Zusammenfassung
Der Artikel gibt eine kurze Einführung in zentrale Problemstellungen und Grundgedanken von Jürgen Habermas. Habermas wird als ein dialogischer Denker vorgestellt, der seine Theorie in Auseinandersetzungen mit der Theoriegeschichte gewinnt und dessen zentrales Projekt die Einheit von Theorie und Kritik der modernen Gesellschaft ist. Charakteristisch für sein Werk sind einerseits materiale Studien zum normativen Gehalt sozialer Institutionen, andererseits systematische Bemühungen, ein rationalitätstheoretisches Verständnis der Moderne zu formulieren. Für den ersten Strang wird exemplarisch der Strukturwandel der Öffentlichkeit (1962) und für den zweiten Strang die Theorie des kommunikativen Handelns (1981) diskutiert.
Notes
- 1.
Performative Widersprüche entstehen durch Sprechakte (geäußerte Sätze), in denen sich Performanz (das was sie tun) und Gehalt (das was sie sagen) widersprechen. Der gängigste Fall sind Behauptungen, die sich gleichsam selbst den Boden unter den Füßen wegziehen. Wenn das, was sie sagen, wahr wäre, wäre die Aussage unmöglich. Ein Beispiel wäre etwa die Behauptungen: „Ich weiß, dass ich nichts weiß“ oder „Ich existiere nicht“. Habermas nutzt den Hinweis auf performative Widersprüche häufig, um geltend zu machen, dass bestimmte extreme Formen der Skepsis gegen Rationalität und Erkennbarkeit der Welt, wie er sie neben Adorno/Horkheimer u. a. auch Luhmann oder Foucault zuschreibt, selbstwidersprüchlich sind – wenn sie recht hätten, könnten sie nicht berechtigterweise sagen, was sie sagen (vgl. Habermas 1985, S. 277–341; 424–443).
- 2.
Diese Grundthese der TkH wurde aus vielfältigen Gründen kritisiert, was Habermas schließlich zu einer Rücknahme der Verknüpfung von allem (auch strategischem) Sprachgebrauch mit kommunikativer Vernunft bewogen hat (Habermas 2004, S. 102–137).
- 3.
In der TkH selbst werden allerdings keine Überlegungen angestellt, wie instrumentelle Rationalität und funktionale Verselbstständigung durch kommunikative Rationalität wieder ‚eingefangen‘ werden könnten. In Faktizität und Geltung (1992) nimmt Habermas diese Problematik wieder auf. In einer deutlich optimistischeren Bewertung des Rechtssystems (das in der TkH noch zu den Kolonisatoren der Lebenswelt gerechnet wird) schreibt er dem Recht nun eine Funktion als „Scharnier“ bzw. „Transformator“ (1992, S. 77 f., 108, 217) zwischen System und Lebenswelt zu, weil es kommunikativ artikulierte, normative Anliegen gegenüber den sonst für moralische Appelle unempfindlichen Systemen von Ökonomie und Verwaltung zur Geltung bringen könne.
- 4.
International wurde die Habermas-Luhmann-Kontroverse eher wenig zur Kenntnis genommen; die zentrale Streitschrift der Debatte wurde beispielsweise bis heute nicht ins Englische übersetzt.
- 5.
Während Habermas seine Handlungs- und Diskurstheorie unter dem Eindruck von Kritik einer ganzen Reihe von Revisionen unterzogen hat, die jedoch eher in die Richtung einer Rücknahme starker Ansprüche laufen (vgl. Habermas 2004) hat Habermas auf die gesellschaftstheoretische Kritik nicht durch Weiterentwicklungen reagiert und an der Perspektivverschränkung von Handlungs- und Systemtheorie annähernd unverändert festgehalten (vgl. Habermas 2019, S. 136–174).
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Anicker, F. (2022). Kritiker einer unvollendeten Moderne: Jürgen Habermas. In: Delitz, H., Müller, J., Seyfert, R. (eds) Handbuch Theorien der Soziologie. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-31744-7_17-1
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Kritiker einer unvollendeten Moderne: Jürgen Habermas- Published:
- 27 February 2024
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Kritiker einer unvollendeten Moderne: Jürgen Habermas- Published:
- 24 July 2022
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-31744-7_17-1