen von wertbehafteten Argumentationen und der reflexive und diskursive Umgang mit Wertfragen. Genuin kommunikative Fertigkeiten wie Empathie, Authentizität etc. sind zwar nicht spezifisch für die Ethik, spielen aber bei der Lösung ethischer Konflikte, quasi als unerlässliche Voraussetzung, eine zentrale Rolle. Dabei ist zu beachten, dass eben gerade weil ethische Konfliktfelder komplexe Situationen darstellen, die Herausforderung im klinischen Alltag besonders anspruchsvoll sein kann. Sowohl die klinisch-ethischen Fertigkeiten als auch die genannten allgemeinen kommunikativen Fertigkeiten bereiten durch das Trainieren an Beispielen auf diese konkreten Situationen vor. Hierdurch lässt sich einer Überforderungssituation in der komplexen Praxis ein Stück weit vorbeugen. Die Aufgabe der Trainer*innen besteht zudem darin, den für Lernende initial sinnvollen „Drehbuch-Charakter“ didaktisch gut einzuordnen. Hierfür eignet sich das, wenn auch kritisch diskutierte, dennoch für Kompetenzen in der Medizin hilfreiche „Fünf-Stadien-Modell“ von Dreyfus und Dreyfus (1980). Dieses geht davon aus, dass das Erlernen neuer Fertigkeiten für Anfänger*innen zunächst durch die Erlangung von Wissen, über theoretische Regeln bis zum Handeln, entlang von Drehbüchern strukturiert werden sollte, deren Einhaltung rückgemeldet wird. Es erfolgt jedoch bereits zu Beginn der Ausbildung die Information, dass durch immer mehr Erfahrung auch Abweichungen von Drehbüchern im Sinne eines Expertenhandelns möglich und sinnvoll sind. Dies gilt bei technischen Fertigkeiten, zum Beispiel bei einer Reanimation ebenso wie bei kommunikativen Fertigkeiten, z. B. der Mitteilung, dass eine Reanimation medizinisch nicht mehr sinnvoll ist. Selbst bei Aufgaben, die klassischerweise als rein analytische Aufgaben verstanden werden, z. B. bei Schachspielen oder mathematischen Aufgaben, sind diese Stufen der Kompetenzentwicklung nachweisbar (für eine Kurzzusammenfassung des Dreyfus und Dreyfus Modells siehe Rudelt 2015).

Wenn es um das Erlernen oder Festigen von klinisch-ethischen Fertigkeiten geht, ist es wichtig, darauf zu achten, welche der grundlegenden ethischen Dimensionen in der jeweiligen Simulation im Fokus steht. Ist es eine Situation, bei welcher ein weithin geteilter ethisch guter Boden besteht (z. B. die Realisierung von Autonomie durch partizipative Entscheidungsfindung)? Oder geht es darum, das Wort zu ergreifen („speak up“) bei einer weithin als ethisch problematisch beurteilten Situation (Prävention von Schaden)? Ist es die Aufgabe, das ethisch Gute oder ethisch Problematische zu erkennen und die entsprechenden kommunikativen Fertigkeiten – je nach Lernstadium enger oder weniger eng – an nachgewiesenermaßen sinnvollen, zuvor theoretisch erlernten, hilfreichen Drehbüchern auszurichten, ohne hierbei die Authentizität zu verlieren (i. S. eines rein sozial erwünschten Handelns, z. B. bei der Kommunikation eines medizinischen Fehlers)? Ist die Bewältigung eines ethischen Dilemmas zentral, gilt es, die Sensibilität im Erkennen des Dilemmas zu erhöhen, die – aufgrund des Dilemmas – gegebene normative Spannweite der Beurteilung zu erkennen und das reflexive Abwägen von Prinzipien oder primären Interessen im Diskurs zu üben.

Während zumindest die beschriebenen Dimensionen des ethisch Guten und des ethisch Problematischen in der Schweiz in Prüfungen, als so genannter OSCE (Objective structured clinical examination), sowohl im Medizin- als auch im Pflegestudium bereits geprüft werden und so als zentral relevante Kompetenzen angehender Gesundheitsfachpersonen anerkannt sind, steht dies für die Umsetzung in Deutschland noch aus. Ein Skillstraining bzw. OSCE im Umgang mit Dilemmasituationen ist nach Kenntnis der Autor*innen in Deutschland und der Schweiz bisher noch nicht etabliert. Dies erscheint uns nicht nur für Medizin- und Pflegestudierende, Ärzt*innen und Pflegende in der Weiter- und Fortbildung sinnvoll. Zudem wären Simulationen mit SPs auch für die Ausbildung für klinische Ethikberater*innen eine sehr sinnvolle ergänzende Weiterentwicklung.