Zusammenfassung
Gegen die Abstraktionstheorie der Begriffsbildung ebenso wie gegen die naive Weltsicht, die sich unbegriffen auch in elaborierten Theorien der Erkenntnis durchhält, entwickelte Cassirer in diesem 1910 erschienenen Werk seine als Grundlegung der Erkenntnistheorie wie der Wissenschaftstheorie angelegte Theorie des Begriffs. Die am historischen und zeitgenössischen Material wissenschaftlicher Theorien durchgeführte These des Werks, dass alle Begriffsbildung an eine bestimmte Form der Reihenbildung gebunden ist, trägt die grundlegende Einsicht in die konstruktive Leistung des erkennenden Bewusstseins, die Cassirer in der Theorie der identifizierenden Synthese als der aller Begriffsbildung zugrunde liegenden gedanklichen Funktion konkretisiert. An der vorherrschenden (aristotelischen, am Modell biologischer Gattungsbegriffe orientierten) Abstraktionstheorie des Begriffs macht Cassirer in kritischer Absicht sichtbar, dass sie einer abbildrealistischen Vorstellung verhaftet ist – so als wären etwa die Einteilungen in ‚Ding und Eigenschaft‘, in ‚Ganzes und Teil‘ als Beschreibungen von Eigenschaften der Dinge selber anzusehen. Sie sind aber, so macht Cassirer geltend, kategoriale Akte zu deren Formung und Beurteilung. Und mehr noch sind die Dinge auch keine absoluten Substanzen jenseits aller Erkenntnis – sie sind vielmehr die Objekte, die sich in diesen kategorialen Akten, „in der fortschreitenden Erfahrung selbst“ erst gestalten. Diese These trägt gleichermaßen die Einsicht in die Historizität aller Begriffsbildung wie in die Invariabilität der Voraussetzung von Leistungen des Bewusstseins und darf insofern als eine Historisierung des kantischen Apriori angesprochen werden.
Ursprünglich veröffentlicht unter © J.B. Metzler’sche Verlagsbuchhandlung und Carl Ernst Poeschel Verlag GmbH
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Bibliographie
Literatur
H. Smart: C.s Theorie der mathematischen Begriffsbildung, in: E. C., Hg. P. A. Schilpp, 1966.
K. N. Ihmig: C.s Invariantentheorie der Erfahrung und seine Rezeption des ‚Erlanger Programms‘, 1997.
C. Schmitz-Rigal: Die Kunst offenen Wissens. E. C.s Epistemologie und Deutung der modernen Physik, 2002.
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Recki, B. (2020). Cassirer, Ernst: Substanzbegriff und Funktionsbegriff. In: Arnold, H.L. (eds) Kindlers Literatur Lexikon (KLL). J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-05728-0_9510-1
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