Vorbemerkungen

Der Ellenbogen hat in den letzten Jahrzenten mehr und mehr an Interesse gewonnen [1,2,3,4]. Das Coronoid dient der passiven Stabilisierung [5,6,7], stellt die entscheidende ulnare Barriere gegen eine posteriore Luxation des Ellenbogens dar [8, 9] und wird nicht umsonst als „Keystone“ des Ellenbogens bezeichnet [10, 11]. Isolierte Frakturen des Coronoids sind selten und treten mit einer Inzidenz von ca. 2,1 bis 7,5 pro 100.000 auf [12, 13]. Dabei ist zu beachten, dass die Rate an knöchernen oder ligamentären Begleitverletzungen bei Coronoidfrakturen mit 73 % enorm hoch ist [12]. In den meisten Fällen werden Coronoidfrakturen als Teil komplexer Ellenbogenluxationsfrakturen beobachtet [14, 15]. Dem Coronoid wird in der Fraktursituation oftmals nicht die ausreichende Beachtung geschenkt bzw. das Ausmaß der Fraktur unterschätzt [16, 17], so dass es immer wieder zu chronischen posttraumatischen Defektsituationen mit Entstehung einer posteromedialen Rotationsinstabilität (PMRI) durch insuffiziente Frakturversorgung kommen kann [5, 6, 15]. Eine PMRI entsteht nicht nur bei basisnahen Frakturen des Coronoids, sondern auch bei Beteiligung der anteromedialen Facette [5, 6, 18, 19]. Aufgrund der hohen klinischen Relevanz der PMRI entwickelte O’Driscoll eine eigene Frakturklassifikation, welche die ursprüngliche Klassifikation von Regan und Morrey [20] um die Frakturen der anteromedialen Facette erweiterte (Abb. 1; [21]). Ursache für die akute PMRI des Ellenbogens ist v. a. die Coronoidfraktur des Typs 2. Aufgrund des Traumamechanismus [10, 22] ist die PMRI mit einer Ruptur des lateralen Kollateralbandkomplexes (LCL) sowie des posterioren Bündels des medialen Kollateralbandes (PMCL) assoziiert. Das anteriore Bündel des MCL (AMCL) kann bei der Verletzung betroffen sein, muss es allerdings nicht zwingend. Durch die fehlende knöcherne Abstützung durch den Defekt der anteromedialen Facette kommt es zu einem erhöhten Druck zwischen der medialen Trochlea und dem frakturierten Coronoid [21], was unbehandelt zu einer zeitnahen Entwicklung einer Ellenbogenarthrose führen kann [8, 21, 23].

Abb. 1
figure 1

Klassifikation nach O’Driscoll (mit freundl. Genehmigung des Deutschen Ärzteverlags aus [16]). In der unteren Reihe sind die 3 Subtypen der Typ-2-Coronoidfraktruen dargestellt. Typ‑2.1.-Frakturen betreffen nur die anteromediale Facette. Bei Typ‑2.2.- bzw. -2.3-Frakturen ist die Coronoidspitze bzw. das Tuberculum sublimus mitbetroffen

In der chronischen Defektsituation ist die schnellstmögliche Rezentrierung des Gelenks von essenzieller Bedeutung. Es existieren verschiedene Techniken, die fehlenden anteromedialen Anteile der Incisura trochlearis zu rekonstruieren und damit die Kongruenz der Gelenkpartner wiederherzustellen [17, 24,25,26,27,28,29]. Vergleichende Studien zu den verschiedenen Techniken existieren nicht. Wir stellen im Folgenden den Aufbau des Coronoids mittels autologen Beckenkammspans und additiver medialer Bandplastik mittels Gracilissehne (wahlweise auch Palmaris-longus-Sehne) über einen medialen Zugang vor. Der mediale Zugang erlaubt dabei eine gute Sicht auf die Defektsituation des Coronoids und unterstützt die stufenlose Wiederherstellung der Gelenklinie. Im gleichen Eingriff oder frühsekundär (nach ca. 6 Wochen) ist meist eine Plastik des lateralen ulnaren Kollateralbandes (LUCL) erforderlich [30].

Anatomie

Die Gelenkpartner im Humeroulnargelenk werden gebildet durch die Trochlea humeri und die sie C‑förmig umfassende Incisura trochlearis. Das Coronoid stellt den ventralen Anteil der Incisura trochlearis dar und wird unterteilt in den Apex, die Basis, das Tuberculum subliminus und die anteromediale Facette (Abb. 1). Am Tuberculum subliminus setzt das anteromediale Bündel (AML) des medialen Kollateralbandes (MCL) an [31,32,33], das den primären Stabilisator gegenüber Valgusstress darstellt. Das mediale Kollateralband zählt zu passiven weichteiligen Stabilisatoren. Es besteht aus 3 Teilen: dem genannten anterioren Bündel (AML), einem posterioren Bündel (PML) und transversen Fasern [33]. Ihren gemeinsamen Ursprung haben das AML und PML am Epicondylus ulnaris des Humerus. Im Gegensatz zum AML inseriert das PML am Olekranon [31, 32]. Häufig ist aufgrund des Traumamechanismus dann auch das laterale ulnare Kollateralband (LUCL), welches am Epicondylus radiale entspringt und in das Lig. anulare radii einstrahlt [33], rupturiert (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

a Sagittale T1-Wichtung einer MRT eines Ellenbogens: Die Trochlea steht in der Incisura trochlearis nach ventral subluxiert. Durch den Coronoiddefekt kommt es zur typischen Darstellung eines „aufreitenden Coronoids“. b Axiale T2-Wichtung einer MRT eines Ellenbogens: Auch hier imponieren eine Subluxationsstellung mit fehlender Zentrierung sowie eine Ruptur des posterioren Bündels des medialen Kollateralbandes (roter Pfeil). c Koronare T2-Wichtung einer MRT eines Ellenbogens: gedeckte Ruptur des lateralen ulnaren Kollateralbandes mit humeraler Avulsion (roter Pfeil)

Klinische Untersuchung

Die Anamnese sollte immer die Frage nach einem Trauma beinhalten. Die standardisierte Untersuchung beginnt dann mit der Inspektion (Schwellung/Hautverletzungen/Hämatome) und Überprüfung der peripheren Durchblutung, Motorik und Sensibilität. Anschließend werden aktiver und passiver Bewegungsumfang erfasst. Nicht selten werden dabei durch die Subluxationsstellung Bewegungseinschränkungen im Sinne einer Ellenbogensteife beobachtet. Abhängig vom Zeitpunkt der Untersuchung (akut vs. chronisch) kann eine Bewegung unter forcierter Muskelanspannung ein vernehmbares Krepitieren auslösen, was auf das Vorliegen von Knorpelschäden hindeuten kann. Nach Überprüfung möglicher Schmerzpunkte (Epikondylen, Soft Spot, MCL-Verlauf) wird die Stabilität des N. ulnaris getestet. Abschließend erfolgt die Stabilitätsprüfung der Bandkomplexe. Neben der gängigen Prüfung der posterolateralen Rotationsinstabilität (PLRI) z. B. mittels Pinzettengriffs oder lateralen Pivot-Shift-Tests bietet sich medial nicht nur der Valgusstresstest bzw. das Milking-Manöver (Prüfung des AMCL) an, sondern auch der Varusstresstest für die Detektion der PMRI [7]. Dabei führt der Patient in einer 90° Abduktionsstellung im Glenohumeralgelenk langsame Extensions- und Flexionsbewegungen im Ellenbogen durch. Bei vorliegender PMRI kommt es durch die Schwerkraft entweder zu Schmerzen, einem Instabilitätsgefühl oder Krepitationen im Ellenbogen. Ein exakter Nachweis oder eine Provokation der Subluxation – mit Ausnahme von ausgeprägten Fällen – erscheint klinisch allerdings schwierig, sodass die Diagnose der PMRI tendenziell eher über die radiologische Bildgebung gestellt wird.

Radiologische Untersuchung

Die radiologische Basisdiagnostik mit einer Röntgenbildgebung in 2 Ebenen kann sowohl in der akuten als auch chronischen Situation wichtige Hinweise auf das Verletzungsmuster liefern. Nur in der anteroposterioren Aufnahme ist die Subluxationsstellung deutlich erkennbar (Abb. 3). In der lateralen Aufnahme zentriert das Gelenk durch die durchgeführte Flexion, so dass keine Fehlstellung auffällt. Bei röntgenologischem Verdacht auf eine vorliegende chronische Coronoiddefektsituation ist im Anschluss die Durchführung einer Schnittbildgebung einzuleiten. In der Magnetresonanztomographie (MRT) oder Computertomographie (CT) lässt sich dann meist eine mehr oder weniger ausgeprägte posteromediale Subluxationsstellung erkennen. Darüber hinaus können in der MRT die Kollateralbänder und grob auch die Knorpelsituation bzw. das Vorliegen intraartikulärer freier Gelenkkörper beurteilt werden. Die Defektsituation des Coronoids lässt sich allerdings am besten in der Computertomographie beurteilen, weshalb sich auch diese Untersuchung additiv (idealerweise mit 3‑D-Rekonstruktion) anbietet.

Abb. 3
figure 3

Postoperative Röntgenstellungskontrolle nach auswärtiger Versorgung einer komplexen Ellenbogenverletzung mit Radiuskopfschraubenosteosynthese und LUCL-Rekonstruktion. Es fällt der deutlich verminderte ulnohumerale Gelenkspalt (roter Pfeil) als Ausdruck einer chronischen PMRI auf

Operationsprinzip und -ziel

  • Rezentrierung des Gelenks durch Wiederherstellung der knöchernen Gelenkkongruenz mittels autologen Beckenkammspans über einen medialen Zugang

  • Simultane Rekonstruktion des medialen Kollateralbandes (AMCL) mittels autologem Gracilissehnengrafts

Vorteile

  • Wiederherstellung der Gelenkkongruenz zur Neutralisierung der PMRI und damit Vermeidung der Entwicklung einer Ellenbogenarthrose durch anhaltende Subluxationsstellung (Abb. 3)

  • Möglichkeit der additiven medialen Bandplastik aufgrund des medialen Zugangsweges

  • Keine zusätzliche Destabilisierung des Ellenbogens durch Radiuskopf- oder Olekranonspitzengraft [34, 35]

  • Durch Entnahme am Beckenkamm variable Größenbestimmung und somit auch Möglichkeit zur Versorgung großer Coronoiddefekte

Nachteile

  • Entnahmemorbidität am Beckenkamm

  • Nichtanatomische Rekonstruktion des Coronoids (Gelenkfläche ohne Knorpelüberzug mit bekannten potenziell negativen Konsequenzen)

Indikationen

  • Chronische PMRI nach Coronoidfraktur bei anteromedialem Facettendefekt

  • Longitudinale Instabilität nach Coronoidbasisfraktur

  • Akute PMRI bei nicht-rekonstruierbarer Coronoidfraktur

Kontraindikationen

  • Fortgeschrittene arthrotische Veränderungen des Ellenbogengelenks

  • Fehlende Operabilität aufgrund allgemeiner (z. B. kardiovaskuläre Risikofaktoren) oder lokaler (z. B. Infektion) Komplikationen

  • Schwangerschaft

Patientenaufklärung

  • Iatrogene Verletzung von neurovaskulären Strukturen mit sensiblen oder motorischen Ausfällen (v. a. N. ulnaris, auch N. radialis und N. medianus)

  • Pseudarthrose bzw. sekundäre Dislokation des Beckenkammspans

  • Entnahmemorbidität am Beckenkamm (Schmerzen, Narbe, Infekt) inklusiver möglicherweise eingeschränkter Mobilität für einige Tage

  • Beckenfraktur (Os ilium)

  • Nicht-vollständige Wiederherstellung der Gelenkkongruenz mit Entwicklung oder Zunahme einer Ellenbogenarthrose

  • Postoperative Funktionseinschränkung (eingeschränkte Beweglichkeit, persistierender Schmerz)

  • Lange Rekonvaleszenz inklusive Arbeitsunfähigkeit (zwischen 3 und 6 Monaten)

Operationsvorbereitungen

  • Narkoseuntersuchung (Überprüfung der Beweglichkeit, speziell im Vergleich zum präoperativen Zustand, einer posteromedialen und posterolateralen Rotationsinstabilität im Seitenvergleich und einer Luxationstendenz)

  • Standardisiertes Time-Out zur Identifizierung des Patienten und Bestätigung der korrekten Seite und durchzuführenden Operation

  • Rückenlagerung

  • Blutsperre/Blutleere am Oberarm. Auslagerung des Armes auf einem steril bezogenen und höhenverstellbaren Beistelltisch

  • Abdecken des abgewinkelt ausgelagerten ipsilateralen Beines sowie des Beckenkamms

Instrumentarium

  • Standardinstrumentarium für offene Ellenbogenoperationen

  • Oszillierende Säge

  • Hochfrequenzfräse

  • K‑Drähte zur temporären Fixierung des Beckenkammspans

  • Kanülierte Schrauben oder Osteosyntheseplatte zur endgültigen Retention

  • 2er FiberLoop (Fa. Arthrex, Naples, Florida, USA)

  • 4,5-mm-Bohrer

  • 5,0 mm kanülierter Bohrer

  • 2er Ösen-K-Draht

  • Sehnenstripper (bei Sehnenentnahme am Kniegelenk) und Tenodeseschraube für die additive mediale Seitenbandplastik mittels Gracilissehne bei häufig assoziierter MCL-Insuffizienz

Anästhesie und Lagerung

  • Allgemeinnarkose (Larynxmaske/Intubation)

  • Lokoregionale Analgesieverfahren (als Block oder idealerweise in Form eines Katheters) können ebenfalls zur Durchführung der Operation und zur postoperativen Schmerztherapie eingesetzt werden (auch additiv zur Vollnarkose)

  • Rückenlagerung

  • Blutsperre/Blutleere am Oberarm. Auslagerung des Armes auf einem steril bezogenen und höhenverstellbaren Beistelltisch

  • Abdecken des abgewinkelt ausgelagerten ipsilateralen Beines sowie des Beckenkamms

Operationstechnik

Abb. 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10.

Abb. 4
figure 4

Hautschnitt über dem ulnaren Epikondylus über insgesamt ca. 12–14 cm nach distal und proximal. Nach dem Hautschnitt subkutane Präparation unter Blutstillung bis auf die Faszie der Flexorenmuskulatur. Darstellung und Präparation des N. ulnaris. Langstreckige Neurolyse nach proximal und distal, ohne ihn aus dem Bett zu bergen. Eingehen in das Bett des N. ulnaris zwischen den beiden Köpfen des M. flexor carpi ulnaris. Dadurch gelangt man direkt zum Tuberculum subliminus, an dem das vordere Bündel des MCL ansetzt (AML). Zur Exploration des Coronoids werden die proximalen Flexoren, etwas distal vom Ansatz, abgelöst, damit für die spätere Refixation ein Stumpf am Epikondylus vorhanden ist. Ablösen der anterioren Kapsel vom Coronoid zur Darstellung des Coronoiddefekts. Glätten des Coronoids mit der Hochfrequenzfräse bis eine ebene Knochenfläche vorliegt. Sollte eine Ellenbogensteife vorliegen, lässt sich nach Präparation des Coronoids über den angelegten Zugang problemlos eine ventrale und dorsale Kapsulotomie durchführen. a Rückenlagerung des Patienten mit ausgelagertem Arm auf separatem Armtisch. b Darstellung der Schnittführung über dem medialen Epicondylus. c Darstellung nach tiefer Präparation mit erkennbarem Defekt des Coronoids

Abb. 5
figure 5

Hautschnitt über dem Beckenkamm über ca. 4 cm. Dabei sollten mindestens 2 Querfinger Abstand zur Spina iliaca anterior superior eingehalten werden. Subkutanpräparation unter Blutstillung bis auf die Faszie. Scharfes Ablösen der Muskulatur vom Beckenkamm und Darstellen des Beckenkamms nach ventral und dorsal. Entnahme eines bikortikalen Beckenkammspans entsprechend der Coronoiddefektbreite (ca. 2 cm) und einer Höhe von ca. 1 cm. Abhängig von der Größe des Coronoiddefekts kann auch die Entnahme eines trikortikalen Spans notwendig sein. Blutstillung und Einbringen von Knochenwachs. Verschluss der Faszie, Subkutan- und Hautnaht

Abb. 6
figure 6

Auflegen des Beckenkammspans auf die Coronoidbasis und ggf. Anpassen der Größe an den Coronoiddefekt. Dafür erfolgt ein Fräsen mit der Hochfrequenzfräse bis zum Erreichen einer anatomischen Form der Incisura trochlearis. Dabei sollte unbedingt auf eine perfekte Kongruenz zur Wiederherstellung der Konkavität geachtet werden. Kontrolle der Flexion des Ellenbogens mit temporär fixiertem Beckenkammspan. Die Flexion sollte nicht übermäßig eingeschränkt sein. Der Beckenkammspan sollte in Beugung in die Fossa coronoidea eintauchen können, so dass eine Flexion von mindestens 130° erreicht werden kann

Abb. 7
figure 7

Danach erfolgt die mediale Seitenbandplastik mittels Gracilis- oder Palmaris-longus-Sehnentransplantat. Ablösen der Kapsel vom Tuberculum subliminus und Anlage der Bohrkanäle. Setzen einer v‑förmigen Bohrung (Durchmesser 4,5 mm) ventral und dorsal des Tuberculum subliminus bzw. der Platte mit einer Knochenbrücke von mindestens 5–8 mm. Die Bohrung erfolgt distal mit ausreichender Distanz zur Gelenklinie (ca. 6 mm). Im eigenen Vorgehen wird die Platte anteroulnar aufgelegt, sodass die Bohrungen ventral und dorsal der Platte durchgeführt werden. Einbringen des Transplantats durch die Bohrlöcher über einen Shuttlefaden und triangelförmiges Zusammenführen der Sehnenenden

Abb. 8
figure 8

Vernähen der beiden Schenkel nach proximal. Bestimmen des humeralen Rotationszentrums (am anteroinferioren Epikondylus). Dafür wird zunächst ein Ösen-K-Draht in die gewünschte Position eingebracht und transkondylär am Epicondylus humeri radialis ausgeleitet. Danach werden die FiberWire-Fäden (Fa. Arthrex, Naples, Florida, USA) der freien Transplantatenden um den K‑Draht geschlungen. Unter Beugung und Streckung des Ellenbogens wird die Isometrie überprüft. Die FiberWire-Fäden sollten über die gesamte Bewegung eine unveränderte Spannung aufweisen. a Einbringen des K-Drahtes im Rotationszentrum des Ellenbogens und Überbohren des K-Drahtes mit einem kanülierten Bohrer. b Die FiberWire Fäden bzw. das Transplantat werden über einen Ösen-K-Draht nach radial ausgeleitet

Abb. 9
figure 9

Bei korrekter Isometrie Überbohren des K‑Drahtes mittels 5‑mm-Bohrer über eine Distanz von ca. 3 cm (ohne Perforation der Gegenkortikalis). Anschließend Ausleiten des Ösen-K-Drahtes nach radial und Shutteln der freien FiberWire-Fäden nach lateral. Dadurch lässt sich das Graft in den Bohrkanal einziehen. Erneute Kontrolle der Isometrie und Neutralisierung der Valgusinstabilität. Einbringen einer 4,5-mm-Tenodeseschraube unter Anspannung des Grafts, wobei die Lage des Grafts in Relation zur Tenodeseschraube vor dem endgültigen Eindrehen der Schraube noch angepasst werden kann

Abb. 10
figure 10

Verschluss der Gelenkkapsel über dem Transplantat. Dabei sollte unbedingt eine Kontrolle des N. ulnaris erfolgen, damit dieser nicht von Fäden tangiert wird. Refixation der Flexoren über einen eigenständig modifizierten, mit 2 Vicrylfäden beladenen Anker, wobei mit den Fäden die proximalen und distalen Anteile der Flexoren gefasst und vernäht werden. Eine anteriore Transposition des N. ulnaris ist meist nicht notwendig, kann aber bei Instabilität in Flexion am Ende der Operation durchgeführt werden. Subkutan- und Hautnaht. Steriler Pflasterverband am Ellenbogen und Beckenkamm. Elastokompressive Wickelung und Anlage einer Gipsschiene oder einer präoperativ angepassten Bewegungsschiene. Abhängig von der Operationsdauer und dem Ausmaß der Verletzung kann – sofern notwendig – eine Rekonstruktion des lateralen ulnaren Kollateralbandes (LUCL) in gleicher Sitzung oder zeitversetzt nach ca. 6 Wochen durchgeführt werden [30]

Postoperative Behandlung

  • Tragen einer intraoperativ angepassten Gipsschiene.

  • Bei trockenen Wundverhältnissen (meist nach ca. 2 bis 4 Tagen) Wechsel auf Bewegungsorthese. Diese sollte für 6 Wochen Tag und Nacht getragen werden und nur für Physiotherapie bzw. Eigenübungen abgenommen werden

  • Bei angelegter Orthese und aus ihr heraus tägliches Auftrainieren der Beweglichkeit in Flexion und Extension im Rahmen von Eigenübungen sowie der Krankengymnastik

  • Verordnung eines CPM-Ellenbogenstuhls (z. B. Ellenbogenstuhl, Fa. Ormed, Freiburg, Deutschland) zur mehrfachen täglichen Anwendung zur Verbesserung der Beweglichkeit

  • Verordnung von Lymphdrainage als abschwellende Maßnahme

  • Postoperative Röntgenkontrolle in 2 Ebenen

  • Regelmäßige Wundkontrollen sowie Verbandswechsel. Fadenzug am 10. bis 12. postoperativen Tag

Fehler, Gefahren, Komplikationen

Intraoperative Fehler und Gefahren

  • Intraartikuläre Schraubenlage

  • Fehlplatzierung des Knochenspans

  • Fehlplatzierung der Bandplastik

  • Fraktur der Spina iliaca anterior superior bei geminderter Knochenqualität bzw. zu weit ventraler Spanentnahme

  • Fehlender Schutz bzw. Verletzung des N. ulnaris während der Operation

Postoperative Komplikationen

  • Allgemeine Komplikationen:

    • Allgemeine Komplikationen sind bei adäquatem Vorgehen sehr selten, a. e. Nachblutungen, postoperative Ellenbogensteife (Arthrofibrose), persistierende Schmerzen, postoperative Ellenbogensteife.

  • Spezielle Komplikationen:

    • Pseudarthrose oder sekundäre Dislokation des Beckenkammspans

    • Zeitnahe Entwicklung einer Arthrose bei inkongruenter Gelenkflächenrekonstruktion

    • Iatrogene Schädigung des N. ulnaris

    • Extensions- oder Flexionskontraktur bei falscher Isometriebestimmung

    • Mediale Bandinsuffizienz bei Einheilungsstörungen oder Materialversagen

    • Einheilungsstörungen der rekonstruierten Flexorensehne

    • Entnahmemorbidität mit Stufenbildung am Beckenkamm und daraus resultierenden Einschränkungen (z. B. beim Tragen eines Gürtels)

Ergebnisse

Die posteromediale Rotationsinstabilität (PMRI) ist eine seltene, aber inzwischen detailliert untersuchte Verletzung des Ellenbogens, welche akut und chronisch auftreten kann und sich durch eine relevante Fraktur der anteromedialen Facette des Processus coronoideus bedingt [5, 6, 18, 22, 36]. Dabei sind isolierte Frakturen selten, vielmehr werden die Verletzungen des Coronoids im Zuge einer Ellenbogenluxation bzw. komplexen Fraktursituation nicht ausreichend versorgt. Eine konservative Behandlung der Coronoidfraktur [23] oder eine alleinige Rekonstruktion des LUCL [37, 38] führt dabei oft zu schwerwiegenden Verläufen mit zeitnaher Entwicklung einer Ellenbogenarthrose bedingt durch die persistierende posteromediale Subluxationsstellung.

Der Schlüssel zur erfolgreichen Therapie dieser komplexen Pathologie liegt zum einen im Erkennen der Verletzungen und korrekten Einschätzung deren Ausmaßes (Begleitverletzungen!) und zum anderen im Verständnis von Anatomie und Funktionsweise des Coronoids und der ulnaren und radialen Seitenbänder [22]. In der Akutsituation kann eine Rekonstruktion der anteromedialen Facette mittels Osteosynthese oder Fadenankern mit – sofern notwendig – additiver medialer bzw. lateraler Bandrefixation die Entstehung einer chronischen PMRI vermeiden. Vor allem bei den chronischen Verläufen gestaltet sich die klinische Untersuchung schwierig, weil sich die Patienten oftmals ohne pathognomonische Symptome vorstellen. Aus diesem Grund kommt der Schnittbildgebung, idealerweise inklusive 3‑D-Rekonstruktion, eine besondere Bedeutung zu, in welcher die Fraktur nach O’Driscoll verlässlich interpretiert werden kann [39].

Zwischen April 2015 und November 2017 wurden von den Autoren 10 Patienten mit chronischer PMRI, bedingt durch einen Coronoiddefekt, in oben beschriebener Technik operiert. Das Durchschnittsalter der Patienten zum Zeitpunkt der Operation betrug 41,4 Jahre. Acht der 10 Patienten konnten 86,3 Wochen [Range: 53–137 Wochen] postoperativ klinisch-radiologisch nachuntersucht werden. Ein Patient musste im Verlauf aufgrund einer posttraumatischen Arthrose auf eine Ellenbogenprothese konvertiert werden und wurde deshalb aus dem Patientenkollektiv ausgeschlossen.

Neben einer Röntgenbildgebung des Ellenbogens in 2 Ebenen erfolgte eine klinische Untersuchung des Ellenbogens sowie die Erhebung des „Subjective Elbow Value“ (SEV), des aktuellen Schmerzniveaus anhand der visuellen Analogskala, des „Disabilities of the Arm, Shoulder and Hand“(DASH)-Scores [40] sowie des „Mayo Elbow Performance Score“ (MEPS) [41].

Der Bewegungsumfang hat sich durch die Operation im Mittel von 108° auf 136° (Flexion) bzw. von 41° auf 16° (Extension) verbessert. Der durchschnittliche Grad der Supination verbesserte sich von 61° auf 82°, der der Pronation von 54° auf 60°. Der SEV konnte im Vergleich zum präoperativen Zustand von 44 % auf 81 % verbessert werden. Der DASH-Score fiel von 50 (9–91) auf 26 (0–57) Punkte und dokumentierte damit eine positive Entwicklung. Der Mittelwert des MEPS konnte von 39 (10–60) auf 81 (60–100) Punkte gesteigert werden. Demgegenüber fiel das angegebene Schmerzlevel der Patienten auf der visuellen Analogskala in Ruhe bzw. unter Belastung im Vergleich zum Zeitpunkt vor der Operation von 6,25 (3–9) bzw. 8 (6–10) auf 1,1 (0–2,5) bzw. 3,6 (0–6). Bei 7 Patienten war zusätzliche eine LUCL-Bandplastik notwendig, welche im eigenen Vorgehen in allen Fällen sekundär durchgeführt wurde. In der klinischen Nachuntersuchung konnte bei einem dieser Patienten eine leichte posterolaterale Rotationsinstabilität im Pinzettengriff festgestellt werden. Keiner der nachuntersuchten Patienten erlitt eine erneute Ellenbogenluxation. Aufgrund einer Ellenbogensteife musste bei einem Patienten eine arthroskopische Arthrolyse zur Verbesserung der Beweglichkeit durchgeführt werden. Niemand aus dem Kollektiv wies postoperativ eine ulnare Instabilität auf (negativer Valgusstresstest, schmerzfreier Varusstresstest, negatives Milking-Manöver). Ein Patient klagte über eine Hypästhesie in den Fingern im Versorgungsgebiet des N. ulnaris, 2 weitere Patienten über eine dauerhafte Hypästhesie im Bereich der Narbe. Wie oben beschrieben, entwickelte sich bei 1 Patienten eine fortgeschrittene Ellenbogenarthrose, weshalb die Konversion auf eine Ellenbogentotalendoprothese notwendig war. In den radiologischen Nachuntersuchungen zeigten sich bei allen 7 Patienten regelrechte Gelenkstellungen ohne vorliegende Subluxationsstellung, allerdings wiesen 3 Patienten Zeichen einer beginnenden posttraumatischen Arthrose auf.

Klinische Ergebnisse von Patienten, deren Verletzung initial unterschätzt und im Verlauf wegen chronischer PMRI mittels Coronoidaufbauplastik therapiert wurde, sind in der Literatur selten und beschränken sich auf kleine Fallserien oder Case Reports mit mehr oder weniger langen Follow-up-Zeiträumen [25, 26, 29, 42,43,44]. Die Ergebnisse einer größeren Fallserie (n = 44) mit einem durchschnittlichen Follow-up von 5,8 Jahren (n = 26) wurden während des Jahreskongresses der DVSE 2018 in Regensburg präsentiert [45], wobei die Coronoidrekonstruktion mittels Beckenkammspan nicht wie in diesem Beitrag von medial, sondern über einen anterioren Zugang durchgeführt wurde [46, 47].

In der Literatur ist der Coronoidaufbau nicht nur mittels autologen Beckenkammspans [25, 27, 42] beschrieben, sondern wird auch mit allogenem oder autologem Radiuskopfgraft [9, 29, 44, 48, 49], einem costochondralen Graft [50] oder der Olekranonspitze [26] dargestellt. Die Vorteile von Radiuskopf- und Olekranonspitzengraft liegen in der geringeren Entnahmemorbidität und der Möglichkeit der Wiederherstellung einer knorpligen Gelenkfläche bei hoher Passgenauigkeit [44, 51]. Der Radiuskopf wird v. a. dann verwendet, wenn aufgrund einer Defektsituation eine prothetische Versorgung notwendig ist. Bei chronischen Defekten erscheint eine Entnahme des intakten Radiuskopfes obsolet, da dies zu einer zusätzlichen Destabilisierung des bereits kompromittierten Ellenbogens führt [34, 35, 52]. Die Olekranonspitze kann zwar theoretisch sowohl in der akuten und chronischen Situation verwendet werden, allerdings ist dieses Graft aus eigener Erfahrung bei den chronischen Fällen oft zu klein, um das Coronoid adäquat zu rekonstruieren. Allen genannten Studien ist gemeinsam, dass der präoperative Zustand verbessert werden konnte, sich in den Folgeuntersuchungen – wie auch in unserer Studie – allerdings radiologisch degenerative Veränderungen zeigten, die sich trotz der Re-Zentrierung des ulnohumeralen Gelenks nicht vollständig aufhalten lassen und am ehesten durch den Unfallmechanismus und die aus der osteoligamentären Verletzung resultierenden Subluxationsstellung verursacht werden.

Zusammengefasst stellt die Rekonstruktion des Coronoids mittels Beckenkammspan und additiver Bandplastik bei korrekter Durchführung eine adäquate Therapie zur Wiederherstellung der Kongruenz und Rezentrierung des Ellenbogengelenks dar, mit der präoperative Beschwerden reduziert werden können und eine Arthroseentwicklung zumindest ausgebremst werden kann. Vergleichsstudien und Langzeitergebnisse sind allerdings notwendig, um den Coronoidaufbau noch besser einordnen zu können. Idealerweise werden Verletzungen bzw. eine Beteiligung des Coronoids in komplexen Fraktursituationen oder Ellenbogenluxationen initial erkannt und korrekt behandelt, so dass es gar nicht erst zur Ausbildung einer chronischen PMRI kommen kann.

In der von uns durchgeführten Studie ließen sich mit der beschriebenen Technik objektive wie subjektive Verbesserungen erzielen. Kein Patient zeigte eine erneute Reluxation und die Patienten waren mit dem Ergebnis des Behandlungsverlaufs zufrieden. Limitationen der Studie sind neben dem retrospektiven Charakter auch die geringe Fallzahl.